Bahnfahrt
Ich suche einen Sitzplatz. Straßenbahnen sind wundervoll, denke ich, weil ich dort endlich mal wieder zum Lesen komme, und beginne meine Suche. Die Suche, besser: das Finden, ist wichtig, denn im Stehen zu lesen ist zwar machbar, aber nicht sinnvoll, weil so mit jeder beschleunigenden oder abbremsenden Bewegung der Bahn das eigene Standgleichgewicht in Frage gestellt wird.
Durch die Tür drängeln sich ein Kinderwagen samt dazugehöriger Mutti und ein Rollator samt kleinwüchsiger Nutzerin. Hey, bin ich versucht der Mutti zuzurufen, die ohne Umsicht allen verfügbaren Stellplatz für sich und ihr Kindesgefährt annektiert, hey, pass doch auf, nimm doch mal Rücksicht! Schließlich wird die kleinwüchsige Frau ihren Rollator nicht ohne Grund mit sich herumschleppen und sich genug ärgern, dass Magdeburg noch immer angefüllt ist mit alten DDR-Straßenbahnkolossen, für deren Benutzung drei steile Metallstufen zu überwinden sind. Nimm Rücksicht auf Benachteiligte, will ich rufen, doch halte inne, weil ich mich frage, wer mehr Recht auf den Stellplatz des eigenen Gefährts hat: Kleinkind oder Kleinwüchsige.
Die beiden arrangieren sich irgendwie, und die Mutti schafft es, dabei nicht ein einziges Mal zu der Rollatorfrau zu blicken, ich drängle mich vorbei und suche einen Sitzplatz. Schnell werde ich fündig und finde gleichzeitig ein verzweifeltes Knurren in meinem Hals, das ausgestoßen werden möchte. Ich schweige, doch strafe zwei Sitzende mit unfreundlichen Blicken. Denn nicht genug, dass die beiden älteren Herrschaften zu zweit einen Viererplatz blockieren, nein, sie mußten sich auch noch auf den Plätzen am Gang platzieren, um zugleich mit ihren Leibern den Weg zu den anderen beiden zu versperren.
Ich habe keine Lust darauf, mich durch diese Enge zu pressen, mich an ihren Leibern und Taschen vorbeizuquetschen, habe keine Lust zu fragen, ob ich denn mal dürfe, ob die beiden möglicherweise, habe keine Lust, neben einen der beiden zu sitzen und zu versuchen, mich schmal zu machen, mich zu verdünnen, damit die Sitzbank für uns beide reiche, ohne dass ich mit ungewollter Körpernähe konfrontiert werde.
Ich gehe weiter und finde einen letzten freien Platz. Ich sehe sofort, warum dieser Platz frei ist, denn neben ihm befindet sich ein Mann mit wildem Haarwuchs, sowohl auf dem Haupt als auch im Gesicht. Er ist einer von denen, denen man den Bier- und Schweißgestank förmlich ansieht.
Ich zucke mit dem Schultern, gehe auf ihn zu; das Lesen ist mir wichtiger, und an Gestank kann man sich gewöhnen. Er starrt mich an, ahnt, dass ich neben ihm Platz nehmen werde, und ich frage mich, ob er sich darüber freut oder nicht.
Und kaum sehe ich mehr von ihm, kaum erblicke ich mehr als sein verzotteltes Gesicht, begreife ich, dass ich mich irrte, freue mich darüber, mein Vorurteil widerlegt zu bekommen, erkenne saubere, gepflegte Kleidung und rieche nichts, gar nichts. Ich wühle in meinem Rucksack, setze mich, klappe das Buch auf, lese, bis irgendwer zu telefonieren beginnt, jemanden anruft und die ganze Bahn über die Planung seines Wochenendes informiert.
Ich will das nicht wissen, möchte ich rufen und frage mich, warum er ausgerechnet an einem dieser menschbefüllten Orte, wo Leiber dicht gepackt und komprimiert beeinanderstehen und -sitzen, wo jeder imstande ist, sein Gespräch zu verfolgen, warum er ausgerechnet hier, wo das Tuckern der Bahn sich zu den Gesprächen der Passagiere gesellt, sein Mobiltelefon zückte und zu reden begann, warum er nicht leiser reden kann, zumindest so leise, dass ich ihm nicht zuhören muss, dass ich verschont bleibe und lesen, in meinem Buch versinken, darf.
Als er der Bahn entsteigt, noch immer telefonierend, entbrennen belustigte Dialoge über Straßenbahntelefonierer, mein Sitznachbar drängelt sich an mir vorbei, flieht im letztmöglichen Augenblick aus der Bahn, und ich genieße die Freiheit, mich ausbreiten und endlich lesen zu können, finde die Stelle wieder, an der ich unlängst innehalten musste und setze nun die Lektüre fort, führe die Handlung weiter, und sei es auch nur für ein paar Minuten, bis zur nächsten Haltestelle, wenn ich mein Buch zusammenklappe, im Rucksack verstaue und aussteige.
Durch die Tür drängeln sich ein Kinderwagen samt dazugehöriger Mutti und ein Rollator samt kleinwüchsiger Nutzerin. Hey, bin ich versucht der Mutti zuzurufen, die ohne Umsicht allen verfügbaren Stellplatz für sich und ihr Kindesgefährt annektiert, hey, pass doch auf, nimm doch mal Rücksicht! Schließlich wird die kleinwüchsige Frau ihren Rollator nicht ohne Grund mit sich herumschleppen und sich genug ärgern, dass Magdeburg noch immer angefüllt ist mit alten DDR-Straßenbahnkolossen, für deren Benutzung drei steile Metallstufen zu überwinden sind. Nimm Rücksicht auf Benachteiligte, will ich rufen, doch halte inne, weil ich mich frage, wer mehr Recht auf den Stellplatz des eigenen Gefährts hat: Kleinkind oder Kleinwüchsige.
Die beiden arrangieren sich irgendwie, und die Mutti schafft es, dabei nicht ein einziges Mal zu der Rollatorfrau zu blicken, ich drängle mich vorbei und suche einen Sitzplatz. Schnell werde ich fündig und finde gleichzeitig ein verzweifeltes Knurren in meinem Hals, das ausgestoßen werden möchte. Ich schweige, doch strafe zwei Sitzende mit unfreundlichen Blicken. Denn nicht genug, dass die beiden älteren Herrschaften zu zweit einen Viererplatz blockieren, nein, sie mußten sich auch noch auf den Plätzen am Gang platzieren, um zugleich mit ihren Leibern den Weg zu den anderen beiden zu versperren.
Ich habe keine Lust darauf, mich durch diese Enge zu pressen, mich an ihren Leibern und Taschen vorbeizuquetschen, habe keine Lust zu fragen, ob ich denn mal dürfe, ob die beiden möglicherweise, habe keine Lust, neben einen der beiden zu sitzen und zu versuchen, mich schmal zu machen, mich zu verdünnen, damit die Sitzbank für uns beide reiche, ohne dass ich mit ungewollter Körpernähe konfrontiert werde.
Ich gehe weiter und finde einen letzten freien Platz. Ich sehe sofort, warum dieser Platz frei ist, denn neben ihm befindet sich ein Mann mit wildem Haarwuchs, sowohl auf dem Haupt als auch im Gesicht. Er ist einer von denen, denen man den Bier- und Schweißgestank förmlich ansieht.
Ich zucke mit dem Schultern, gehe auf ihn zu; das Lesen ist mir wichtiger, und an Gestank kann man sich gewöhnen. Er starrt mich an, ahnt, dass ich neben ihm Platz nehmen werde, und ich frage mich, ob er sich darüber freut oder nicht.
Und kaum sehe ich mehr von ihm, kaum erblicke ich mehr als sein verzotteltes Gesicht, begreife ich, dass ich mich irrte, freue mich darüber, mein Vorurteil widerlegt zu bekommen, erkenne saubere, gepflegte Kleidung und rieche nichts, gar nichts. Ich wühle in meinem Rucksack, setze mich, klappe das Buch auf, lese, bis irgendwer zu telefonieren beginnt, jemanden anruft und die ganze Bahn über die Planung seines Wochenendes informiert.
Ich will das nicht wissen, möchte ich rufen und frage mich, warum er ausgerechnet an einem dieser menschbefüllten Orte, wo Leiber dicht gepackt und komprimiert beeinanderstehen und -sitzen, wo jeder imstande ist, sein Gespräch zu verfolgen, warum er ausgerechnet hier, wo das Tuckern der Bahn sich zu den Gesprächen der Passagiere gesellt, sein Mobiltelefon zückte und zu reden begann, warum er nicht leiser reden kann, zumindest so leise, dass ich ihm nicht zuhören muss, dass ich verschont bleibe und lesen, in meinem Buch versinken, darf.
Als er der Bahn entsteigt, noch immer telefonierend, entbrennen belustigte Dialoge über Straßenbahntelefonierer, mein Sitznachbar drängelt sich an mir vorbei, flieht im letztmöglichen Augenblick aus der Bahn, und ich genieße die Freiheit, mich ausbreiten und endlich lesen zu können, finde die Stelle wieder, an der ich unlängst innehalten musste und setze nun die Lektüre fort, führe die Handlung weiter, und sei es auch nur für ein paar Minuten, bis zur nächsten Haltestelle, wenn ich mein Buch zusammenklappe, im Rucksack verstaue und aussteige.
morast - 27. Jun, 14:06 - Rubrik: Bahnbegegnungen
2 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Anna (Gast) - 27. Jun, 16:10
Deine Texte
Ich mag dein Schreibstil und deine Art der Wahrnehmung.
Ich werde bestimmt mehr lesen wollen.
Anna
Ich werde bestimmt mehr lesen wollen.
Anna
morast - 28. Jun, 08:15
Danke.
Mehr zu lesen gibt es, wenn du in Richtung Vergangenheit blätterst.
[Und natürlich auch in Zukunft.]
Mehr zu lesen gibt es, wenn du in Richtung Vergangenheit blätterst.
[Und natürlich auch in Zukunft.]
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