Montag, 27. Juni 2011

Begegnungen 36: Igel

Es regnete, und ich hatte meinen Schirm vergessen. Ich spürte, wie mein Kopf Tropfen für Topfen mehr Nässe aufsaugte, wie wenig Widerstand meine keineswegs wetterfesten Klamotten boten und wie mein Schuhwerk das Durchlaufen der allmählich entstehenden Pfützen mit feucht-kaltem Durchweichen belohnten. Dennoch hatte ich gute Laune, lauschte vergnügt dem Plätschern der Tropfen und wäre am liebsten noch stundenlang durch die Gegend gelaufen, ohne ans Ziel zu gelangen.

Dann sah ich den Igel. Er hatte sich zu einer kleinen, dicken Stachelkugel zusammengerollt und schaute misstrauisch nach oben. Seine Nase zuckte unaufhörlich, als wolle sie jeden Regentropfen einzeln untersuchen. Ich hatte noch nicht viele Erfahrungen mit Igeln gemacht, doch er wirkte unglücklich.

"Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte ich deswegen.
"Mmmpf.", brummte der Igel und blickte mich mürrisch an.
"Äh... Kann ich dir helfen?"
"Mhmmhphf.", grummelte der Igel.
"Wie bitte?"
"Bitte geh mir aus der Sonne, hab ich gesagt.", seufzte der Igel.

Ich blickte nach oben. Dicke, finstergraue Wolkenberge bedeckten den Himmel und schütteten zentnerweise Wasser auf die Welt. Von der Sonne gab es keinerlei Spur, und wenn ich mich richtig entsann, hatte ich sie auch mehr als zweieinhalb Tage nicht mehr gesehen,

"Ich soll dir aus der Sonne gehen?", fragte ich daher den kleinen, dicken Igel.
"Mmh.", nickte dieser, sah mich wartend an und schwieg.

Noch einmal blickte ich nach oben. Wasserfallgleich stürzten mir Tropfen ins Gesicht, und ich konnte selbst mit viel Fantasie keinerlei Lichtschimmer an der grauen Wolkenwand über uns erkennen. Ich sah den Igel an, zuckte mit den Schultern und ging drei Schritte nach rechts. Mehr nicht.

"Gut so?". fragte ich zweifelnd, doch der Igel nickte. Ein Lächeln formte sich in seinem Gesicht, und sein Stachelkleid entspannte sich.
Und dann bemerkte auch ich es: Der Regen ließ nach, ließ immer weniger Tropfen vom Himmel fallen, bis schließlich auch das letzte Platsch verklungen war. Und über uns wuchs die Sonne hinter dem Grau empor, scheuchte es hinfort und schenkte der Welt wärmende Strahlen.

Der Igel grinste nun und schloss genießerisch die Augen. Dass ich mich verabschiedete, schien er gar nicht mehr zu hören.

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