Eine Elefantengeschichte (mit Happy End)
Der Elefant stand in Onkel Rudolfs Wohnzimmer und nieste. Er hatte sich erkältet, weil der Winter nahte und Onkel Rudolf dazu neigte, unbedingt bei offenem Fenster schlafen zu wollen. Außerdem war Onkel Rudolf vergesslich, und wenn er einmal ein Fenster geöffnet hatte, konnte man davon ausgehen, dass er vergessen würde, es wieder zu schließen.
'Elefanten', dachte der Elefant, der keinen Namen besaß, weil Onkel Rudolf vergessen hatte, ihm einen zu schenken, 'Elefanten leben normalerweise in wärmeren Gefilden.' Dann seufzte der Elefant und korrigierte die Rechtschreibfehler auf seinem Ohr.
Onkel Rudolfs Vergesslichkeit war nicht neu, hatte sich über die Jahre jedoch gesteigert. Bis ihm eines Tages eine geniale Idee kam: Elefanten besitzen angeblich ein gutes Gedächtnis. Wie wäre es, sich einen Elefanten ins Zimmer zu stellen, der sich an alles erinnert, was er selbst, also Onkel Rudolf, vergessen würde? Wie wäre es, das eigene Gedächtnis outzusourcen?
Gedacht, getan. Knapp zwei Wochen später stand ein wunderschöner afrikanischer Elefant in Rudolfs Wohnzimmer. Eigentlich hatte Onkel Rudolf ihn ins Arbeitszimmer stellen wollen, aber aus irgendeinem Grund war ihm das entfallen. Außerdem passte die graue Faltenhaut des Elefant gut zur lindgrünen Wohnzimmertapete.
Anfangs war alles gut. Onkel Rudolf sagte irgendetwas, und der Elefant merkte es sich. Onkel Rudolf bekam einen Arzttermin, der Elefant merkte ihn sich. Onkel Rudolf beschloss, am nächsten Morgen zeitig aufzustehen, und der Elefant ... nun ja, ihr wisst Bescheid. Blöd war nur, dass Onkel Rudolf vergessen hatte, Elefantisch zu lernen. Genauer gesagt hatte er vergessen, dass Elefanten zwar Menschisch verstehen, aber nicht sprechen können. Also merkte sich der Elefant allerhand Sachen, gab sie aber nicht wieder preis.
"Der Elefant ist ja zu gar nicht nütze!", schimpfte Onkel Rudolf, und der Elefant weinte. Onkel Rudolf war kein böser Mensch, und so entschuldigte er sich höflich beim Elefanten. "Dann benutze ich dich eben als Tafel. Genug Platz ist ja."
Gesagt, getan. Onkel Rudolf nahm seinen Elefanthaut-Beschreibstift, den er zufälligerweise in seiner Hemdtasche fand, und begann, fortan seine Termine auf den Körper des Elefanten zu krakeln. Auf die Ohren, auf den dicken Po, ja sogar auf die Stoßzähne. 'Das kitzelt!', dachte der Elefant vergnügt, wenn Onkel Rudolf wieder eine wichtige Notiz machte, und freute sich seines Daseins.
Eine Zeitlang ging alles gut. Der Elefant, der nicht nur Menschisch verstehen, sondern auch lesen konnte, stupste den vergesslichen Onkel Rudolf hin und wieder an und deutete mit seinem Rüssel auf irgendeine Stelle seines wuchtigen Körpers: "17 Uhr Zahnarzt", "Elefantenfutter kaufen" oder "Haare kämmen.". Und – schwupps – erinnerte sich Onkel Rudolf und ging zum Zahnarzt, in den Elefantenfuttersupermarkt oder zum nächstbesten Haarekämmer.
Leider war Onkel Rudolf wirklich vergesslich. Es fing damit an, dass er vergaß, am Morgen die Fenster zu schließen. Als nächstes vergaß er, sich Dinge, die er nicht vergessen wollte, aufzuschreiben. Der Elefant half, so gut er kann, indem er sich einfach selbst beschrieb. Doch dann vergaß Onkel Rudolf, dass er einen Elefanten besaß. "Was machst du denn hier?", fragte er, wenn er mal wieder gegen den im Wohnzimmer stehenden Elefanten rannte – und hatte im nächsten Augenblick sowohl seine Frage als auch den Elefanten vergessen.
Und so stand der vergessene, aber nicht vergessliche Elefant in Onkel Rudolfs Wohnzimmer und nieste. 'So kann das nicht weitergehen!', dachte er. 'Ich muss etwas unternehmen!' Er grübelte und grübelte, doch als Onkel Rudolf nach Hause kam, war ihm immer noch nichts eingefallen. Onkel Rudolf schien es eilig zu haben, denn wie ein Berserker stürmte er in die Wohnung, rannte in die Küche, dann ins Bad und anschließend ins Wohnzimmer. Genauer gesagt gegen den Elefanten. Noch genauer gesagt mitten in dessen dicken, nicht unbedingt wohlriechenden Po.
"Iiieh!", empörte er sich, befreite sich vom Elefantenhinterteil und sah zum Elefanten auf. "Was machst du denn ...", begann er, doch zuckte dann mit den Schultern und lächelte. Der Elefant wunderte sich: Hatte Onkel Rudolf nicht eigentlich vergessen, wie man lächelte? Doch es gab noch mehr zu wundern, denn Onkel Rudolf meinte plötzlich: "Ich habe dir ja noch gar keinen Namen gegeben! Wie konnte ich nur?! Am besten, ich nenne dich Peter!"
Der Elefant trompeterte vor Vergnügen. Onkel Rudolf hatte offensichtlich völlig vergessen, dass er vergesslich war. Was für ein wundervoller Name! Was für ein wundervoller Tag!
'Elefanten', dachte der Elefant, der keinen Namen besaß, weil Onkel Rudolf vergessen hatte, ihm einen zu schenken, 'Elefanten leben normalerweise in wärmeren Gefilden.' Dann seufzte der Elefant und korrigierte die Rechtschreibfehler auf seinem Ohr.
Onkel Rudolfs Vergesslichkeit war nicht neu, hatte sich über die Jahre jedoch gesteigert. Bis ihm eines Tages eine geniale Idee kam: Elefanten besitzen angeblich ein gutes Gedächtnis. Wie wäre es, sich einen Elefanten ins Zimmer zu stellen, der sich an alles erinnert, was er selbst, also Onkel Rudolf, vergessen würde? Wie wäre es, das eigene Gedächtnis outzusourcen?
Gedacht, getan. Knapp zwei Wochen später stand ein wunderschöner afrikanischer Elefant in Rudolfs Wohnzimmer. Eigentlich hatte Onkel Rudolf ihn ins Arbeitszimmer stellen wollen, aber aus irgendeinem Grund war ihm das entfallen. Außerdem passte die graue Faltenhaut des Elefant gut zur lindgrünen Wohnzimmertapete.
Anfangs war alles gut. Onkel Rudolf sagte irgendetwas, und der Elefant merkte es sich. Onkel Rudolf bekam einen Arzttermin, der Elefant merkte ihn sich. Onkel Rudolf beschloss, am nächsten Morgen zeitig aufzustehen, und der Elefant ... nun ja, ihr wisst Bescheid. Blöd war nur, dass Onkel Rudolf vergessen hatte, Elefantisch zu lernen. Genauer gesagt hatte er vergessen, dass Elefanten zwar Menschisch verstehen, aber nicht sprechen können. Also merkte sich der Elefant allerhand Sachen, gab sie aber nicht wieder preis.
"Der Elefant ist ja zu gar nicht nütze!", schimpfte Onkel Rudolf, und der Elefant weinte. Onkel Rudolf war kein böser Mensch, und so entschuldigte er sich höflich beim Elefanten. "Dann benutze ich dich eben als Tafel. Genug Platz ist ja."
Gesagt, getan. Onkel Rudolf nahm seinen Elefanthaut-Beschreibstift, den er zufälligerweise in seiner Hemdtasche fand, und begann, fortan seine Termine auf den Körper des Elefanten zu krakeln. Auf die Ohren, auf den dicken Po, ja sogar auf die Stoßzähne. 'Das kitzelt!', dachte der Elefant vergnügt, wenn Onkel Rudolf wieder eine wichtige Notiz machte, und freute sich seines Daseins.
Eine Zeitlang ging alles gut. Der Elefant, der nicht nur Menschisch verstehen, sondern auch lesen konnte, stupste den vergesslichen Onkel Rudolf hin und wieder an und deutete mit seinem Rüssel auf irgendeine Stelle seines wuchtigen Körpers: "17 Uhr Zahnarzt", "Elefantenfutter kaufen" oder "Haare kämmen.". Und – schwupps – erinnerte sich Onkel Rudolf und ging zum Zahnarzt, in den Elefantenfuttersupermarkt oder zum nächstbesten Haarekämmer.
Leider war Onkel Rudolf wirklich vergesslich. Es fing damit an, dass er vergaß, am Morgen die Fenster zu schließen. Als nächstes vergaß er, sich Dinge, die er nicht vergessen wollte, aufzuschreiben. Der Elefant half, so gut er kann, indem er sich einfach selbst beschrieb. Doch dann vergaß Onkel Rudolf, dass er einen Elefanten besaß. "Was machst du denn hier?", fragte er, wenn er mal wieder gegen den im Wohnzimmer stehenden Elefanten rannte – und hatte im nächsten Augenblick sowohl seine Frage als auch den Elefanten vergessen.
Und so stand der vergessene, aber nicht vergessliche Elefant in Onkel Rudolfs Wohnzimmer und nieste. 'So kann das nicht weitergehen!', dachte er. 'Ich muss etwas unternehmen!' Er grübelte und grübelte, doch als Onkel Rudolf nach Hause kam, war ihm immer noch nichts eingefallen. Onkel Rudolf schien es eilig zu haben, denn wie ein Berserker stürmte er in die Wohnung, rannte in die Küche, dann ins Bad und anschließend ins Wohnzimmer. Genauer gesagt gegen den Elefanten. Noch genauer gesagt mitten in dessen dicken, nicht unbedingt wohlriechenden Po.
"Iiieh!", empörte er sich, befreite sich vom Elefantenhinterteil und sah zum Elefanten auf. "Was machst du denn ...", begann er, doch zuckte dann mit den Schultern und lächelte. Der Elefant wunderte sich: Hatte Onkel Rudolf nicht eigentlich vergessen, wie man lächelte? Doch es gab noch mehr zu wundern, denn Onkel Rudolf meinte plötzlich: "Ich habe dir ja noch gar keinen Namen gegeben! Wie konnte ich nur?! Am besten, ich nenne dich Peter!"
Der Elefant trompeterte vor Vergnügen. Onkel Rudolf hatte offensichtlich völlig vergessen, dass er vergesslich war. Was für ein wundervoller Name! Was für ein wundervoller Tag!
morast - 8. Okt, 17:37 - Rubrik: Wortwelten
2 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
derSich (Gast) - 13. Nov, 01:08
Waaah äußerst amüsant.Diese verrückten Kurzgeschichten sind DEIN Ding! :)
"nahm seinen Elefanthaut-Beschreibstift, den er zufälligerweise in seiner Hemdtasche fand" <-- saugut! ^^
"nahm seinen Elefanthaut-Beschreibstift, den er zufälligerweise in seiner Hemdtasche fand" <-- saugut! ^^
morast - 13. Nov, 11:14
Hehe. Danke.
Das war eine Geschichte von der Sorte "Ich könnte mal wieder eine Geschichte schreiben.", bei der ich einfach anfing, ohne zu wissen, wie sie ausgeht.
Das funktioniert nicht immer, aber angenehmerweise häufig genug.
Das war eine Geschichte von der Sorte "Ich könnte mal wieder eine Geschichte schreiben.", bei der ich einfach anfing, ohne zu wissen, wie sie ausgeht.
Das funktioniert nicht immer, aber angenehmerweise häufig genug.
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