Mittwoch, 4. Juli 2007

Arbeitsalltag

Das universitäre Rechenzentrum erwies sich längst als unendlicher Quell unnützer Menschbeobachtungen, nutzloser Erfahrungen im Umgang mit Menschen, denen man voraussichtlich – und zum Teil hoffentlich – niemals wieder begegnen wird. Doch ich bin hier, um zu arbeiten, um das zu schaffen, was ich auch zu Hause schaffen könnte – wenn ich es könnte. Denn darin liegt das Problem: Mein eigener Rechner ist schneller, die Internetanbindung nicht wesentlich langsamer, die Störfaktoren geringer an Zahl – und dennoch misslingt mir heimatliches Arbeiten immer wieder.

Da sind Zeichnungen, die ich anzufertigen gedenke, Dinge, die das weltweite Netz mir preiszugeben wünscht, nach denen ich „nur mal kurz“ suchen muss, Musikstücke und Videos, deren Konsum ausgerechnet auf jene Zeitfetzen fällt, die ich eigentlich sinnvoll zu befüllen dachte. Dort befinden sich Bücher, groß an Zahl und thematischer Vielfalt, Langeweilevernichter verschiedenster Art, unaufgeräumte Fußböden, ungewaschenes Geschirr, unreparierte Fahrräder, Menschen, mit denen sich ablenkenderweise unterhalten werden kann – und mein eigener Kopf, der Kopf, der sich immer wieder neue Varianten ausdenkt, um mich von dem zu entfernen, weswegen ich mich eigentlich an meinem Schreibtisch platzierte. Es bedarf nur eines Augenblicks des Nichtdenkens, des Sich-Nicht-Konzentrierens, und das All der Möglichkeiten stürzt auf mich ein. Langeweile ist mir fremd; immer gibt es zu tun, zu handeln – und dennoch weiß ich am Abend nicht mehr, womit ich den Tag befüllte.

Also schwinge ich mich auf mein Rad, setze mich in die Straßenbahn, fahre dorthin, wo Wissen produziert und ausgeliefert wird. Und weil sich Schwierigkeiten ergaben, die mich immer wieder zurückzuwerfen vermögen, Schwierigkeiten, denen zu trotzen ich nicht täglich die Kraft finde, werde ich mir selbst erst bewusst, als ich orientierungslos auf dem Campus stehe und nicht weiß, wohin mit meinem Drang, endlich der eigenen Faulheit, der ewigen Ablenkung zu entfliehen, wohin mit meinem Wunsch voranzukommen, endlich weiterzumachen, was viel zu lange unberührt in Dateien und schlechten Kopien auf mich wartete.

Die Universitätsbibliothek, voll gestopft mit Rechnern, wäre der optimale Ort des Lernens und Schöpfens, wäre der Platz, an den ich mich zurückziehen, an dem ich meine Ohren mit eigenem Lärm gegen den fremden versiegeln und endlich produktiv sein könnte – doch es funktioniert nicht. Das bibliothekseigene Betriebsystem weigert sich, über ein annehmbare Schreibprogramm oder Installierbarkeit eines solchen zu verfügen; zudem missfällt mir die auf jenes Betriebssystem zugeschnittene Tastatur mir den mir fremden Sonderfunktionen und vorprogrammierten Fehldrücken. Ich fühle mich unwohl, an jenen Rechnern zu sitzen, irgendwie grau, als wäre die Farbe der Monitore, die unansehnliche Bedienoberfläche auf mein Empfinden übergeschwappt.

Also auf!, sage ich mir, begebe mich ins URZ, ins Universitätsrechenzentrum, genauer: in eines der vier verfügbaren RTLs, Rechentechnische Labore. Ich ignoriere, dass mir die unglückliche Namenswahl des zweiten Labors, RTL II, missfällt [Überhaupt scheinen Namen nicht gerade die Stärke dieser Universität zu sein: Das Mensa-Café nennt sich „Latte“ – was nicht nur Vorpubertären ein Kichern oder eine Hand-an-Stirn-Bewegung entlocken dürfte.], begebe mich in einen der beiden öffentlichen Räume und begutachte die Warteschlange. Denn eine Warteschlange gibt es nahezu immer. Sind es weniger als vier Leute, die warten, bin ich bereit, mich einzureihen und all die fleißig Tippenden zu betrachten, wegen deren Aktivitäten mir ein sinnvolles Arbeiten vorerst verwehrt bleibt.

Säße ich an einem Rechner und wäre mit Unsinn beschäftigt, überlege ich, bekäme ich ein schlechtes Gewissen und würde versuchen, mein nutzloses Tun alsbald zu beenden und meinem Platz den Stehenden, die sich vermutlich mit Dringenderem beschäftigen werden, zur Verfügung zu stellen. Nicht so jene, die hier sitzen. Youtube grüßt und schenkt Kopfhörerbesitzern amüsierte Minuten voller Zeitvertreib. StudiVZ avanciert zur meistgenutzten Seite, inklusive stundenlanger Fremdprofilbesucherei und Partyfotobegutachtung. Ich stehe, betrachte Barbara Schöneberger und Guido Westerwelle, die kurze Statements zu etwas geben, das zu vernehmen ich nicht imstande bin, mich jedoch allein aufgrund dieser beiden Interviewten nicht länger interessiert. Automobilangebote werden ebenso durchblättert wie diverse myspace-Profile, die glücklicherweise zu weiteren verlinken. Überhaupt: Die Endlosigkeit des weltweiten Netzes lässt leicht vergessen, dass ich im Eingangsbereich stehe und warte, leitet Link für Link in weitere, unbekannte Welten, die womöglich hässlich und unspannend sind, doch alsbald in neue, das Interesse mehr fesselnde Seiten münden können. Ich warte und störe mich nicht an dem Treiben durch die Buntwelt Internet, wünsche mir nur die Möglichkeit, mein Buch aus dem Rucksack kramen und weiterlesen zu können. Doch ich darf nicht lesen, muss meine Blicke schweifen lassen über jene, die arbeiten oder nicht-arbeiten, über jene, die die Rechner belegen – und jeden Augenblick aufstehen und ihren Arbeitsplatz entleeren könnten. Ich muss wachsam sein, denn die nach mir Anstehenden warten auch, wachen auch, verzeihen keine Verzögerung, sind bereit, sich Freiwerdendes selbst unter den Nagel zu reißen oder zumindest meine Unaufmerksamkeit mit entsprechendem Hohn zu kommentieren.

Als ich fündig werde, seufze ich lautlos. Ohne mich meines Rucksacks oder meines Jacketts zu entledigen, melde ich mich an. Der Nutzername meines Vorgängers ist noch sichtbar, und ich versuche, daraus Rückschlüsse auf seinen Nachnamen zu ziehen, ein albernes Spiel, von dem ich hoffe, dass es niemals von meinem Nachfolger praktiziert werden wird. Mein Seufzen galt dem mir zugewiesenen Rechner, denn er ist einer von der langsameren Sorte, einer von denen, die mir bereits während des Anmeldeprozess genug Zeit lässt, mich unnötiger Kleidung und Taschen zu entledigen und benötigte Material zurechtzulegen. Die Startprozedur dauert an, und als ich den Browser in Betrieb nehme, seufze ich ein weiteres Mal, denn auch das dauert, müssen doch irgendwo aus dem universitären Serverwirrwarr meine persönlichen Browserprofildaten geladen werden, obgleich ich mich stetig darum bemühe, diesen Daten nicht allzu viel Inhalt zurückzulassen.

Ich arbeite mit Windows XP, was mich nicht stört, doch sorge als erste echte Tätigkeit dafür, dass die Schnellstartleiste innerhalb der Taskleiste angezeigt wird – ich werde nie begreifen, wie man auf das sehr hilfreiche „Desktop anzeigen“-Symbol verzichten kann. Die zweite Tätigkeit besteht darin, innerhalb des automatisch gestarteten ICQ-Programms eine Möglichkeit zu suchen, dieses aus dem Autostart zu vertreiben. Meiner Ansicht nach muss ein Chatprogramm – etwas, das vor ein paar Jahren auf den Rechenzentrumscomputern noch verboten gewesen war – die ohnehin langwierige Anmeldeprozedur nicht unnötig verzögern. Die dritte Tätigkeit umfasst den Versuch, meinen USB-Stick an den Tower zu klemmen - ein Versuch, der mit dauerhaftem Scheitern bestückt ist. Zuweilen habe ich Glück, und das System ist bereit, den Stick oder den integrierten Wechseldatenträger für wenige Sekunden zu erkennen; dann handle ich schnell, kopiere, was zu kopieren ist, und freue mich, wenn es sogar gelingt, Musikdateien zu übertragen. Doch meistens missglückt dieser Versuch, so dass ich mich ablenke, bevor ich nach einer Lösung zu suchen beginne.
Emails. Blogs. Kommentare. Nachrichten. Unnützes Zeug.

Dann entsinne ich mich, dass ich mir ein paar erforderliche Arbeitsdateien per Mail selbst zugesendet hatte. Begeistert lade ich herunter, was ich brauche und öffne das installierte Office-Programm. Und jedes Mal stellt sich die gleiche Frage: Benutzt hier niemand außer mir ein Schreibprogramm? Schließlich muss ich bei jedem Rechenzentrumsrechner, den ich nutze, die Vorinstallation erst vollenden, um meine Arbeit fortsetzen zu können – von einer Neuinstallation eines Musikabspielprogramms ganz zu schweigen. Vermutlich setze ich einfach die falschen Prioritäten.

Als ich, endlich, zu arbeiten beginne, tippt mich das Mädel zu meiner Rechten an. Ob ich ihr helfen könne. Sie wolle eine Mail an unzählige Adressen versenden, doch gmx liefere immer wieder eine Fehlermeldung. Ich weiß nicht, was an meinem Äußeren sie dazu bewog, mich um Rat zu bitten, doch ich finde den Fehler auf den ersten Blick. In der ersten Mailadresse fehlt ein Zeichen, und gmx ist nicht bereit, dies als ordentliche Mailadresse zu akzeptieren. Mein Rat, bei mehreren Empfängern das BCC–Feld zu benutzen, da sonst jeder Empfänger alle Adressen sehen könne, stößt auf taube Ohren. Doch immerhin ernte ich ein „Danke.“

Dann arbeite ich. Tatsächlich. Ich überrasche mich selber und arbeite. „Herumfleißigen“ nenne ich dergleichen normalerweise – das Fleißigsein ohne tatsächliches Ergebnis – aber immerhin.

Der neben mir Sitzende tippt mich an. Er hat gerade sein Vordiplomszeugnis eingescannt und wagt nicht, selber zu beurteilen, ob dieses tatsächlich gerade ist. Mein Urteilungsvermögen bei solchen Dingen ist trüb, doch weiß ich Rat. Im Bildbearbeitungsprogramm ziehe ich einen Rechteckrahmen um eine eingescannte Linie. Ich vergleiche Scan und Computergeneriertes – und stelle Parallelität fest. „Gerade.“, sage ich, schmunzle und arbeite weiter.

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dat is gar nisch süß soll isch de ma was rischtisch...
free erdem (Gast) - 6. Jun, 16:40
Hier wird es fortan weitergehen: http://morast .eu Und...
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morast - 1. Feb, 21:10

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