Und dann gibt es noch die Momente, in denen ich begreife, nicht ins Leere zu schreiben, in denen ich spüre, daß das, was ich formuliere, was ich dachte und in Sätze presse, zu Wortgebilden knete, Bedeutung zu haben scheint, akzeptiert, ja vielleicht sogar gemocht wird, in denen ich begreife, daß nicht ich allein es bin, der dem Geschriebenen Freude zu entnehmen vermag, der liest und mit dem Gelesenen Bilder im eigenen Kopf erweckt, die erstaunen, beühren, bewegen. Ein falsches Wort in der Akustik der Wirklichkeit, ein falsches Wort, das ein richtiges war, das mich verstehen, mich sehen, erkennen läßt, daß ein Schweigen nicht immer eine Leere darstellt, daß Stille mit unausgesprochenen Gedanken, mit ungesagtem Lächeln gefüllt sein kann. Und obgleich sich neue Fragen in meinem Kopf zu Wolken türmen, erfreue ich mich der Wortlosigkeit, stelle mir vor, Tausend stumme Zungen flüsterten mir ihre Nähe ins Ohr.
morast - 16. Mai, 20:48 - Rubrik:
Wortwelten
Bleibt man lange genug wach, bedarf es zum Lesen vor dem Einschlafen keiner Lampe mehr.
[Im Hintergrund: ASP - "Hast Du Mich Vermißt?"]
morast - 16. Mai, 13:09 - Rubrik:
Weise Worte
An einer Straßenecke steht ein Mann, beleibt, die ergrauenden Haare mit Pomade nach hinten gekämmt. Ich halte Abstand, den Kontakt meidend. Er ist keine Gefahr, begreife ich, doch will auch selbst keine darstellen.
Der Mann ruft mich: "Hey!"
Seine Stimme ist kraftlos, nicht fordernd, eher bittend. Ich wende mich ihm zu.
"Do you speak English?", fragt er mich.
"Yes I do." Mittlerweile bin ich bei ihm angelangt.
Er wünscht zu telefonieren, besitzt aber kein Telefon. Ich betrachte ihn, bin bereit, Vertrauen zu schenken, krame nach meinem Handy, entsperre die Tasten, reiche es ihm. Das Handy ist alt und wertlos. Das Guthaben nahezu aufgebraucht. Ich habe keine Angst vor einem Verlust. Keine Angst vor ihm.
Der Mann lächelt nicht, wirkt ratlos. Seine braune Haut wirkt im Dunkel der Nacht noch finsterer. 'Vielleicht ist er Inder.', mutmaße ich.
Mühevoll tippt er die gewünschte Nummer ein, jede einzelne Ziffer in dialektgefärbtem Englisch aufsagend. Als er fertiggetippt hat, zeigt er mir die Telefonnummer, bevor er anruft. Ich winke ab.
Er erreicht niemanden, nur eine Mailbox.
"Wrong Number?", frage ich.
Er schüttelt mit dem Kopf, probiert es nochmal. Diesmal ist die Nummer länger. Doch wieder erfolglos. Er gibt mir das Handy zurück, wirkt noch trauriger als zuvor, fragt mich nach Kleingeld, damit er es zu späterem Zeitpunkt nochmal probieren kann.
Ich habe kein Portemonaie dabei, versuche, dmich zu erklären, doch weiß nicht, wie ich "Portemonaie" übersetzen soll. Ich krame wieder in den Taschen meines Rucksacks, finde ein paar Fünf-Cent-Stücke, zeige sie ihm, bedaure, nicht mehr dabei zu haben.
Er zählt, nimmt das Geld.
"It's enough.", meint er und bedankt sich mehrere Male.
Ich verstaue mein Handy wieder im Rucksack und gehe weiter, in eine andere Richtung als er, drehe mich noch einmal um, sehe ihm hinterher.
Fremd in Deutschland. Allein. Ohne Geld und Telefon. Auf die Großherzigkeit anderer angewiesen. Ich wünschte, ich hätte ihm wirklich helfen können...
morast - 16. Mai, 04:49 - Rubrik:
Menschen
Nachts um vier sind die Straßen leer. Grau und blind betrachten mich gardinenverhangene Fensterscheiben, schlummern in fremden Welten. Irgendwo sehe ich Licht. Als ich mich nähere, erlischt es. 'Gute Nacht.', wünsche ich.
In einem Computerspielecenter töten vier nächtliche Kämpfer mit schweren Waffen finsteres Feindesgut, wirken erstaunlich aufgeweckt. Hinter Jalousinen flimmert blaues Licht, doch ich zweifle, ob das Fernsehprogramm um diese Uhrzeit sehenswert ist.
Taxis eilen vorbei, fremden Zielen entgegen. In der Ferne röhrt eine aufgemotzte Prollkarre, trägt matte Partygänger heim. Die parkenden Autos bilden blecherne Schlangen am Straßenrand, tote Maschinen, auf ihre Reanimation wartend. Zwischen ihnen schleicht eine Katze ihres Weges, der nächtlichen Ironie ergeben - mit grauem Fell. Weiße Blumen liegen auf einem Beifahrersitz, atmen durch einen schmalen Fensterschlitz. Etwas Kleines huscht über den Asphalt, verkriecht sich unter einem Fahrzeug, von meinen schweren Schritten vertrieben. 'Ein Marder?', frage ich mich, gehe auf die Knie, um unter das Auto zu blicken, doch sehe nichts, stehe auf, laufe weiter.
Es ist eine Nichtzeit zwischen den Feiertagen. Ruhende Menschen träumen sich Kommendem entgegen. Zu spät für ausgelassene Nachtschwärmer. Zu früh für Arbeitende und andere Aufsteher. Die Straßen und Gehwege sind leer.
Nur vereinzelt sehe ich andere Gestalten. Sie suchen die Distanz, den Blick starr und müde auf den Boden gerichtet. Der Himmel lichtet sich allmählich. Es wird Zeit heimzukehren.
morast - 16. Mai, 04:46 - Rubrik:
Wortwelten