Dienstag, 5. Oktober 2010

Felix

"Felix.", sagte sich Felix zum dritten Mal innerhalb der letzten Stunde. "Felix kommt aus dem Lateinischen und heißt glücklich."

Felix hingegen kam aus Essen und war alles andere als glücklich. Nicht, weil er aus Essen kam. Essen war eine mittelmäßig hübsche Stadt, in der man sich ebenso wohl fühlen konnte wie in Magdeburg oder Tübingen. Und dass Essen ebenso wie Pforzheim und Darmstadt Ziel immer gleicher Wortwitzigkeiten war, störte ihn auch nicht. Eher im Gegenteil: Felix lachte gerne. Selbst wenn er den Witz schon kannte.

Im Augenblick jedoch fühlte er sich nicht so, als läge ein Lachen auf der Lauer. Und wenn, dann nur eines von denen, die galgenhumorige Traurigkeit mit sich herumschleppten, also besser im Verborgenen blieben.
Glücklich sollte er sein, nicht traurig. Er hieß schließlich schon so.

"Felix, altes Haus!", grüßte ihn Ludwig, der Indianer. Ludwig war kein Indianer, doch trug er stets einen prächtigen Federschmuck auf dem Kopf und verzichtete, sobald Sonne nur erahnbar war, auf Oberbekleidung.
"Hugh!", sagte Felix und merkte, wie sich sein Gemüt ein wenig aufhellte. Ludwig war in Ordnung. Er bezahlte nie, roch manchmal etwas streng, konsumierte zu viele Kräuter, deren Namen Felix nicht einmal aussprechen konnte - doch er war in Ordnung. Vielleicht steckte tatsächlich ein wenig Indianerblut in ihm; wer wusste es schon.

"Wie geht es dir?", fagte Ludwig, und zum ersten Mal begriff Felix, dass Ludwig zu den wenigen Menschen gehörte, die eine solche Frage stellten, weil sie an der Antwort interessiert waren - nicht daran, Konversation zu betreiben.
"Nicht so gut.", sagte Felix und hoffte, Ludwig möge nicht nach dem Grund dafür fragen. Es gab nicht einen Grund, es gab Hunderte. Doch allesamt waren sie winzig, unsinnig, fast albern, nicht bedeutsam genug, um den eigenen lateinischen Vornamen zu vernachlässigen.
Ludwig aber schwieg, nickte nur. Der USB-Stick an der Plastikkette um seinen sonnengegerbten Hals klapperte fröhlich.

"Was wir brauchen", verkündete er nach einer Weile mit wissender Miene, "ist eine Friedenpfeife."
Felix wunderte sich. Friedenspfeifen rauchte man doch, um Kriegsbeile zu begraben, Stämme zu einen und zukünftiges Blutvergießen zu verhindern. Was hatte das mit ihm, Felix, dem Unglücklichen, zu tun?
Und überhaupt: Er rauchte doch gar nicht. Weder Pfeife, noch Zigarette, noch Shisha. Gar nicht. Noch nie und niemals.
Ludwig nickte bedächtig, und der USB-Stick klapperte.
"Das Ritual will es so.", meinte er. Felix beschloss, nicht zu fragen. Ludwig war ein sonderbarer Kerl, und wenn man ihn twas fragte, wusste man anschließend weniger als zuvor.

Ludwig führte Felix an eine Fußgängerampel.
"Schließ die Augen. Atme sieben Mal flach und tausendmal tief. Bewege dich nicht."
Und als Felix ihn fragend anschaute, ergänzte er: "Das Ritual will es so."

Felix seufzte. Schloss die Augen. Atmete flach. Atmete tief. Die Ampel sprang auf Grün, er hörte Menschen an ihm vorübergehen, doch er bewegte sich nicht. Er zählte. Atmete. Zählte.
Gedanken fielen von ihm ab. Sorgen.
Das Ritual. Felix schmunzelte. Zählte weiter.

Tausend.
Felix öffnete die Augen. Ludwig grinste ihn an und hielt eine Trillerpfeife hoch.
"Die Friedenspfeife."
Felix begriff nicht. Öffnete den Mund, um zu fragen.
"Die ist für inneren Frieden. Den Seelenfrieden.", erklärte Ludwig, und sein Grinsen wurde noch breiter.

Felix zweifelte. Ludwig veralberte ihn doch. Dieser lächerliche Indianerimitator hatte ihn die ganze Zeit veralbert! Die schwarzen Wolken, die sein Gemüt vernebelt, ihn fast verlassen hatten, kehrten zurück. Felix, der Unglückliche, seufzte.
Ludwigs Miene wurde ernst. Er reichte Felix die Trillerpfeife.
"Blas hinein.", sagte er und sein Tonfall duldete keine Widerrede.
"Blas hinein. Das Ritual will es so."

Felix nahm die Trillerpfeife und bließ vorsichtig hinein. Ein leiser Ton entsprang, verkümmerte ihm Verkehrslärm.
Ludwig nickte auffordernd, und der USB-Stick an der Plastikkette um seinen Hals klapperte fröhlich.
"Das Ritual will es so.", sagte Felix und stieß so fest er konnte die gesamte Luft seiner Lungen in die winzige Pfeife.

Ein Trillern ertönte, laut und grell, schrill und gellend, Menschen drehten sich verwundert um, Ludwig hielt sich grinsend die von Federn umkränzten Ohren zu, und aus Felix Mund barsten Krach und Lärm, trillerten Ton und Töne zum Himmel empor, ließen sich von Wänden zerschmettern, von Bäumen aufsaugen, von rauschenden Autos übertönen.

Und dann war es vorbei.
Felix atmete ein, atmete aus, sah Ludwigs Federhaupt hinter der nächsten Straßenecke verschwinden - und war glücklich. "Danke.", rief er Ludwig hinterher und lachte.
Sorgsam verwahrte er die Friedenspfeife in seiner Tasche. 'Vielleicht brauche ich sie noch einmal.', dachte Felix der Glückliche und ging nach Hause.

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