Der Fotograf
Auf dem Hallenser Bahnhof hatte der Frühling Einzug gehalten. Überall grünte es: Polizisten hatten sich demonstrativ an strategisch bedeutsamen Positionen hingestellt und beobachteten gelangweilt ihre Umgebung. Hin und wieder gesellte sich etwas Blau hinzu: Der Bahnhofssicherheitsdienst oder ein paar redefreudige Schaffnerinnen.
Ich hatte meinen Zug verpaßt. Um zwei Minuten. Bis zum nächsten war noch Zeit. Gelassen orderte ich beim Fahrkartenautomat ein Ticket, beobachtete nebenbei die Polizisten. Diese schauten nur, bewegten sich kaum, wirkten präsent aber nicht bedrohlich.
'Was wollen die hier?', fragte ich mich. 'Findet heute irgendein bedeutsames Fußballspiel statt?'
Ich wußte es nicht, wagte auch nicht, einen der Grünuniformierten mit einer entsprechenden Frage zu belästigen. Schließlich bin ich kein Sensationstourist.
Der Buchladen hielt wenig Interessantes bereit. Ich verließ ihn schnell wieder, mich daran hindernd, Geld auszugeben, das ich nicht hatte. Die Polizisten standen noch immer an gleicher Stelle. Wie festgewachsen. Bewegten sich träge im Wind der Vorbeieilenden.
Ich suchte nach einer freien Bank, auf der ich mich plazieren und in mein Buch vertiefen könnte, fand keine. Überall saß schon jemand.
'Na gut.', dachte ich, 'Dann begebe ich eben schon auf den Bahnsteig, setze mich dort irgendwohin.'
Kaum hatte ich mich in Richtung des Bahnsteigs gewandt, sah ich in einem Café einen älteren Mann stehen. Keine wirklich gepflegte Erscheinung. Auf dem kleinen Tisch vor ihm dampfte ein Kaffebecher. Eine Schachtel Zigaretten und ein billiges Einwegfeuerzeug leisteten stumm Gesellschaft.
Ich wollte mich schon abwenden, als mein Blick auf den Barhocker fiel, neben dem der Mann Stellung bezogen hatte. Auf diesem, allerdings nicht auf der Sitz, sondern auf der Fußabstellfläche, lag eine Kamera, eine uralte Leica mit einem monströsen Objektiv. Dieses war allerdings mit zahllosen Aufklebern verunziert, was einerseits auf dessen Alter, andererseits auf die Geschmacklosigkeit des Besitzers hindeutete.
'Ein Fotograf?', dachte ich und sprach ihn an.
"Hallo. Ist hier denn irgendwas los?"
"Nee, nee, nur das Übliche."
Und dann begann sein Monolog. Er berichtete von Bahnhofssicherheitsvorkehrungen [zu denen regulär allerdings meiner Meinung nach kein derart immenses Polizeiaufkommen gehört], von Gepäckdiebstählen, von einer Methode, sich gegen Gepäckdiebstahl zu sichern, indem man einen alten Fahrradschlauch aufschlitzte, einen Draht darin einspannte und das Ganze zu einer Art Schlaufe formte. Er erzählte mir, wann und wo besonders viel geklaut wurde, wo die Leute am wenigsten aufpaßten, daß schon ganze Küchen und Wohnzimmer [Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß damit keine komplett eingerichteten Zimmer, sondern die in Pakete verpackten Möbelstücke gemeint waren.] abhanden gekommen seien. Und dann schweifte er ab, erzählte davon, daß man in solchen Fällen einen Fotografen brauchte, daß man sich an die Presse wenden möge, verwechselte Bahnhof mit Flughafen, erzählte, daß er sei 1977 "dabei" sei, ebenso wie seine Vorfahren, daß die Studenten ja heutzutage alle kein Geld hätten, weil sie 500 Euro bezahlen müßten. Er gab mir Tips, wie man zu Geld käme, redete von lukrativen Einkunftsmöglichkeiten mittels eines Quads oder gar im Polizeiorchester. 'Bei der Polizei und bei Militär. Da ist das Geld zu holen.', meinte er.
Aus seinem nikotingelben Bart quollen unzählige Worte hervor, trieben von einer Thematik zur nächsten, so daß ich Mühe hatte zu folgen. Ich nickte immer nur wieder, stimmte zu, ergänzte seine Standardfloskeln mit weiteren.
"Das ist halt so.", "Da kann man nichts machen.", "Naja...", "Tatsächlich...?"
Ich kam mir wie ein Lügner vor, begriff längst nicht mehr, was der alte Mann denn nun erzählte, wußte aber, daß ich keine Antwort auf meine Frage nach der enormen Polizistenanzahl auf dem Bahnhof erhalten würde.
Von einem Bahnsteig strömten Menschenmassen. Auffallend viele Gestalten, die ich politisch rechten Bereichen zuordnete, verweilten unter ihnen, begleitet von grüngewandeten Polizisten in bulligen Schutzwesten und Helmen.
'Tag der Beftreiung.', ging es mir durch den Kopf, 'NPD-Demo.'
Der alte Mann holte gerade Luft.
Ich warf einen Blick auf meine inexistente Uhr.
"Ich muß los.", log ich, "Mein Zug..."
Er nickte mir zu, verabschiedete mich mit einer kumpelhaften Geste und verschwand bald hinter dem Getümmel der Kahlköpfigen und Behelmten.
Ich hatte meinen Zug verpaßt. Um zwei Minuten. Bis zum nächsten war noch Zeit. Gelassen orderte ich beim Fahrkartenautomat ein Ticket, beobachtete nebenbei die Polizisten. Diese schauten nur, bewegten sich kaum, wirkten präsent aber nicht bedrohlich.
'Was wollen die hier?', fragte ich mich. 'Findet heute irgendein bedeutsames Fußballspiel statt?'
Ich wußte es nicht, wagte auch nicht, einen der Grünuniformierten mit einer entsprechenden Frage zu belästigen. Schließlich bin ich kein Sensationstourist.
Der Buchladen hielt wenig Interessantes bereit. Ich verließ ihn schnell wieder, mich daran hindernd, Geld auszugeben, das ich nicht hatte. Die Polizisten standen noch immer an gleicher Stelle. Wie festgewachsen. Bewegten sich träge im Wind der Vorbeieilenden.
Ich suchte nach einer freien Bank, auf der ich mich plazieren und in mein Buch vertiefen könnte, fand keine. Überall saß schon jemand.
'Na gut.', dachte ich, 'Dann begebe ich eben schon auf den Bahnsteig, setze mich dort irgendwohin.'
Kaum hatte ich mich in Richtung des Bahnsteigs gewandt, sah ich in einem Café einen älteren Mann stehen. Keine wirklich gepflegte Erscheinung. Auf dem kleinen Tisch vor ihm dampfte ein Kaffebecher. Eine Schachtel Zigaretten und ein billiges Einwegfeuerzeug leisteten stumm Gesellschaft.
Ich wollte mich schon abwenden, als mein Blick auf den Barhocker fiel, neben dem der Mann Stellung bezogen hatte. Auf diesem, allerdings nicht auf der Sitz, sondern auf der Fußabstellfläche, lag eine Kamera, eine uralte Leica mit einem monströsen Objektiv. Dieses war allerdings mit zahllosen Aufklebern verunziert, was einerseits auf dessen Alter, andererseits auf die Geschmacklosigkeit des Besitzers hindeutete.
'Ein Fotograf?', dachte ich und sprach ihn an.
"Hallo. Ist hier denn irgendwas los?"
"Nee, nee, nur das Übliche."
Und dann begann sein Monolog. Er berichtete von Bahnhofssicherheitsvorkehrungen [zu denen regulär allerdings meiner Meinung nach kein derart immenses Polizeiaufkommen gehört], von Gepäckdiebstählen, von einer Methode, sich gegen Gepäckdiebstahl zu sichern, indem man einen alten Fahrradschlauch aufschlitzte, einen Draht darin einspannte und das Ganze zu einer Art Schlaufe formte. Er erzählte mir, wann und wo besonders viel geklaut wurde, wo die Leute am wenigsten aufpaßten, daß schon ganze Küchen und Wohnzimmer [Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß damit keine komplett eingerichteten Zimmer, sondern die in Pakete verpackten Möbelstücke gemeint waren.] abhanden gekommen seien. Und dann schweifte er ab, erzählte davon, daß man in solchen Fällen einen Fotografen brauchte, daß man sich an die Presse wenden möge, verwechselte Bahnhof mit Flughafen, erzählte, daß er sei 1977 "dabei" sei, ebenso wie seine Vorfahren, daß die Studenten ja heutzutage alle kein Geld hätten, weil sie 500 Euro bezahlen müßten. Er gab mir Tips, wie man zu Geld käme, redete von lukrativen Einkunftsmöglichkeiten mittels eines Quads oder gar im Polizeiorchester. 'Bei der Polizei und bei Militär. Da ist das Geld zu holen.', meinte er.
Aus seinem nikotingelben Bart quollen unzählige Worte hervor, trieben von einer Thematik zur nächsten, so daß ich Mühe hatte zu folgen. Ich nickte immer nur wieder, stimmte zu, ergänzte seine Standardfloskeln mit weiteren.
"Das ist halt so.", "Da kann man nichts machen.", "Naja...", "Tatsächlich...?"
Ich kam mir wie ein Lügner vor, begriff längst nicht mehr, was der alte Mann denn nun erzählte, wußte aber, daß ich keine Antwort auf meine Frage nach der enormen Polizistenanzahl auf dem Bahnhof erhalten würde.
Von einem Bahnsteig strömten Menschenmassen. Auffallend viele Gestalten, die ich politisch rechten Bereichen zuordnete, verweilten unter ihnen, begleitet von grüngewandeten Polizisten in bulligen Schutzwesten und Helmen.
'Tag der Beftreiung.', ging es mir durch den Kopf, 'NPD-Demo.'
Der alte Mann holte gerade Luft.
Ich warf einen Blick auf meine inexistente Uhr.
"Ich muß los.", log ich, "Mein Zug..."
Er nickte mir zu, verabschiedete mich mit einer kumpelhaften Geste und verschwand bald hinter dem Getümmel der Kahlköpfigen und Behelmten.
morast - 9. Mai, 15:17 - Rubrik: Bahnbegegnungen
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