Die Zukunftsferne der Gegenwart
Fortschritt und Entwicklung bestimmen unser Weltbild. Stagnation ist nicht erwünscht, ja verschrien als ungut, als gefährlich. Der stete Wunsch, sich weiterzuentwickeln, alles neu und neuer zu machen, jede Kleinigkeit zu verbessern, zu steigern, jede Minute Produkte von beeindruckender Zukunftsnähe auf den Markt zu werfen, beherrscht uns, unser Denken und Handeln. Die Technik siegt und mit ihr der Wunsch, deren Fehler und Unzulänglichkeiten zu kompensieren, auf daß alsbald ein schickeres, handlicheres Gerät mit größerem Funktionsspektrum das aktuelle ablösen möge.
Und dann wache ich auf. Eine Kreissäge kreischt auf dem Hof ihr wildes Lied. Ich erinnere mich, am Vortag die Ladung Steine gesehen zu haben, die auf der bisher brach liegenden Fläche verlegt werden soll. M hofft auf einen akzeptablen Fahrradunterschlupf; ich selbst wage nicht zu hoffen, lausche nur dem penetranten Gesang der Säge. Ein Innenhof, in dem leiseste Handy-Klingeltöne, geflüsterte Worte und sporadisches Mülltonnendeckelklappen durch mehrfach gebrochene, reflektierte Echos in jedes offene Fenster gelangen, mit penetranter Präsenz die Eigenstille stören, erscheint in meinen Augen wenig geeignet zur Position einer Stein zersägenden Maschine. Doch was wäre die Alternative?
Straßensägen mit anschließendem Steineschleppen - eine unzumutbare Bauarbeiter-Zusatzbelastung, die besser durch Mieter-Zusatzbelastung minimiert werden sollte.
Der Fortschritt durchzieht die Gefilde unseres Daseins, technisiert jeden Schritt auf unserem Lebensweg. Doch es gibt Bereiche, die ausgespart werden, Bereiche, in denen der Versuch, zukunftsoptimierende Maßnahmen einzuleiten, nur begrenzt möglich ist. Auf dem Hof arbeitet der Bauarbeiter, und ich finde in ihm das beste Beispiel, in ihm und seinem Versuch, eine leere Fläche zu pflastern.
Ja, ich gebe zu, daß die Industrie ihr Scherflein dazu beitrug, die Gegenwart einkehren zu lassen, indem sie genormte Pflastersteine erfand, die allesamt gleich groß, gleich schwer und vor allem ineinander passend produziert werden. Ich gebe zu, daß vor Unzeiten mangels Strom auch die kreisende Säge ihren schrecklichen Gesang nicht verbreiten, ihre pflastersteinschneidendes Tun nicht praktizieren konnte. Doch damals, ich präzisiere meine Zeitangabe nicht näher, nutzte man einfach kleinere Steine - oder verzichtete schlichtweg darauf, Linienpräzision walten zu lassen.
Heute funktioniert das nicht mehr. Die genormten Standardsteine müssen verwendet werden, und sei es durch nervtötendes Zusägen. Doch betrachte ich die Arbeit des Bauarbeiters, so frage ich mich, inwieweit sie Gegenwartbezug gewonnen und ihre klassischen Vorfahren ersetzt hat. Denn nachdem ein modernes Fuhrwerk eine Ladung Steine vor die Haustür brachte, mußte der Bauarbeiter diese zunächst verlagernd auf den Innenhof kutschieren, um dann zu pausieren und anschließend damit zu beginnen, die Steine einzeln und paßgenau zu verlegen. Jeder Stein mußte angehoben getragen, vorsichtig niedergelassen, und präzise eingepaßt werden. Der Abschluß bildete stets - wie vielleicht schon unter Herrn Cäsar - eine vorsichtige Hammerbenutzung, um den Stein an seiner Position zu verfestigen.
Und schon wartete der nächste Stein und mit ihm der gleiche monotone Ablauf darauf, unzählige Male wiederholt zu werden.
Ich bin jedesmal beeindruckt, wenn ich Straßenpflasterer beobachten darf, wenn ich sehe, welche Straßenstücke sie nach stundenlanger Arbeit mit ihrem Werk versehen haben, wenn ich begreife, daß die römische Sklaven wohl ähnlichen Diensten, mit ähnlichen Werkzeugen agiert haben müssen [allerdings ohne deren heutige, ergonomisch geformte Griffe].
Das Asphaltieren und Teeren, das flächendeckende Betonieren, stellt in der Gegenwart insbesondere für Gehwege keine annehmbare Alternative dar - und selbst diese Arbeit ist bereits Jahrzehnte alt und längst nicht in der Gegenwart angekommen, obgleich stylisch designte Maschinen das Gegenteil zu behaupten versuchen.
Und immer wieder entdecke ich andere Bereiche unserer Existenz, deren Vergangenheitsähnlichkeiten mich überraschen, mich fragen lassen, ob die an dieser Stelle fehlende oder nur lückenhaft vorhandene, zukunftsnahe Gegenwart nun ein gutes oder schlechtes Zeichen darstellt, ob ich mich darüber freuen sollte, Altes bewahrt zu finden oder angesichts der fehlenden Neuerungen traurig mit dem Kopf schütteln sollte...
Und dann wache ich auf. Eine Kreissäge kreischt auf dem Hof ihr wildes Lied. Ich erinnere mich, am Vortag die Ladung Steine gesehen zu haben, die auf der bisher brach liegenden Fläche verlegt werden soll. M hofft auf einen akzeptablen Fahrradunterschlupf; ich selbst wage nicht zu hoffen, lausche nur dem penetranten Gesang der Säge. Ein Innenhof, in dem leiseste Handy-Klingeltöne, geflüsterte Worte und sporadisches Mülltonnendeckelklappen durch mehrfach gebrochene, reflektierte Echos in jedes offene Fenster gelangen, mit penetranter Präsenz die Eigenstille stören, erscheint in meinen Augen wenig geeignet zur Position einer Stein zersägenden Maschine. Doch was wäre die Alternative?
Straßensägen mit anschließendem Steineschleppen - eine unzumutbare Bauarbeiter-Zusatzbelastung, die besser durch Mieter-Zusatzbelastung minimiert werden sollte.
Der Fortschritt durchzieht die Gefilde unseres Daseins, technisiert jeden Schritt auf unserem Lebensweg. Doch es gibt Bereiche, die ausgespart werden, Bereiche, in denen der Versuch, zukunftsoptimierende Maßnahmen einzuleiten, nur begrenzt möglich ist. Auf dem Hof arbeitet der Bauarbeiter, und ich finde in ihm das beste Beispiel, in ihm und seinem Versuch, eine leere Fläche zu pflastern.
Ja, ich gebe zu, daß die Industrie ihr Scherflein dazu beitrug, die Gegenwart einkehren zu lassen, indem sie genormte Pflastersteine erfand, die allesamt gleich groß, gleich schwer und vor allem ineinander passend produziert werden. Ich gebe zu, daß vor Unzeiten mangels Strom auch die kreisende Säge ihren schrecklichen Gesang nicht verbreiten, ihre pflastersteinschneidendes Tun nicht praktizieren konnte. Doch damals, ich präzisiere meine Zeitangabe nicht näher, nutzte man einfach kleinere Steine - oder verzichtete schlichtweg darauf, Linienpräzision walten zu lassen.
Heute funktioniert das nicht mehr. Die genormten Standardsteine müssen verwendet werden, und sei es durch nervtötendes Zusägen. Doch betrachte ich die Arbeit des Bauarbeiters, so frage ich mich, inwieweit sie Gegenwartbezug gewonnen und ihre klassischen Vorfahren ersetzt hat. Denn nachdem ein modernes Fuhrwerk eine Ladung Steine vor die Haustür brachte, mußte der Bauarbeiter diese zunächst verlagernd auf den Innenhof kutschieren, um dann zu pausieren und anschließend damit zu beginnen, die Steine einzeln und paßgenau zu verlegen. Jeder Stein mußte angehoben getragen, vorsichtig niedergelassen, und präzise eingepaßt werden. Der Abschluß bildete stets - wie vielleicht schon unter Herrn Cäsar - eine vorsichtige Hammerbenutzung, um den Stein an seiner Position zu verfestigen.
Und schon wartete der nächste Stein und mit ihm der gleiche monotone Ablauf darauf, unzählige Male wiederholt zu werden.
Ich bin jedesmal beeindruckt, wenn ich Straßenpflasterer beobachten darf, wenn ich sehe, welche Straßenstücke sie nach stundenlanger Arbeit mit ihrem Werk versehen haben, wenn ich begreife, daß die römische Sklaven wohl ähnlichen Diensten, mit ähnlichen Werkzeugen agiert haben müssen [allerdings ohne deren heutige, ergonomisch geformte Griffe].
Das Asphaltieren und Teeren, das flächendeckende Betonieren, stellt in der Gegenwart insbesondere für Gehwege keine annehmbare Alternative dar - und selbst diese Arbeit ist bereits Jahrzehnte alt und längst nicht in der Gegenwart angekommen, obgleich stylisch designte Maschinen das Gegenteil zu behaupten versuchen.
Und immer wieder entdecke ich andere Bereiche unserer Existenz, deren Vergangenheitsähnlichkeiten mich überraschen, mich fragen lassen, ob die an dieser Stelle fehlende oder nur lückenhaft vorhandene, zukunftsnahe Gegenwart nun ein gutes oder schlechtes Zeichen darstellt, ob ich mich darüber freuen sollte, Altes bewahrt zu finden oder angesichts der fehlenden Neuerungen traurig mit dem Kopf schütteln sollte...
[Im Hintergrund: My Dying Bride - "The Forever People"]
morast - 20. Okt, 10:23 - Rubrik: Wortwelten
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