Freitag, 25. März 2005

Naturbeobachtungen im Großstadtdschungel

Weil es mir heute wieder in Erinnerung gerufen wurde, mal was "Altes", vom 10. Juni 2004:

"Back To Nature | Where We Can Be | Faster, Harder, Wild And Free!"

Diesen wahrhaft tiefgründig-historischen Satz brüllten einst die drei (vermutlich maskulinen) Wesen einer von mir nicht wirklich geschätzten deutschen Pseudo-Techno-Combo, deren Werke man vermutlich nur instrumental und unplugged über sich ergehen lassen kann, zu einigermaßen erträglichen Klimperklängen des beliebten Miss-Marple-Schwarz-Weiß-Krimis "16 Uhr 50 ab Paddington" und bewiesen damit schon 1995, daß der Mensch den unkontrollierbaren Drang verspürt, sich Naturellem zu widmen.

Doch wohin soll ein Großstädter sich wenden, wenn der Drang ihn überwältigt, wohin soll sein Grün suchendes Auge blicken, wohin seine Waldboden-ersehnenden Füße laufen? In den Stadtpark, wo Stille längst zu den zur Neige gehenden Rohstoffen des Erdenrunds gezählt werden kann, weil nicht nur lärmende Kinder, nicht nur klackende Nordisch-Geher, nicht nur aufzupustende Heißluftballons und fernsteuerbare Minitrucks jeglichen Hauch von Idylle rauben, auf den Boden schmettern und mit inbrünstigem Haß darauf rumtrampeln, sondern wo auch jeder grüne Quadratmeter vom Plastikbunt gedankenlos "vergessener" Lebensmittelverpackungen, von flatternden Farben herrenlos durch die Gegend fliegender Einkaufstüten und den unappetitlichen Folgen der Einführung der Einweg-Windel besudelt und verseucht wurde? Sollte man gar wirklich, um dem Auge ein wenig Natur zu gönnen, kilometerweite Autobahnfahrten auf sich nehmen müssen und somit nicht nur die letzten Reste längst kultivierten Pflanzenwuchs mit schä(n)dlichen Autogasen zusätzlich zu belasten, sondern den eigentlichen Natur-Genuß um den allgemein üblichen An- und Abfahrtsstreß bereichern? Wohl kaum.

Meist bleibt dem in tristem Betongrau Wohnhaften nichts anderes übrig, als sich der wenigen Bäume zu erfreuen, welche von ABM-Kräften des städtischen Grünnflächenamtes unlängst entlang einzelner Straßen aufgestellt wurden, um den begehrenden Blicken zumindest ein wenig Abwechslung bieten zu können. Doch was muß ich erblicken, versuche ich mich diesen Mini-Oasen zu laben, deren Grundfläche durch die allgegenwärte Gehwegbepflasterung auf knapp drei Quadratmeter radikal begrenzt wurde? Gar Schreckliches!

Das Grünflächenamt gibt sich alle Mühe, das ohnehin stark behinderte Wachstum der Straßenpflanzen zusätzlich zu erschweren, indem alljährlich Äste und Zweige, ja ganze Baumstämme, die möglicherweise im Laufe ihres Wachstums in naher oder ferner Zukunft unter Umständen in einigermaßen absehbare Nähe eines Hauses oder eines Straßenschildes kommen könnten, brutal entfernt, abgesägt und zerschreddert werden. Überall sehe ich sie, die Verstümmler, wie sie den geplagten Pflanzen Körperteile abtrennen und diese herzlos in ihre Zerkleinerungsmaschine werfen. Und zu allem Überfluß werden die drei Quadratmeter, die dem Baum oder Strauch zum Leben gelassen wurden, dann noch mit den Überresten seines eigenen Leibes oder das seiner Artgenossen bestreut, mit niedergemetzelten Stücken noch existierender Gewächse. Wenn ich mich in eine Badewanne setzte, mit lauter Zeigefingern (darunter auch meine eigenen) oder auch nur mit literweise Menschenblut (darunter auch mein eigenes) gefüllt, würde ich als unheilbarer Psychopath gelten. Städtische Pflanzen werden jedoch zu derartigem Schicksal gezwungen. Grausam!

An Grausamkeit jedoch kaum zu überbieten ist der Anblick, den die bereits erwähnten drei Quadratmeter bieten, wenn Herbst und Winter alles wachsende Grün verschlungen haben und nur noch der blanke Boden übrigbleibt. Dieser, so stellt dann sich schnell heraus, ist gar nicht so blank. Vielmehr hatten die ganzen Monate über sämtliche Hunde aus der Nachbarschaft die Gelegenheit genutzt, mehrmals täglich den Baum und dessen minimierten Lebensraum mit ihren Stoffwechselendprodukten zu bepflastern, so daß vom eigentlichen Boden nicht mehr viel zu sehen ist, da dieser einer stinkenden Landschaft aus verwesenden Krümeln und Klößchen weichen mußte. Lecker! An dieser Stelle gilt mein Lob und Respekt zwei Personenverbänden: Zum einen den lokalen FDP-Vertetern, allen voran die wohl häßlichste Frau Magdeburgs, die sich gemeinschaftlich für mehr Hundekotbereinigungsmöglichkeiten einsetzen. Zum anderen preise ich die Grünflächenamtmitarbeiter, deren Aufgabe es ist, in jedem Frühling, mit Arbeitshandschuhen nur umzureichend geschützt, die besagten drei Quadratmeter von sprießendem Unkraut zu befreien...

Doch zurück zu angenehmeren und vor allem tiefsinnigeren Themen. Ich frage mich beispielsweise, ob es an Deutschlands Arbeitsmarktsituation oder einfach nur an der Wichtigkeit der maximalen Auslastung bereits erworbener Geräte liegt, daß die winzigen, in Städten verfügbaren Rasenflächen teilweise mehrmals wöchentlich mit überdimensional großen Gerätschaften und Maschinen bearbeitet werden müssen. Will man einfach nur dafür sorgen, daß die ABM-Kräfte etwas zu tun bekommen oder möchte man gar das bißchen Grün minimieren und somit sichergehen, daß selbiges frei von Leben und lebenden Bewohnern bleibt? Oder möchte man die möglicherweise langschläferisch veranlagten Anwohner durch ständigen Rasenmähermotorenlärm darauf hinweisen, daß hier gearbeitet wird, während man selbst noch in den Federn liegt und nichts für Deutschlands Wohlstand tut? Ich vermag es nicht zu erklären.

Ebensowenig erklärbar ist der im Herbst plakatierte Aufruf, man möge doch das von den Bäumen fallende Laub beseitigen, nicht um die bestehende Rutschgefahr zu vermindern, sondern um irgendwelchen 'gefährlichen' Käferwuchs zu reduzieren. Hallo? Daß Blätter im Herbst von Laubbäumen fallen, halte ich für durchaus natürlich. Wieso muß selbst das noch überwacht und optimiert werden? Wieso erfinden Menschen Geräte wie "Laubsauger" oder irgendwelche Pustedinger, die einem das Harken abnehmen, indem sie mittels bewegter Luft das trockene Laub vorantreiben? Ist das wirklich nötig?

Geplagt von derlei Gedanken, von der Vorstellung, versehentlich in drei Quadratmeter voller Hundekot zu stolpern, fliehe ich nun doch in den Stadtpark, suche mir ein einigermaßen müllfreies Plätzchen, hole die Cola aus dem Rucksack, reiße eine Tüte Chips auf, stöpsle mir die Kopfhörer meines mp3-Players in die Ohren und beobachte voller Wonne die plumpen Flugmanöver unzähliger Taubenschwärme.

Ich liebe die Natur!
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