Wortwelten
In letzter Zeit [welch herrlich ungenaue Zeitangabe] fiel mir bei Gesprächen mit anderen immer wieder eine Unart auf, die ich spontan als "CrossFadeTalking" betitelte.
Üblicherweise läuft ein Dialog ab, indem die beiden Gesprächspartner einander zuhören und jeweils, nachdem das Gegenüber seinen Gespächsteil beendet hat, aufeinander eingehen. Daß es dabei passieren kann, daß man aneinander vorbeiredet oder gar in derartige Erregung gerät, daß man sich genötigt sieht, den Gesprächsfluß des anderen durch eigene Zwischenrufe zu unterbrechen, halte ich für normal und nicht weiter erwähnenswert. Was mir jedoch mißfällt, ist folgendes Szenario:
Person A [in den meisten Fällen ich selbst] redet. Zugegebenermaßen ist das Erzählte nicht immer von ergreifendem Tiefsinn. [Aber wer kann schon von sich behaupten, nur historisch Bedeutsames von sich zu geben?] Trotzdem setze ich als Redender voraus, daß es mir gestattet sein möge, meinen Gedankengang, und sei er noch so albern, zu Ende führen zu dürfen. Doch bevor das geschieht, setzt Person B ein, beginnt zu reden, ohne Bezug auf die Worte von Person A zu nehmen, die ja noch nicht einmal zu einem logischen Schluß kommen konnten. Person B beginnt zu reden, erst leise, dann lauter, und Person A, also ich, sieht sich mehr oder weniger gezwungen, seinen Gesprächsfluß zu minimieren und schließlich einzustellen.
"Red doch einfach weiter!", ruft eine Stimme aus dem imaginären Publikum. Doch ich widerspreche: Weiterzureden wäre sinnlos. Zum einen halte ich es durchaus für normal, dem anderen bei seinem Gesagten zuzuhören und selbst zu schweigen, um das Hörbare vollständig erfassen zu können. Zum anderen hätte es wenig Sinn weiterzureden, weil ja Person B, die bis eben noch die Rolle des Zuhörenden belegt hatte, nun selber redet, demnach gar nicht imstande ist, von anderen formulierte Worte vollständig zu erfassen. Ein Gespäch mit einer Wand oder dem Pausenzeichen von Radio Moskau könnte nicht einseitiger sein.
Das Gespräch funktioniert in solchen Augenblicken wie ein Mischpult oder dessen digitales Äquivalent: Track A und B werden ineinander "gefaded". Während die letzten[?] Töne von Track A erklingen, wird schon Track B gestartet. Die Lautstärke von Track A geht zurück; im Gegenzug steigt die von Track B. Das geschieht solange, bis Track A das Lautstärkeminumum erreicht hat und Track B auf dem früheren Track-A-Lautstärkelevel angelangt ist.
Person A verstummt also, ohne seine Ausführungen beendet haben zu können, während Person B ohne jeglichen Gesprächsbezug losplappert und somit verdeutlicht, daß sie das Zuhören und Erfassen der mitgeteilten Inhalte längst aufgegeben, womöglich gar niemals begonnen hat.
Ich fühle mich durch derartiges CrossFadeTalking unangenehm berührt, stellt es doch in Frage, ob das Öffnen meines Mundes zu Artikulationszwecken überhaupt lohnenswert ist, ob es nicht vorteilhafter wäre, sich in das geräuschreduzierte Schweigen eines stummen Zuhörers zu hüllen, dessen Meinungen und Ansichten derart belanglos sind, daß sie nicht vertont zu werden brauchen.
Bleibt zu hoffen, daß die CrossFadeTalking-Unsitte nicht wuchernd um sich greift und die menschliche Verbalkommukation zu einem steten und stupiden Ineinander- und Aneinandervorbeireden verstümmelt, das nur dazu dient, die Eigenansichten in die Luft zu blasen.
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morast - 5. Apr, 18:04 - Rubrik:
Wortwelten
In einen Traum aus Wirrwarr, Dickicht und verwinkelten Häusern schlich sich die perfekte Umarmung.
Sie trug ein weißes Nadelstreifenhemd. Der Duft frischer Wäsche vermengte sich mit ihrem eigenen, warmen Geruch, verlockend und weich. In meinen Armen barg ich sie, verlor mich lächelnd in ihre Nähe. Sanft schmiegte sie sich an meinen Leib, und die Zeit verharrte in einem Augenblick vollkommener Schönheit. Ich verliebte mich, wieder und wieder, hielt sie fest, als wäre sie mein Leben. Allmählich lösten wir uns voneinander und zärtlich liebkoste ich ihren Nacken.
Als ich den Träumen entglitt, verharrten die Empfindungen, verharrte die Umarmung in meinem Bewußtsein. Ich lächelte, schloß erneut die Augen und ließ mich in meiner Sehnsucht treiben.
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morast - 4. Apr, 18:03 - Rubrik:
Wortwelten
Am Straßenrand begegnete ich heute ein paar winzigen Weidenkätzchen. Ich hielt inne, betrachtete sie liebevoll, streichelte sie zärtlich. Sie liefen nicht weg, bewegten sich nur sanft im Wind, schmiegten sich an meine vorsichtig tastenden Finger. Als ich meine Augen schloß, konnte ich sie leise schnurren hören. Ich lächelte, bewegt von soviel Schönheit.
Auf sonnenwarmen Pflastersteinen hielt der erste Marienkäfer des Jahres eine mittägliche Rast. Mit eingezogenen Beinchen genoß er vergnügt die Liebkosungen der wohligen Himmelsstrahlen, die kleinen Äuglein zu lieblichen Träumen geschlossen, im süßen Glanz der Sonne badend. Leise, um ihn nicht zu stören, schlich ich vorbei, sandte dem Käferchen einen lautlosen Gruß.
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morast - 3. Apr, 18:03 - Rubrik:
Wortwelten
Verzweifelt bemühe ich mich darum, Worte zu finden, die mich selbst, meine Fähigkeiten, mein Dasein, meine Interessen beschreiben, doch alles schönfärben, rosaplüschigwuschlig malen und zugleich durch harte Fakten, gestochen scharfen Intellekt und überzeugendes Detailverständnis die überdimensionale Überdimensionalität meiner Person darstellen. Kurzum, ich soll lügen, ohne zu lügen, soll Worte finden für Dinge, die ich mag und ausführe, ohne zu beschreiben, was ich mag und ausführe, soll schleimiggrüne Spüren auf weißen Blättern verteilen, die nicht nur mir selbst, sondern auch jedem Lesenden tief, tiefer, am tiefsten in den Arsch kriechen. Ich soll mit ausgesetztem, puppenhaften Grinsen von Dingen überzeugen, die mich selbst noch nicht überzeugen konnten, soll im Geiste Situationen erfinden und gutheißen, die ich stetig verdränge oder mir nicht vorzustellen vermag, soll Vergangenheiten auftischen, die den Wünschen anderer und keineswegs meiner Wirklichkeit entsprechen, soll ein idealistisches Optimalbild von mir zum Leben erwecken, das mich, mein eigenes Ich, zugleich ausschließt und beinhaltet, das alles ist und nichts.
Verzweifelt bemühe ich mich darum, Scheiße zu produzieren, die nach Blumen duftet
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morast - 3. Apr, 18:02 - Rubrik:
Wortwelten
Der Papst lag im Sterben, und der unwiderstehliche Drang nach tänzelnden Bewegungen trieb uns zu dem Beschluß, die Hallenser Studentendiskothek "Turm" mit unserer Anwesenheit zu beehren. Dort sollte die sogenannte "Darkness-Party" stattfinden, bei der sich auf zwei Etagen bzw. "Floors" schwarzbetuchte Wesen auf und neben der Tanzfläche tummeln würden.
Allerdings wurden wir noch vor dem Betreten des Moritzburgturmes und der dort ansässigen Tanzlokalität einer buntgekleideten Menschenmeute gewahr, die nicht so recht in das Bild zu passen schien, das wir uns von den potentiellen Partybesuchern ausgemalt hatten, und die mehr oder minder reglos am Eingang zur oberen Etage herumstanden.
Verwundert wählten wir den zweiten Eingang, den für den unteren Floor, zahlten Eintritt und fanden sowohl Gleichgesinnte und Bekannte als auch eine Erklärung: Oben fand wohl eine Art christlicher Veranstaltung statt, womöglich gar aufgrund des erwartbarens Papstablebens, die natürlich nicht von unsereins gestört werden durfte. Dergleichen konnte der zu unserem Grüppchen gehörige M feststellen, als er bei seinem Versuch, die obere Etage zu betreten gefragt wurde, ob er an Jesus Christus glaube.
Ich fand die Vorstellung durchaus amüsant, daß oben die - ich nenn sie jetzt einfach mal - Christen und unten wir böse, unhelle Gestalten zugange waren - ein perfektes Himmel-Hölle-Klischee. Weniger amüsant fand ich die Tatsache, daß auf unserem Floor nur unerträglich-monotone Rumsbumsmusik gespielt wurde und ich daher gern auf den Alternativfloor ausgewichen wäre, so er zur Verfügung gestanden hätte. Ähnliche empfanden wohl auch andere Dunkelwesen, die höllischen Heerscharen gleich nach oben stürmte, sobald die Himmelspforten geöffnet worden waren. Die Christen wirkten perplex, als sie sich plötzlich mit einer schwarzen Meute konfrontiert sahen; die Grufties entflohen alsbald wieder nach unten, allerdings weniger vor den versammelten Christen als vor den oben vernehmbaren HipHop-Klängen.
Nach einer Weile leerte sich die obere Etage, und tatsächlich wagten es einige der Christen zu uns, nach unten. Einer von ihnen, ein junger Mann in grünem Kapuzenpullover, betätigte sich als Prediger, stellte sich mit aufgeschlagener Bibel an eine Mauerwand, hob den rechten Arm und versuchte, mit seiner Stimme gegen die dezibelstarke Rumsbumsmusik anzukämpfen. Ungläubig und amüsiert zugleich schauten wir Finsterwesen dem Treiben der Lichtgestalt zu, die alsbald Gesellschaft von zwei weiblichen Wesen bekam, die ihrerseits ebenfalls, wennauch ohne Bibel, zu predigen begannen. Ich hörte kein einziges Wort, dafür war die Umgebung zu laut, doch stellte fest, daß eines der beiden weiblichen Wesen während seiner Rede immer wieder zwei Schritte vor und zurück ging, als würde es zu einem Takt tanzen, der keineswegs dem der Rumsbumsmusik entprach.
Schwarze Gestalten scharten sich um die Predigenden, doch taten nichts weiter als zu reden oder sich intensiv zu küssen, wollten vermutlich deren Lächerlichkeit verdeutlichen. Schließlich käme keiner von uns auf die abstruse Idee, in kirchlichen Gemäuern das eigene, unhelle Gedankengut lauthals verkünden zu wollen.
Die beiden Gefährtinnen wichen, zurück blieb der erste Prediger, den ich anfangs für erstaunlich mutig, mittlerweile aber für gefährlich fanatisch hielt. Schließlich ist zu bekehrender Satanismus unter schwarzen Tanzvolk eher selten vertreten und wird zumeist müde belächelt. Auch bin ich der Ansicht, daß die meisten der Anwesenden sich schon intensiver mit verschiedensten Glaubensrichtungen auseinandergesetzt hatten, als man auf den ersten Blick vermuten konnte.
Der Prediger jedoch ließ nicht locker, begab sich gar zum Discjockey, womöglich um ein Mikrophon für seine Ansprachen zu erbitten, vielleicht sogar, um die Auflösung der Veranstaltung zu erwirken. Dieser winkte müde ab, wurde aber weiter mit Worten bombadiert. Er schüttelte immer wieder matt und schließlich auch sichtlich genervt mit dem Kopf, verwies den Prediger an Umstehende - und spielte zwei Schwarztanzklassiker, zu denen sich immer wieder gern rhythmisch bewegt wird, die jedoch in dieser Konstellation kein Zufall mehr sein konnten: Zuerst lockte uns Das Ich mit "Gottes Tod" auf die Tanzfläche, entlockte uns gar ein schelmisches Grinsen, danach folgte Oomph mit "Der neue Gott".
Von diesen beiden Liedern scheinbar schwer getroffen, fiel der Prediger auf die Knie, weitere Worte von sich gebend, verweilte noch mitten auf der Tanzfläche, als die Musik längst wieder zu ihrem üblichen Rumsbums zurückgekehrt war.
Später sah ich ihn, wie er unhelle Gestalten zu bekehren/belehren versuchte und dabei immer voll von wildem Eifer wieder auf Stellen in seiner Bibel zeigte.
Ich, der, wenngleich ohne Gottesglaube aufgwachsen, anderen Religionen gegenüber durchaus offen zu sein versucht, teilweise sogar echtes Interesse empfindet, ich, der mit mehreren Katholiken und "Protestanten" engere Freundschaften pflegt, ich, der sich eigentlich stets als guter Mensch begriffen hatte, fühlte mich schlecht und gottlos, fühlte mich wie auf der falschen Seite des Lebens befindlich, obgleich mein abendliches Ansinnen in nichts Üblerem bestanden hatte, als mich zu den Takten bekannter Lieder bewegen und mich mit befreundeten Wesen treffen und unterhalten zu wollen. Für einen Moment war ich voller Gram, zunächst dem Prediger, dann mir selbst gegenüber.
Ich verscheuchte meine Gedanken beim Besuch der oberen Tanzfläche, wo eher alternativen Gitarrenklängen und Synthetischem aus den 80ern der Vorzug gegeben wurde. Als ich zurückkehrte, war der Prediger verschwunden. Noch während ich die Menschenmenge nach ihm durchforstete, trat ein junger Mann an mich heran, reichte mir ein winziges 'Evangelium nach Johannes' und sagte:
"Gott segne dich."
Verwirrt murmelte ich einige Dankesworte und sah ihn in den schwarzen Massen verschwinden.
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morast - 3. Apr, 18:01 - Rubrik:
Wortwelten
Erstaunlicherweise stelle ich an jedem Abend das Gleiche fest, ohne mich von dieser keineswegs nützlichen Angewohnheit zu trennen (oder auch nur trennen zu wollen):
Wenn der 20.15-Film in den letzten Szenen liegt, meine Mitbewohner sich allmählich auf Bäder und Betten [in dieser Reihenfolge] hinzubewegen gedenken, bleibe ich noch wach, erkunde Innerwelten und ferne Gedanken, schließe meine Zimmertür und lasse die Zeit außen vor. Aus den verstaubten Lautsprecherboxen dümpeln ruhige Dunkelklänge und entreißen mich meiner Welt. Ohne es zu bemerken, lächle ich meiner Sehnsucht zu, begrüße sie wie einen alten Freund, forme wortlos unsagbare Gedichte, tanze reglos im Takt meines klanglosen Singsangs. Für einen Augenblick halte ich den Atem an, spüre die Ewigkeit meine Seele streifen, denke an dich, wer immer du sein magst.
Irgendwann erwache ich aus mir, um mich unter Decken zu verkriechen und in Traumwelten zu flüchten, suche ermattet den Schlaf wie ein Dürstender den Fluß, lasse mich treiben, um mich erneut zu verlieren. Ein letzter Blick gilt der Gefühllosigkeit meines Weckers, gilt der Zeit, die den Weg zu mir gefunden hat und mich strafend betrachtet.
Ich höre das Läuten, bevor es erklingt, erwache von der Ahnung, einen neuen Tag bewältigen zu müssen. Dem Kommenden ahnungslos ausgeliefert suche ich Schutz in körperwarmen Laken, in verblassenden Träumen, kämpfe kraftlos gegen Müdigkeit und Erwachen zugleich. Resignierend erhebe ich mich, schleppe meinen Leib unter lebendig brausendes Wasser, in knittrige Kleidungsstücke mit Waschmittelgeruch und schwöre feierlich mit triefender Zahnbürste, den kommenden Abend mit Schlaf, mit nichts anderem als Schlaf, zu befüllen.
Wenn der Tag dann schwächelnd hinter der Finsternis versinkt und meine Mitwelt die schweren Lider müde schließt, beginne ich jedoch erneut mit meiner Flucht aus dem Ausweglosen, mit meiner Suche nach dem Namenlosen, mit meiner Sehnsucht nach dem Unfindbaren, bis daß der Schlaf mich wieder fängt und mir selbst entführt...
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morast - 31. Mär, 18:00 - Rubrik:
Wortwelten
In letzter Zeit achte ich häufiger auf Automobilinnereien, insbesondere auf Rückspiegelbehängungen. Jedoch interessiert mich eigentlich kaum, mit welchem Sinnloskram sich Autofahrer das Sichtfeld beschränken, sondern ich suche nach Dingen, über die ich mich immer wieder aufregen kann: Traumfänger.
Vermutlich hat ein jeder von uns schon mal Blickkontakt zu einem Traumfänger gehabt: Ein hölzerner, kreisrunder Reifen aus Weide [oder holzimitierendem Kunststoff], der mit einer Art hauchdünnem Netz bespannt und dekorativ mit Perlen und Federn behängt ist. Traumfänger dienen indianischem Glauben zufolge dazu, böse Träume zu fangen. Über dem Nachtlager aufgehängt funktioniert der Traumfänger wie eine Art Filter und läßt nur die guten Träume durch seine Maschen schlüpfen. Dagegen ist nichts einzuwenden, nicht nur weil Traumfänger im Allgemeinen durchaus angenehm anzusehen sind. Auch die Funktionalität möchte ich den Traumfängern nicht absprechen.
Doch ich frage mich immer wieder, was Traumfänger an Automobilrückspiegeln zu suchen haben.
Ja, ich weiß, es gibt Menschen, denen zuweilen nichts anderes verbleibt, als in ihrem Gefährt zu nächtigen. Doch verweise ich darauf, daß ebenjene Bettlosen vermutlich die platzärmeren, unbequemen Vordersitze zugunsten der schlafoptimalen Rückbank verlassen werden, so daß also der Traumfänger besser im hinteren, nicht im vorderen Teil des Wagens aufgehängt werden sollte.
Aber meine Beobachtungen ergaben Eindeutiges: Traumfänger in Kraftfahrzeugen befinden sich nicht hinten, sondern stets am Rückspiegel, stets in unmittelbarem Sichtbereich des Fahrenden.
Dabei sollte doch allgemein bekannt sein, daß während der Autofahrt praktizierter Schlaf unangehme, gesundheitsvernichtende Eigenschaften besitzt, die zu erfahren sich die wenigsten wirklich wünschen werden. Was nützt ein Traumfänger, der die bösen Träume aussiebt und nur die guten durchläßt, wenn man während des Erwachens feststellt, daß der eigene Schlaf von nun an endlos währen wird?
Selbst der allerorts gefürchtete Sekundenschlaf wäre ohne Traumfänger weitaus weniger lebensbedrohlich, bestünde doch so noch die - zugegebenermaßen recht unwahrscheinliche - Möglichkeit, daß böseste Traumgestalten den Schlafenden schweißgebadet aufschrecken und erwachen ließen - und ihm dadurch das durch die Gegend fahrende Leben retten.
Ich bezweifle nicht, daß Traumfänger imstande sind, Albträume und deren unfreundlichen Gefährten vom Schlafenden fernzuhalten, doch hege starke Zweifel, ob sich auch entgegenkommende Autos und festinstallierte Bäume oder Leitplanken von diesem indianischen Konstrukt aufhalten lassen.
Was also nützt ein Traumfänger im Auto? Stellt er gar nur eine rein dekorative Maßnahme dar, welche die eigene Glaubensfähigkeit oder auch nur die eigene Pseudo-Massenunabhängigkeit wiederspiegeln und signalisieren soll? Sind Traumfänger schlichtweg "schön" genug, um "einfach so" hingehängt zu werden, ohne deren Bedeutungstiefen zu hinterfragen [Ähnlich jener keltischen, japanischen oder hawaiianischen Tattoos, die zwar irgendetwas heißen, aber allein durch ihr Aussehen das Privileg vermittelt bekommen, in die Haut gestochen zu werden.]? Oder wohnt ihm tatsächlich eine Funktion inne, die das Aufhängen dieses okkulten Gegenstands in einem modernen Fortbewegungsmittel rechtfertigt, eine Sinnhaftigkeit, die mir bisher verborgen blieb?
Ich weiß es nicht, doch dürstet es mich nach einer Antwort...
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morast - 31. Mär, 18:00 - Rubrik:
Wortwelten
Es gibt in meiner Familie nur wenige erwähnenswerte Traditionen. Diejenigen, die zu erwähnen ich gewillt wäre, sammeln sich um die weihnachtlichen Feiertage und betreffen vorwiegend Mahlzeiten und die Abfolge der Geschenkdarbietung. Zu Ostern jedoch gab es nie viel Standardisiertes, wenn man vom üblichen Eierverstecken und -finden [nach Möglichkeit im Garten der Großeltern] absieht.
Eines jedoch war jedes Jahr gleich: Wenn am Morgen des Ostersonntages alle vom fleißigen Langohrhoppeltier versteckten Eier und Süßigkeiten aufgefunden worden waren, verzog sich mein Vati stets in seinen Sessel, um fernzusehen.
Mein Vati war kein gläubiger Mann. Während seiner Entziehungskuren mit den Anonymen Alkoholikern und deren Sitten konfontiert hatte er nur ein müdes Lächeln für die penetrant häufige Erwähnung des Wortes "Gott" übrig. Die Kirche war in seinen Augen eine Institution, deren Inhalte höchst fragwürdig und zuweilen Grund zur Aufregung waren.
Und doch sah er sich jeden Ostersonntag die Ansprache des Papstes im Fernsehen an - in voller Länge, mit Tränen in den Augen.
Ich begriff das nie, doch schätzte ich die seltenen Augenblicke tiefer Regung, war oft selbst den Tränen nahe.
Vielleicht war er bewegt vom Anblick tiefster Gottesfurcht. Vielleicht fand er in diesen Minuten einen Weg, ein Loch in seienr Seele zu füllen. Vielleicht berührte ihn aber auch nur die Schönheit dessen, was er sah.
Ich weiß es nicht, werde es nie erfahren. Im Herbst letzten Jahres verstarb mein Vati.
Als ich heute las, der gesundheitliche Zustand des Papstes würde sich zunehmend verschlechtern, als ich von seinen vergeblichen Versuchen erfuhr, eine Osteransprache zu halten, wurde mir bewußt, daß in diesem Jahr niemand aus meiner Familie den Fernseher angeschaltet hatte, um sich die übliche Segnungszeremonie anzusehen.
Der Sessel blieb leer.
Und ein skurriler Gedanke fand mich und krallte sich in meinem Schädel fest:
Die Osteransprache des Papstes entfiel, weil mein Vati nicht zuschaute.
Sie entfiel, weil in seinem Sessel niemand saß, aus der Ferne der Zeremonie beiwohnte und Tränen für einen Gott vergoß, an den zu glauben er niemals zugegeben hatte..
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morast - 30. Mär, 17:59 - Rubrik:
Wortwelten
Ich sitze im "Spielehaus", einer alternativ gehaltenen Lokalität inmitten von Halle, und versuche mich auf das Spiel zu konzentrieren, das M und ich - einer unbedeutenden Tradition folgend - ausgewählt haben: 3D-Vier-Gewinnt.
Drei Personen, nur wenig jünger als wir, in unscheinbare Markenklamotten gekleidet, betreten die Kneipe, einen freien Tisch suchen. Ich sehe kurz auf, begegne den Blicken von Person 1, einem leicht angeheiterten Brillenträger, der uns eingehend mustert, sich zum Nebentisch begibt, ein paar Worte mit seinen Freunden wechselt und anschließend laut loslacht. Selten hörte ich ein derart gehässiges Lachen, eins, das bewußt mit immenser Lautstärke in den Raum geschleudert wurde, um sich die Aufmerksamkeit aller zu sichern.
Angewidert wende ich mich ab, schaue auf das Spielbrett.
"Dannnnn-zick."
Ich blicke erneut auf. Person 2 schaut mich an, hat gerade den Aufdruck meines Shirts vorgelesen. Für einen Moment stutze ich: 'Kennt er Danzig [eine erwähnenswert gute Metalband]?', doch sein Gesicht zeigt blanke Leere - kein Wiedererkennen, keine abwertende oder gar gutheißende Meinung über die Musikgruppe, womöglich noch nicht einmal die Kenntnis der gleichnamigen Stadt in Polen.
Ich beglückwünsche Person 2 zu seiner Fähigkeit, vorlesen zu können und ernte eine genuschelte Entgegnung, deren Inhalt mich nicht erreicht.
Meine Blicke finden das Spielbrett und vertiefen sich darin.
Die Barfrau, klein und stämmig, doch nicht um Worte verlegen, gesellt sich zu den drei Neuankömmlingen, will sie aus ihrer Lokalität entfernen. Sie haben Hausverbot. Ihre Aufforderung zum Gehen wird von den Dreien nicht ernst genommen, sie diskutieren, werden beleidigend, hinterfragen die Gründe, scherzen plump. Die Barfrau bleibt ruhig, erinnert an ihre letzte Anwesenheit, an die zerschmetterten Bierflaschen, an den begangenen Hausfriedensbruch, an das erteilte Hausverbot, droht mit Polizei.
Die Drei lachen abfällig, sonnen sich gar im unrühmlichen Glanze ihrer Untaten, bleiben reglos sitzen.
Die Barfrau geht.
Die Drei holen Bierflaschen aus dem Rucksack, öffnen sie, stellen sie demonstrativ auf den Tisch, schauen höhnisch zur Barfrau hinüber, die gerade in einem Stadtmagazin blättert. "So wird das aber nichts!", lachen sie.
Ein Vierter tritt hinzu, mit albernem Backenbart und ebensolcher Proll-Jogginghose. Schnell wird er von seinen Freunden über die Geschehnisse aufgeklärt. Er zuckt mit den Schultern, doch bevor er sich setzen kann, taucht die Barfrau wieder auf - flankiert von zwei Männern.
Der erste der beiden, muskulös, mit Pferdeschwanz, verschränkt die Arme vor der Brust, versucht vergeblich, bedrohlich auszusehen, wirft böse Blicke. Der zweite, groß, doch schlanker, kurzhaarig mit beginnender Kahlheit, spricht ein paar ruhige Worte.
Die Drei schauen, verstummen kurz. Der Vierte befindet sich bereits auf dem Rückzug. Die Verbleibenden erheben sich, langsam, wollen sich keine Blöße geben. Die Barfrau verschwindet samt ihrer Begleiter. Zögernd, in künstlicher, provozierender Gemütlichkeit ziehen die Drei sich an, finden ihre höhnischen Worte wieder, setzen sich gar noch einmal, stehen wieder auf - und gehen endgültig.
Ich wende mich wieder meinem Spiel zu - und verliere.
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morast - 29. Mär, 17:58 - Rubrik:
Wortwelten
Weil es mir heute wieder in Erinnerung gerufen wurde, mal was "Altes", vom 10. Juni 2004:
"Back To Nature | Where We Can Be | Faster, Harder, Wild And Free!"
Diesen wahrhaft tiefgründig-historischen Satz brüllten einst die drei (vermutlich maskulinen) Wesen einer von mir nicht wirklich geschätzten deutschen Pseudo-Techno-Combo, deren Werke man vermutlich nur instrumental und unplugged über sich ergehen lassen kann, zu einigermaßen erträglichen Klimperklängen des beliebten Miss-Marple-Schwarz-Weiß-Krimis "16 Uhr 50 ab Paddington" und bewiesen damit schon 1995, daß der Mensch den unkontrollierbaren Drang verspürt, sich Naturellem zu widmen.
Doch wohin soll ein Großstädter sich wenden, wenn der Drang ihn überwältigt, wohin soll sein Grün suchendes Auge blicken, wohin seine Waldboden-ersehnenden Füße laufen? In den Stadtpark, wo Stille längst zu den zur Neige gehenden Rohstoffen des Erdenrunds gezählt werden kann, weil nicht nur lärmende Kinder, nicht nur klackende Nordisch-Geher, nicht nur aufzupustende Heißluftballons und fernsteuerbare Minitrucks jeglichen Hauch von Idylle rauben, auf den Boden schmettern und mit inbrünstigem Haß darauf rumtrampeln, sondern wo auch jeder grüne Quadratmeter vom Plastikbunt gedankenlos "vergessener" Lebensmittelverpackungen, von flatternden Farben herrenlos durch die Gegend fliegender Einkaufstüten und den unappetitlichen Folgen der Einführung der Einweg-Windel besudelt und verseucht wurde? Sollte man gar wirklich, um dem Auge ein wenig Natur zu gönnen, kilometerweite Autobahnfahrten auf sich nehmen müssen und somit nicht nur die letzten Reste längst kultivierten Pflanzenwuchs mit schä(n)dlichen Autogasen zusätzlich zu belasten, sondern den eigentlichen Natur-Genuß um den allgemein üblichen An- und Abfahrtsstreß bereichern? Wohl kaum.
Meist bleibt dem in tristem Betongrau Wohnhaften nichts anderes übrig, als sich der wenigen Bäume zu erfreuen, welche von ABM-Kräften des städtischen Grünnflächenamtes unlängst entlang einzelner Straßen aufgestellt wurden, um den begehrenden Blicken zumindest ein wenig Abwechslung bieten zu können. Doch was muß ich erblicken, versuche ich mich diesen Mini-Oasen zu laben, deren Grundfläche durch die allgegenwärte Gehwegbepflasterung auf knapp drei Quadratmeter radikal begrenzt wurde? Gar Schreckliches!
Das Grünflächenamt gibt sich alle Mühe, das ohnehin stark behinderte Wachstum der Straßenpflanzen zusätzlich zu erschweren, indem alljährlich Äste und Zweige, ja ganze Baumstämme, die möglicherweise im Laufe ihres Wachstums in naher oder ferner Zukunft unter Umständen in einigermaßen absehbare Nähe eines Hauses oder eines Straßenschildes kommen könnten, brutal entfernt, abgesägt und zerschreddert werden. Überall sehe ich sie, die Verstümmler, wie sie den geplagten Pflanzen Körperteile abtrennen und diese herzlos in ihre Zerkleinerungsmaschine werfen. Und zu allem Überfluß werden die drei Quadratmeter, die dem Baum oder Strauch zum Leben gelassen wurden, dann noch mit den Überresten seines eigenen Leibes oder das seiner Artgenossen bestreut, mit niedergemetzelten Stücken noch existierender Gewächse. Wenn ich mich in eine Badewanne setzte, mit lauter Zeigefingern (darunter auch meine eigenen) oder auch nur mit literweise Menschenblut (darunter auch mein eigenes) gefüllt, würde ich als unheilbarer Psychopath gelten. Städtische Pflanzen werden jedoch zu derartigem Schicksal gezwungen. Grausam!
An Grausamkeit jedoch kaum zu überbieten ist der Anblick, den die bereits erwähnten drei Quadratmeter bieten, wenn Herbst und Winter alles wachsende Grün verschlungen haben und nur noch der blanke Boden übrigbleibt. Dieser, so stellt dann sich schnell heraus, ist gar nicht so blank. Vielmehr hatten die ganzen Monate über sämtliche Hunde aus der Nachbarschaft die Gelegenheit genutzt, mehrmals täglich den Baum und dessen minimierten Lebensraum mit ihren Stoffwechselendprodukten zu bepflastern, so daß vom eigentlichen Boden nicht mehr viel zu sehen ist, da dieser einer stinkenden Landschaft aus verwesenden Krümeln und Klößchen weichen mußte. Lecker! An dieser Stelle gilt mein Lob und Respekt zwei Personenverbänden: Zum einen den lokalen FDP-Vertetern, allen voran die wohl häßlichste Frau Magdeburgs, die sich gemeinschaftlich für mehr Hundekotbereinigungsmöglichkeiten einsetzen. Zum anderen preise ich die Grünflächenamtmitarbeiter, deren Aufgabe es ist, in jedem Frühling, mit Arbeitshandschuhen nur umzureichend geschützt, die besagten drei Quadratmeter von sprießendem Unkraut zu befreien...
Doch zurück zu angenehmeren und vor allem tiefsinnigeren Themen. Ich frage mich beispielsweise, ob es an Deutschlands Arbeitsmarktsituation oder einfach nur an der Wichtigkeit der maximalen Auslastung bereits erworbener Geräte liegt, daß die winzigen, in Städten verfügbaren Rasenflächen teilweise mehrmals wöchentlich mit überdimensional großen Gerätschaften und Maschinen bearbeitet werden müssen. Will man einfach nur dafür sorgen, daß die ABM-Kräfte etwas zu tun bekommen oder möchte man gar das bißchen Grün minimieren und somit sichergehen, daß selbiges frei von Leben und lebenden Bewohnern bleibt? Oder möchte man die möglicherweise langschläferisch veranlagten Anwohner durch ständigen Rasenmähermotorenlärm darauf hinweisen, daß hier gearbeitet wird, während man selbst noch in den Federn liegt und nichts für Deutschlands Wohlstand tut? Ich vermag es nicht zu erklären.
Ebensowenig erklärbar ist der im Herbst plakatierte Aufruf, man möge doch das von den Bäumen fallende Laub beseitigen, nicht um die bestehende Rutschgefahr zu vermindern, sondern um irgendwelchen 'gefährlichen' Käferwuchs zu reduzieren. Hallo? Daß Blätter im Herbst von Laubbäumen fallen, halte ich für durchaus natürlich. Wieso muß selbst das noch überwacht und optimiert werden? Wieso erfinden Menschen Geräte wie "Laubsauger" oder irgendwelche Pustedinger, die einem das Harken abnehmen, indem sie mittels bewegter Luft das trockene Laub vorantreiben? Ist das wirklich nötig?
Geplagt von derlei Gedanken, von der Vorstellung, versehentlich in drei Quadratmeter voller Hundekot zu stolpern, fliehe ich nun doch in den Stadtpark, suche mir ein einigermaßen müllfreies Plätzchen, hole die Cola aus dem Rucksack, reiße eine Tüte Chips auf, stöpsle mir die Kopfhörer meines mp3-Players in die Ohren und beobachte voller Wonne die plumpen Flugmanöver unzähliger Taubenschwärme.
Ich liebe die Natur!
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morast - 25. Mär, 17:57 - Rubrik:
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