Das Gestelz
Gern hätte ich auf dem fahrradisierten Heimweg einen halblangen, amüsanten Text über Nahrungsmittelveräußerungseinrichtungen ersonnen, in dem eben jenes Wort mindestens einmal präsent gewesen wäre, doch leider vergaß ich es unterwegs drei Mal und verbrachte mehr Zeit mit dem Erinnerungsversuch [und dem Radfahren] als mit dem Ausdenken des erwünschten Textes, dem es an ähnlich verkomplizierenden Worten sicherlich nicht gemangelt hätte.
Das Gestelz
"Gestelzte Sprache" nennt man das wohl - auch wenn ich unschlüssig darüber bin, wer "man" ist, da die wenigsten der mir bekannten Menschen das Partizip "gestelzt" zu ihrem aktiven Wortschatz zählen. Noch weniger werden allerdings die aktive Variante des Partizips, stelzend, beziehungsweise die dazugehörige Verbform, stelzen, nutzen - ich gehöre dazu. Natürlich kennt man die Stelzen, jene zwei Langstäbe mit Fußablagefläche, die Kindern und Clowns als umständliches Fortbewegungsmittel dienen, doch das zugehörige Verb scheint mir weniger gebräuchlich. Auch stellt sich die Frage, ob ein einzelner dieser Stäbe tatsächlich eine "Stelze" sei.
Gestelzte Sprache, ich behalte den Begriff einfach bei, gehört tatsächlich zu den von mir geliebten Dingen, insbesondere wenn ich selbst in das Vergnügen komme, sie zu nutzen. Unlängst wurde ich gebeten, für jemanden einen Satz zu formulieren, der jedoch sogleich abgelehnt wurde - weil er viel zu sehr nach meinem verwinkelten Schreib- und Redestil klang.
Dabei empfinde ich meinen Stil gar nicht als gestelzt - wasauchimmer dieses Wort genau heißen mag. Ich erfreue mich nur der Benutzung ansonsten weniger häufig verwendeter Worte. Anstelle von "golden" sage ich "gülden", anstelle von "neulich" "unlängst". Letzteres hat allerdings einen anderen Grund als den einer Synonymsuche. Denn jedesmal, wenn ich von einem Ereignis aus meinem Leben berichten wollte und mit "Neulich..." begann, ließ es sich G nicht nehmen, den Ärzteklassiker "Fafafa" komplett durchzurappen, ohne daß es eine Möglichkeit gab, ihn daran zu hindern. Dementsprechend war mir nicht wenig daran gelegen, diesen Trigger durch ein Ähnliches aussagendes Wort zu ersetzen.
Viel lieber als "Nahrungsmittelveräußerungseinrichtung" hätte ich übrigens "Nahrungsmittelveräußerungsanstalt" gesagt, doch lastete diesem Wort etwas Klinisches an, das mit den gemeinten Kaufhallen und Supermärkten kaum in Einklang zu bringen war. "Nahrungsmittelveräußerungsanstalt" ist zudem auch noch länger, wirkt dementsprechend umständlicher und somit gestelzter.
Allerdings beweist allein der eben genannte Fakt des "Nahrungsmittelveräußerungsanstalt"-Bevorzugens, daß es bei der von mir benutzten Sprache nicht vorrangig darum geht, normale Worter durch solche maximaler Länge zu ersetzen. Denn sicherlich ersönne ich innerhalb weniger Augenblicke ein anderes Kaufhallensynonym mit wesentlich größerem Buchstabenreichtum, wenn ich nur danach trachtete. Doch ich trachte nicht, denn obgleich der deutschen Sprache der Luxus innewohnt, eine Unzahl an Substantiven problemfrei aneinanderreihen zu können, vergehen doch Leselust und Hörvergnügen, sobald das Wort Dimensionen erreicht, die der menschliche Geist nicht mehr zu fassen imstande ist.
Ähnlich verhält es sich mit Schachtelsätzen, denen ich natürlich auch nicht selten fröne. Unlängst wurde mir beim Verlesen eines von mir verfaßten Satzungetüms bewußt, daß ich selbst den Durchblick verloren hatte, welcher Teil mit welchem zusammenhing. Dennoch bewundere ich Menschen wie Kleist und Kafka, die dem Schachtelsatz eine Kunstfertigkeit schenkten, die in der heutigen Literatur kaum noch geachtet wird.
Tatsächlich bevorzugt man nun bukowskische Sätze, deren Länge unter keinen Umständen eine komplette Zeile füllen sollte. Das behagt mir nicht, und ich verwehre mich dem allseits geforderten Kurzfassen. Selbstverständlich ist es dem Verständnis wissenschaftlicher Komplexwerke nicht zuträglich, sich zusätzlich zum Inhalt auch noch mit der Satzstruktur auseinandersetzen zu müssen. Dennoch sollte die schöngeistige Literatur sich nicht mit Steifheit auf brillierende Inhalte festlegen, sondern sprachliche Schnörkel weiterhin als hin und wieder begehrenswert erachten.
Ich begehre. Ich erfreue mich des Spiels mit Worten, der Erfindung neuer, der Verknüpfung ganzer Sentenzen zu Konstrukten, die mich in ihrer Umständlichkeit, in ihrem Gestelz, wohlig erschauern lassen.
Ich entsteige meinem Fahrrad und lächle. Soeben kamen mir die Lebensmittelveräußerungseinrichtungen wieder in den Sinn und mit ihnen die Frage, ob es in ihren Non-Food-Abteilungen jemals Stelzen zu kaufen geben wird.
Ich hätte nämlich gern eine.
Das Gestelz
"Gestelzte Sprache" nennt man das wohl - auch wenn ich unschlüssig darüber bin, wer "man" ist, da die wenigsten der mir bekannten Menschen das Partizip "gestelzt" zu ihrem aktiven Wortschatz zählen. Noch weniger werden allerdings die aktive Variante des Partizips, stelzend, beziehungsweise die dazugehörige Verbform, stelzen, nutzen - ich gehöre dazu. Natürlich kennt man die Stelzen, jene zwei Langstäbe mit Fußablagefläche, die Kindern und Clowns als umständliches Fortbewegungsmittel dienen, doch das zugehörige Verb scheint mir weniger gebräuchlich. Auch stellt sich die Frage, ob ein einzelner dieser Stäbe tatsächlich eine "Stelze" sei.
Gestelzte Sprache, ich behalte den Begriff einfach bei, gehört tatsächlich zu den von mir geliebten Dingen, insbesondere wenn ich selbst in das Vergnügen komme, sie zu nutzen. Unlängst wurde ich gebeten, für jemanden einen Satz zu formulieren, der jedoch sogleich abgelehnt wurde - weil er viel zu sehr nach meinem verwinkelten Schreib- und Redestil klang.
Dabei empfinde ich meinen Stil gar nicht als gestelzt - wasauchimmer dieses Wort genau heißen mag. Ich erfreue mich nur der Benutzung ansonsten weniger häufig verwendeter Worte. Anstelle von "golden" sage ich "gülden", anstelle von "neulich" "unlängst". Letzteres hat allerdings einen anderen Grund als den einer Synonymsuche. Denn jedesmal, wenn ich von einem Ereignis aus meinem Leben berichten wollte und mit "Neulich..." begann, ließ es sich G nicht nehmen, den Ärzteklassiker "Fafafa" komplett durchzurappen, ohne daß es eine Möglichkeit gab, ihn daran zu hindern. Dementsprechend war mir nicht wenig daran gelegen, diesen Trigger durch ein Ähnliches aussagendes Wort zu ersetzen.
Viel lieber als "Nahrungsmittelveräußerungseinrichtung" hätte ich übrigens "Nahrungsmittelveräußerungsanstalt" gesagt, doch lastete diesem Wort etwas Klinisches an, das mit den gemeinten Kaufhallen und Supermärkten kaum in Einklang zu bringen war. "Nahrungsmittelveräußerungsanstalt" ist zudem auch noch länger, wirkt dementsprechend umständlicher und somit gestelzter.
Allerdings beweist allein der eben genannte Fakt des "Nahrungsmittelveräußerungsanstalt"-Bevorzugens, daß es bei der von mir benutzten Sprache nicht vorrangig darum geht, normale Worter durch solche maximaler Länge zu ersetzen. Denn sicherlich ersönne ich innerhalb weniger Augenblicke ein anderes Kaufhallensynonym mit wesentlich größerem Buchstabenreichtum, wenn ich nur danach trachtete. Doch ich trachte nicht, denn obgleich der deutschen Sprache der Luxus innewohnt, eine Unzahl an Substantiven problemfrei aneinanderreihen zu können, vergehen doch Leselust und Hörvergnügen, sobald das Wort Dimensionen erreicht, die der menschliche Geist nicht mehr zu fassen imstande ist.
Ähnlich verhält es sich mit Schachtelsätzen, denen ich natürlich auch nicht selten fröne. Unlängst wurde mir beim Verlesen eines von mir verfaßten Satzungetüms bewußt, daß ich selbst den Durchblick verloren hatte, welcher Teil mit welchem zusammenhing. Dennoch bewundere ich Menschen wie Kleist und Kafka, die dem Schachtelsatz eine Kunstfertigkeit schenkten, die in der heutigen Literatur kaum noch geachtet wird.
Tatsächlich bevorzugt man nun bukowskische Sätze, deren Länge unter keinen Umständen eine komplette Zeile füllen sollte. Das behagt mir nicht, und ich verwehre mich dem allseits geforderten Kurzfassen. Selbstverständlich ist es dem Verständnis wissenschaftlicher Komplexwerke nicht zuträglich, sich zusätzlich zum Inhalt auch noch mit der Satzstruktur auseinandersetzen zu müssen. Dennoch sollte die schöngeistige Literatur sich nicht mit Steifheit auf brillierende Inhalte festlegen, sondern sprachliche Schnörkel weiterhin als hin und wieder begehrenswert erachten.
Ich begehre. Ich erfreue mich des Spiels mit Worten, der Erfindung neuer, der Verknüpfung ganzer Sentenzen zu Konstrukten, die mich in ihrer Umständlichkeit, in ihrem Gestelz, wohlig erschauern lassen.
Ich entsteige meinem Fahrrad und lächle. Soeben kamen mir die Lebensmittelveräußerungseinrichtungen wieder in den Sinn und mit ihnen die Frage, ob es in ihren Non-Food-Abteilungen jemals Stelzen zu kaufen geben wird.
Ich hätte nämlich gern eine.
morast - 19. Sep, 21:45 - Rubrik: Wortwelten
2 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
b (Gast) - 21. Sep, 14:23
Bitte stelzen Sie weiter, denn neben dem Flatterfürsten ist es auch Ihre Wortartistik, welche ich sehr schätze. Zwar habe ich das Fredsche Archiv durch, aber im Morast läßt es sich auch gut wühlen..
morast - 21. Sep, 15:02
Es würde auch schwer werden, das Gestelze abzustellen...
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