Die Heiligen Drei Rodelkönige
Temperaturen weit unter Null, ein wenig gefallener Schnee und sonnenreicher, klarer Himmel erweckten in C einen Gedanken: Schlittenfahren. Nach kurzer Rundfrage fanden sich in J und mir zwei begeisterte potentielle Schlittenmitfahrer, und rasch war es entschieden: Der Tag der Heiligen Drei Könige, im heimischen Sachsen-Anhalt mit weiträumiger Arbeitsplatzvermeidung zelebriert, würde uns in den Harz führen, dorthin, wo Recherche nicht nur Schee-, sondern auch Rodelbahnexistenz ermittelt hatte. Ein vorfreudiges Wuhuu! lag auf meinen Lippen, als ich mich am Abend des 5. Januars zu Bett begab.
Gegen 10 Uhr klingelte das Telefon. C und J warteten bereits in Js Gefährt, um die anderthalbstündige Reise gen Westen anzutreten, geleitet von einem modernen Navigationsgerät und den bereitwillig geteilten Erinnerungen eines Js. Minus zehn Grad Celsius zeigte mein nichtexistentes Thermometer, und vorsorglich hatte ich so viele Kleidungsschichten übereinandergezogen, dass meine Winterjacke sich fast weigerte, verschlossen zu werden. Eine Trainingshose diente als Ersatz für sich nicht in meinem Besitz befindliche lange Unterhosen, und obwohl ich üblicherweise auf Kopfbedeckungen verzichtete, weil mein Haarschopf sie bei jeder Kopfbedeckung zu verrücken pflegte, hatte ich nicht nur einen dicken Wollschal und wunderwarme Handschuhe, sondern auch eine Wintermütze im Gepäck. Einzig meine Füße, mit jeweils zwei Socken und stiefeligem Schuhwerk bedeckt, hätten eine zusätzliche Stoffschicht vertragen können.
J und C hatten größere Weitsicht bewiesen und nicht nur mehr Socken, sondern auch noch Thermoskannentee inklusive optionalem Zucker, Becker und Löffel, Noisette-Schokolade und Wechselkleidung im Gepäck.
Die Straßen waren geräumt und somit angenehm befahrbar, und bereits anderthalb Stunden später parkten wir vor der Bad Harzburger Touristeninformation. Bad Harzburg, in Niedersachsen gelegen, war von dem katholischen Feiertag verschont geblieben, was uns zu diesem Zeitpunkt aber egal sein konnte. Im Weg stehende NDR-Mitarbeiter verdrängend befragten wir die freundliche Touristeninformationsmitarbeiterin nach potentiellen Rodelrouten und Schlittenentleihmöglichkeiten und wussten alsbald Bescheid: Unweit vom Parkplatz befand sich der Märchenwald, wo jeder von uns gegen eine Tagesgebühr von 4 Euro und das Hinterlassen von Cs Reisepass einen Schlitten entlieh. Der erste Test ergab Rostspuren auf dem Schnee. Die Schlitten waren wohl weder neu noch gerade gewachst worden. Leider war auch die vom Märchenwald wegführende Schräge nicht steil genug, um bereits erste Abwärtsfahrten genießen zu können, und irgendwelche Idioten hatten die Brücke über die Bundesstraße mit Streugut bestückt, so dass auch dort ein Rodeln verhindert wurde.
Wir kehrten zum Auto zurück, trafen letzte Vorbereitungen, tranken einen Schluck Schwarztee und bemerkten, dass unsere Füße bereits jetzt zur Eisklumpen zu mutieren drohten. Bewegung! Wir brauchten Bewegung!
Durch Schnee und Kälte stapften wir etwa 100 Meter weit zur Gondelstation, wo wir im beheizten Warteraum die fast gehässige, nur zwei Minuten lange Bad-Harzburg-Präsentation und hintergründige Klimperklänge über uns ergehen ließen. 28 Leute sollten in die Gondel passen. Zwar unterschritten wir diese Zahl bei weitem, doch durch Kleidungsüberflüss zu Unformen aufgebläht und mit Schlitten bewehrt, konnten wir uns im Inneren der Gondel keineswegs einer Arm- oder Beinfreiheit erfreuen.
Der erste Gang führte uns und unsere hölzernen Gefährte nach dem Ausstieg direkt zum Aussichtspunkt der Harzburg, wo J uns mit Wissen über das zu Sehende und das Fehlende erfreute. Hier, in knapp 600 Metern Höhe konnte ich sogar endlich ein paar Schneeflächen entjungfern und mit meinen Stiefelstapfen verschönern. Wir liefen weiter, Richtung Molkenhaus, einem Ziel, das etwa 4,5 Kilometer entfernt lag und der Beginn einer drei Kilometer langen Rodelbahn sein sollte.
Erstmals bekamen wir Gelegenheit, uns auf die Schlitten zu setzen und bergab zu rodeln, zwar nur ein paar Meter, doch mit hoher Geschwindigkeit und inklusive Kurve. Wuhuu! C schaffte es sogar, nähere Bekanntschaft mit dem weißen Untergrund zu machen.
Von nun an ging es bergauf. Nicht steil, aber kontinuierlich. Cs Schuhwerk, profilarm und für wintrige Ereignisse nicht unbedingt ideal, veranlasste ihn zu moonwalkigem Vorwärtskommen: Einen Schritt nach vorn gehen, einen halben Schritt zurückgleiten. Während wir um das Tal herumliefen, den Schnee und die wundervollen schneebeladenen Bäume bewunderten, teilten wir nicht nur Js Noisette-Schokolade, sondern auch diverse Erinnerungen an frühere Winterurlaube und Rodelfahrten. Erstaunlich, wie lange es her war, dass ich zuletzt auf einem Schlitten saß.
Uns war warm. Offensichtlich waren die benutzten Kleidungsstücke mindestens ausreichend. Und selbst unsere Füße frierten nicht länger. J und ich zogen sogar die Handschuhe aus, um die überschüssige Wärme abzuleiten.
Hin und wieder begegneten wir Wandernden, doch zumeist waren wir allein, und erst als wir am Molkenhaus ankamen, erhöhte sich die Menschzahl in unserer Nähe enorm. Und nicht nur das: Vor dem Molkenhaus waren auch zahlreiche Schlitten abgestellt, so dass wir uns kurz fragten, warum wir die unseren vom Tal nach oben befördert hatten. Vor dem Molkenhaus befand sich außerdem eine Stempelstation der Harzer Wandernadel und stolz bestempelte ich mein Notizbuch.
Wir entschieden uns nicht nur gegen die Benutzung des Biergartens, sondern auch gegen einen Restaurantbesuch, und bemühten uns darum, die berühmte Rodelbahn ausfindig zu machen. Wir irrten ein wenig durch die Gegend, bis ich mich dazu entschloss, im Restaurant nachzufragen. Zwar konnte ich aufgrund beschlagener Brillengläser und ahnungsloser Kellnerinnen kaum etwas erkennen, doch bekam ich immerhin eine Richtung mitgeteilt, die jedoch von J und C unterdessen bereits ermittelt worden war.
Ein paar Hundert Meter weiter ging von der beschneiten Straße ein schmalerer Fußweg ab, und wir wussten: Nun gilt es! Fröhlich setzten wir uns auf unsere Schlitten, stießen uns kräftig ab - und rodelten nur wenige Zentimeter weit. Das Gefälle war nicht groß und die Strecke nicht glatt genug. Also liefen wir noch ein wenig, die Schlitten hinter uns her ziehend.
Als die Strecke steiler wurde, probierten wir es erneut, diesmal mit Erfolg. Wuhuu!, rief ich, und obwohl die Fahrt alsbald wieder zuende war, weil der Weg immernoch zu flach war, bieben wir guter Dinge: Bald würde die Rodelbahn besser werden. Immerhin konnten wir bereits eines feststellen: Dass jeder Lenkvorgang zugleich ein Abbremsen darstellte, war in Anbetracht einer kurvigen, aber unsteilen Strecke ein wenig ungünstig.
Wir wanderten weiter, und auch wenn das Gefälle nicht ausreichte, um eigenständig fahren zu können, war es doch steil genug, dass sich C und J auf ihre Schlitten setzen und relaitv aufwandsarm von mir gezogen werden konnte. Bald tauschten wir, und J zog. Nur C weigerte sich aufgrund haftungsarmen Schuhwerks.
Dann nahm das Gefälle zu; wir setzten uns auf unsere Holzgestelle und rodelten los. Der Weg war schmal und kurvig, und der Schlitten weigerte sich trotz aller Lenkbemühungen beharrlich, die Ideallinie zu halten und bevorzugte die buschreiche und Geschwindigkeit reduzierende Außen- und Innenbahn. Dennoch wuhuu!te ich begeistert. C überholte J, ich überholte J und wir drei rodelten bergab.
Plötzlich verbreiterte sich der Weg. C zeigte auf ein Schild. "Beginn Rodelbahn" stand dort geschrieben, und wir fragten uns, was das denn gewesen war, wo wir soeben heruntergefahren waren. Die Rodelbahn war breiter und glatter, fuhr sich besser, doch war dennoch nicht frei von Kurven oder entgegenkommenden, bereitwillig beiseite tretenden Fußgängern.
Wuhuu!, rief ich, den Schlitten mit herausgetrecktem linken Bein die stete Linkskurve entlang lenkend, ohne dabei großen Richtungskorrekturerfolg zu haben. Abwärts ging es, und der Fahrtwind umwirbelte meine ständig verrutschende Wintermütze. Wuhuu!
Plötzlich war es vorbei. Ein Schild verkündete das Ende der Rodelbahn, ein anderes die Nähe des Märchenwaldes. Die Bundesstraße und Parkplatz waren nah und wir ein wenig enttäuscht: Niemals waren das drei Kilometer!
Zugleich waren wir begeistert: Rodeln fetzt! Einstimmig beschlossen wir, den Rodelberg wieder hochzuwandern, um erneut hinabzufahren. Der Anstieg jedoch erwies sich schnell als äußerst anstrengend: nicht nur die Steilheit, auch der Schnee behinderten das Vorankommen. C nutzte seinen Schlitten teilweise als Gehhilfe, um nicht zurückzurutschen.
Wir passierten das "Beginn Rodelbahn"-Schild und entschieden uns dafür, obwohl es anstrengend war, weiter nach oben zu wandern. Schließlich hatte uns bereits der Teil vor der echten Rodelbahn sehr zugesagt. Also stapften wir durch den Schnee, die leeren Schlitten hinter uns her ziehend.
Irgendwann meinte C, dass es ihm reiche. J und ich liefen noch bis zur nächsten Kurve, und dann ging es los. Ein paar Fußgängern mussten wir ausweichen, hin und wieder kamen wir den Wegrändern zu nah, doch rasten wir jubelnd den Berg hinab. Als sich der Weg zur echten Rodelbahn aufweitete, gelang es mir sogar, der Kurve zu folgen, nicht im schneereichen Gebüsch zu landen und die Geschwindigkeit beizubehalten. Wuhuu!
Wieder war die Fahrt viel zu schnell zu Ende, doch nun wollten wir nicht noch einmal nach oben kraxeln. Wir beschlossen, zum Auto zurückzukehren und dann nach Torfhaus zu fahren, einem Ort, der ungefähr zehn Minuten weit entfernt lag und neben einer Rodelbahn auch einen Rodellift umfassen sollte.
Angekommen stellten wir zunächst fest, dass wir offensichtlich nicht die einzigen waren, die den Gedanken hatten, diese Rodelbahn zu besuchen. Verglichen mit der Bad Harzburger Rodelstrecke herrschte hier ein heilloses Gedränge. Tatsächlich hatten wir zunächst Schwierigkeiten, überhaupt einen freien Parkplatz zu finden. Der Weg zur Bahn war dementsprechend weit, doch wir zögerten nicht und gelangten alsbald zu einem Aussichtpunkt, der uns klar machte, dass die Rodelbahn noch ein paar Meter weiter zu unserer Rechten lag.
Hier gab es nicht nur allerlei Menschen und Schlitten, sondern auch zahlreiche Nahrungsmittelaufnahmestationen. Bevor uns der Hunger überwältigen konnte, gingen wir zur Rodelbahn. Dabei nahmen wir eine Abkürzung, die einen kleinen Hügel beinhalte, den wir nacheinander hinunterrodelten. Unglücklicherweise folgte kleinen, aber steilen Hügel sogleich eine starke Unebenheit, und C stürzte beim Erleben dieser nicht nur vom Schlitten, sondern verlor auch einen Absatz seines Schuhs. J und ich folgten, aus Cs Unfall lernend, mit angemessener Vorsicht.
Der nächste Hügel war weniger steil und weniger gefährlich, doch auch hier folgten unzählige Unebenheiten. Und natürlich hob es hier auch mich aus dem hölzernen Gefährt. Doch alles war in Ordnung, und die Fahrt konnte weitergehen.
Zwar war die Strecke recht glatt, aber auch vielbefahren, hügelig und flach. Wenn der Schlitten mal alleine fuhr, dann nur langsam und mit Unterbrechungen, in denen man krebsartig versuchte, ein wenig Schwung zu gewinnen. J und ich warteten am Ende der Strecke, wo sich der Zugang zum Lift befand, und C kam langsam nach. Obwohl es nicht unlustig gewesen war, war keiner von uns übermäßig begeistert von der Bahn. J holte die Tickets, und nacheinander setzten wir uns auf die blauen Plastikschlitten des Lifts, der uns mit deutlich höhrerer Geschwindigkeit aufwärts zog, als wir eben abwärts erreicht hatten. J erlebte die Bergauffahrt auf dem Bauch liegend, C gar rückwärts fahrend und auf uns zurückblickend.
Oben angekommen beschlossen J und ich, den Rodelbahnanfangshügel noch einmal zu erleben, damit C ein kleines drehen konnte. Cs Schlitten war an mehreren Stellen destruiert und für weitere Benutzung ungeeignet. J schaffte es tatsächlich, bei der Abfahrt seinen unlenkbaren Schlitten so zu steuern, dass er allen größeren Unebenheiten auswich. Der Videobeweis zeigt: Im Gegensatz zu Bad Harzburg, wo die Strecke eben war, reichte die Hügeligkeit hier aus, um J aus dem Schlitten zu heben. Immerhin blieb er störrisch darauf sitzen. Ich jedoch, ihm folgend, stürzte recht rasch von meinem Gefährt hinab in den festgefahrenen Schnee und beweißte mich von oben bis unten.
Wir kehrten zum Auto zurück, verstauten die Schlitten und fuhren zur Bad Harzburger Märchenwald. Erstaunlicherweise gab es keine Probleme beim Zurückgeben der Holzgefährte und schon bald befanden wir uns auf dem Weg in die Innenstadt von Bad Harzburg, wo wir nicht nur eine Fußgängerzone befuhren, sondern auch ergebnislos nach einer Lokation suchten, die geöffnet hatte und unseren gemeinsamen lukullischen Wünschen entsprach. In Anbetracht von zwei Fleischvermeidern und einem Käseverabscheuer keine leichte Aufgabe, und so kam es, dass wir schon bald Bad Harzburg verließen und nach Wernigerode fuhren. Hier war Feiertag, und die Innenstadt begrüßte uns mit wenig erfreuender Ausgestorbenheit. Erst in Blankenburg wurden wir fündig. Dort kehrten wir bei einem Asiaten ein. Zwar waren wir die einzigen Gäste, doch das störte uns wenig. Wir hatten Hunger.
Die Kellnerin erwies sich als angenehm gesprächsfreudig, das Essen als weder sonderlich gut noch sonderlich schlecht, und nachdem wir einigermaßen gesättigt waren und bezahlt hatten, traten wir die Heimfahrt an. Längst war es dunkel geworden, doch die vereinten Kräfte von Fahrerverstand und Navigationsgerät führten uns sicher nach Magdeburg zurück, gerade pünktlich, damit ich mich zu dem gerade beginnenden Geburtstagsnachfeierfondue meiner WG hinzugesellen und den ohnehin wundervollen Tag nicht minder schön ausklingen lassen konnte.
Gegen 10 Uhr klingelte das Telefon. C und J warteten bereits in Js Gefährt, um die anderthalbstündige Reise gen Westen anzutreten, geleitet von einem modernen Navigationsgerät und den bereitwillig geteilten Erinnerungen eines Js. Minus zehn Grad Celsius zeigte mein nichtexistentes Thermometer, und vorsorglich hatte ich so viele Kleidungsschichten übereinandergezogen, dass meine Winterjacke sich fast weigerte, verschlossen zu werden. Eine Trainingshose diente als Ersatz für sich nicht in meinem Besitz befindliche lange Unterhosen, und obwohl ich üblicherweise auf Kopfbedeckungen verzichtete, weil mein Haarschopf sie bei jeder Kopfbedeckung zu verrücken pflegte, hatte ich nicht nur einen dicken Wollschal und wunderwarme Handschuhe, sondern auch eine Wintermütze im Gepäck. Einzig meine Füße, mit jeweils zwei Socken und stiefeligem Schuhwerk bedeckt, hätten eine zusätzliche Stoffschicht vertragen können.
J und C hatten größere Weitsicht bewiesen und nicht nur mehr Socken, sondern auch noch Thermoskannentee inklusive optionalem Zucker, Becker und Löffel, Noisette-Schokolade und Wechselkleidung im Gepäck.
Die Straßen waren geräumt und somit angenehm befahrbar, und bereits anderthalb Stunden später parkten wir vor der Bad Harzburger Touristeninformation. Bad Harzburg, in Niedersachsen gelegen, war von dem katholischen Feiertag verschont geblieben, was uns zu diesem Zeitpunkt aber egal sein konnte. Im Weg stehende NDR-Mitarbeiter verdrängend befragten wir die freundliche Touristeninformationsmitarbeiterin nach potentiellen Rodelrouten und Schlittenentleihmöglichkeiten und wussten alsbald Bescheid: Unweit vom Parkplatz befand sich der Märchenwald, wo jeder von uns gegen eine Tagesgebühr von 4 Euro und das Hinterlassen von Cs Reisepass einen Schlitten entlieh. Der erste Test ergab Rostspuren auf dem Schnee. Die Schlitten waren wohl weder neu noch gerade gewachst worden. Leider war auch die vom Märchenwald wegführende Schräge nicht steil genug, um bereits erste Abwärtsfahrten genießen zu können, und irgendwelche Idioten hatten die Brücke über die Bundesstraße mit Streugut bestückt, so dass auch dort ein Rodeln verhindert wurde.
Wir kehrten zum Auto zurück, trafen letzte Vorbereitungen, tranken einen Schluck Schwarztee und bemerkten, dass unsere Füße bereits jetzt zur Eisklumpen zu mutieren drohten. Bewegung! Wir brauchten Bewegung!
Durch Schnee und Kälte stapften wir etwa 100 Meter weit zur Gondelstation, wo wir im beheizten Warteraum die fast gehässige, nur zwei Minuten lange Bad-Harzburg-Präsentation und hintergründige Klimperklänge über uns ergehen ließen. 28 Leute sollten in die Gondel passen. Zwar unterschritten wir diese Zahl bei weitem, doch durch Kleidungsüberflüss zu Unformen aufgebläht und mit Schlitten bewehrt, konnten wir uns im Inneren der Gondel keineswegs einer Arm- oder Beinfreiheit erfreuen.
Der erste Gang führte uns und unsere hölzernen Gefährte nach dem Ausstieg direkt zum Aussichtspunkt der Harzburg, wo J uns mit Wissen über das zu Sehende und das Fehlende erfreute. Hier, in knapp 600 Metern Höhe konnte ich sogar endlich ein paar Schneeflächen entjungfern und mit meinen Stiefelstapfen verschönern. Wir liefen weiter, Richtung Molkenhaus, einem Ziel, das etwa 4,5 Kilometer entfernt lag und der Beginn einer drei Kilometer langen Rodelbahn sein sollte.
Erstmals bekamen wir Gelegenheit, uns auf die Schlitten zu setzen und bergab zu rodeln, zwar nur ein paar Meter, doch mit hoher Geschwindigkeit und inklusive Kurve. Wuhuu! C schaffte es sogar, nähere Bekanntschaft mit dem weißen Untergrund zu machen.
Von nun an ging es bergauf. Nicht steil, aber kontinuierlich. Cs Schuhwerk, profilarm und für wintrige Ereignisse nicht unbedingt ideal, veranlasste ihn zu moonwalkigem Vorwärtskommen: Einen Schritt nach vorn gehen, einen halben Schritt zurückgleiten. Während wir um das Tal herumliefen, den Schnee und die wundervollen schneebeladenen Bäume bewunderten, teilten wir nicht nur Js Noisette-Schokolade, sondern auch diverse Erinnerungen an frühere Winterurlaube und Rodelfahrten. Erstaunlich, wie lange es her war, dass ich zuletzt auf einem Schlitten saß.
Uns war warm. Offensichtlich waren die benutzten Kleidungsstücke mindestens ausreichend. Und selbst unsere Füße frierten nicht länger. J und ich zogen sogar die Handschuhe aus, um die überschüssige Wärme abzuleiten.
Hin und wieder begegneten wir Wandernden, doch zumeist waren wir allein, und erst als wir am Molkenhaus ankamen, erhöhte sich die Menschzahl in unserer Nähe enorm. Und nicht nur das: Vor dem Molkenhaus waren auch zahlreiche Schlitten abgestellt, so dass wir uns kurz fragten, warum wir die unseren vom Tal nach oben befördert hatten. Vor dem Molkenhaus befand sich außerdem eine Stempelstation der Harzer Wandernadel und stolz bestempelte ich mein Notizbuch.
Wir entschieden uns nicht nur gegen die Benutzung des Biergartens, sondern auch gegen einen Restaurantbesuch, und bemühten uns darum, die berühmte Rodelbahn ausfindig zu machen. Wir irrten ein wenig durch die Gegend, bis ich mich dazu entschloss, im Restaurant nachzufragen. Zwar konnte ich aufgrund beschlagener Brillengläser und ahnungsloser Kellnerinnen kaum etwas erkennen, doch bekam ich immerhin eine Richtung mitgeteilt, die jedoch von J und C unterdessen bereits ermittelt worden war.
Ein paar Hundert Meter weiter ging von der beschneiten Straße ein schmalerer Fußweg ab, und wir wussten: Nun gilt es! Fröhlich setzten wir uns auf unsere Schlitten, stießen uns kräftig ab - und rodelten nur wenige Zentimeter weit. Das Gefälle war nicht groß und die Strecke nicht glatt genug. Also liefen wir noch ein wenig, die Schlitten hinter uns her ziehend.
Als die Strecke steiler wurde, probierten wir es erneut, diesmal mit Erfolg. Wuhuu!, rief ich, und obwohl die Fahrt alsbald wieder zuende war, weil der Weg immernoch zu flach war, bieben wir guter Dinge: Bald würde die Rodelbahn besser werden. Immerhin konnten wir bereits eines feststellen: Dass jeder Lenkvorgang zugleich ein Abbremsen darstellte, war in Anbetracht einer kurvigen, aber unsteilen Strecke ein wenig ungünstig.
Wir wanderten weiter, und auch wenn das Gefälle nicht ausreichte, um eigenständig fahren zu können, war es doch steil genug, dass sich C und J auf ihre Schlitten setzen und relaitv aufwandsarm von mir gezogen werden konnte. Bald tauschten wir, und J zog. Nur C weigerte sich aufgrund haftungsarmen Schuhwerks.
Dann nahm das Gefälle zu; wir setzten uns auf unsere Holzgestelle und rodelten los. Der Weg war schmal und kurvig, und der Schlitten weigerte sich trotz aller Lenkbemühungen beharrlich, die Ideallinie zu halten und bevorzugte die buschreiche und Geschwindigkeit reduzierende Außen- und Innenbahn. Dennoch wuhuu!te ich begeistert. C überholte J, ich überholte J und wir drei rodelten bergab.
Plötzlich verbreiterte sich der Weg. C zeigte auf ein Schild. "Beginn Rodelbahn" stand dort geschrieben, und wir fragten uns, was das denn gewesen war, wo wir soeben heruntergefahren waren. Die Rodelbahn war breiter und glatter, fuhr sich besser, doch war dennoch nicht frei von Kurven oder entgegenkommenden, bereitwillig beiseite tretenden Fußgängern.
Wuhuu!, rief ich, den Schlitten mit herausgetrecktem linken Bein die stete Linkskurve entlang lenkend, ohne dabei großen Richtungskorrekturerfolg zu haben. Abwärts ging es, und der Fahrtwind umwirbelte meine ständig verrutschende Wintermütze. Wuhuu!
Plötzlich war es vorbei. Ein Schild verkündete das Ende der Rodelbahn, ein anderes die Nähe des Märchenwaldes. Die Bundesstraße und Parkplatz waren nah und wir ein wenig enttäuscht: Niemals waren das drei Kilometer!
Zugleich waren wir begeistert: Rodeln fetzt! Einstimmig beschlossen wir, den Rodelberg wieder hochzuwandern, um erneut hinabzufahren. Der Anstieg jedoch erwies sich schnell als äußerst anstrengend: nicht nur die Steilheit, auch der Schnee behinderten das Vorankommen. C nutzte seinen Schlitten teilweise als Gehhilfe, um nicht zurückzurutschen.
Wir passierten das "Beginn Rodelbahn"-Schild und entschieden uns dafür, obwohl es anstrengend war, weiter nach oben zu wandern. Schließlich hatte uns bereits der Teil vor der echten Rodelbahn sehr zugesagt. Also stapften wir durch den Schnee, die leeren Schlitten hinter uns her ziehend.
Irgendwann meinte C, dass es ihm reiche. J und ich liefen noch bis zur nächsten Kurve, und dann ging es los. Ein paar Fußgängern mussten wir ausweichen, hin und wieder kamen wir den Wegrändern zu nah, doch rasten wir jubelnd den Berg hinab. Als sich der Weg zur echten Rodelbahn aufweitete, gelang es mir sogar, der Kurve zu folgen, nicht im schneereichen Gebüsch zu landen und die Geschwindigkeit beizubehalten. Wuhuu!
Wieder war die Fahrt viel zu schnell zu Ende, doch nun wollten wir nicht noch einmal nach oben kraxeln. Wir beschlossen, zum Auto zurückzukehren und dann nach Torfhaus zu fahren, einem Ort, der ungefähr zehn Minuten weit entfernt lag und neben einer Rodelbahn auch einen Rodellift umfassen sollte.
Angekommen stellten wir zunächst fest, dass wir offensichtlich nicht die einzigen waren, die den Gedanken hatten, diese Rodelbahn zu besuchen. Verglichen mit der Bad Harzburger Rodelstrecke herrschte hier ein heilloses Gedränge. Tatsächlich hatten wir zunächst Schwierigkeiten, überhaupt einen freien Parkplatz zu finden. Der Weg zur Bahn war dementsprechend weit, doch wir zögerten nicht und gelangten alsbald zu einem Aussichtpunkt, der uns klar machte, dass die Rodelbahn noch ein paar Meter weiter zu unserer Rechten lag.
Hier gab es nicht nur allerlei Menschen und Schlitten, sondern auch zahlreiche Nahrungsmittelaufnahmestationen. Bevor uns der Hunger überwältigen konnte, gingen wir zur Rodelbahn. Dabei nahmen wir eine Abkürzung, die einen kleinen Hügel beinhalte, den wir nacheinander hinunterrodelten. Unglücklicherweise folgte kleinen, aber steilen Hügel sogleich eine starke Unebenheit, und C stürzte beim Erleben dieser nicht nur vom Schlitten, sondern verlor auch einen Absatz seines Schuhs. J und ich folgten, aus Cs Unfall lernend, mit angemessener Vorsicht.
Der nächste Hügel war weniger steil und weniger gefährlich, doch auch hier folgten unzählige Unebenheiten. Und natürlich hob es hier auch mich aus dem hölzernen Gefährt. Doch alles war in Ordnung, und die Fahrt konnte weitergehen.
Zwar war die Strecke recht glatt, aber auch vielbefahren, hügelig und flach. Wenn der Schlitten mal alleine fuhr, dann nur langsam und mit Unterbrechungen, in denen man krebsartig versuchte, ein wenig Schwung zu gewinnen. J und ich warteten am Ende der Strecke, wo sich der Zugang zum Lift befand, und C kam langsam nach. Obwohl es nicht unlustig gewesen war, war keiner von uns übermäßig begeistert von der Bahn. J holte die Tickets, und nacheinander setzten wir uns auf die blauen Plastikschlitten des Lifts, der uns mit deutlich höhrerer Geschwindigkeit aufwärts zog, als wir eben abwärts erreicht hatten. J erlebte die Bergauffahrt auf dem Bauch liegend, C gar rückwärts fahrend und auf uns zurückblickend.
Oben angekommen beschlossen J und ich, den Rodelbahnanfangshügel noch einmal zu erleben, damit C ein kleines drehen konnte. Cs Schlitten war an mehreren Stellen destruiert und für weitere Benutzung ungeeignet. J schaffte es tatsächlich, bei der Abfahrt seinen unlenkbaren Schlitten so zu steuern, dass er allen größeren Unebenheiten auswich. Der Videobeweis zeigt: Im Gegensatz zu Bad Harzburg, wo die Strecke eben war, reichte die Hügeligkeit hier aus, um J aus dem Schlitten zu heben. Immerhin blieb er störrisch darauf sitzen. Ich jedoch, ihm folgend, stürzte recht rasch von meinem Gefährt hinab in den festgefahrenen Schnee und beweißte mich von oben bis unten.
Wir kehrten zum Auto zurück, verstauten die Schlitten und fuhren zur Bad Harzburger Märchenwald. Erstaunlicherweise gab es keine Probleme beim Zurückgeben der Holzgefährte und schon bald befanden wir uns auf dem Weg in die Innenstadt von Bad Harzburg, wo wir nicht nur eine Fußgängerzone befuhren, sondern auch ergebnislos nach einer Lokation suchten, die geöffnet hatte und unseren gemeinsamen lukullischen Wünschen entsprach. In Anbetracht von zwei Fleischvermeidern und einem Käseverabscheuer keine leichte Aufgabe, und so kam es, dass wir schon bald Bad Harzburg verließen und nach Wernigerode fuhren. Hier war Feiertag, und die Innenstadt begrüßte uns mit wenig erfreuender Ausgestorbenheit. Erst in Blankenburg wurden wir fündig. Dort kehrten wir bei einem Asiaten ein. Zwar waren wir die einzigen Gäste, doch das störte uns wenig. Wir hatten Hunger.
Die Kellnerin erwies sich als angenehm gesprächsfreudig, das Essen als weder sonderlich gut noch sonderlich schlecht, und nachdem wir einigermaßen gesättigt waren und bezahlt hatten, traten wir die Heimfahrt an. Längst war es dunkel geworden, doch die vereinten Kräfte von Fahrerverstand und Navigationsgerät führten uns sicher nach Magdeburg zurück, gerade pünktlich, damit ich mich zu dem gerade beginnenden Geburtstagsnachfeierfondue meiner WG hinzugesellen und den ohnehin wundervollen Tag nicht minder schön ausklingen lassen konnte.
morast - 7. Jan, 21:42 - Rubrik: Wortwelten
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