Mittwoch, 21. Dezember 2005

Keine Prinzessin

Ich bin keine Prinzessin.

Diese Feststellung setzte sich neulich in meinem Schädel fest und beschloß, mich nicht mehr loszulassen. Glücklicherweise hatte ich mich aufgrund meines maskulinen Geschlechtes und somit ohnehin wenig prinzessinhaften Aussehens und aufgrund der mir nicht bekannten und daher vermutlich inexistenten genetischen Verbindungen zu höhergestellten Blaublutfamilien längst damit abgefunden, keine Prinzessin zu sein, und ersparte mir so Kummerberge und Tränenmeere zuhauf.

Trotzdem hämmerte sich die Erkenntnis fehlender Prinzessinnenhaftigkeit unlängst in mein Bewußtsein, als läge mir etwas daran, von großherzigen Mägden mein güldenes Haar täglich tausendfach gebürstet zu bekommen, in überhohen Türmen auf Rettung zu warten, mich an Spindeln zu stechen oder in vergiftete Äpfel zu beißen.

Ein Indiz für Prinzessinnenhaftigkeit [Gibt es dafür kein besseres Wort?] ist einem Märchen zufolge die Fähigkeit, schlafstörende Kleinstgegenstände auch unter unzähligen Matratzen entdecken zu können, ohne bewußt nach ihnen gesucht zu haben. Eine Erbse scheint gerade klein genug, um sie mit flauschig weißen Decken und Matratzen zu verhüllen und die potentielle Prinzessin auf ihnen zur Ruhe kommen zu lassen. Wälzt sie sich im Schlafe, traumlos, von Unbequemheit in stetig neue Schlafpositionen gedrängt, die ganze Nacht durchwachend und mit rotgeränderten Augen am nächsten Morgen um Kaffee oder ein anderes Bett bettelnd, so handelt es sich bei ihr um eine wahre Prinzessin [oder um jemanden, der auf zu vielen Matratzen wegen Überweichheit des Untergrunds keinen Schlaf zu finden vermag].
Es gibt wohl keine bessere Art, eine Prinzessin auszumachen, als diese Variante. Schließlich ist blaues Blut in Wirklichkeit rot.

Als ich unlängst erwachte und mich von meiner Schlafstelle erhob, vernahm ich ein leises Plastikklacken. Ich schlug die Bettdecke zurück und wurde mehrerer schwarzer Fineliner gewahr, die mit mir die Nacht verbracht hatten. Am Abend zuvor schien ich sie wohl gedankenverloren auf dem bett positioniert und anschließend vergessen zu haben. Doch ich schlief gut. Obgleich die Stifte zweifelsohne unter meinem Leib verweilten, bemerkte ich davon nichts und träumte süß.

Es bedurfte noch nicht einmal der Winzigkeit einer Erbse, geschweige denn unzähliger über ihr gestapelter Matratzen, um meine fehlende Prinzessinnenhaftigkeit aufzudecken. Eine Handvoll Fineliner war genug.

Ich entsinne mich, daß ich schon immer einen guten Schlaf mein eigen nennen konnte, einen Schlaf, der durch nichts zu stören war. Nicht nur, daß ich mich einst rühmte, überall, auch in Diskotheken oder auf dem Rücksitz laut brummender Autos, einschlafen zu können, nein auch im Schlafe selbst vermochte ich durch nichts gestört zu werden.

Nach dem Abitur betätigte ich mich für anderthalb Wochen als Ferienlagerbetreuer für 8- bis 14-Jährige Jungen. Da ich der einzige männliche Betreuer war, stand mir ein eigenes Zimmer zu, das ich nachts zu verschließen pflegte. Denn die Zimmertür zeigte in Richtung des nahen Waldes und war die erste am Orte, so daß potentielle Brandschatzräubermörder mich zwar zuerst aufsuchen würden, aber vor verschlossener Türe stehen und sich unverrichteter Dingen fluchenderweise zurückziehen würden.

Eigentlich weiß ich bis heute nicht, warum ich die Tür verschloß, doch ich tat es. Eines Nachts dann klopfte es wie wild an eben jene Tür. Einer meiner Achtjährigen hatte - wie auch immer - etwas ins Auge bekommen und suchte nun verzweifelt hilfreiche Hände, die ihm das störende Teilchen liebevoll aus dem Auge entfernen und somit ein junges Leben retten würden. Dreimal probierte er es, mit aller Intensität an meine Pforte zu hämmern, dann begab er sich zum Fenster und klopfte erneut viele Male. Erfolglos.

Letztendlich gab er auf und verschied suchte ein anderes Zimmer, eines, in dem die weiblichen Betreuer schliefen. Dort klopfend wurde ihm sogleich Hilfe zuteil, während ich noch immer in seligen Träumen verweilte.
Tatsächlich wurden mir diese Ereignisse erst am nächsten Morgen zugetragen, nicht ohne die unterschwellige Behauptung, ich hätte das hilfesuchende Klopfen bewußt und mit heimtückischer Absicht ignoriert.

Das hatte ich nicht. Ich war und bin nun mal keine Prinzessin, die bei jedem kleinen oder panischen Klopfen oder Erbschen aufschreckt. Mein Schlaf ist fester Natur, und es bedarf weit mehr als dieser Winzigkeiten, um mich zu erwecken. Eines Kusses beispielsweise. Allerdings nicht von einem Prinzen.

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