Samstag, 2. April 2011

Begegnungen 08: Narzisse

Gerade, als ich die Stufen zur S-Bahn-Haltestelle hinuntergehen, entdeckte ich eine Narzisse. Es war eine kleine Narzisse, nicht kümmerlich, nur in Anbetracht der winterlichen Temperaturen noch nicht zu voller Pracht entfaltet.
"Wie schön.", rief ich aus, denn das trübe, allesverschlingende Grau, das diese Jahreszeit mit sich herumträgt, mochte ich schon seit Tagen nicht mehr.
"Eine Narzisse!", rief ich aus und bewunderte das liebliche Grün des Stengels und das erwachende Gelb der noch verschlossenen Blüte.
Der Blütenkopf regte sich.
"Ich bin keine Narzisse!", sagte die Narzisse, und ihre Stimme klang hell und fast süßlich.
"Nicht?", fragte ich, zugegebenermaßen nicht sehr eloquent, und beugte mich zum dem kleinen Pflänzchen herunter.
"Nein. Ich bin keine Narzisse.", sagte die Narzisse, die behauptete, keine zu sein.
"Aber du siehst so aus.", entgegnete ich, meine mangelhaften floralen Kenntnisse zusammenkratzend.
"Mag sein.", antwortete die Blume. "Doch Narziss war jene Sagengestalt, die sich beim Blick in einen Teich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Damit möchte ich nichts zu tun haben."
"Aber was bist du dann?", fragte ich die Narzisse, die sich weigerte, eine zu sein.
"Eine Osterglocke."
"Sind Osterglocken nicht einfach nur gelbe Narzissen?", fragte ich.
Die Pflanze schwieg.
"Ich bin eine Osterglocke.", wiederholte sie dann, und hätte sie Füße besessen, so hätte sie vermutlich trotzig auf den Boden gestampft.
"Aber Ostern ist doch erst in fünf Wochen!", meinte ich.
"Trotzdem.", sagte sie und verschränkte die beiden zarten Blätter.
"Gut.", gab ich nach. "Du bist eine Osterglocke."
Die Narzisse, die eine Osterglocke war, nickte, und plötzlich vernahm ich ein leises Klingeln, wie von winzigen Glöckchen, die sanft und zärtlich den Frühling einläuteten.
"Du bist tatsächlich eine Osterglocke!", rief ich erstaunt, und die Osterglocke nickte wieder, klingelte wieder.
"Wie schön!", freute ich mich, und ging lächelnd davon.

Dienstag, 29. März 2011

Begegnungen 07: Frühblüher

Kaum hatte ich heute früh das Haus verlassen, gesellte sich ein Pinguin zu mir. Er war kleiner als jeder andere Pinguin, dem ich je begegnet war, und wirkte ein wenig unglücklich. Ich entdeckte ihn erst, nachdem er ein paar Schritte neben mir hergetappelt war - nicht nur aufgrund seiner geringen Größe, sondern auch, weil ein Taschentuch mein Blickfeld einschränkte. Seit anderthalb Tagen plagte mich nun ein widerlicher Schnupfen und ließ meinen Zellstoffverbrauch ins Unermessiche steigen.
Ich nieste.
"Gesundheit.", piepste der Pinguin, und ich schaute verwundert nach unten.
"Danke.", sagte ich.
"Keine Ursache.", meinte er, und ich stellte fest, dass die vermutlich der höflichste Pinguin war, der mir je begegnet war.
Wir liefen weiter, und plötzlich entdeckte ich am Wegesrand zwei Krokusse, die gerade damit begannen, ihre schlanke Blüte zu entfalten.
"Schau.", sagte ich begeistert zu dem kleinen, höflichen Pinguin. "Die ersten Frühblüher! Ist das nicht wunderschön?"
Der Pinguin seufzte, und ich nieste erneut.
"Gesundheit.", piepste der Pinguin, und ich bedankte mich.
Ein paar Meter weiter sah ich noch mehr Krokusse.
"Noch mehr Krokusse!", rief ich vergnügt, und diesmal seufzte der kleine, höfliche Pinguin laut genug, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte.
"Was ist denn los?", fragte ich und nieste.
"Gesundheit." sagte er, und ich bedankte mich.
"Die Welt...", begann der Pinguin und zögerte.
"Die Welt?", hakte ich nach.
"Die Welt, sie ändert sich.", sagte der kleine, höfliche Pinguin.
"Noch ist es eisig kalt, und vor den Mündern der Menschen formen sich wunderschöne Atemwolken. Der Winter zaubert rote Wangen in die Gesichter und Wollmützen auf die Köpfe. Reif färbt Wiesen weiß, und hin und wieder rieseln weicheste Flöckchen vom Himmel. Ich fühle mich wohl."
Der Pinguin lächelte, und zum ersten Mal fiel mir auf, wie traurig der Pinguin bis vor wenige Augenblicke noch ausgesehen hatte.
Ich nieste, doch der kleine, höfliche Pinguin war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um seiner Höflichkeit Ausdruck zu verleihen. Ich bedankte mich trotzdem, wusste ich doch, dass das Schnabeltierchen mir
normalerweise Gesundheit gewünscht hätte.
"Ich liebe den Winter.", lächelte der Pinguin. "Ich liebe die Kälte, mag es, wenn Winde pfeifen und mein Federkleid nicht durchdringen können. Ich liebe arktisch kaltes Wasser, das meinen Körper umspült, mag sogar die grauen Wolken am Firmament. Ich liebe den Winter."
Ich nieste, wartete kurz und bedankte mich.
"Doch der Winter geht.", fuhr der kleine, höfliche Pinguin fort und eine Sorgenfalte erschien auf seinem Gesichtchen. "Die Welt wandelt sich. Frühblüher erwachen, die Sonne lässt Schals und Handschuhe verschwinden. Es wird warm."
Ich hustete kurz, und freute mich über die Abwechslung.
Der kleine, höfliche Pinguin sah zu mir auf, und wieder hatte sich Traurigkeit in sein Antlitz geschlichen. Ich hätte ihn am liebtsen
umarmt.
"Ich liebe Kälte und alles, was mir ihr zu tun hat.", sagte der
Pinguin leise und verstummte dann. Ich glaubte, eine Träne in seinem Äuglein glitzern zu sehen, doch musste niesen.
"Gesundheit.", sagte der Pinguin, und ich bedankte mich artig.
Wir gingen noch ein Stückchen weiter, passierten einige Schneeglöcken und schwiegen.
"Du kannst meinen Kühlschrank besuchen, so oft du willst.", bot ich dem kleinen, höflichen Pinguin an.
Er blieb stehen.
"Ich liebe Kälte, und alles, was mit ihr zu tun hat.", sagte er. "Vor allem Kühlschränke." Ich nieste.
"Gesundheit.", sagte er, doch anstatt ihm zu danken, hob ich ihn hoch, drückte ihn herzlich und bedeckte sein Gesicht mit zahlreichen Küssen. Sogar auf den Schnabel küsste ich ihn, auch wenn ihm das nicht wirklich behagte.
"Wenn wir Glück haben", sagte ich, nachdem ich ihn wieder abgestellt hatte "Wenn wir Glück haben, bekommst du jetzt meine Erkältung. So bleibt der Winter länger bei dir."
Der kleine, höfliche Pinguin schaute mich an, und langsam wich die Traurigkeit aus seinem Gesicht.
"Ich muss jetzt los.", verabschiedete ich mich. "Viel Glück mit der Erkältung."
Ich ging davon, und zahlreiche Frühblüher säumten meinen Weg.
Der Pinguin blieb zurück, lächelte vorsichtig und winkte mir nach.
"Ich liebe Kälte, und alles, was mit ihr zu tun hat.", sagte er glücklich und nieste.

Montag, 28. März 2011

Begegnungen 06: Pinguin

Mitten im Park stieß ich auf einen kleinen Pinguin. Die Enten quakten, erste Amseln tirillierten eine fröhliche Morgenmelodie, und aus meinem Mund dampften kleine Wolken warmer Luft, als das kleine Kerlchen plötzlich vor mir stand.
"Ein Kaiserpinguin!", rief ich erfreut, denn ich hatte genug Tiersendungen gesehen, um einen Kaiserpinguin erkennen zu können, wenn mir einer im Park begegnete.
Der Kaiserpinguin sah auf, sah mich an - und schüttelte mit dem Kopf.
"Kein Kaiserpinguin?", fragte ich.
"Kein Kaiserpinguin.", bestätigte der Kaiserpinguin, der keiner war, leise.
Er hätte am liebsten geseufzt, doch bekanntlich können Pinguine nicht seufzen. Also seufzte ich für ihn.
"Mit der Monarchie ist es vorbei. Wir leben in einer Demokratie.", erklärte der Pinguin traurig, und setzte sich auf eine Parkbank. Er sah recht verloren aus, der kleine Pinguin auf der riesigen hölzernen Bank, also setzte ich mich zu ihm.
"Es gibt keine Kaiser mehr."
Er machte eine kleine Pause, und ich nutzte die Gelegenheit, noch einmal zu seufzen.
"Ich könnte maximal ein Kanzlerpinguin sein. Oder ein Präsidialpinguin.", sagte der Pinguin, und seine hübsche Krone wippte ein wenig hin und her.
"Oder Innenministerpinguin.", ergänzte ich, und der Pinguin nickte.
In der Ferne sah ich meine Bahn davonfahren, aber mir war es egal.
"Was bist du denn nun für ein Pinguin?", fragte ich den kleinen Vogel und widerstand der Versuchung, ihn zu streicheln.
"Ein Abgeordnetenpinguin.", meinte der Pinguin und ergänzte. "Allerdings kein echter."
"Kein echter?"
"Mich hat niemand gewählt.", sagte der Pinguin, und ich seufzte ein drittes Mal.
So saßen wir nebeneinander im Park, und allmählich begann ich zu frieren.
"Vielleicht hilft dir das ja.", sagte ich nach einer Weile und holte einen Ponguin aus meinem Rucksack.
"Ein Ponguin!", rief der Pinguin erfreut.
Ich nickte.
"Ich muss jetzt gehen.", sagte ich und stand auf. "Mach's gut."
ich lief zur Haltestelle, und als ich nach ein paar Minuten zum Park zurückblickte, sah ich Pinguin und Ponguin fröhlich Tischtennis spielen.
'Immerhin.', dachte ich und stieg in die Bahn.

Donnerstag, 17. März 2011

Begegnungen 05: Richard

Ich summte gerade ein heiteres Zwölftonmusikstück vor mich hin, als plötzlich Richard vor mir stand. Ich hatte Richard seit mindestens sechsdreiviertel Jahren nicht mehr gesehen, und mir kam es so vor, als sei er, der mich ohnehin immer um anderthalb Kopfhöhen überragt hatte, in der Zwischenzeit noch um einiges gewachsen.

"Richard!", rief ich erfreut zu ihm hinauf, "Was machst du denn hier?"
"Ich gehe zur Musikschule.", meinte er.
"Zur Musikschule?", wunderte ich mich. Richard war immer einer von denen gewesen, die Rhythmus für etwas Freiwilliges hielten, an dem man also nicht unbedingt teilnehmen musste. Richard tanzen zu sehen, ähnelte dem Anblick einer betrunkenen Giraffe beim Sackhüpfen - jedoch mit weniger Eleganz.

"Zur Musikschule.", bestätigte Richard, und soweit ich es von unten erkennen konnte, schien er dabei auch ein wenig bestätigend zu nicken.
"Was für ein Instrument lernst du denn?", fragte ich, doch Richard schüttelte mit dem Kopf. Sein zotteliges Haar wirbelte ihm vergnügt um die Wangen.
"Kein Instrument. Ich lerne Gesang."
"Im Chor?"
"Nein, Sologesang. Eigentlich lerne ich nur einen einzigen Ton."
"Das ist nicht sehr viel.", meinte ich vorsichtig.
"Es reicht aus.", antwortete Richard, und ich glaubte, ein Schmunzeln auf seinen bartumkränzten Lippen erkennen zu können.
"Äh... wofür denn?"
"Um Glas zerspringen zu lassen."
"Bitte?", fragte ich verdutzt.
"Um Glas zerspringen zu lassen.", wiederholte Richard. "Ich lerne, mit meiner eigenen Stimme Glas zum Bersten zu bringen."
"Warum sollte man so etwas wollen?"
"Um Frauen zu beeindrucken.", meinte Richard und schaute verlegen zu Boden. Also mehr oder minder zu mir.
"Ach so.", meinte ich, und eine unbehagliche Stille schwebte zwischen uns.

"Und?", fragte ich nach einer Weile. "Klappt es?"
"Noch nicht."
"Noch nicht? Nicht mal sei ein bisschen?"
"Nein.", sagte Richard. "Bisher kann ich nur Holz zersplittern lassen."
"Krass.", sagte ich.
"Jup.", meinte Richard.

Wieder klebte Schweigen zwischen uns, und fast schien es mir, als legte es Richard auf einen Wettbewerb an. Wer von uns würde die Unbehaglichkeit der Stille länger aushalten?
Ich war der Klügere, und nach einer Weile gab ich nach.
"Nun gut.", sagte ich, entschuldigend lächelnd, "Ich muss jetzt los. War schön, dich getroffen zu haben, Richard."
Richard nickte, und ich verabschiedete mich:
"Tschüß."
"Tschüüüüß.", antwortete Richard fast flötend, und ein unangenehmer Ton mischte sich unter den Umlaut.
Neben mir knackten die Bäume und Büsche bedrohlich.

Ich begann zu rennen.

PS:
Mit passierte nichts. Nur meine Zahnstochersammlung, die ich bekanntlich mit mir herumtrage, litt ein wenig.

Montag, 14. März 2011

Begegnungen 04: Rudel

Als ich das Haus verließ, traf ich auf ein Rudel westaustralischer Hüpfpinguine. Das Rudel bestand, um genau zu sein, nur aus zwei Exemplaren - und die waren auch noch Elefanten.

Ich grüßte höflich, doch sie waren anscheinend zu beschäftigt, um mich zu bemerken, also trat ich näher und wiederholte meinen Gruß. Erneut erhielt ich keine Reaktion und beschloss bereits, dass diese Elefanten eindeutig als unhöflich zu bezeichnen waren, als ich plötzlich bemerkte, welch massives Dilemma die beiden so sehr fesselte, dass sie keinerlei Aufmerksamkeit auf einen grüßenden Passanten lenken konnten:

Der erste Elefant nämlich - Sein Name war, wenn ich das richtig verstand, Radieschen. - hatte sich eine Pudelmütze gekauft und in Anbetracht der Außentemperaturen heute aufsetzen wollen. Doch versehentlich hatte er die Mütze im Laden vergessen und nur den Pudel mitgenommen. Und selbiger saß nun auf dem Radieschens Kopf und knurrte den zweiten Elefanten, DJ Watteplüsch, an.

"So kann ich nicht arbeiten.", sagte DJ Watteplüsch und versuchte, sich mit dem Rüssel vorsichtig dem Pudel auf Radieschens grauem Schädel zu nähern. Doch der Pudel knurrte und sabberte noch mehr als ohnehin schon, fletschte die Zähne und erzählte einen schlechten Witz.

"So kann ich nicht arbeiten.", wiederholte DJ Watteplüsch und seufzte.

Wer noch nie einen Elefanten seufzen gehört hat, kann sich glücklich schätzen. Denn Elefantenseufzer sind vermutlich das vierttraurigste Geräusch auf Erden. Hilfesuchend sah sich Radieschen um. Dabei bemerkte er mich.

"Guten Morgen.", sagte ich zum dritten Mal und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort. "Ich glaube, ich habe eine Lösung für Ihr Problem."

Die beiden Elefanten und auch der sabbernde Pudel blickten mich skeptisch an. Ich kramte in meiner Hosentasche und holte ein winziges Mützchen heraus, das ich für Notfälle stets mit mir herumtrug. Ohne mich um sein Knurren zu kümmern, setzte ich es dem Pudel auf das belockte Köpfchen.

"Ihm war nur kalt.", erklärte ich - und tatsächlich verstummte das Knurren des Pudels. Er lächelte sogar, und präsentierte seine gut gepflegten Eckzähne.
DJ Watteplüsch streckte probehalber seinen Rüssel aus und streichelte den pelzigen Vierbeiner. Der Pudel schloß vergnügt die Augen.

"Wuff.", sagte der Pudel und lächelte weiter.
"Danke.", sagte Radieschen und lächelte ebenfalls.
"Danke.", sagte DJ Watteplüsch und streichelte nun mich.

"Kein Problem.", sagte ich und ging davon. Am Ende der Straße drehte ich mich noch einmal um:
"Übrigens: ich würde den Pudel 'Mütze' nennen.", rief ich und lächelte nun auch.

Donnerstag, 10. März 2011

Begegnungen 03: Goldfisch

Im Flur begegnete mir ein Goldfisch. Er hatte sein Glas verloren und weinte deswegen ein bisschen. Ich wollte ihn trösten, doch er hielt mich davon ab.

"Wenn ich noch ein bisschen weine", sagte er "habe ich genug Tränen, um in ihnen herumzuplanschen. Und dann wird alles wieder gut."
Ich sah ihm eine Weile zu, und es rührte mir das Herz, wie er so herumsaß und weinte. Doch der Tränenberg stieg, und schon bald
planschte er fröhlich in klarstem Nass herum.

Dennoch: Als er kurz wegsah, gab ich ihm sein Glas zurück.

Montag, 7. März 2011

Begegnungen 02: Schildkröte

Heute Morgen begegnete ich einer Schildkröte. Ihr war offensichtlich kalt; daher lieh ich ihr meinen Kugelschreiber.
"Was soll ich denn mit einem Kugelschreiber?", fragte sie mich.
"Seit wann können Schildkröten reden?", fragte ich zurück.
"Fragen beantwortet man nicht mit Gegenfragen.", antwortete sie etwas schnippisch und ich bat sie höflich darum, mir meinen Kugelschreiber zurückzugeben.
"Könnte ich bitte meinen Kugelschreiber zurückbekommen?", fragte ich also, und sie schaute mich mit riesigen Schildkrötenaugen an, als hätte sie mich nicht verstanden.
"Könnte ich bitte meinen Kugelschreiber zurückbekommen?", fragte ich erneut, diesmal etwas lauter, weil Schildkröten bekanntlich sehr alt werden, und ich nicht wusste, ob sie eventuell alt genug war, um ihre Hörfähigkeit eingebüßt zu haben.
Die Schildkröte starrte mich an und schüttelte dann ganz langsam mit dem Kopf.
"Nein.", sagte sie. "Den brauche ich noch."
"Aber warum denn?", fragte ich.
"Weil mir kalt ist.", entgegnete sie, drehte sich um und ging davon.
Ich sah ihr eine Weile nach, bis auch ich zu frieren begann und meinen Ersatzkugelschreiber herausholte.

Freitag, 4. März 2011

Begegnungen 01: Elefant

Heute Morgen begegnete ich einem kleinen Elefanten. Er stand direkt vor der Haustür und fragte mich nach der Uhrzeit. Ich verstand ihn falsch, erzählte von Dinosauriern, davon, dass ich ja immer den Stegosaurus mochte, mein Bruder hingegen eher den Triceratops und wollte gerade ein bisschen über die Evolutionstheorie Darwins reden, als er mich unterbrach und darauf verwies, dass ich beim Wort "Uhrzeit" ein "h" überhört hatte.

Ich entschuldigte mich mehrfach und fragte ihn, warum er denn keine Armbanduhr besaß. Er verwies dezent darauf, dass Elefanten nur in seltensten Fällen über Arme verfügen, erwähnte, dass Löwen beispielsweise zwar häufiger Arme besaßen, aber das meistens nicht ihre eigenen waren, und ich entschuldigte mich für meine abermalige Unhöflichkeit.

"Kurz nach.", sagte ich also, um endlich seine Frage zu beantworten, und er nickte.
"Das habe ich geahnt.", meinte er, stieg auf seinen Tretroller und brauste davon.

PS:
Ich habe keine Ahnung, ob der Elefant Peter hieß, aber sah ein bisschen so aus.

Turm

An Wellen fand ich keinen Halt
und keinen Weg im Meer
Doch brandete ich durch den Sturm
an rettende Gestade
War doch dein Lächeln Leuchten mir
und jedes Wort ein Turm.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Stillstand

"Tja.", sagte ich und lächelte. Du schautest ungläubig, mit großen Augen, so wie du es immer tatest, wenn ich dir etwas erzählte, von dem du wusstest, dass es nicht wahr sein konnte. Doch diesmal war alles wahr. Jedes einzelne Wort.
Wenn ich dir lange genug in die Augen blickte, glaubte ich einen Funken der Erkenntnis in ihnen zu erkennen, eine Ahnung, die dich im letzten Augenblick noch zu berühren vermocht hatte. Vielleicht war der Funken aber auch nur der des Schalks, das Kichern, das sich sonst bei jedem noch so ernsten Wort in deinen Blicken versteckte, als wüsstest du mehr als alle anderen.
Die Zeit stand still.

Das hätte ein romantischer Augenblick sein können, ein Augenblick, wie er in zahlreichen Romanen und Filmen bereits tausendfach zelebriert wurde, ein Innehalten des Sekundenzeigers just in dem Moment, als sich unsere Blicke trafen. Doch das war es nicht. Die Zeit erstarrte, ich blickte mich um, lächelte und schaute dir ins Gesicht, sah die Augen. So einfach war das.

Die Welt war wie gefroren, bewegte sich nicht, weigerte sich, ihrem weiteren Lauf zu folgen.

Du hattest mir nicht geglaubt, dachte ich, doch nun hatte ich es dir bewiesen. Beziehungsweise mir bewiesen, denn dich hatte das Begreifen noch nicht erreichen können. Dazu fehlte ihm, euch, die Zeit.

Ich legte den Hammer weg und betrachtete die kläglichen Reste von dem, was einst eine Armbanduhr gewesen war. Eine Kinderarmbanduhr, um genau zu sein. Eine Kinderarmbanduhr, auf der Goofy mit langen, tollpatschigen Zeigerarmen verkündete, wie spät es gerade war.
"Die Uhr ist hässlich.", hattest du gesagt, und ich hatte sie nicht widersprochen.
"Die Uhr ist hässlich und albern.", hattest du gesagt. "Leg sie weg."
"Ich muss sie beschützen.", hatte ich gemeint, doch du hattest mit dem Kopf geschüttelt.
"Du bist erwachsen. Leg sie weg.". Deine Stimme war hart geworden, doch in deinen Blicken hatte ich noch immer den Funken entdecken können, den ich so liebte.
"Wenn die Uhr stehenbleibt, bleibt die Zeit stehen.", sagte ich, und bemühte mich, nicht allzu salbungsvoll zu klingen.
"Was?"
"Wenn die Uhr stehenbleibt, bleibt die Zeit stehen.", wiederholte ich.
"Quatsch." hattest du gesagt, und es war geschehen, was geschehen war.

Die Zeit stand still. gerne hätte ich gewusst, wie lange ich nun schon hier saß und den Stillstand der Zeit, den Stillstand aller Dinge, betrachtete, doch es gab keine Minuten mehr, keine Sekunden, keine Tage. Nur Starre, eine zertrümmerte Uhr und mich.

Ich küsste dir auf die Stirn. Deine weiche Haut war kühler Fels.

Ich warf einen letzten Blick auf die Uhr. Vielleicht war es keine allzu gute Idee gewesen, sie zu zerstören, dachte ich, und mein Lächeln welkte dahin. Vielleicht, überlegte ich weiter, gibt es aber eine weitere Uhr, eine, die nur darauf wartet, von mir gefunden zu werden, eine Uhr, die den Stillstand der Sekunden beendet und dem Dasein wieder Leben einhaucht.
Vielleicht, dachte ich, vielleicht.

Sie zu finden, wird nicht einfach, dachte ich, und spürte, wie das Lächeln meine Lippen wiederfand:
"Zumindest habe ich Zeit."

Freitag, 28. Januar 2011

Sibyllenstraße 8

Es war Donnerstag Mittag, als es geschah. Genauer gesagt war es früher Donnerstag Nachmittag. Die Sonne hatte sich einen guten Platz zwischen den umherquirlenden Wolken erkämpft und blickte nun frohgemut auf das Erdentreiben herab, dorthin, wo Mittagsschläfchen ihr Ende nahmen, erste Schulkinder nach Hause gingen und der Würstchenverkäufer am Emilienplatz ein verdientes Nickerchen auf einer der von der Stadtsparkasse gestifteten Holzbänke hielt.

Doch nicht wann es geschah, war bedeutsam. Eigentlich spielte es noch nicht einmal eine Rolle, was überhaupt geschah. Wichtiger war, dass etwas geschah. Dass irgendetwas geschah.

Herr Konradi wohnte in der Sibyllenstraße 8, dem letzten Eingang am Ende einer Sackgasse, die, selbst wenn ihre Zufahrt nicht von unzureichend gepflegten Schneebeerenbüschen allmählich vollständig verdeckt zu werden drohte, durchaus leicht zu übersehen war. Herr Konradi empfing nicht oft Besuch, doch wenn er besucht wurde, dann von niemandem, der nicht unterwegs zwei oder drei Mal nachfragte, wo sich sein Hauseingang denn eigentlich befand. Der Nachfragerekord lag bei sieben, erinnerte sich Herr Konradi manchmal schmunzelnd.

Die Sibyllenstraße 8 war nicht lang, einhundertfünfzig Meter nur, bestand aus Kopfsteinpflaster, das zwar bereits aus den 60er Jahren stammte, aber erstaunlich unbenutzt aussah, und endete in einer monströsen rostroten Backsteinmauer. Die Mauer gehörte zum nebenan gelegenen Einkaufszentrum, dessen Besitzer es anscheinend guthieß, den Parkplatzbereich festungsartig mit Steinwerk zu umkränzen, so dass Herr Konradi, wenn er aus seinem Küchenfenster im Erdgeschoss hinaus nach rechts blickte, nichts weiter als die langweilige Schlichtheit sauber aufeinandergearbeiteter Backsteine zu sehen bekam, in deren Zwischenräume sich bis heute kein Pflänzchen vorgewagt hatte. Der Backstein war tot, hatte Herr Konradi schon viel zu oft festgestellt und dann geseufzt.

Überhaupt seufzte Herr Konradi viel. Wenn er aus dem Küchenfenster auf die Sibyllenstraße schaute, fanden seine Augen nichts, das er mit Interesse verfolgen konnte. Sechsundzwanzig Autos parkten in der Sibyllenstraße, davon besaßen erstaunlich viele einen blauen oder bläulichen Farbton. Neun Stück nämlich, zehn, wenn man den türkisfarbenen Volkswagen mitzählte, bei dem sich Herr Konradi allerdings nicht sicher war, ob er noch als Auto bezeichnet werden durfte, weil er sich seit mindestens viereinhalb Jahren nicht bewegt hatte.

Von den sechsundzwanzig Autos gefielen Herrn Konradi dreiundzwanzig. Der Volkswagen gehörte dazu. Gestern hatten hier noch neunundzwanzig Fahrzeuge gestanden, und Herr Konradi war sich sicher, dass eines der Differenzautos ein silbergrauer Fiat Punto mit Berliner Kennzeichen gewesen war. B-MK 175, um genau zu sein. Vielleicht aber auch B-MK 173. Bei MK war sich Herr Konradi ziemlich sicher, hatte er doch seine Initialen wiedererkannt.

Herr Konradi hatte die Autos in der Sibyllenstraße heute schon mehrere Male gezählt. Tatsächlich hatte er nicht nur die Autos gezählt, sondern auch die Male, wie oft er die Autos gezählt hatte. Als er die sechsundzwanzig Autos zum sechsundzwanzigsten Mal gezählt hatte, hatte er ein wenig geschmunzelt.

Ansonsten war nichts geschehen. Herr Konradi hatte aus dem Küchenfenster geschaut und absolut nichts beobachten können. Irgendein Nachbarsjunge hatte neulich ein Kaugummipapier vor dem Eingang der Sibyllenstraße 7 - das war der Eingang gegenüber - liegen lassen, dessen rote Farbe Herrn Konradis Blicke seit zwei Tagen immer wieder wie magisch anzog. Der nahende Herbst hatte ein paar Blätter von den Büschen am Straßenanfang hereingefegt, und Herr Konradi hatte ihre Anzahl auf vierzig geschätzt. Hinter der großen steinernen Mauer hatten vermutlich Fahrzeuge ein- und ausgeparkt, doch hatte Herr Konradi davon weder etwas gesehen noch etwas gehört. Er hätte sich vorstellen müssen, dass dort Menschen ein- und ausstiegen, Einkäufe erledigten, Kofferäume beluden und Radiosender wechselten, doch war dessen schon vor Jahren überdrüssig geworden.

Mehr war nicht geschehen.

Die Mauer bestand aus einer Menge Backsteinen, deren genaue Anzahl sich Herr Konradi immer geweigert hatte zu bestimmen. "Sollte ich einmal anfangen, die Steine in der Mauer zu zählen, kaufe ich mir einen Fernseher oder lasse mich einweisen.", hatte er einmal zu einem Besucher gesagt und schmunzelnd ergänzt: "Was vermutlich das Gleiche ist."

Kurz nach 10 Uhr hatte Herr Konradi geglaubt, dass sich die Gardine in der ersten Etage von Nummer 17 bewegt hatte, doch Frau Ampferberg, die dort mehr als zwanzig Jahre lang gewohnt hatte, war bereits im Frühjahr verstorben, und bisher hatte sich noch niemand gefunden, der die Wohnung beziehen und die alte vergilbte Gardine durch eine modernere, neuere austauschen wollte.

Viele Wohnungen in der Sibyllenstraße standen leer, und Herr Konradi vermochte nicht zu erklären, woran es lag. Die Sibyllenstraße war idyllisch, fast verwahrlost und einsam, doch der Emilienplatz war nicht weit, und dort bekam man alles, was man so für den täglichen Bedarf brauchte. Sogar Würstchen, dachte Herr Konradi und schmunzelte mal wieder.

Schmunzeln und seufzen - das ist alles, was ich tue, dachte er und seufzte.

Vor dem Küchenfenster geschah nichts.

Vor einer Woche hatte Herr Konradi ein Eichhörnchen gesehen. Kein rotes, ein graues, ein importiertes. Niedlich war es gewesen, erinnerte sich Herr Konradi, und auch daran, dass es über die Mauer geklettert war, bevor Herr Konradi Gelegenheit bekommen hatte, seine Brille aus dem Wohnzimmer zu holen und es genauer zu betrachten.

Gegen Mittag hatte der Wind ein wenig aufgefrischt, und Herr Konradi hatte kurz überlegt, ob er das Schlafzimmerfenster schließen sollte. Nicht, weil ihm kalt gewesen war. Nein, der Sommer war noch nicht ganz verschwunden, und an Winter war noch nicht zu denken. Doch die Schlafzimmertür neigte dazu, bei Durchzug zuzuschlagen, und womöglich könnte dadurch der Türrahmen in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich will den Türrahmen nicht ersetzen müssen, wenn ich hier einmal ausziehe, hatte Herr Konradi gedacht und seufzend das Schlafzimmerfenster geschlossen. Dann war er in die Küche zurückgekehrt und hatte aus dem Fenster geschaut.

Viel war nicht geschehen. Eigentlich gar nichts, wenn man es genau betrachtete.
Sechsundzwanzig Autos. Ein rotes Kaugummipapier. Ein paar Blätter. Und eine Mauer. Mehr nicht.

Vom Emilienplatz drang ein Geräusch herüber, doch bevor Herr Konradi es erkennen konnte, war es verklungen. Vielleicht ein Kind, vermutete Herr Konradi. Oder eine Katze.

Herr Konradi hatte bereits mehrere Male überlegt, ob er sich nicht eine Katze anschaffen sollte. Keine Rassekatze. Eine gewöhnliche, vielleicht mit graugeschecktem Fell und grünen Augen. Doch eigentlich war die Farbe des Fells egal. Und die der Augen erst recht. Eine Katze könnte draußen auf der Straße herumtollen, und ich könnte sie beobachten, hatte Herr Konradi schon häufiger gedacht, doch seine Überlegungen nie zu Taten werden lassen.

Vor ein paar Jahren hatte Frau Ampferberg von ihrer Katze erzählt. Nur kurz, und als Herr Konradi gesehen hatte, dass ihr die Tränen in den Augen standen, hatte er rasch das Thema gewechselt. Frau Ampferbergs Katze hatte Konrad geheißen, erinnerte sich Herr Konradi nun und schmunzelte. Ein schöner Name für eine Katze. Für einen Kater, um genau zu sein. Er war überfahren worden. Hier in der Sibyllenstraße. Konrad der Kater. Herr Konradi konnte es bis heute nicht glauben.

Also keine Katze, beschloss Herr Konradi zum wiederholten Male und schaute weiter aus dem Küchenfenster. Keine Katze, die die Straße bespielte. Keine Katze, die hin und wieder miaute und die Stille vertrieb. Keine Katze. Herr Konradi seufzte.

Die Mauer, das hatte Herr Konradi festgestellt, war etwa siebeneinhalb Meter hoch. Vielleicht auch 7 Meter 80. Und nirgendwo auf ihr wuchs Efeu. Oder Moos. Sie bestand aus einer Menge Backsteine.

Der Nachmittag brach an, die Sonne suchte sich zwischen den umherquirlenden Wolken einen guten Platz und blickte frohgemut auf das Erdentreiben herab. Herr Konradi stellte sich vor, wie Mittagsschläfer sich von ihren durchgelegenen Couchen erhoben, wie erste Schulkinder ohne Eile nach Hause gingen und wie der Würstchenverkäufer am Emilienplatz sein verdientes Nickerchen hielt.

Und dann geschah es.
Inmitten der Sibyllenstraße.

Zerbrach die Stille. Zerschmetterte die Reglosigkeit. Zerfetzte die träge Unbewegtheit.
Etwas geschah.

Plötzlich liefen Menschen umher, wunderten sich, Geräusche tönten aus Mündern und Maschinen, die Sibyllenstraße wurde für einen Augenblick zum Fokus des Geschehens.

Dann war es vorbei, und die altbekannte Ruhe kroch in ihre Heimat zurück. Herr Konradi saß im Wohnzimmer und blätterte in einer Broschüre über Fernseher. Er hatte nichts bemerkt.

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