89
Der gestrige Vormittag gehörte der 89.
Besser: Dem Jahr 1989. Schließlich versuchte ständig das bereits 16 Jahre Zurückliegende mit schwacher Stimme seine Existenz in meinem Kopf zu behaupten, mit diversen Zeichen auf sich aufmerksam zu machen. Was war 1989? Ja, sicherlich, die Wende. Doch ich war acht und wenig am politischen Geschehen interessiert.
1989 war ich in der zweiten Klasse und wechselte in die dritte. Das war ein enormer Einschnitt in meinem Dasein, hatte ich mich doch dazu entschlossen, eine Russischschule zu besuchen, in der ab der dritten Klasse Russisch gelehrt werden würde. Tatsächlich waren derartige Russischschüler damals etwas Besonderes, und ich war stolz darauf, die Schule wechseln zu dürfen.
Naja, der Wechsel war nicht immens; schließlich befand sich die Russischschule N.K. Krupskaja direkt neben meiner alten. Trotzdem kam ich in eine neue Klasse, kannte nur ein einziges Mädchen und konnte dieses noch nicht einmal sonderlich leiden.
Wesentlich bedeutsamer aber ist vielleicht das Ereignis am letzten bzw vorletzten Schultag der zweiten Klasse. Denn am Nachmittag des vorletzten Schultages war es endlich soweit, auch wenn ich nicht sagen konnte, davon begeistert gewesen zu sein: Ich sollte eine Brille bekommen.
Das klingt wenig bedeutsam, war es aber. Zum einen, weil ich an jenem vorletzten Tag die Brille, ein nicht unbedingt außergewöhnlich hübsches Modell, erhielt und verpflichtet war, sie ständig zu tragen. Also auch am nächsten Tag. Also auch vor meinen Noch-Mitschülern.
Mich ärgerte das ein bißchen. Hätte ich nicht noch einen Tag warten können? Meine Mitschüler hätten mich dann nur ohne Brille gekannt und keine Gelegenheit erhalten, sich über mich lustig zu machen. Und meine neuen Mitschüler an der neuen Schule würden gar nicht wissen, daß ich vorher keine Brille trug.
Aber so sollte es nicht sein. Ich ging zur Schule, war auf das Schlimmste gefaßt. Doch das kam nicht. Ein paar nette Bemerkungen; das wars. Die Zeugnisse wurden verteilt, und ich war nicht länger Schüler dieser Schule, nicht länger Bestandteil dieser Klasse.
Bedeutsam war das Brillenereignis auch aus einem anderen Grund: Bis heute trage ich eine Brille; meine Augen haben sich stetig verschlechtert (auch wenn sie in den letzten Jahren einigerma0en konstant schlecht blieben). Meine erste Handbewegung nach dem Aufwachen geht zur Brille. Ohne sie wäre alles schwammig und verwaschen. Ohne sie wäre ich blind. Ohne sie könnte ich problemlos headbangen. Ohne sie sähe ich nicht halb so intelligent aus.
Das war 1989.
Gestern, am Vormittag des 13. April 2005, wurde ich daran erinnert.
Es fing harmlos an. Ich las. "Herr Lehmann" von Sven Regener. Ein schönes Werk. Spielt im Jahr 1989. Plötzlich lauschte ich der zufällig ausgewählten Musik genauer: Janus. "Neunundachtzig". Ich wunderte mich. Und dann, als ich eine Überweisung tätigte, bestand die TAN aus einer Zahl, die gut und gerne ein Datum hätte sein können: 29.08.1989.
Was war an diesem Tag?, überlegte ich. Ich weiß es nicht, weiß es wirklich nicht.
Doch die Erinnerung an das Jahr, in dem ich meine Brille bekam, ließ mich nicht los.
Vielleicht sollte ich mal wieder zum Augenarzt gehen, dachte ich.
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Besser: Dem Jahr 1989. Schließlich versuchte ständig das bereits 16 Jahre Zurückliegende mit schwacher Stimme seine Existenz in meinem Kopf zu behaupten, mit diversen Zeichen auf sich aufmerksam zu machen. Was war 1989? Ja, sicherlich, die Wende. Doch ich war acht und wenig am politischen Geschehen interessiert.
1989 war ich in der zweiten Klasse und wechselte in die dritte. Das war ein enormer Einschnitt in meinem Dasein, hatte ich mich doch dazu entschlossen, eine Russischschule zu besuchen, in der ab der dritten Klasse Russisch gelehrt werden würde. Tatsächlich waren derartige Russischschüler damals etwas Besonderes, und ich war stolz darauf, die Schule wechseln zu dürfen.
Naja, der Wechsel war nicht immens; schließlich befand sich die Russischschule N.K. Krupskaja direkt neben meiner alten. Trotzdem kam ich in eine neue Klasse, kannte nur ein einziges Mädchen und konnte dieses noch nicht einmal sonderlich leiden.
Wesentlich bedeutsamer aber ist vielleicht das Ereignis am letzten bzw vorletzten Schultag der zweiten Klasse. Denn am Nachmittag des vorletzten Schultages war es endlich soweit, auch wenn ich nicht sagen konnte, davon begeistert gewesen zu sein: Ich sollte eine Brille bekommen.
Das klingt wenig bedeutsam, war es aber. Zum einen, weil ich an jenem vorletzten Tag die Brille, ein nicht unbedingt außergewöhnlich hübsches Modell, erhielt und verpflichtet war, sie ständig zu tragen. Also auch am nächsten Tag. Also auch vor meinen Noch-Mitschülern.
Mich ärgerte das ein bißchen. Hätte ich nicht noch einen Tag warten können? Meine Mitschüler hätten mich dann nur ohne Brille gekannt und keine Gelegenheit erhalten, sich über mich lustig zu machen. Und meine neuen Mitschüler an der neuen Schule würden gar nicht wissen, daß ich vorher keine Brille trug.
Aber so sollte es nicht sein. Ich ging zur Schule, war auf das Schlimmste gefaßt. Doch das kam nicht. Ein paar nette Bemerkungen; das wars. Die Zeugnisse wurden verteilt, und ich war nicht länger Schüler dieser Schule, nicht länger Bestandteil dieser Klasse.
Bedeutsam war das Brillenereignis auch aus einem anderen Grund: Bis heute trage ich eine Brille; meine Augen haben sich stetig verschlechtert (auch wenn sie in den letzten Jahren einigerma0en konstant schlecht blieben). Meine erste Handbewegung nach dem Aufwachen geht zur Brille. Ohne sie wäre alles schwammig und verwaschen. Ohne sie wäre ich blind. Ohne sie könnte ich problemlos headbangen. Ohne sie sähe ich nicht halb so intelligent aus.
Das war 1989.
Gestern, am Vormittag des 13. April 2005, wurde ich daran erinnert.
Es fing harmlos an. Ich las. "Herr Lehmann" von Sven Regener. Ein schönes Werk. Spielt im Jahr 1989. Plötzlich lauschte ich der zufällig ausgewählten Musik genauer: Janus. "Neunundachtzig". Ich wunderte mich. Und dann, als ich eine Überweisung tätigte, bestand die TAN aus einer Zahl, die gut und gerne ein Datum hätte sein können: 29.08.1989.
Was war an diesem Tag?, überlegte ich. Ich weiß es nicht, weiß es wirklich nicht.
Doch die Erinnerung an das Jahr, in dem ich meine Brille bekam, ließ mich nicht los.
Vielleicht sollte ich mal wieder zum Augenarzt gehen, dachte ich.
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morast - 14. Apr, 19:02 - Rubrik: Wortwelten
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