Begegnungen
"Quaaak.", hörte ich, kaum dass ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte.
"Quaaak?", fragte ich in die milde Frühlingsluft, doch niemand antwortete.
Ich sah mich um, zuckte dann mit den Schultern und ging weiter.
"Quaaak.", verahm ich erneut, und diesmal sah ich ihn. Ein paar Zentimeter abseits des Weges im taubedeckten Gras hockte ein klitzekleiner Frosch. Hätte ich ihn mir nicht kürzlich geschnitten, wäre mein Daumennagel größer gewesen als dieser kleine grüne Geselle.
"Hallo Frosch.", begrüßte ich ihn.
"Quaaak.", antwortete er, und ich verstand: Das war kein Frosch, sondern eine Kröte. Ein Krötchen, um genau zu sein.
"Quaaak.", ergänzte das Krötchen, und ich nickte schmunzelnd. Amphibien haben einen überraschend guten Sinn für Humor.
"Angeblich bringt es Glück, an einer Kröte zu lecken.", teilte ich dem Krötchen mit. "Darf ich?"
"Quaaak.", meinte das Krötchen, und ich hob es sanft aus dem Gras.
Vorsichtig berührte ich den grünen, gesprenkelten Rücken mit meiner Zungenspitze.
"Ich merke nichts.", sagte ich.
"Quaaak.", sagte das Krötchen.
"Du hast Recht.", antwortete ich und leckte nun richtig. Einmal. Zweimal. Dreimal.
"Ich merke noch immer nichts.", meinte ich. "Angeblich bringt es doch Glück, an einer Kröte zu lecken."
"Bringt es auch.", sagte das Krötchen glücklich. "Allerdings nur der Kröte."
Das Krötchen quaaakte noch einmal und hüpfte dann beschwingt davon.
morast - 2. Mai, 07:16 - Rubrik:
Begegnungen
Mitten auf dem Gehweg fand ich ein altes Damenrad. Ich hatte Mitleid und richtete es auf.
"Danke.", sagte das Fahrrad leise, als ich es an den Wegesrand schob.
Es quietschte unerträglich laut, und schmerzverzerrt verzog ich das Gesicht.
"Deswegen kann mich keiner leiden.", seufzte das Damenrad. "Weil ich so schrecklich quietsche."
Ich nickte.
"Du musst einfach nur mal richtig geschmiert werden.", schlug ich vor. "Dann klingst du wieder wie neu."
Das Damenrad schüttelte mit dem Lenker. Es quietschte.
"Ich möchte nicht geschmiert werden. Ich will damit nichts zu tun haben."
"Wieso?", fragte ich neugierig.
"Ich wurde schon einmal bestochen.", erklärte das Rad traurig. "Und danach hatte ich zwei platte Reifen."
"Oje.",meinte ich und streichelte sanft über den Fahrradsattel.
Die Vorderlampe flackerte vergnügt auf.
"Das gefällt dir wohl?", fragte ich, und streichelte das Fahrrad weiter. Am Rahmen, am Gepäckträger, am Lenker, an den Reifen. Dann an den Gelenken, an den Achsen, an der Fahrradkette. Und immer wieder, wenn ich mir sicher war, dass das Fahrrad nicht hinsah, träufelte ich bisschen Fahrradfett auf meine Streichelhand und verteilte es gleichmäßig an den nötigen Stellen.
Die Fahrradlampen leuchteten vor Vergnügen. Offensichtlich war das Damenrad lange nicht mehr gestreichelt worden.
"Ich muss jetzt weiter.", sagte ich nach einer Weile. "War schön, dich kennengelernt zu haben."
"Danke.", sagte das Damenrad und rollte mir verabschiedend ein paar Meter hinterher. Dass es nicht länger quietschte, bemerkte es erst später.
morast - 28. Apr, 07:25 - Rubrik:
Begegnungen
Unter einem Baum sah ich einen Schmetterling.
"Ein Schmetterling!", rief ich vergnügt, denn zu so früher Stunde hatte ich bisher noch keinen Schmetterling gesehen.
Der Schmetterling flatterte kurz mit klitzekleinen weißen Flügelchen und ließ sich dann elegant auf einem taubedeckten Grashalm nieder.
"Guten Morgen, lieber Schmetterling.", grüßte ich ihn fröhlich, und der Schmetterling antwortete. Seine Stimme war leise, sanft, wie ein Windhauch, und beinahe hätte ich sie überhört.
"Ich bin kein Schmetterling.", flüsterte der Schmetterling so lautlos, wie es wahrscheinlich nur Schmetterlinge, so flüsternd, dass selbst das Wippen des Grashalms mehr Geräusch zu machen schien.
"Du bist kein Schmetterling?", fragte ich, und der klitzekleine Schmetterling schüttelte sein winziges Köpfchen.
"'Schmettern' ist so ein hartes, unfreundliches Wort.", wisperte der Schmetterling, der keiner war."'Schmettern' klingt so gewaltvoll, so ... unpassend."
Ich blickte ihn verständnisvoll an.
"Ich mag Schmusen lieber als Schmettern.", erklärte das Flügelwesen mit zerbrechlicher Stimme.
Ich lächelte, als ich verstand
"Dann bist du ein Schmusling?" fragte ich.
Der Schmusling nickte und flatterte federleicht davon.
morast - 19. Apr, 07:38 - Rubrik:
Begegnungen
Von meiner Terrasse vernahm ich ein leises Seufzen. Neugierig schaute ich hinaus. Auf einem der beiden Liegestühle lag ein wurzelkleiner Fluffelpinguin und schnarchte honigleise.
"Huch.", entfuhr es mir.
"Huhu.", sagte der Fluffelpinguin, doch schnarchte weiter.
"Du schläfst ja.", sagte ich, zugegebenermaßen nicht unbedingt vor Intelligenz brillierend.
"Stimmt.", meinte der Fluffelpinguin, und wie er so dalag, verspürte ich den Wunsch, sein flauschiges Federfell zu berühren.
"Kein Problem.", sagte der Pinguin, der trotz geschlossener Augen mein Verlangen bemerkt hatte. "Wir Fluffelpinguine schlafen tief und fest."
"Und ihr redet im Schlaf.", stellte ich fest, während ich das Pinguinchen im Nacken kraulte und ihm einige herzerwärmende Gurrlaute entlockte.
"Stimmt.", sagte der Pinguin und gurrte noch ein wenig lauter.
So verblieben wir eine Weile, hockend und liegend, streichelnd und gurrend, schmunzelnd und schlafend.
"Ich wusste gar nicht, dass Fluffelpinguine reden können.", meinte ich ein paar Minuten später.
"Können wir auch nicht.", sagte der Pinguin und lächelte. "Nur im Schlaf."
"Ach so.", sagte ich und streichelte weiter.
morast - 16. Apr, 13:47 - Rubrik:
Begegnungen
Während ich über die Wiese lief, vernahm ich plötzlich ein Geräusch. "Quakquak", tönte es, leise und piepsig.
'Ein Frosch!', dachte ich 'Ein winziger Frosch!' und wollte bereits damit ebginnen, den winzigen Frosch zu suchen, auf dass ich ihn nicht versehentlich zertrete. Doch Frösche im gras zu finden, ist bekanntermaßen nahezu unmöglich; also gab ich auf, bevor ich überhaupt begonnen hatte.
"Quakquak.", hörte ich, und diesmal war ich mir sicher, dass es kein Frosch war. 'Eine Ente!', dachte ich, 'Ein winziges Entlein!' Begeistert begann ich zu suchen. Eine Ente konnte ja wohl nicht so schwer zu finden sein - es sei denn natürlich, sie war grün und fröschförmig.
Ich suchte. Suchte. Suche. Fand nichts.
"Quak.", vernahm ich plötzlich, direkt vor meinen Füßen, doch nirgends war eine Ente zu sehen.
Noch nicht einmal eine Feder sah ich. Nur eine winzige kleine Blume.
"Quak.", sagte die Blume leise. "Quakquak."
Ich beugte mich zu ihr hinab.
"Wieso quakst du denn?", fragte ich die Blume.
"Weil ich ein Gänseblümchen bin.", piepste die Blume.
"Ein Gänseblümchen?", fragte ich erstaunt, und das Blümchen wippte bestätigend mit ihrem weißen Blütenkopf.
"Aber du klingst eher wie eine Ente.", sagte ich vorsichtig, und das Gänseblümchen seufzte.
"Ich weiß.", sagte es. "Doch ich habe keine Ahnung, was für ein Geräusch eine Gans macht."
Ich dachte kurz nach.
"Ich weiß es auch nicht.", gab ich zu.
Das Gänseblümchen nickte traurig.
Wir schwiegen, und ich versuchte, mich daran zu erinnern, ws für Geräusche Gänse von sich gaben.
"Ich glaube", sagte ich nach einer Weile. "dass das Wichtigste an Gänsen nicht ihr Geschnatter ist."
Das Gänseblümchen horchte auf.
"Das Wichtigste an Gänsen ist, dass sie weiß, weich und äußerst hübsch sind."
Ich lächelte zum Blümchen hinab.
"Und DAS bist du.", sagte ich und ging weiter.
morast - 10. Apr, 18:01 - Rubrik:
Begegnungen
An der U-Bahn-Haltestelle traf ich auf einen Goldhamster. Er fror ein bisschen, also setzte ich ihn ihn unaufgefordert in meine Jackentasche. Er schaute zunächst verdutzt, doch als immer mehr Wärme durch sein weiches Fell drang, schloß er zufrieden die Augen. "Danke.", sagte er, und wenn Hamster lächeln könnten, hätte er es wohl getan.
"Gern geschehen.", sagte ich und beließ den kleinen Nager in seinem genussvollen Schweigen.
"Wie heißt du eigentlich?", fragte er mich nach einer Weile, und ich nannte ihm meinen Namen.
"Und du?"
Der Hamster sah mich empört an. "Das sieht man doch!"
"Peter?", fragte ich vorsichtig, doch der Hamster schüttelte mit dem Kopf.
"Sehe ich aus wie ein Peter?"
"Nein.", gab ich zu. "Eher wie ein Fridolin."
"Hihi.", kicherte der kleine Goldhamster. "Knapp daneben."
"Herrmann? Herrmann Hamster?"
"Nö."
"Gustav? Gustav Goldhämsterchen?"
"Nö."
"Joachim? Siegfried? Jens?"
"Nein, nein und nochmal nein.", antwortete der Hamster und kicherte erneut. "Du denkst in eine völlig falsche Richtung. ich bin nämlich ein Mädchen!"
"Also Fabian?"
"Richtig.", kicherte der Hamster, hüpfte aus meiner Jackentasche und lief in die U-Bahn.
morast - 7. Apr, 14:40 - Rubrik:
Begegnungen
Gerade, als ich die Stufen zur S-Bahn-Haltestelle hinuntergehen, entdeckte ich eine Narzisse. Es war eine kleine Narzisse, nicht kümmerlich, nur in Anbetracht der winterlichen Temperaturen noch nicht zu voller Pracht entfaltet.
"Wie schön.", rief ich aus, denn das trübe, allesverschlingende Grau, das diese Jahreszeit mit sich herumträgt, mochte ich schon seit Tagen nicht mehr.
"Eine Narzisse!", rief ich aus und bewunderte das liebliche Grün des Stengels und das erwachende Gelb der noch verschlossenen Blüte.
Der Blütenkopf regte sich.
"Ich bin keine Narzisse!", sagte die Narzisse, und ihre Stimme klang hell und fast süßlich.
"Nicht?", fragte ich, zugegebenermaßen nicht sehr eloquent, und beugte mich zum dem kleinen Pflänzchen herunter.
"Nein. Ich bin keine Narzisse.", sagte die Narzisse, die behauptete, keine zu sein.
"Aber du siehst so aus.", entgegnete ich, meine mangelhaften floralen Kenntnisse zusammenkratzend.
"Mag sein.", antwortete die Blume. "Doch Narziss war jene Sagengestalt, die sich beim Blick in einen Teich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Damit möchte ich nichts zu tun haben."
"Aber was bist du dann?", fragte ich die Narzisse, die sich weigerte, eine zu sein.
"Eine Osterglocke."
"Sind Osterglocken nicht einfach nur gelbe Narzissen?", fragte ich.
Die Pflanze schwieg.
"Ich bin eine Osterglocke.", wiederholte sie dann, und hätte sie Füße besessen, so hätte sie vermutlich trotzig auf den Boden gestampft.
"Aber Ostern ist doch erst in fünf Wochen!", meinte ich.
"Trotzdem.", sagte sie und verschränkte die beiden zarten Blätter.
"Gut.", gab ich nach. "Du bist eine Osterglocke."
Die Narzisse, die eine Osterglocke war, nickte, und plötzlich vernahm ich ein leises Klingeln, wie von winzigen Glöckchen, die sanft und zärtlich den Frühling einläuteten.
"Du bist tatsächlich eine Osterglocke!", rief ich erstaunt, und die Osterglocke nickte wieder, klingelte wieder.
"Wie schön!", freute ich mich, und ging lächelnd davon.
morast - 2. Apr, 17:19 - Rubrik:
Begegnungen
Kaum hatte ich heute früh das Haus verlassen, gesellte sich ein Pinguin zu mir. Er war kleiner als jeder andere Pinguin, dem ich je begegnet war, und wirkte ein wenig unglücklich. Ich entdeckte ihn erst, nachdem er ein paar Schritte neben mir hergetappelt war - nicht nur aufgrund seiner geringen Größe, sondern auch, weil ein Taschentuch mein Blickfeld einschränkte. Seit anderthalb Tagen plagte mich nun ein widerlicher Schnupfen und ließ meinen Zellstoffverbrauch ins Unermessiche steigen.
Ich nieste.
"Gesundheit.", piepste der Pinguin, und ich schaute verwundert nach unten.
"Danke.", sagte ich.
"Keine Ursache.", meinte er, und ich stellte fest, dass die vermutlich der höflichste Pinguin war, der mir je begegnet war.
Wir liefen weiter, und plötzlich entdeckte ich am Wegesrand zwei Krokusse, die gerade damit begannen, ihre schlanke Blüte zu entfalten.
"Schau.", sagte ich begeistert zu dem kleinen, höflichen Pinguin. "Die ersten Frühblüher! Ist das nicht wunderschön?"
Der Pinguin seufzte, und ich nieste erneut.
"Gesundheit.", piepste der Pinguin, und ich bedankte mich.
Ein paar Meter weiter sah ich noch mehr Krokusse.
"Noch mehr Krokusse!", rief ich vergnügt, und diesmal seufzte der kleine, höfliche Pinguin laut genug, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte.
"Was ist denn los?", fragte ich und nieste.
"Gesundheit." sagte er, und ich bedankte mich.
"Die Welt...", begann der Pinguin und zögerte.
"Die Welt?", hakte ich nach.
"Die Welt, sie ändert sich.", sagte der kleine, höfliche Pinguin.
"Noch ist es eisig kalt, und vor den Mündern der Menschen formen sich wunderschöne Atemwolken. Der Winter zaubert rote Wangen in die Gesichter und Wollmützen auf die Köpfe. Reif färbt Wiesen weiß, und hin und wieder rieseln weicheste Flöckchen vom Himmel. Ich fühle mich wohl."
Der Pinguin lächelte, und zum ersten Mal fiel mir auf, wie traurig der Pinguin bis vor wenige Augenblicke noch ausgesehen hatte.
Ich nieste, doch der kleine, höfliche Pinguin war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um seiner Höflichkeit Ausdruck zu verleihen. Ich bedankte mich trotzdem, wusste ich doch, dass das Schnabeltierchen mir
normalerweise Gesundheit gewünscht hätte.
"Ich liebe den Winter.", lächelte der Pinguin. "Ich liebe die Kälte, mag es, wenn Winde pfeifen und mein Federkleid nicht durchdringen können. Ich liebe arktisch kaltes Wasser, das meinen Körper umspült, mag sogar die grauen Wolken am Firmament. Ich liebe den Winter."
Ich nieste, wartete kurz und bedankte mich.
"Doch der Winter geht.", fuhr der kleine, höfliche Pinguin fort und eine Sorgenfalte erschien auf seinem Gesichtchen. "Die Welt wandelt sich. Frühblüher erwachen, die Sonne lässt Schals und Handschuhe verschwinden. Es wird warm."
Ich hustete kurz, und freute mich über die Abwechslung.
Der kleine, höfliche Pinguin sah zu mir auf, und wieder hatte sich Traurigkeit in sein Antlitz geschlichen. Ich hätte ihn am liebtsen
umarmt.
"Ich liebe Kälte und alles, was mir ihr zu tun hat.", sagte der
Pinguin leise und verstummte dann. Ich glaubte, eine Träne in seinem Äuglein glitzern zu sehen, doch musste niesen.
"Gesundheit.", sagte der Pinguin, und ich bedankte mich artig.
Wir gingen noch ein Stückchen weiter, passierten einige Schneeglöcken und schwiegen.
"Du kannst meinen Kühlschrank besuchen, so oft du willst.", bot ich dem kleinen, höflichen Pinguin an.
Er blieb stehen.
"Ich liebe Kälte, und alles, was mit ihr zu tun hat.", sagte er. "Vor allem Kühlschränke." Ich nieste.
"Gesundheit.", sagte er, doch anstatt ihm zu danken, hob ich ihn hoch, drückte ihn herzlich und bedeckte sein Gesicht mit zahlreichen Küssen. Sogar auf den Schnabel küsste ich ihn, auch wenn ihm das nicht wirklich behagte.
"Wenn wir Glück haben", sagte ich, nachdem ich ihn wieder abgestellt hatte "Wenn wir Glück haben, bekommst du jetzt meine Erkältung. So bleibt der Winter länger bei dir."
Der kleine, höfliche Pinguin schaute mich an, und langsam wich die Traurigkeit aus seinem Gesicht.
"Ich muss jetzt los.", verabschiedete ich mich. "Viel Glück mit der Erkältung."
Ich ging davon, und zahlreiche Frühblüher säumten meinen Weg.
Der Pinguin blieb zurück, lächelte vorsichtig und winkte mir nach.
"Ich liebe Kälte, und alles, was mit ihr zu tun hat.", sagte er glücklich und nieste.
morast - 29. Mär, 22:16 - Rubrik:
Begegnungen
Mitten im Park stieß ich auf einen kleinen Pinguin. Die Enten quakten, erste Amseln tirillierten eine fröhliche Morgenmelodie, und aus meinem Mund dampften kleine Wolken warmer Luft, als das kleine Kerlchen plötzlich vor mir stand.
"Ein Kaiserpinguin!", rief ich erfreut, denn ich hatte genug Tiersendungen gesehen, um einen Kaiserpinguin erkennen zu können, wenn mir einer im Park begegnete.
Der Kaiserpinguin sah auf, sah mich an - und schüttelte mit dem Kopf.
"Kein Kaiserpinguin?", fragte ich.
"Kein Kaiserpinguin.", bestätigte der Kaiserpinguin, der keiner war, leise.
Er hätte am liebsten geseufzt, doch bekanntlich können Pinguine nicht seufzen. Also seufzte ich für ihn.
"Mit der Monarchie ist es vorbei. Wir leben in einer Demokratie.", erklärte der Pinguin traurig, und setzte sich auf eine Parkbank. Er sah recht verloren aus, der kleine Pinguin auf der riesigen hölzernen Bank, also setzte ich mich zu ihm.
"Es gibt keine Kaiser mehr."
Er machte eine kleine Pause, und ich nutzte die Gelegenheit, noch einmal zu seufzen.
"Ich könnte maximal ein Kanzlerpinguin sein. Oder ein Präsidialpinguin.", sagte der Pinguin, und seine hübsche Krone wippte ein wenig hin und her.
"Oder Innenministerpinguin.", ergänzte ich, und der Pinguin nickte.
In der Ferne sah ich meine Bahn davonfahren, aber mir war es egal.
"Was bist du denn nun für ein Pinguin?", fragte ich den kleinen Vogel und widerstand der Versuchung, ihn zu streicheln.
"Ein Abgeordnetenpinguin.", meinte der Pinguin und ergänzte. "Allerdings kein echter."
"Kein echter?"
"Mich hat niemand gewählt.", sagte der Pinguin, und ich seufzte ein drittes Mal.
So saßen wir nebeneinander im Park, und allmählich begann ich zu frieren.
"Vielleicht hilft dir das ja.", sagte ich nach einer Weile und holte einen Ponguin aus meinem Rucksack.
"Ein Ponguin!", rief der Pinguin erfreut.
Ich nickte.
"Ich muss jetzt gehen.", sagte ich und stand auf. "Mach's gut."
ich lief zur Haltestelle, und als ich nach ein paar Minuten zum Park zurückblickte, sah ich Pinguin und Ponguin fröhlich Tischtennis spielen.
'Immerhin.', dachte ich und stieg in die Bahn.
morast - 28. Mär, 23:06 - Rubrik:
Begegnungen
Ich summte gerade ein heiteres Zwölftonmusikstück vor mich hin, als plötzlich Richard vor mir stand. Ich hatte Richard seit mindestens sechsdreiviertel Jahren nicht mehr gesehen, und mir kam es so vor, als sei er, der mich ohnehin immer um anderthalb Kopfhöhen überragt hatte, in der Zwischenzeit noch um einiges gewachsen.
"Richard!", rief ich erfreut zu ihm hinauf, "Was machst du denn hier?"
"Ich gehe zur Musikschule.", meinte er.
"Zur Musikschule?", wunderte ich mich. Richard war immer einer von denen gewesen, die Rhythmus für etwas Freiwilliges hielten, an dem man also nicht unbedingt teilnehmen musste. Richard tanzen zu sehen, ähnelte dem Anblick einer betrunkenen Giraffe beim Sackhüpfen - jedoch mit weniger Eleganz.
"Zur Musikschule.", bestätigte Richard, und soweit ich es von unten erkennen konnte, schien er dabei auch ein wenig bestätigend zu nicken.
"Was für ein Instrument lernst du denn?", fragte ich, doch Richard schüttelte mit dem Kopf. Sein zotteliges Haar wirbelte ihm vergnügt um die Wangen.
"Kein Instrument. Ich lerne Gesang."
"Im Chor?"
"Nein, Sologesang. Eigentlich lerne ich nur einen einzigen Ton."
"Das ist nicht sehr viel.", meinte ich vorsichtig.
"Es reicht aus.", antwortete Richard, und ich glaubte, ein Schmunzeln auf seinen bartumkränzten Lippen erkennen zu können.
"Äh... wofür denn?"
"Um Glas zerspringen zu lassen."
"Bitte?", fragte ich verdutzt.
"Um Glas zerspringen zu lassen.", wiederholte Richard. "Ich lerne, mit meiner eigenen Stimme Glas zum Bersten zu bringen."
"Warum sollte man so etwas wollen?"
"Um Frauen zu beeindrucken.", meinte Richard und schaute verlegen zu Boden. Also mehr oder minder zu mir.
"Ach so.", meinte ich, und eine unbehagliche Stille schwebte zwischen uns.
"Und?", fragte ich nach einer Weile. "Klappt es?"
"Noch nicht."
"Noch nicht? Nicht mal sei ein bisschen?"
"Nein.", sagte Richard. "Bisher kann ich nur Holz zersplittern lassen."
"Krass.", sagte ich.
"Jup.", meinte Richard.
Wieder klebte Schweigen zwischen uns, und fast schien es mir, als legte es Richard auf einen Wettbewerb an. Wer von uns würde die Unbehaglichkeit der Stille länger aushalten?
Ich war der Klügere, und nach einer Weile gab ich nach.
"Nun gut.", sagte ich, entschuldigend lächelnd, "Ich muss jetzt los. War schön, dich getroffen zu haben, Richard."
Richard nickte, und ich verabschiedete mich:
"Tschüß."
"Tschüüüüß.", antwortete Richard fast flötend, und ein unangenehmer Ton mischte sich unter den Umlaut.
Neben mir knackten die Bäume und Büsche bedrohlich.
Ich begann zu rennen.
PS:
Mit passierte nichts. Nur meine Zahnstochersammlung, die ich bekanntlich mit mir herumtrage, litt ein wenig.
morast - 17. Mär, 06:59 - Rubrik:
Begegnungen