Donnerstag, 21. Februar 2008

Das ist mal was anderes.

Keineswegs neu ist, dass Menschen Fremdem, Unbekanntem oft kritisch und abwehrend gegenüberstehen, dass sie aus den Zeiten urmenschlicher Entwicklung ein oft gesundes Misstrauen allem noch nicht Erfahrenen gegenüber mitbrachten. In der Gegenwart wirkt dieses Misstrauen oft konservativ, ignorant und abwertend, und doch hat es, zumindest in Ansätzen, seine Berechtigung.

Denn ebenso wie es die Furcht anderem gegenüber gibt, gibt es dessen Gegenteil: die kritiklose Akzeptanz. Weil Dinge neu sind, haftet ihnen automatisch ein Positivcharakter an. Weil sie aus der Fremde kommen, wohnt ihnen ein Hauch von Exotik bei. Und auch dieses Verhalten hat, zumindestens in Ansätzen, seine Berechtigung.

Zwischen diesen Gegensätzen leben wir, müssen uns vorsehen, nicht in das Fettnäpfchen verstaubender Gestrigkeit zu treten, und zugleich alles, was uns unbekannterweise begegnet, mit einem Interesse beäugen, das nicht von überschwänglicher Begeisterung diktiert wird.

Und dennoch: Ich kann ihn nicht leiden, jenen Satz, den ich so oft höre, der in meinen Augen so gut wie keine Daseinsberechtigung hat:
"Das ist mal was anderes."

Grundlos positiviert wird hier, was anders ist. Natürlich ist es schön, Abwechslung zu finden, das Neue willkommen zu heißen, die graue Masse der Konformität zu verlassen und das Schillern des scheinbar Unverbrauchten zu genießen. Doch diesem Satz schwingt eine Stimmung mit, die zu akzeptieren ich nicht bereit bin, ein grundloses Euphemisieren des anderen, ein Gutfinden, das seine Berechtigung einzig und allein daraus bezieht, dass es von dem Bisherigen abweicht.

Abweichung allein ist kein Merkmal für Güte. Bloß weil etwas anders ist, muss es noch lange nicht den Standards entsprechen, die das Gewohnte mit sich bringt. Denn dies ist der Vorteil des Üblichen: Dass es bereits einen bestimmten Level an Güte erreicht hat und genau deswegen akzeptiert wurde. Dass ein Mindestmaß an Qualität bereits garantiert ist - und vom Neuen, Unbekannten erst gezeigt werden muss.

Sicherlich: Die Masse ist blind und abgestumpft, bereit, auch Ungutes auf Dauer zu akzeptieren allein der Gewöhnung wegen. Und sicherlich: Das meiste, was ohnehin gut ist, kann dennoch verbessert werden.
Dennoch heißt der bloße Umstand, dass man geneigt ist, einen anderen Weg zu beschreiten, noch lange nicht, dass dieser Weg zum altbekannten Ziel oder gar darüber hinaus führen wird.

Ich mag diesen Satz nicht, zucke gepeinigt zusammen, wenn er argumentativ gebraucht wird, wenn sich jener Unterton einschleicht, der irgendwo zwischen Entschuldigung und Wagemut zu liegen scheint, mag nicht, wenn die Worte ausgehen und nur noch diese leere Floskel übrig bleibt.

Kleingeistige Verweigerung ist jedoch nicht minder unnütz als blindwütige Akzeptanz. Der altbekannte Weg der güldenen Mitte führt in die richtige Richtung - und ist wie stets nicht leicht zu finden.

Skaliert

Zu den Dingen, die ich mag, gehört, oberflächliche Menschen-Beurteilungen, die ich nach kurzem oder längerem Blick fasste, widerlegt zu bekommen. Am besten gleich mehrfach hintereinander.

Heute beispielsweise fuhr ich Straßenbahn, wie so oft in einem lesenswerten Buch schmökernd. Die Lektüre fällt in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht immer leicht, doch mittlerweile habe ich es geschafft, die üblicherweise um mich herum stattfindende Geräuschkulisse auszublenden.

Es stieg ein Mann hinzu, in Schwarz und Leder gewandet, mit Springerstiefeln und Nietengürtel bestückt. Ich hatte ihn schon öfter gesehen und, da ich mich einer ähnlichen Fraktion zurechne, für etwas sonderbar, aber nicht unsympathisch befunden. Er traf einen Bekannten und fing sogleich an, über Musik zu reden, laut genug, um mich zu stören, aber nicht laut genug, um ein Ärgernis zu sein.

Ich wurde neugierig, versuchte, die ausdiskutierten Bandnamen zu vernehmen, doch bekam nur Satzfetzen an mein Ohr. Nun gut, dachte ich, im Geiste schulterzuckend, und las weiter. Der Neuankömmling jedoch holte sein Mobilfunkgerät heraus und spielte ein Neuwerk irgendeiner Metallcombo ab, das ich nicht kannte. Blechern und bassfrei, dafür jedoch lautstark, tönte es durch die Bahn, und mich umsehend wudnerte ich mich, warum niemand es wagte, den Lärmenden auf sein störendes Geräuschisieren aufmerksam zu machen, ja sogar einfach nur empört in seine Richtung zu blicken. Niemand interessierte sich, scheinbar, für das, was - selbst für mich als Möger derartiger Musik - ohrenbelästigend aus dem winzigen Telefonierapparat schallte.

Ich jedoch war ein wenig genervt, wollte ich lesen und konnte es nun nicht mehr. Ich tippte den Handybesitzer an. Die Kopfhörer in seinem Ohr in Verbindung mit der tösenden Technik in seiner Hand waren einer wortreichen Kommunikation abträglich, doch schaffte ich, ihm deutend zu erklären, dass ich mich in meiner Konzentration beeinträchtig fühlte.

Er, den ich - auch noch nach Lärmbeginn - für nicht unsympathisch gehalten hatte, schaute nun herablassend auf mich und mein Buch und meinte abwertend, dass ich doch zu Hause lesen könne. Wie immer in solchen Augenblicken lag kein geistreiches Erwiderungswort auf meiner Zunge, und so schwieg ich, setzte den unfreundlichen Kerl auf meiner Menschbewertungsskala mehrere Etagen tiefer und bemühte mich, einzig und allein den Text wahrzunehmen, der sich vor meinen Augen befand.

Sein Gesprächspartner stieg aus, der Unsympath schaltete die Musik ab und drehte sich mir zu. "Entschuldigung", sprach er mich an, und verdutzt schaute ich auf. "Was liest du denn da?" Ich erklärte mit längst nicht ausreichenden Worten, welches Buch ich gerade konsumierte und dass davon mehrere Teile existierten, doch erntete kein großes Interesse. Nur die Antwort, dass er ja haufenweise Hohlbein lese. Ich mag Wolfgang Hohlbein nicht mehr so gerne wie früher und teilte ihm das mit. Was folgte, war eine kurze Diskussion über den Autor, über sein umfangreiches Werk, das er zusammen mit seiner Frau geschaffen hatte, über die vielen Hohlbein-Schmöker, die mein Gesprächspartner in seinem Besitz wisse, ich erwähnte mein Lieblingsbuch - und musste dann aussteigen.

Als die Straßenbahn fortfuhr, warf ich einen Blick auf meine innere Menschbewertungsskala und staunte nicht wenig darüber, ihn inzwischen wieder in angenehmen Positivbereichen einsortiert zu haben...

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morast - 1. Feb, 21:10

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