Wortwelten

Freitag, 11. Juli 2008

Toll! Patsch!

Ich bin ein Tollpatsch. Das war schon immer so, zumindest soweit ich mich zurückerinnern kann. Mittlerweile bin ich alt genug, um nicht bei jedem Missgeschick, das mir geschieht, in Flüche und Verzweiflungstaten zu fliehen. In den meisten Fällen versuche ich einfach, den Schaden zu begrenzen und alle unangenehmen Folgen so rasch wie möglich zu beseitigen. Ansonsten bleibt mir nicht viel mehr übrig, als hinzunehmen, was geschah.

Die Mensa ist ein Ort voller Fallen. Ich brauche nur kurz unaufmerksam zu sein - und das bin ich durchaus häufig -, und schon habe ich mein Tablett samt Inhalt über irgendeinen, im Weg stehenden Tisch geworfen. Dass dabei das Glas zerschellt und Scherben das Essen fremder Personen entwerten, tut dann auch nichts mehr zur Sache. Wenn es in der Mensa scheppert, schauen sich meine Freunde zunächst um, wo ich bin.

Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich mein gefülltes Colaglas oder die offene Flasche mit einer heftigen Handbewegung umwarf oder vom Tisch fegte, wie oft ich aufsprang und zur Kasse rannte, dorthin, wo sich die Servietten stapelten, mit denen ich anschließend gröbsten Unrat beseitigte. Hin und wieder gelang es mir auch, mein Tablett ungünstig in Kassennähe zu positionieren und selbiges, noch bevor ich das Essen bezahlt hatte, inmitten unzähliger Wartender auf mir und dem gefliesten Boden zu verteilen.

Der Schaden an mir stört mich nicht, und selbst das Organisieren eines Lappens und das anschließende Säubern würde mich nicht stören, wären die Mensafrauen nicht mit unendlicher Freundlichkeit bestückt und fest entschlossen, mir alle Reinigungsarbeiten abzunehmen. Dann erst beginne ich mich zu schämen - nicht aufgrund meiner Idiotie, sondern weil ich den Frauen zusätzliche Mühen bereite.

Schwierig ist es auch zu trinken. Denn in einer Mensa laufen kontinuierlich unzählige Menschen hin und her, stehen auf, setzen sich, begegnen einander, grüßen usw. Es gibt immer etwas zu entdecken, und ich bin äußerst neugierig. So geschah es schön häufiger, dass ich einen Schluck erfrischenden Getränks zu mir neben wollte, es aber an Konzentration mangeln ließ - und dadurch den Mund verfehlte. Ein Schwall Sprudelwasser schwappte auf meine Kleidung, und zum wiederholten Male war ich froh, üblicherweise Schwarz zu tragen und derartige Flecken weitestgehend ignorieren zu können.

Eine Zeitlang ging ich dazu über, mich beim Speisen in Wandnähe und derart zu positionieren, dass mein Blickfeld möglichst eingeschränkt ist. Doch es half wenig, denn sobald ich einen interessanten Laut zu hören glaubte, drehte ich mich doch wieder um. Selbst die am eigenen Tisch stattfindenden Gespräche reichten nicht aus, um meine Blicke und deren akustisches Äquivalent schweifen zu lassen. Und - schwupps - landete ein Teil der im Glas befindlichen Cola auf meinem Teller.

Solange es nur ein Schluck ist, nur eine kleine Menge, die in meinem Essen oder irgendwo landet, kann ich damit umgehen. Ich ignoriere alles, was ich nicht beseitigen kann, und wenn das Essen eine süßliche Note bekommt, schadet ihm das auch nicht. Schwierig wird es jedoch, wenn der Schaden größere Ausmaße annimmt.

So geschah es heute, dass ich zu trinken beabsichtigte. Tatsächlich war ich konzentriert genug, um beim ersten Schluck den Mund zu treffen. Doch plötzlich erwies sich das Glas als unhaltbar. Das Kondenswasser, das sich an der Ausßenseite gebildet hatte, ließ meine Finger abgleiten; ich packte fester zu, doch es war bereits zu spät. Das Glas rutschte mir aus den Fingern und stürzte auf den Tisch. Ich hielt es noch fest, bevor es sich dem Boden nähern konnte, doch der gesamte Inhalt hatte sich schon über die Tischpallte ergossen.

"Fuck!", dachte ich und stürmte zum altbekannten Serviettenspender. Eine, zwei, drei, zehn. Das müsste reichen. Insbesondere weil ich bereits von anderen komisch angesehen wurde. Ich sprintete zurück zum Tisch und fing an, die verschüttete Cola aufzuwischen. Die Servietten saugten gut, doch rasch war festzustellen, dass es nicht genug sein würden. Also versuchte ich, mich auf das Gröbste zu beschränken, und setzte dann meine Mahlzeit fort. Und obgleich mein Tablett unter Cola gesetzt worden war, hatte doch das Essen selber keinen Schaden genommen. Fein.

Ich aß, und bei jedem Bissen, den ich tat, bei jedem Schluck, den ich trank, achtete ich darauf, es richtig zu machen. Mein Tisch sah widerlich aus, doch für den Augenblick war das in Ordnung. Und wenn die Mensa in wenigen Minuten ihre Pforten schloss, würden ohnehin alle Tische gründlich bereinigt werden.

Unter dem Tablett kam die Cola hervorgekrochen und benetzte meinen Arm. Ich griff mir die letzten zwei verbliebenen Servietten und versuchte, den sich in meine Richtung ergießenden Bach zu stoppen, ihn mit einem saugfähigen Papierdamm zumindest solange aufzuhalten, bis ich meine Mahlzeit beendet hatte. Ich beeilte mich.

Als ich fertig war, sowohl Haupt- als auch Neben- und Nachspeise verzehrt und die Cola auzsgetrunken hatte, packte ich zusammen. Mit den Fingerspitzen griff ich den matschigen Serviettenklumpen und beförderte ihn auf den Teller. Mit einem Schnalzen löste sich das Tablett vom Tisch, und ich trug es zum Abgabefließband. Ein Blick zurück offenbarte mir Chaos: Der Tisch war nicht wiederzukennen, bedeckt von verschmierten Colalachen und klebrig-feuchten Papierfetzen.

Ich seufzte schamvoll und begab mich langsam zum Ausgang.

Samstag, 28. Juni 2008

The Order of the Books

Ich besitze insgesamt drei Regale, in denen ich Bücher aufbewahre, und ursprünglich hatte jedes von ihnen eine eigene Bedeutung. Regal 1 stammt von Ikea, ein simples Gorm-Regal, auf das die Blicke fallen, sobald man mein Zimmer betritt. Hier befinden sich Bücher, die ich besonders mag, Bücher, die ich immer wieder lese. Sie sind nach Autoren geordnet, was jedoch nicht heißt, dass irgendein alphabetischer Algorithmus eine Rolle spielt, sondern nur, dass Werke desselben Autors nebeneinander Platz finden. Da ich von einigen durchaus viele Werke besitze, ist es natürlich auch eine gewisse Eitelkeit, die mich dazu bringt, die Bücher am, Zimmereingang zu präsentieren. Nebeneinander aufgereiht bilden sie einen durchaus beeindruckenden Anblick.

Ich hatte anfangs versucht, die einzelnen Etagen thematisch zu sortieren, doch weil immer weniger Platz zur Verfügung stand, vermischten sich die Kategorien. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass mich das sonderlich stört.

Da das Gorm-Regal beidseitig befüllbar ist, existieren auch auf der Rückseite Bücher, ebenfalls nach Autoren sortiert, doch ansonsten keiner weiteren Struktur unterworfen. Hier finden sich zumeist meine Neuanschaffungen, die ich, nachdem ich sie durchlas, erst einmal dorthin positionierte, wo es noch ein wenig freien Platz gab.

In der – vom Eingang aus gesehen – linken Zimmerecke steht Regal Nummer 2. Dieses befasst sich vornehmlich mit Fantasy und Science-Fiction, und ich finde es amüsant zu bemerken, dass es noch ein weiteres Ordnungskriterium gibt: Von oben nach unten nimmt die Beliebtheit der Bücher ab. Nicht kontinuierlich – zwischendurch befinden sich immer Ausreißer, die eher in Richtung des oberen oder unteren Endes der momentanen Gutfindskala einzuordnen sind -, doch allein, dass meine Lieblingsfantasyreihe an oberster Stelle steht und sich weit unten Werke befinden, dir mir einst geschenkt wurden, obgleich ich nie etwas mit ihnen anfangen konnte, ist Beweis genug. Dass ich unter der letzten Bücherreihe noch unzählige Comichefte lagere, beinhaltet jedoch keinerlei Wertung.

Das dritte Regal ist klein und hängt über meinem Bett. Hier stehen vorwiegend Comicbücher. Und weil einige der Comics sich auch jüngeren Lesern zuwenden, findet man in dem kleinen, durchaus unansehnlichen Regal auch Bücher für Kinder und Jugendliche. Nicht viele, aber ein paar. Warum Kafka und Hesse ebenfalls dort anzutreffen sind, vermag ich aber nicht zu sagen.

Freitag, 27. Juni 2008

Drängelei

Ich lehnte mein Rad an die Hauswand, ließ das Schloß ein sanftes "Klick" von sich geben und klingelte. Nicht, dass ich häufig Ärzte besuchen würde, doch eine Praxis, bei der die Haustür bereits verschlossen war und per Gegensprech geöffnet werden musste, war mir bisher begegnet. Niemand reagierte. Sicherlich, ich hatte zaghaft geklingelt, kurz nur, als wäre die versperrte Haustür ein Versehen gewesen, das zu entschuldigen ich gerne bereit war. Vielleicht war aber auch mein Klingeln nicht gehört worden. Wer wusste denn, mit welcher Hörbarkeit der Klingelton im Inneren der Praxis ertönte? Allzu penetrant durfte er schließlich nicht sein; die Patienten könnten das übelnehmen. Vielleicht hatte die Ärztin aber auch Urlaub, und niemand war anwesend. So etwas passierte, und mich hätte es nicht sonderlich überrascht.

Neugierig trat ich einen Schritt zurück, versuchte, irgendeinen Hinweis auf Urlaub zu entdecken. Doch ich fand nichts. Ich klingelte ein zweites Mal, diesmal länger, kräftiger, und trat erneut zurück. Vielleicht hing ja im Fenster ein kleines Schild. Oder irgendwo klebte ein Aufkleber "Urlaub vom ümpften Juni bis zum blorksten Juli." Nichts.

Die Tür brummte. Mein Klingeln war erfolgreich gewesen; mir wurde Einlass gewährt.
Doch bevor ich den Türgriff berühren konnte, hatte sich seine kleine, alte Frau an mir vorbeigestohlen, die Tür geöffnet und die wenigen Stufen zur Hochparterre hinaufbegeben. Das gibt'S doch nich!, dachte ich verblüfft. Dreist und kommentarlos hatte sich die Omi vorgedrängelt - und wollte natürlich auch zur Allgemeinärztin.

Das Wartezimmer war voll, nur ein einziger Sitzplatz frei. Ein Kind beschaute sich fasziniert einen Artikel über den "Sex and the City"-Kinofilm, und ich fragte mich, ob es nicht bessere Lektüre für ihr Alter gab. Ein junge Frau blätterte in einer Mode- und Promizeitschrift, und ich entdeckte auf Anhieb neun Gründe, warum ich sie unsympathisch fand. Die anderen Wartenden waren unauffällig, von buntem und weniger buntem Blattwerk gefangengenommen.

An der Anmeldung staute es sich. Die alte Frau wollte wohl unaufdringlich wirken und ließ großen Abstand zu ihrem Vordermann. Genug, um mich schon fast wieder aus der Praxis hinauszubefördern. Genug, um meinen potentiellen Hintermann zum ebenfalls Vordrängler werden zu lassen: Er hatte nicht wahrgenommen, dass wir anstanden und sich spontan in die Riesenlücke vor Omi eingereiht. Omi schwieg, empörte sich nicht.

Interessiert beobachtete ich sie. Entweder sie tolerierte als geübte Vordränglerin fremdes Vordrängeln - oder sie sie fraß ihre Entrüstung in sich hinein.

"Entschuldigung.", sagte ich in freundlichstem, höflichstem Tonfall zu meinem potentiellen Hintermann. "Wir stehen auch an." Mein potentieller Hintermann wurde zu einem richtigen, und Omi fand nun, da jemand die Thematik auf die Tisch gebracht hatte, ihre Stimme: "Genau. Hinten anstellen!"

Darauf hätte ich antworten sollen. Doch ich schwieg.

Mittwoch, 25. Juni 2008

w.z.b.w.

Irgendwann in meiner frühen Jugend hatte ich das Zweifeln gelernt und schmückte mit erstaunlicher Häufigkeit die Sätze anderer mit dem Anhang "... was zu bezweifeln wäre". Ich erinnere mich zwar nicht daran, dass mir gegenüber jemand zum Ausdruck brachte, wie sehr dieser Klugscheißerspruch nervte, doch nach einer Weile hatte ich selbst davon genug - zumindest davon, ihn in aller Vollständigkeit auszusprechen. Ich beschloss also, die Sache abzukürzen: "w.z.b.w.". Natürlich half das nicht, beeilte ich mich doch, nach jeder Erwähnung von "w.z.b.w." ein erklärendes "was zu bezweifeln wäre" hinten dran zu hängen, um fragend blickende Gesichter zu vermeiden.

Normalerweise verblasst Drang zu solch einer Macke allmählich, meistens nur wenige Wochen, nachdem sie aufgehört hat, lustig zu sein, und so hätte es auch in diesem Fall sein können - wäre mir da die Mathematik in die Quere gekommen. Mathematische Beweise standen plötzlich auf der Tagesordnung, ich lernte eine lateinische Formel, "Quod erat demonstrandum", kennen und erfuhr im selben Atemzug ihre Abkürzung, "q.e.d."

Das hätte auch anstelle von "SPQR" auf den Feldzeichen der Römer in den Asterix-Comics stehen können, dachte ich damals und der Gedanke gefiel mir. Dem Mathelehrer jedoch schien Latein nicht sonderlich zu behagen. Obgleich die Formel länger war und weniger leicht von der Zunge floss als "q.e.d.", führte er ein, dass "w.z.b.w." - "was zu beweisen war" - unter die Beweise zu schreiben sei.

"w.z.b.w" - "Was zu bezweifeln wäre", lachte ich, musste aber feststellen, dass ich der einzige war, der das komisch fand. Und offensichtlich war ich auch der einzige, dem auffiel, dass ich zufälligerweise dieselbe Abkürzung schon vorher "erfunden" hatte, dass also entweder Genialität oder erstaunlicher Zufall ihre Finger im Spiel gehabt haben mussten.

Ich verweigerte mich fortan dem "w.z.b.w.". Ich belästigte Freunde nicht länger mit dieser Art von Klugscheißerei und weigerte mich so gut es ging, etwas anderes als "q.e.d." unter meine Beweise zu schreiben. Denn jedesmal, wenn ich "w.z.b.w." hörte oder las, übersetzte ich automatisch: "was zu beweifeln wäre " - und seufzte genervt.

Sonntag, 22. Juni 2008

Die Vier

Du warst die vier. Das konnte ja nichts werden.

Nicht bei mir, der die Dreiundzwanzig mochte, besessen war von der Dreiundzwanzig, die meinen Geburtstag bildete, besessen von ihren Auswüchsen, ihren Formen, ihrer Primzahligkeit, besessen von ihrer Quersumme, die sich in meinem Geburtsmonat wiederfand. Die Vier warst du, wenn man das halbe Etwas nicht mitzählte, das sich irgendwo zwischendrin lagerte und ohnehin nie Bedeutung erlangt hatte. Für sie nicht. Für mich nicht. Du warst die Vier in meinem Universum der Zahlen, das sich nur zu gern zum Ungeraden neigte, primzahlaffin Aussenseiter liebkoste, nicht das Gerade, Ebene, Augen Beruhigende streichelte, sondern das Verwackelte, etwas Versetzte, das, was ein wenig neben dem Üblichen stand.

Mit der Eins begann das Zählen, doch ist sie schwerlich dem Geraden oder Ungeraden zuzuordnen. Die Zwei blieb mir fremd. Doch schon die Drei war märchenhaft, und blicke ich heute zurück, entdecke ich ein sich nach Erinnerungen sehnendes Lächeln in meinen Gesicht.

Du warst die Vier, und wären wir in deiner Welt gewesen, hätte diese Zahl Perfektion berührt. In deiner Welt, in der die Zwei Bedeutung hatte und in der die Zweiundzwanzig verhaltene Lobpreisungen erfuhr.
Vier ist Zwei hoch Zwei, hätte ich dir vielleicht gesagt, hätte ich nicht gewusst, dass dich derartige Zahlenspiele befremdeten. Trotz der geliebten Zwei, trotz ihrer Freunde.

Die Vier hätte Perfektion berührt, wäre es deine, nicht meine Welt gewesen, die angefangen hatte zu zählen, nicht meine Welt mit ihren Fünfen, ihrer Elf, ihrer Siebenundvierzig, sondern deine mit der Zwei, die kaum Erwähnung fand. Perfektion.

Doch war ich nicht deine Vier, nicht die Vier in deiner Welt. Wahrscheinlich auch keine Zwei. Eigentlich wusste ich nie genau, welche Zahl mir zustand und ich wagte nie zu fragen. Denn wenn Vergangenheit zwischen deinen Worten hervorblickte, brachte sie stets Tränen mit, endlos in ihrer Zahl. Ich war nicht deine Vier, und mit Sicherheit hätte es auch keine Rolle gespielt, nicht für dich, nicht für mich, so, wie es für mich damals keine Rolle spielte, ob du meine Vier warst. Denn in jenen Augenblicken sah ich dich nur als Eins, als Nummer Eins, als Einzige, als die, die alles war.

Und presse ich dir auch jetzt eine Nummer auf den Leib, eine schlichte, schnöde, mir missfallende Nummer, eine gerade langweilige, dröge Vier, so weiß ich doch, dass du stets die Eine warst.

Zugleich warst du die Vier. Die Hälfte von Zwei hoch Drei, könnte ich mich trösten, doch "die Hälfte" klingt zu wenig. Wenn ich an Schicksal glauben würde, an ein Schicksal, das von Zahlen bestimmt wird, würde ich der schrecklichen Vier alle Schuld in die schwarzen Schicksalsschuhe schieben. Das konnte ja nichts werden, würde ich sagen, als hätte ich es bereits vorher geahnt. Doch bis zum Schluss ahnte ich nichts. Die Vier war meine Eins. Vier plus Eins gleich Fünf. Das hätte was werden können.

Ein verwegener Gedanke ringt mir ein Lächeln ab: Wenn ein zahlenfreudiges Schicksal die Vier dazu verurteilte, an meiner Unvierigkeit zu scheitern, wenn es das Schicksal war, das die Nüchternheit, die Kantenlosigkeit, die Ebenhaftigeit dieser geraden Zahl an mir abgleiten ließ, sollte ich dann nicht frohlockend eine Eins addieren, zuversichtlich auf den Zahlenstrahlnachfolger warten, die kommende, geliebte Fünf im Geiste begrüßen und sie, die Quersumme der Dreiundzwanzig, mit warmer Hoffnung Willkommen heißen? Sollte ich nicht lächeln, weil die Vier sich in die Vergangenheit zurückzieht und die Pforten öffnet für eine ungerade Zahl, für eine Primzahl, für die jene, die mir so oft von Hausnummern und Kennzeichen entgegenwinkt, für jene Quersumme, die ich in albernem Sinnfinden prall mit Bedeutung vollstopfte?

Du bist die Fünf, könnte ich dann sagen, dann wenn sie gefunden und mir nahe ist. Du bist die Fünf. Das könnte was werden.

Freitag, 20. Juni 2008

Über den Tonträgererwerb

Gestern war die Gravitation der Ansicht, einige meiner Tonträger dem Teppichboden näher bringen zu müssen, und ich nutzte die Gelegenheit, das zu tun, was ich ohnehin sei Wochen tun wollte: Aufräumen.

CDs aufzuräumen klingt an sich schon antiquiert, und dass ich nebenbei noch ein paar Kassetten fand, machte die Sache nicht moderner. Zugleich aber barg das Sortieren und Wegstellen einige Überraschungen, die nicht selten in ein gemurmeltes „Ich wusste gar nicht, dass ich mir das gekauft habe…“ mündeten. Häufig genug geschah es, dass ich mir die Frage stellen musste, wann ich denn diese CD erworben hatte. Oder warum.

Ein Grund für meine Vergesslichkeit ist natürlich die Digitalisierung: Kaum habe ich die CDs erworben, werden sie auf den Rechner kopiert und fortan vorwiegend von dort belauscht. Booklet und Cover, zwei Dinge, auf die ich beim Kauf durchaus Wert lege, erweisen sich aus dieser Perspektive als bedeutungslos. Sicherlich, ich erinnere mich daran, das Album zu besitzen, doch geriet offensichtlich in Vergessenheit, dass ich es in guter alter Silberscheibenweise erwarb und nicht auf internettigeren Wegen.

Ein weiterer möglicher Grund für die Überraschung ist offensichtlich: Das Album war zu schlecht. Dabei muss „zu schlecht“ nicht zwangsläufig bedeuten, dass es mies war und dass ich das investierte Geld besser für anderes hätte ausgeben sollen. Ebenso kann sein, dass ich das Album mal gut fand, zum Zeitpunkt des Kaufs beispielsweise, dass ich meiner Begeisterung erlag, doch diese nicht lange anhielt. Weil ich anderes fand, vielleicht. Weil es zu einem ungünstigen Zeitpunkt kam, nicht in meine Stimmung passte. Oder weil es einfach scheiße war.

Viele Alben besitze ich, weil ich die Vorgängeralben besitze und diese mir durchaus gut gefielen. Ich kaufte also das neue Werk, doch stellte irgendwann fest, dass sich etwas geändert hatte. Entweder ich und mein Musikgeschmack oder das musikalische Schaffen der Band. Wahrscheinlich aber beides. Wenn die Änderungen in verschiedene Richtungen gingen, passiert es, dass ich die CD betrachte und mich wundere, warum ich sie erwarb, obwohl sie mir doch offensichtlich recht rasch missfiel. Sich von einer einstigen Lieblingsband zu lösen jedoch ist ungemein schwer und braucht oft Zeit in Form von mehreren unguten bzw nicht gefallenden Alben.

Was wäre, frage ich mich somit, wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, wenn ich mich dem Kauf dieses oder jenes Albums, das ich aus heutiger Perspektive mit Abneigung betrachte, verweigert hätte, wenn ich gewusst hätte, dass das, was ich gerade erwerben möchte, mir alsbald unangenehm sein würde? Was wäre, wenn ich all das Geld und all die Zeit, die ich in diese Alben investierte, gespart hätte? Was wäre, wenn ich auf alle Werke, die mich heute in meiner Sammlung stören, verzichtet hätte?

Eine dumme Frage, stelle ich sogleich fest. Nicht nur, weil es technisch unmöglich zu realisieren ist, mein früheres Ich zu „warnen“, sondern auch, weil sich Geschmack eben ändert. Ich kann heute nicht mehr jede meiner früheren Begeisterungskäufe nachvollziehen, doch heißt das nicht, dass die damalige Freude unnütz gewesen wäre. Nein, auch wenn die Freude womöglich nicht lange anhielt, war sie doch vorhanden, und wer weiß, vielleicht kommt sie eines Tages zurück. Schließlich mag es zwar sein, dass ich aus heutiger Sicht früher zuweilen Ungutes kaufte und hörte, doch was werde ich morgen denken, was morgen mögen? Vielleicht finde ich dann alles, was ich heute höre, blöd, vielleicht auch das, was ich gestern mochte. Mein Geschmack ändert sich eben, kontinuierlich und schwer lenkbar, und es grenzt an Albernheit, den Kauf irgendwelcher Werke zu bereuen, bloß weil ich heute ihnen gegenüber anders empfinde.

Hinzu kommt, dass es gar nicht so einfach ist, ein Album zu beurteilen. Wenn es prinzipiell mit dem übereinstimmt, was ich an Musik mag, wenn es womöglich auch noch von einer Band stammt, die ich früher schon mochte, deren Vorgängerwerke ich vielleicht sogar besitze, dann ist es schwer für mich, eine CD schlecht zu finden. Und wenn ich gerade in einem Stimmungs- und Finanzhoch verweile, wenn alle Zeichen positiv sind, warum sollte ich nicht mal eben die paar Euro investieren und mir einen netten Tonträger zulegen, der mir sicherlich gefallen wird? Und selbst wenn das erste Reinhören nur mittelmäßige Ergebnisse brachte: Viele Alben, die ich heute liebe, sind derart gestrickt, dass ich mich erst in sie hineinfinden musste, um wirklich eins mit ihnen zu werden. Warum sollte ich nicht einem potentiellen Gutfindalbum die Zeit gewähren, die es braucht, um sich hineinzufinden und ein endgültiges Urteil zu fällen?

Sicherlich, wenn das Urteil zu Ungunsten des Werkes ausfällt, habe ich Pech gehabt. Doch wer weiß? Vielleicht lag es ja nur an meiner Stimmung, an meiner Laune, an momentanen Geschmackswankungen? Wer weiß, vielleicht gefällt mir das Album ja in ein paar Wochen?

Bis dahin ist es zu spät. Das Album steht in meinem Regal; ich habe es letztlich kaum gehört, vergesse allmählich, dass ich es kaufte – und finde es irgendwann wieder. Bereue ich diesen Kauf?, frage ich mich dann und schüttle nach ein paar Augenblicken mit dem Kopf. Nein, ich bereue nicht. Und war es auch noch so großer Schrott.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Sportbetrachtungen

Was mich zumeist daran hindert, mich passiv an sportlichen Ereignissen zu beteiligen, ist nicht nur mein fehlendes Interesse, sondern auch die fehlende Eindeutigkeit. Als Zuschauer ergreife ich automatisch Partei für eine der beteiligten Parteien, oft nur aufgrund eines albernen Vorurteils oder eigener Geburtsörtigkeit, und wünsche dieser herzlichst den Sieg - und den anderen natürlich dementsprechend eine Niederlage. Jedoch ertrage ich es nicht warten, bangen und hoffen zu müssen.

Selbst wenn ich nicht sonderlich intensiv mitfiebere, will ich mir doch nicht ansehen müssen, wie "meine" Mannschaft immer wieder in Gefahr gerät, im Spiel Nachteile zu erleiden. Dass sie verlieren könnten, kommt mir nicht wirklich in den Sinn; bis zuletzt bin ich angefüllt mit grenzenlosem "Sie werden es schaffen."-Optimismus, selbst wenn der Nachsprung gewaltig ist. Und nach dem Spiel ärgere ich mich nicht sonderlich, wenn die von mir bevorzugte Partei verliert, weil ich mich daran erinnere, dass - wie eingangs erwähnt - mein Interesse nicht sonderlich ausgeprägt gewesen war, bevor ich mich dazu entschied, doch zuzusehen.

Jedoch stört mich die Uneindeutigkeit. Insbesondere beim Fußball, wo die Anzahl der Tore oft nicht sehr ausgeprägt ist, reicht ein einziges, um letztlich den Gewinn davonzutragen. Das ist schrecklich, weil ich doch die ganze Zeit darauf warte, dass nun endlich dieses eine Tor fällt, das mich aufatmen lässt, das die Warterei, die Hin- und Herschieberei des Balles in Sinn verwandelt und mich kurzzeitig erlöst. Denn ich mag es nicht, mit Ungewissheit bestückt zu sein, zu harren der Möglichkeiten, auf den Torwart als letzten Mann, letztes Bollwerk, vertrauen zu müssen, weil die Abwehr zu schwach ist.

Wenn es nach mir ginge, würde die favorisierte Mannschaft eines Fußballspiels in den ersten Minuten ein Tor schießen, somit alle verblüffen, den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen und dann mit gewonnenem Selbstvertrauen damit beginnen, gezielt, aber risikoarm anzugreifen. Kurz vor der Halbzeitpause sollte dann das zweite Tor für meine nun noch lieber gewonnene Mannschaft fallen, um ihr zusätzliche Kraft für die nächsten 45 Minuten zu schenken - und zugleich dafür zu sorgen, dass die elende Ungewissheit etwas verkleinert wird. Dann wird noch mehr Wert auf abwehrendes Spiel gelegt, aber das Nach-Vorne nicht völlig vernachlässigt. Die Gegner resignieren aufgrund ihrer offensichtlichen Chancenlosigkeit, werden nachlässig und lassen alsbald das 3:0 zu. Nun sind vielleicht noch zehn oder 15 Minuten zu spielen, und ich bin so ruhig, wie es nur geht. Gerne gestehe ich den "Bösen" noch ein Tor zu, damit ihr Ego nicht allzu sehr verletzt das Spielfeld verlassen muss, und dann trällert der Schiri das Spielende ein, und ich bin glücklich. Überraschungen müssen nicht sein.

Doch dergleichen geschieht nicht. Sobald ich Partei ergreife, muss ich feststellen, dass die Mannschaft zwar hin und wieder gute Chancen hat, dass aber der Gegner auch existiert und ebenso versucht, Chancen zu erwirken und zu nutzen. Selbige nehme ich übrigens kaum als solche wahr; das Vertrauen in "meine" Mannschaft ist nahezu grenzenlos. Das Spiel selbst birgt jedoch nie die Überlegenheit des "guten" Teams, so wie ich sie mir wünsche. Es ist ein ewiges Hin und Her, und vielleicht gelingt es tatsächlich irgendwann, ein feines 1.0 zu erwirken.

Doch das allein hilft nicht. Die Gegner zeigen sich davon zumeist unbeeindruckt und verstärken ihre Bemühungen. Nein, nein, denke ich und sehe die winzigen Vorsprung schon zu einem kümmerlichen Nichts zusammenschrumpfen. Die Sicherheit fehlt, jedes weitere Tor ist irgendwie immer überraschend; von massiver Überlegenheit, wie sie mein Wunschdenken sich ausmalt, keine Spur, von Ruhe ohnehin nicht.

Sport zu schauen, wird dadurch anstrengend. Ich möchte, dass das Team, das meine Sympathien hat, überzeugend gewinnt, doch anscheinend besteht stets die Notwendigkeit, allerhand Spannung zu erzeugen. Doch im Gegensatz zum Boxen, wo ein K.O. in den ersten Minuten allerlei Zuseherfreuden raubt, wäre ein Spiel auch nach dem Erwirtschaften eines zeitigen und hohen Vorsprungs nicht vorbei, sondern könnte interessant, technisch hochwertig und ansehnlich sein. Da gibt es keinen zwingenden Widerspruch.

Ich schaue selten Sport, und wenn ich mich denn doch einmal dazu bequeme, möchte ich, dass die von mir favorisierte Mannschaft gewinnt. Haushoch. Mindestens.

Samstag, 14. Juni 2008

Männlich

Ich bin ein Mann. Das ist keine weltbewegende Erkenntnis und doch ein Satz, den ich so kaum über die Lippen bringen würde. "Ich bin männlich.", würde ich sagen, oder auch "Ich bin maskulinen Geschlechts.", wenn ich mal wieder der Umständlichkeit fröne, doch "Ich bin ein Mann." klingt irgendwie nicht richtig.

Dabei erfülle ich alle nötigen Voraussetzungen. Ich verfüge über die entsprechenden Körperteile, bin längst erwachsen, habe eine einigermaßen tiefe Stimme und muss mich rasieren. Nun gut, mein Haupthaar ist lang und mein Körper eher schmal gebaut, und zuweilen geschieht es, dass andere, allerdings meist angetrunkene Männer mich von hinten für eine Frau halten und dann "Huch/Hey, das ist ja n Typ/Kerl!" rufen, bevor sie, mir verwundert nachblickend, aus meinem Blickfeld torkeln.

Ich bin auch kein Freund typisch männlichen Gebarens. Ich trinke kein Bier oder andere Alkoholitäten und sehe im Konsum derartiger Flüssigkeiten auch keinen Ausdruck von Männlichkeit - obgleich es anscheinend vorwiegend dem maskulinen Geschlecht vergönnt ist, lallend und grölend durch die Straßen zu trampeln oder einfach nur die Köstlichkeit eines kalten Biers am heißen Sommerabend zu lobpreisen. Sicherlich, Frauen trinken auch Bier, doch für mich wirkt das stets unpassend.

Ich bin rot-grün-blind. Naja, zumindest ein bißchen, genug, um hin und wieder grün für braun und dunkelblau für lila zu halten - genug, um zu beweisen, dass mir ein Y-Chromosom vergönnt ist. Allerdings esse ich kein Fleisch, so dass das Klischee des stolz seine Beute betrachtenden Jägers und des Rohsteak verschlingenden Hartkerls nicht auf mich anwendbar ist. Zudem bewegt sich meine handwerkliche Begabung nur im Mittelfeld. Ich bin imstande, Anfallendes zu reparieren und zu montieren, doch da ich mich nie darum kümmerte, geeignetes Werkzeug vorrätig zu haben, behelfe ich mich oft genug mit Provisorien. In Baumärkten fühle ich mich dumm und unwohl.

Meinen Händedruck als fest zu bezeichnen, wäre albern, doch sehe ich keinen Sinn darin, sich begrüßenderweise die Finger zu zerquetschen. Ich bin Künstler, habe Künstlerhände, rechtfertige ich mich und enthalte mich solcher Machtdemonstrationen.

Ich mag keinen Fußball. Nein, das ist falsch. Fußball ist mir egal, so egal wie fast alle Sportarten. Der Wille, meinen Körper zu stählen, ist bei mir nur schwach ausgeprägt, und der Wille, sich für regionale Mannschaften und deren Erst- bis Reagionalligaleistungen, für deren Spieler und Trainer, zu begeistern, hält sich in Grenzen. Bei größeren Nationalmannschaftsereignissen, bei Welt- und Europameisterschaften, kann man mich jedoch hin und wieder durchaus vor einem Fernseher finden, gespannt das Runde verfolgen, das da ins Eckige soll, während ich die fachmännischen Ratschläge der Mit-mir-Gucker schmunzelnd zu ignorieren versuche.

Ich bin ein Mann. Daran zu zweifeln, lohnt nicht der Mühe; dennoch verweigere ich mir diesen Satz. Das Wort Mann schließlich ist mit unzähligen Klischees behaftet, in denen ich mich nur zu selten wiederfinde, mit zu vielen angeblich notwendigen Riten bestückt, die auszuführen ich nicht wünsche. Ich bin ein Mann, jedoch kein typischer [falls es einen solchen gibt.].

Allerdings höre ich Metal. Metal als solcher und die Kultur, die dahinter steht, symbolisiert einen Überschuss an Männlichkeit. Da gibt es die grölenden-grunzenden Stimmen der Sänger, die Härte der Musik, die finsteren, unfreundlichen Themen, die nichts für zartbesaitete Gemüter sind, die immer wiederkehrende Erwähnung von Kriegen und Schwertern, von Göttern und Macht, von Blut und Stärke. Und es gibt die Metalmöger, oft langhaarige Zottelgestalten, nicht selten bullig gebaut, stets mit dem obligatorischen Bier in der einen, der Zigarette in der anderen Hand, die der Musik frönen, als gelte es, selber in die Schlacht zu ziehen, die sich in Leder kleiden und barbarischem Benehmen verschrieben haben. Das sind Klischees, doch es ist erstaunlich, wie häufig genau dieses Klischee ausgelebt wird.

Metal ist die Konzentration der Virilität, die Musikwerdung von Testosteron. Metal zu mögen, heißt, sich in eine Welt einzufinden, die der Männlichkeit und dem gelebten Vorurteil gewidmet ist. Hier geht es um Posen und Symbole, um Bestätigung des eigenen Geschlechts durch die Wirkung nach außen. Ich mag Metal, doch ich mag nicht, was dazu gehört. Ich verweigere mich Bier und Zigaretten, verweigere mich nietenbestückter Lederkluft, verweigere mich aufnäherbesetzter Westen, die tätowierte Arme zur besseren Geltung bringen. Ich verweigere mich der Selbstbetäubung, um den barbarischen Mann aus meinem Inneren hervorzulocken, verweigere mich klischeemännlichem Gruppenverhalten, verweigere mich dem nötigen Posieren, Provozieren, Prügeln und Prahlen, verweigere mich der Kampesbereitschaft symbolisierenden in die Springerstiefel gestopften Hosen, verweigere mich albernen, klischeemaskulinen Verhaltens.

Ich mag Metal, ich mag es, männlichen Geschlechts zu sein, mag es, Frauen schön zu finden und plumpe Actionfilme anzusehen, pinkle zuweilen sogar im Stehen. Doch ich will nicht über Penislängen und Tittengrößen diskutieren, will mir nicht Vorhaltungen darüber machen lassen, dass meine Männlichkeit in direkter Verbindung zu Bier- und Fleischkonsum steht, will nicht herumbrüllen müssen, um dem Typen neben mir klar zu machen, dass lange Haare und schlanker Körper nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit "Frau" sind, will nicht nutzlosen Klischees frönen, um anderen etwas beweisen, an dem es eigentlich keinen Zweifel gibt. Denn zwar bin ich maskulinen Geschlechts, doch bin ich vorrangig ich selbst, ein Wesen, das den Dingen nachzugehen versucht, die es mag und nicht die es aufgrund althergebrachter Geschlechterzuweisung ausführen sollte. Ich bin vorrangig ich, mit all meinem Denken und Fühlen und Handeln, und erst an zweiter [oder dritter oder vierter] bin ich Mann.

Mittwoch, 11. Juni 2008

Über die Schwierigkeiten des Musikmögens

Musik zu hören, ist nicht einfach. Selbst wenn man es geschafft hat, über Jahre hinweg, geprägt von Eigenneugier, Freundesrat, Medienmeinung und Zufall so etwas wie einen Geschmack zu entwickeln, wenn man ungefähre Aussagen darüber treffen kann, welche Musikformationen und Stilrichtung man bevorzugt, stößt man immer wieder auf Zweifel fördernde Hindernisse.

Ich beispielsweise bin bekennender Bevorzuger unheller Metallmusik und neige auch dazu, entsprechenden Konzerten und Tanzveranstaltungen Besuche abzustatten. Doch selbst die nicht eben populärste Musikgattung des Metals ist so sehr angehäuft mit eigenen Stilrichtungen und Unterstilrichtungen, dass ein Überblick undenkbar erscheint. Sicherlich, da gibt es die Großen, deren Namen jeder einigermaßen Eingeweihte kennt, deren Klangkonstrukte man leicht zuordnen kann, die zuweilen Kultstatus schufen und Nachahmer fanden. Doch nicht alles, was Erfolg hat, ist gut, und wenn man sich einmal für Musik entschieden hat, die nur selten in Verkaufscharts Erwähnung findet, wird man seiner Halbignoranz gegenüber Massentauglichem nicht ausgerechnet hier ein Ende setzen, hier, wo ohnehin jeder landet, der etwas mit Metal zu tun hat. Cannibal Corpse und Metallica zu erwähnen, vermag jeder. Und niemand will wie jeder sein.

Also gilt es, sich zu spezialisieren. Das geschieht glücklicherweise größtenteils automatisch, kann man doch mit angenehmer Sicherheit darüber urteilen, was einem zusagt und was nicht. Und allein die immer leichter werdenden Möglichkeiten, Musik zu entdecken sorgen für ein unüberschaubar großes Angebot potentieller Gutfindklänge. Hinzu kommen die Bands, die man kennt und mag, die hin und wieder neue Werke herausbringen, die ihren Stil ändern, mit ähnlichen Klingenden auf Tour sind und so neue Eindrücke erwirken. Hinzu kommen Bekannte und Szeneseiten, die allesamt andere Erfahrungen machen und diese teilen wollen, die Begeisterung erfahren und zu vermitteln versuchen, die von Neuem und Altem berichten und dafür sorgen, dass der eigene Geschmack einer steten Veränderung und Erweiterung unterzogen wird.

Inmitten aller potentiellen Lieblingsmusiken diejenigen zu entdecken, die es tatsächlich werden, ist aufwändig, nicht zuletzt auch, weil diverse Werke erst einige Beschäftigungszeit brauchen, ehe sie sich dem eigenen Wohlempfinden öffnen. Und als fairer Musikmöger sollte man diese Zeit tatsächlich investieren und nicht prinzipiell nach 30-sekündiger Saturn-Standardreinhörzeit darüber urteilen, ob die gehörte Band für alle Zeit der Verdammnis zuzuführen sei. Im Metallmusikbereich sind schließlich Liedlängen von über fünf oder gar über zehn Minuten keine Seltenheit und lassen ein kurzes Reinhören zur Lächerlichkeit mutieren.

Verständlich ist es jedoch, wenn man nicht gewillt ist, diesen Aufwand zu betreiben, wenn man sich einfach das zu Gemüte führt, was andere ohnehin hören, weil sich das ja schließlich schon bewährt hat. Dass die Grenzen für Gutmusik jedoch selbst bei prinzipieller Übereinstimmung stark differieren können, wird dabei vernachlässigt.

Ich selbst versuche, Mittelwege zu gehen, versuche, Beliebtes zu vernehmen und die Begeisterung dafür nachzuempfinden, selbst wenn ich im ersten Moment der Ansicht bin, dass ich nie und nimmer mit diesen Klängen Freund werden möchte. Je ausgeprägter jemandes Begeisterung für eine Musik ist, desto eher bin ich bereit, meine Vorurteile zu ignorieren und der Quelle der Euphorie nachzuspüren.

Zugleich bemühe ich mich aber auch, eigene Nachforschungen anzustellen, Bands zu finden, die musikalisch ähnliches Schaffen erwirken wie jene, die ich bisher mochte, oder auch anderen, die aus irgendeinem Grund meine Aufmerksamkeit erregen, mein Gehör zu schenken. Die Ausbeute ist dabei vergleichsweise gering, und nicht selten erschüttert es mich, wie häufig sich die Geschmackswahrnehmungen unterscheiden. Es ist wohl unmöglich, jemanden zu finden, dessen Musikbevorzugung mit der eigenen identisch ist. Doch das sollte wohl auch nicht das Ziel sein.

Mein Ziel ist es, Musik zu finden, die mir gefällt, die mich bewegt. Und selbst wenn ich es nicht immer verwirklichen kann, versuche ich doch auch zu Musikgruppen, die eigentlich als peinlich gelten, zu stehen, wenn sie mir gefallen. Denn der eigene Geschmack sollte einem eigentlich nicht peinlich sein.

Das jedoch fällt schwer, sobald ich mich auf einer Musik- und Tanzveranstaltung inmitten von Menschen befinde, die ebenfalls "Metal" auf ihre "Ich-hab-dich-lieb"-Liste schrieben. Denn schnell wird deutlich, dass die Anzahl der Überschneidungen gering ist im Vergleich zur Anzahl der Unterschiede. Hurra, denke ich, nicht nur ich mag es, zu Iced Earth mein Haupthaar zu schütteln, doch schon beim nächsten Lied, wenn alle außer mir auf der Tanzfläche bleiben, wird offensichtlich: Nicht nur der Geschmack unterscheidet sich, auch der Wissensstand. Es existieren selbst in spezialisiertesten Stilrichtungen so viele, oft gut anhörbare Musiken, dass es eher in Zufälle ausartet, kennt man tatsächlich dieselbe Band wie der Nebenmann. Oder es handelt sich eben um eine jener Bands wie Iced Earth, die bereits Erfolge feierte, zahlreiche Alben herausgaben, mehrfach die Bandbesetzung wechselten und sich einen Status erwarben, den abzusprechen es schwer fallen wird. Wer Iced Earth nicht kennt, verweilt noch nicht lange genug in der Metalszene.

Der erste gemeinsame Nenner ist also der Mainstream. Selbst wenn man bei vielen Bands, die außerhalb der Zottelhaarszene kaum jemand kennt, nicht unbedingt von solchem spricht, ist die Anzahl verkaufter Platten für den DJ doch ein gewisser Garant dafür, dass die Tanz- und Bangfläche nicht unbesetzt bleibt.

Ein weiterer Garant ist - natürlich - der DJ selbst, der dazu neigt, bestimmte Titel jedesmal zu spielen, sobald er die Musikauswahl treffen darf. Mit der Zeit neigt das Stammpublikum dann dazu, diese vielleicht unbekannten Klänge zu erfragen, sich an sie zu gewöhnen und sie schließlich in ihr Herz aufzuethmen. Sie werden Anlass, sich auszutoben, obwohl sie nur einen Vorteil gegenüber anderen, ähnlichen Musiken erwirkten, weil der Auswähler sich für die Wiederholung entschied.

Der dritte gemeinsame Nenner ist überall findbar: der Klassiker. Ich vermeide bewusst das Wort "Kult", weil ich es verachte, doch dürfte klar sein, was ich meine: Musik, die alt genug ist, dass wirklich jeder sie einigermaßen zuzuordnen und mitzusummen vermag; Musik, die nur eines ausreichend gefallenen Hemmungsniveaus bedarf, um ausgelassen zu ihr in Bewegung zu fallen. Schließlich kennt man sie längst, und es dürfte nicht das erste Mal sein, dass man feststellt, dass es sich eigentlich um ein wirklich gutes Lied handelt - selbst wenn sich das bei niedrigerem Euphorielevel als fragwürdig erweist.

Es existiert noch eine weitere Option, die garantiert, dass sich zumindest ein Kunde freut: der Wunschtitel. Nur zu leicht scheint es zu sein, an das erhöhte Pult heranzutreten und - aufgrund der Hintergrundlärmerei schreiend - auf den einen oder anderen Titel zu verweisen, der in heimatlichen Gefilden das eigene Wohlwollen fand. Doch leider scheint es der Regelfall zu sein, dass DJs ihre Auswahlhoheit nicht angegriffen wissen wollen, dass sie also meinen, der Titel würde im Augenblick nicht in den Ablauf passen und den Wünschenden auf ein - möglicherweise nicht existierendes - Später vertrösten. Beschwert man sich beim nächsten Diskothekenbesuch, so findet der Abspielverweigerer eine einfache Entschuldigung: Er habe den Titel doch gespielt, nur man selbst sei wohl nicht mehr anwesend gewesen.

In Anbetracht des umfangreichen Musikfeldes, das das vereinigte Titelwissen der Tanzveranstaltungsbesucher bildet, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass mir bereits häufiger vom DJ mitgeteilt wurde, dass mein Wunschtitel nicht in seiner Sammlung verfügbar sei. Zugleich ernte ich einen Blick, der mir sagte, dass es nicht empfehlenswert sei, die Allmacht des Musikabspielers in Frage zu stellen - und dass das, was ich mag, für jeden echten Metaller einfach nur peinlich ist.

Und so sitze ich dann mitten in der Nacht in einer Metallmusikdiskothek und warte auf irgendetwas mir Gefallendes, zu dem ich meiner Zuneigung durch Bewegung Ausdruck verleihen kann. Wenn ich später nach Hause fahre, stelle ich fest, dass die Stunden vergingen, ohne dass der DJ meinem Geschmack ansatzweise gerecht wurde. Und dennoch habe ich mich amüsiert. Ja, ich habe die Klassiker gemieden, aber empfand sie trotzdem als angenehm. Und bis auf ein paar Ausnahmen habe ich auch darauf verzichtet, zu Klängen zu headbangen, die der DJ jedes Mal spielt - schließlich bin ich kein Teil des Stammpublikums und kenne die Interna nur ansatzweise. Die bekannteren Titel hingegen habe ich allesamt mitgenommen, sobald sie meinen Musikvostellungen ungefähr entsprachen. Und während ich mich offensichtlich darüber freute, gute Musik zu vernehmen und dabei nicht reglos in den zerfetzten Ledermöbeln zu sitzen, schämte ich mich ein wenig, weil ich doch nur Teil der Masse war, die das gut fand, was alle mochten.

Es ist längst hell, als ich endlich ins Bett gehe. Meine Ohren fiepen, und meine Haare stinken. Und als ich den Abend Revue passieren lasse, bemerke ich, dass er mich - wie immer - zugleich enttäuschte und erfreute.

Dienstag, 10. Juni 2008

Blaue Flecken

Es war richtig gewesen, nach Hause zu fahren, sagte ich mir und trat in die Pedalen. Ich hatte die bibliothekischen Öffnungszeiten bis zum Maximum ausgereizt und anschließend den nächsten Biergarten aufgesucht, um dem niederländisch-italienischen Vorrundenspiel meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich hatte die zwei Tore gegen Italien gesehen und bejubelt und nun, in Anbetracht fehlender Sonneneinstrahlung und wachsender Radelunlust, beschlossen, den Heimweg anzutreten. Vermutlich würde ich aufgrund Fernsehermangels die zweite Halbzeit verpassen, doch das spielte - nicht nur wegen des fast sicheren neiderländischen Zweitorvorsprungs - kaum eine Rolle.

Spontan beschloss ich, den Bestand der Automatenvideothek zu beschauen. Vielleicht fand sich ja irgendetwas, mit dem ich meine Gedanken vor dem Schlafengehen beschäftigen konnte. Doch so weit sollte es nicht kommen.

Als ich von der Straße auf den Fußweg wechselte, stellten sich mir zwei betrunkene Punks in den Weg. Ich wich aus, bremste und hielt an, um nicht versehentlich in den herumstreunenden Hund zu fahren. Ob ich nicht mal eine Zigarette hätte, wurde ich gefragt. Ich verneinte bedauernd. Als Nichtraucher neigt man nicht dazu, Zigaretten mit sich herumzuschleppen. Ob ich nicht noch einmal nachschauen könne. Ich schmunzelte: "Ich rauche nicht." und wollte weiterfahren. Doch ich konnte nicht. Der Punk stand direkt vor mir und war nicht gewillt, mich vorbeizulassen.
Sein alkoholgeschwängerter Atem drang mir in die Nase, doch ich verzog keine Miene. Ob ich nicht etwas Kleingeld hätte. Ich seufte, gab nach, kramte ich meinen Hosentaschen und reichte ihm ein paar Cents. Kein Dank, kein Beiseiterücken, nichts.

Sein Kumpel war unterdessen weitergegangen, interessierte sich nicht für mich, sondern nur für die anderen Punks, die bereits an der Haltestelle auf ihn warteten. Mein Punk jedoch bekundete Interesse: "Hey, es ist Sommer!", lallte er, "Hol die Titten raus.!" Und zielsicher kniff er mir in die linke Brustwarze. Ich war verblüfft. "Es ist Sommer!", wiederholte er, als wäre das eine Erklärung für sein schmerzhaftes Tun und streckte erneut den Arm aus, um mich zu kneifen. "Lass das.", meinte ich und schob seine Hand weg. Er gab nicht nach. "Hier, kannst auch bei mir mal." Er streckte mir seine, von einem grauen, fleckigen Shirt verhüllte Brust entgegen, doch ich weigerte mich.

"Mann, es ist Sommer. Los!" Erneut versuchte er, mich zu kneifen. Mehrmals wehrte ich ihn ab, ohne Kraft allerdings, weil ich nicht riskieren wollte, ihn unnötig zu provozieren. Denn noch lächelte er.

Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuschieben, und er nutzte die Gelegenheit, mir in die erneut Brust zu kneifen und die gegriffene Haut zu verdrehen. Es schmerzte. "Titten raus!", meinte er. "Aber ich bin doch keine Frau!", empörte ich mich und schob mich weiter voran. Er hielt mein Fahrrad fest. "Das Fahrrad bleibt aber hier." Noch immer grinste er, doch ich konnte nicht einschätzen, wie ernst er es wirklich meinte.

Wollte er wirklich mein Fahrrad klauen? Jetzt? Hier? Eigentlich sprach nichts dagegen. Die wenigen Leute auf der Straße ignorierten meine Belange und wären sicherlich nicht bereit gewesen, sich mit einer Horde Punks zu prügeln, bloß wegen eines rostigen Fahrrads. Ich hielt es fest, schob es von ihm weg. "Ich muss jetzt weiter.", meinte ich, doch er wollte nicht nachgeben. "Noch einmal.", bat er und versuchte erneut, mich zu kneifen. "Nein, das tut weh."

"Aber das soll es doch.", grinste er, und ich fragte mich, wo ich da schon wieder hineingeraten war. "Ich muss jetzt los.", wiederholte ich. "Du kannst auch mal bei mir.", bot er mir an, doch ich schob mein Rad nach vorn. Er hielt es nicht mehr fest, und ich war bereits an ihm vorbei, doch nachgeben wollte er auch nichr. Er griff nach mir, kniff mir in den Arm, dann in den Rücken, drehte die Haut auf schmerzhafte Weise, ohne auch nur für einen Moment mit dem Grinsen aufzuhören. Ich reagierte nicht, schob mein Fahrrad nur weiter, bis ich genug Platz hatte, um aufzusteigen und mich seiner Hand zu entreißen, fuhr, weiter, um die Ecke, atmete auf. Keinen Film ausleihen, nur nach Hause.

Zu Hause entdeckte ich, dass mein Fernsehmangel mich nicht von EM ausschloß und schaltete den Livestream ein, nur wenige Augenblicke, bevor das dritte Tor fiel. Als ich zu Bett ging, entdeckte ich mehrere blaue Flecke an meinem Körper. Was hat der Typ nur von mir gewollt?, fragte ich mich. Und: Warum hat er nicht einfach Fußball geschaut wie alle anderen auch?

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dat is gar nisch süß soll isch de ma was rischtisch...
free erdem (Gast) - 6. Jun, 16:40
Hier wird es fortan weitergehen: http://morast .eu Und...
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morast - 1. Feb, 21:10

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