Samstag, 14. Juni 2008

Männlich

Ich bin ein Mann. Das ist keine weltbewegende Erkenntnis und doch ein Satz, den ich so kaum über die Lippen bringen würde. "Ich bin männlich.", würde ich sagen, oder auch "Ich bin maskulinen Geschlechts.", wenn ich mal wieder der Umständlichkeit fröne, doch "Ich bin ein Mann." klingt irgendwie nicht richtig.

Dabei erfülle ich alle nötigen Voraussetzungen. Ich verfüge über die entsprechenden Körperteile, bin längst erwachsen, habe eine einigermaßen tiefe Stimme und muss mich rasieren. Nun gut, mein Haupthaar ist lang und mein Körper eher schmal gebaut, und zuweilen geschieht es, dass andere, allerdings meist angetrunkene Männer mich von hinten für eine Frau halten und dann "Huch/Hey, das ist ja n Typ/Kerl!" rufen, bevor sie, mir verwundert nachblickend, aus meinem Blickfeld torkeln.

Ich bin auch kein Freund typisch männlichen Gebarens. Ich trinke kein Bier oder andere Alkoholitäten und sehe im Konsum derartiger Flüssigkeiten auch keinen Ausdruck von Männlichkeit - obgleich es anscheinend vorwiegend dem maskulinen Geschlecht vergönnt ist, lallend und grölend durch die Straßen zu trampeln oder einfach nur die Köstlichkeit eines kalten Biers am heißen Sommerabend zu lobpreisen. Sicherlich, Frauen trinken auch Bier, doch für mich wirkt das stets unpassend.

Ich bin rot-grün-blind. Naja, zumindest ein bißchen, genug, um hin und wieder grün für braun und dunkelblau für lila zu halten - genug, um zu beweisen, dass mir ein Y-Chromosom vergönnt ist. Allerdings esse ich kein Fleisch, so dass das Klischee des stolz seine Beute betrachtenden Jägers und des Rohsteak verschlingenden Hartkerls nicht auf mich anwendbar ist. Zudem bewegt sich meine handwerkliche Begabung nur im Mittelfeld. Ich bin imstande, Anfallendes zu reparieren und zu montieren, doch da ich mich nie darum kümmerte, geeignetes Werkzeug vorrätig zu haben, behelfe ich mich oft genug mit Provisorien. In Baumärkten fühle ich mich dumm und unwohl.

Meinen Händedruck als fest zu bezeichnen, wäre albern, doch sehe ich keinen Sinn darin, sich begrüßenderweise die Finger zu zerquetschen. Ich bin Künstler, habe Künstlerhände, rechtfertige ich mich und enthalte mich solcher Machtdemonstrationen.

Ich mag keinen Fußball. Nein, das ist falsch. Fußball ist mir egal, so egal wie fast alle Sportarten. Der Wille, meinen Körper zu stählen, ist bei mir nur schwach ausgeprägt, und der Wille, sich für regionale Mannschaften und deren Erst- bis Reagionalligaleistungen, für deren Spieler und Trainer, zu begeistern, hält sich in Grenzen. Bei größeren Nationalmannschaftsereignissen, bei Welt- und Europameisterschaften, kann man mich jedoch hin und wieder durchaus vor einem Fernseher finden, gespannt das Runde verfolgen, das da ins Eckige soll, während ich die fachmännischen Ratschläge der Mit-mir-Gucker schmunzelnd zu ignorieren versuche.

Ich bin ein Mann. Daran zu zweifeln, lohnt nicht der Mühe; dennoch verweigere ich mir diesen Satz. Das Wort Mann schließlich ist mit unzähligen Klischees behaftet, in denen ich mich nur zu selten wiederfinde, mit zu vielen angeblich notwendigen Riten bestückt, die auszuführen ich nicht wünsche. Ich bin ein Mann, jedoch kein typischer [falls es einen solchen gibt.].

Allerdings höre ich Metal. Metal als solcher und die Kultur, die dahinter steht, symbolisiert einen Überschuss an Männlichkeit. Da gibt es die grölenden-grunzenden Stimmen der Sänger, die Härte der Musik, die finsteren, unfreundlichen Themen, die nichts für zartbesaitete Gemüter sind, die immer wiederkehrende Erwähnung von Kriegen und Schwertern, von Göttern und Macht, von Blut und Stärke. Und es gibt die Metalmöger, oft langhaarige Zottelgestalten, nicht selten bullig gebaut, stets mit dem obligatorischen Bier in der einen, der Zigarette in der anderen Hand, die der Musik frönen, als gelte es, selber in die Schlacht zu ziehen, die sich in Leder kleiden und barbarischem Benehmen verschrieben haben. Das sind Klischees, doch es ist erstaunlich, wie häufig genau dieses Klischee ausgelebt wird.

Metal ist die Konzentration der Virilität, die Musikwerdung von Testosteron. Metal zu mögen, heißt, sich in eine Welt einzufinden, die der Männlichkeit und dem gelebten Vorurteil gewidmet ist. Hier geht es um Posen und Symbole, um Bestätigung des eigenen Geschlechts durch die Wirkung nach außen. Ich mag Metal, doch ich mag nicht, was dazu gehört. Ich verweigere mich Bier und Zigaretten, verweigere mich nietenbestückter Lederkluft, verweigere mich aufnäherbesetzter Westen, die tätowierte Arme zur besseren Geltung bringen. Ich verweigere mich der Selbstbetäubung, um den barbarischen Mann aus meinem Inneren hervorzulocken, verweigere mich klischeemännlichem Gruppenverhalten, verweigere mich dem nötigen Posieren, Provozieren, Prügeln und Prahlen, verweigere mich der Kampesbereitschaft symbolisierenden in die Springerstiefel gestopften Hosen, verweigere mich albernen, klischeemaskulinen Verhaltens.

Ich mag Metal, ich mag es, männlichen Geschlechts zu sein, mag es, Frauen schön zu finden und plumpe Actionfilme anzusehen, pinkle zuweilen sogar im Stehen. Doch ich will nicht über Penislängen und Tittengrößen diskutieren, will mir nicht Vorhaltungen darüber machen lassen, dass meine Männlichkeit in direkter Verbindung zu Bier- und Fleischkonsum steht, will nicht herumbrüllen müssen, um dem Typen neben mir klar zu machen, dass lange Haare und schlanker Körper nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit "Frau" sind, will nicht nutzlosen Klischees frönen, um anderen etwas beweisen, an dem es eigentlich keinen Zweifel gibt. Denn zwar bin ich maskulinen Geschlechts, doch bin ich vorrangig ich selbst, ein Wesen, das den Dingen nachzugehen versucht, die es mag und nicht die es aufgrund althergebrachter Geschlechterzuweisung ausführen sollte. Ich bin vorrangig ich, mit all meinem Denken und Fühlen und Handeln, und erst an zweiter [oder dritter oder vierter] bin ich Mann.

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