Dienstag, 12. Juni 2007

Heimweg

Winfried Kahl ging nach Hause. Sein Gang entsprach eher einem leichten Torkeln, so, als müßte Winfried beständig gegen einen Wind ankämpfen, der überhaupt nicht vorhanden war.

Dennoch war Winfried klaren Verstandes. Er lächelte sogar ein wenig, was in Anbetracht dessen, dass er völlig allein auf der laternenbeleuchteten Straße umherwanderte und somit niemand dieses Lächeln sehen konnte, möglicherweise unnütz war. Aber der Abend hatte Winfried gefallen, und das Lächeln wollte nicht aus seinem Gesicht weichen.

Winfried liebte es, in der Nacht durch die Stadt zu wandern. Wie ausgestorben lagen Fußwege und Straßen da, überall parkten leblose Blechkosten, und wenn er einem anderen begegnete, der wie er durch die Nacht wandelte, vielleicht ebenso von einer Party heimkehrend, dann nickte er ihm zu, als würde man sich kennen, als gehöre man zu den leetzten Überlebenden irgendeiner Katastrophe.

Doch die Stadt war nicht tot. Winfried spürte ihren Puls, ruhig und gleichmäßig, hin und wieder im Schlafe stöhnend, wie von unruhigen Träumen geplagt.
Ein Taxi rauschte vorbei; Winfried schenkte ihm keine Beachtung. Er hatte die Stadt für sich, lief mal auf der Straße, mal auf dem Fußweg, schlängelte sich zwischen Mülltonne und Autos hindurch - und war glücklich.

'Es war ein guter Gedanke gewesen auszugehen, wieder einmal unter Menschen zu kommen.', dachte Winfried, während er über einen Kanaldeckel hüpfte.
Die Nachtluft war kühl, doch die Bowle in seinem Inneren wärmte noch nach.
'Wenn man nachts durch die Straßen streift", dachte Winfried, "erscheint vieles so klar und einfach, was vorher verworren und umständlich war.'
Winfried konnte die ersten Vögel hören, die zwitschernd die nächtliche Ruhe um abseits des täglichen Lärms erhört zu werden.

Er hatte nicht viele Leute auf der Party gekannt, nur zwei oder drei Gesichtern glaubte er vorher schon einmal begegnet zu sein. Doch die Musik hatte gegen die Wände gewummert, und die Münder waren verstopft gewesen mit Nudelsalat und Bowle. Es hatte keine Rolle gespielt, wer was sagte, solange man sich dabei wohlgefühlt hatte. Und das hatte Winfried. Oh ja! Seit Jahren hatte er mal wieder getanzt, behäbig zwar, doch vom Rhythmus geleitet, mit geschlossenen Augen, als könnte er so den Moment in sich bewahren.

Winfried hatte nicht viel geredet - er redete nie sehr viel -, doch zugehört, fleißig genickt und hin und wieder sich und anderen Bowle nachgeschenkt. Es hatte gut getan, mal wieder unter Menschen zu kommen.

Winfrieds Schritte wurden langsamer. In der Ferne glaubte er eine Silhouette zu erkennen, die rasch größer wurde. Winfrieds biologisches Wissen, war nicht sonderlich geschult, doch erkannte er einen Gorilla, wenn er ihm begegnete.

Der Gorilla machte drei, vier Sätze und richtete sich vor Winfried auf. Sein Fell war verfilzt, doch seine Gestalt war imposant und vor Muskeln strotzend.
Der Gorilla starrte Winfried an.
"Zieh das Kostüm aus!", brüllte er plötzlich. Winfried wich zurück und riß sich das Kostüm vom Leib.
"Ich will nach Hause.", sagte er, und gemeinsam rannten die beiden Gorillas durch die Nacht.

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