Dienstag, 10. Juni 2008

Blaue Flecken

Es war richtig gewesen, nach Hause zu fahren, sagte ich mir und trat in die Pedalen. Ich hatte die bibliothekischen Öffnungszeiten bis zum Maximum ausgereizt und anschließend den nächsten Biergarten aufgesucht, um dem niederländisch-italienischen Vorrundenspiel meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich hatte die zwei Tore gegen Italien gesehen und bejubelt und nun, in Anbetracht fehlender Sonneneinstrahlung und wachsender Radelunlust, beschlossen, den Heimweg anzutreten. Vermutlich würde ich aufgrund Fernsehermangels die zweite Halbzeit verpassen, doch das spielte - nicht nur wegen des fast sicheren neiderländischen Zweitorvorsprungs - kaum eine Rolle.

Spontan beschloss ich, den Bestand der Automatenvideothek zu beschauen. Vielleicht fand sich ja irgendetwas, mit dem ich meine Gedanken vor dem Schlafengehen beschäftigen konnte. Doch so weit sollte es nicht kommen.

Als ich von der Straße auf den Fußweg wechselte, stellten sich mir zwei betrunkene Punks in den Weg. Ich wich aus, bremste und hielt an, um nicht versehentlich in den herumstreunenden Hund zu fahren. Ob ich nicht mal eine Zigarette hätte, wurde ich gefragt. Ich verneinte bedauernd. Als Nichtraucher neigt man nicht dazu, Zigaretten mit sich herumzuschleppen. Ob ich nicht noch einmal nachschauen könne. Ich schmunzelte: "Ich rauche nicht." und wollte weiterfahren. Doch ich konnte nicht. Der Punk stand direkt vor mir und war nicht gewillt, mich vorbeizulassen.
Sein alkoholgeschwängerter Atem drang mir in die Nase, doch ich verzog keine Miene. Ob ich nicht etwas Kleingeld hätte. Ich seufte, gab nach, kramte ich meinen Hosentaschen und reichte ihm ein paar Cents. Kein Dank, kein Beiseiterücken, nichts.

Sein Kumpel war unterdessen weitergegangen, interessierte sich nicht für mich, sondern nur für die anderen Punks, die bereits an der Haltestelle auf ihn warteten. Mein Punk jedoch bekundete Interesse: "Hey, es ist Sommer!", lallte er, "Hol die Titten raus.!" Und zielsicher kniff er mir in die linke Brustwarze. Ich war verblüfft. "Es ist Sommer!", wiederholte er, als wäre das eine Erklärung für sein schmerzhaftes Tun und streckte erneut den Arm aus, um mich zu kneifen. "Lass das.", meinte ich und schob seine Hand weg. Er gab nicht nach. "Hier, kannst auch bei mir mal." Er streckte mir seine, von einem grauen, fleckigen Shirt verhüllte Brust entgegen, doch ich weigerte mich.

"Mann, es ist Sommer. Los!" Erneut versuchte er, mich zu kneifen. Mehrmals wehrte ich ihn ab, ohne Kraft allerdings, weil ich nicht riskieren wollte, ihn unnötig zu provozieren. Denn noch lächelte er.

Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuschieben, und er nutzte die Gelegenheit, mir in die erneut Brust zu kneifen und die gegriffene Haut zu verdrehen. Es schmerzte. "Titten raus!", meinte er. "Aber ich bin doch keine Frau!", empörte ich mich und schob mich weiter voran. Er hielt mein Fahrrad fest. "Das Fahrrad bleibt aber hier." Noch immer grinste er, doch ich konnte nicht einschätzen, wie ernst er es wirklich meinte.

Wollte er wirklich mein Fahrrad klauen? Jetzt? Hier? Eigentlich sprach nichts dagegen. Die wenigen Leute auf der Straße ignorierten meine Belange und wären sicherlich nicht bereit gewesen, sich mit einer Horde Punks zu prügeln, bloß wegen eines rostigen Fahrrads. Ich hielt es fest, schob es von ihm weg. "Ich muss jetzt weiter.", meinte ich, doch er wollte nicht nachgeben. "Noch einmal.", bat er und versuchte erneut, mich zu kneifen. "Nein, das tut weh."

"Aber das soll es doch.", grinste er, und ich fragte mich, wo ich da schon wieder hineingeraten war. "Ich muss jetzt los.", wiederholte ich. "Du kannst auch mal bei mir.", bot er mir an, doch ich schob mein Rad nach vorn. Er hielt es nicht mehr fest, und ich war bereits an ihm vorbei, doch nachgeben wollte er auch nichr. Er griff nach mir, kniff mir in den Arm, dann in den Rücken, drehte die Haut auf schmerzhafte Weise, ohne auch nur für einen Moment mit dem Grinsen aufzuhören. Ich reagierte nicht, schob mein Fahrrad nur weiter, bis ich genug Platz hatte, um aufzusteigen und mich seiner Hand zu entreißen, fuhr, weiter, um die Ecke, atmete auf. Keinen Film ausleihen, nur nach Hause.

Zu Hause entdeckte ich, dass mein Fernsehmangel mich nicht von EM ausschloß und schaltete den Livestream ein, nur wenige Augenblicke, bevor das dritte Tor fiel. Als ich zu Bett ging, entdeckte ich mehrere blaue Flecke an meinem Körper. Was hat der Typ nur von mir gewollt?, fragte ich mich. Und: Warum hat er nicht einfach Fußball geschaut wie alle anderen auch?

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morast - 1. Feb, 21:10

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