Donnerstag, 14. April 2005

Braune Blätter

Mein Vermieter ist ein geiziges, arrogantes Arschloch.
Glücklicherweise verstehe ich mich mit ihm recht gut, nenne ihm beim Vornamen und benutze das vertrauliche "du". Ich glaube, darauf besteht er, will er doch jung und dynamisch wirken.

Tortzdem ist er geizig. Seitdem ich hier wohne, wird das Haus saniert. Zwei Bauarbeiter schuften Tag für Tag an einem fünfstöckigen Gebäude, daß drei offizielle und zwei inoffzielle Eingänge [Rechtsanwaltkanzlei, Brasserie] besitzt und zudem noch um einen Innenhof angeordnet ist. Zwar kann man ihnen nicht absprechen, allmählich voranzukommen, doch sind vier Hände bei einem Altbau dieser Größe zu keinen blitzschnellen Überleistungen imstande. Glücklicherweise machen zwei Leute auch wesentlich weniger Baulärm als zehn.

Warum nur zwei?, fragte ich einst. Ist billiger, vernahm ich. Toll.
Seine langjährige Freundin will er auch nicht heiraten. Nicht, weil er sie nicht mögen würde, sondern einzig und allein weil er dazu einen detaillierten Ehevertrag aufsetzen müßte - und ihr trotzdem unterstellte, sie liefe nach der Hochzeit einfach mit allem Hab und Gut davon.
Mittagessen gibt es zumeist in der Uni-Mensa. Schließlich ist er selbst noch irgendwo eingeschriebener Student. Und Mutti, der das Gebäude eigentlich gehört, kommt gleich mit. Zu Studentenpreisen natürlich.

Irgendwann soltle der Innenhof verschönert werden. Ein albernes Unterfangen, findet man doch dort ein wildes Chaos aus überquellenden Mülltonnen, wirr angeordneten Fahrrädern und Unmengen von Bauschutt. Doch ein paar Pflänzchen sollen ja Wunder bewirken können - vermutlich auch winzige Nadelbäumchen, die man normalerweise auf Friedhöfen pflanzt: Koniferen. Sechs Stück leistete er sich, ließ sie vom Hausmeister eingraben.
Zwei Tage später waren sie fort. Ich wunderte mich ein wenig. Doch nicht sehr, hatte ich doch längst aufgehört, nach den Beweggründen für derartiges zu fragen. Vermutlich war ihre Pflege zu kostenintensiv. Wasser ist ja auch nicht mehr so billig wie früher...

Doch ich irrte mich. Die sechs Koniferen gab es noch. Nur standen sie jetzt vor Hauseingang 1, dort, wo der Vermieter selbst tagtäglich ein- und auszugehen pflegte. In einem Anflug von Größenwahn war ihm wohl die Idee gekommen, das Gebäude nach außen hin dekorativer zu gestalten. Auf dem Innenhof sah niemand die teuren Pflänzchen. Doch draußen...

Die sechs Koniferen säumten den Weg zum Eingang. Drei links. Drei rechts. Sie sahen erbärmlich aus. Inmitten einer kahlen graubraunen Fläche standen sie und überlegten, ob es besser wäre zu wachsen oder einzugehen. Ich glaube, sie haben sich bis heute nicht entschieden.

Der Vermieter jedoch hatte sich entschieden. Nämlich für die Verschönerung des Außenbereichs. Weitere Pflanzen mußten her. Das Beet durfte nicht länger als Parkplatz mißbraucht werden.
Und tatsächlich: Wenige Tage später schmückten auch unseren Eingang divere Pflänzchen. Sie waren grün, soviel sei zu sagen. Vermutlich ein preiswertes Sonderangebot immergrüner unverwüstlicher Superpflanzen, noch widerstandfähiger als jede Kunstblume.

Es waren nicht viele. Sechs oder sieben. Jede einzelne von ihnen bildete den Mittelpunkt eines Kreises mit drei Metern Durchmesser, in dessen Inneren außer der einen keine weitere Pflanze stehen durfte. Das Beet wirkte leerer als zuvor.
Doch wie um allen Mietern zu beweisen, was für ein feiner Kerl er gewesen war, in welche Kosten er sich gestürzt hatte, als er die Pflanzen erwarb, waren alle Schilder an den einzelnen grünen Büscheln verblieben. Jeder Interessent konnte also nicht nur erfahren, wie das dekorative Element zu betiteln war, sondern auch, wie man es zu pflegen hatte. Ich wette, selbst die Preisschilder [natürlich die originalen, vor der Preissenkung] klebten auch auch noch dran, zeugten vom Großmut des Vermieters.

Jeden Tag, wenn ich heimkehre, betrachte ich nun unser Beet, sehe auf die spärliche Anzahl an Pflanzen herab und stelle fest, daß ihnen jeder dekorativer Effekt, jede Schönheit verlorengeht, so traurig und einsam, wie sie auf dem kargen Boden herumvegetieren.

Doch eine gute Sache hat dieser halbherzige Verschönerungsversuch. Nun, da es wärmer wird und die Pflänzchen um Wasser betteln, das ihnen aufgrund des angestiegenen Kaltwasserpreises verwehrt wird, entbehrt es nicht einer gewissen fesselnden Spannung, täglich den Pflanzen beim allmählichen Sterben zuzusehen.

Eine hat es schon geschafft; der Rest ist auf bestem Weg.
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Tasmanian - 4. Jul, 22:48

Du bist ein grausamer Sadist. Mensch geh die giessen!

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dat is gar nisch süß soll isch de ma was rischtisch...
free erdem (Gast) - 6. Jun, 16:40
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morast - 1. Feb, 21:10

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