Dienstag, 24. Mai 2005

Mein Poesiealbum-Trauma

In Anlehnung an einen Eintrag bei Nadine in Berlin verfaßte ich folgende Worte, die ursprünglich als Antwort auf ihre Frage nach meinem möglicherweise vorhandenen Poesiealbum-Trauma gedacht war.

Ich gebe zu, sowohl mein eigenes Poesiealbum, als auch die, in die ich einst schrieb [inklusive meiner eigenen Einträge], waren schrecklich. Doch das tut nichts zur Sache.

Sammelt man gute Aphorismen, stellt man fest, daß unglaublich viele von ihnen mit stets neuen, anderen schönen Worten das Alte, Gleiche umschreiben. Vielleicht vermögen sie etwas zu ändern. Bei dem/der Richtigen. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, daß ich immer wieder Definitionen sehe, was Freundschaft, Liebe, Hoffnung, Glück etc. in Wirklichkeit ist.

"Hoffnung heißt, den Regenbogen in den eigenen Tränen zu sehen."
Habe ich mir gerade ausgedacht. Spontan. Das kann jeder.

Deswegen ist also ein Aphorismus, bloß weil ein berühmter Mensch ihn geschrieben hat [oft noch nicht einmal Autor oder ähnliches - in Zitatbüchlein entdeckte ich auch derartiges von ehemalgen Sportlern und Fernsehmoderatoren], nicht zwangsläufig gut. Und nützlich schon gar nicht. Wenn mich die Tausend anderen Sprüche nicht überzeugen konnten, kann es der eine, neue auch nicht.

Hinzu kommt, daß die "Weisheit" sehr oberflächlich ist. Vieles sieht so aus, als sollte es hinterfragt werden, doch stellt man genug Fragen, vermag auch die Wortaneinanderreihung nicht mehr Antwort zu geben. Sie idealisiert hoffnungslos, dramatisiert, übertreibt, malt mit einfachen Mitteln Normales, Offensichtliches in Bunt.

Wenn ich Menschen - wie meine Mitbewohnerin - kennenlerne, die auf derartiges viel geben, frage ich mich stets, warum. Schließlich ist das Wichtigste, den Inhalt dieser Sprüche selber zu erleben, zu begreifen, am eigenen Leib zu erfahren. Sie einfach zu lesen, reicht nicht. Sie in andere Worthüllen umzutopfen, erst recht nicht.

Fatal wird es, wenn Sprüche aus umfangreicheren Werken entrissen werden, wenn bestehende Zusammenhänge verdreht, verformt oder gar vergessen werden, wenn man einen Satz von Kant zitiert, weil er gut klingt und weil es noch besser klingt, wenn "Kant" drunter steht, ohne daß die Gesamtheit der Bedeutung wirklich erfaßt oder erwähnt wurde.

Jeder stellt sich beim Lesen von Worten etwas anderes vor; deswegen gibt es vielleicht auch in Büchern keine endgültige Wahrheit. Vielleicht kann man auch die wahre Intention des Autors niemals völlig erfassen. Das gibt aber niemandem das Recht, dessen Werke zu zerstückeln, um sie albernen Zitatebüchlein einzuverleiben.

Lese ich Aphorismen, so fällt es mir schwer, sie nicht sofort zu ignorieren. Mnachmal denke ich, daß der Autor schöne Worte gefunden habe. Manchmal erfreue ich mich des angenehmen Nachhalls in meinem Schädel.

Doch leider wohnt den Sprüchen der scheinbare Anspruch inne, tiefergehende Weisheiten zu bergen. Das ist aber in den wenigsten Fällen tatsächlich so. Oft werden nur simple Erkenntnisse schön verkleidet. Zuweilen sind auch die unterzeichenden Namen schöner als der Spruch selbst. Und das stört mich ein wenig.

Noch mehr stört mich allerdings, wenn jemand zu zitieren beginnt, wenn jemand einen Aphorismus von erwähntem Kant in die Runde wirft und mir noch nicht einmal zu sagen vermag, aus welchem seiner Werke die Zeile stammt; wenn er sich mit Dingen brüstet, die sich hinterfragend darstellen, aber, werden sie selbst hinterfragt, nur Leere hinter sich wissen.

Einst, um meiner Mitbewohnerin ein Geburtstagsgeschenk zu kreiieren, haben mein Mitbewohner und ich uns die Mühe gemacht, ein eigenes Zitatebüchlein zu basteln. Dazu sammelten wir allerhand Nonsens-Sprüche, dachten uns alberne Autorennamen aus und fügten alles zusammen. Das Ganze sollte ihre Zitatesammlung auf liebevolle Weise verhohnepiepeln [Dieses Wort ist toll.].
Um Inspiration zu erhalten, wälzten wir diverse Aphorismenbücher. Mehr als die Hälfte aller Sprüche hätte man ohne weiteres in unser lustiges Veralberungsbüchlein übernehmen können. Sie wirkten tatsächlich zumeist lächerlich oder langweilig.

Das heißt jedoch nicht, daß ich etwas daegegen habe, Sprüche und Aphorismen zu sammeln oder irgendwelche Werke zu zitieren. Derartig agiere ich ja zuweilen selbst ganz gerne. Doch suche ich nicht die tiefste aller Weisheiten und vermag auch noch immer den Zusammenhang zwischen der herausgerissenenen Zeile und ihrem Umfeld herzustellen, selbst wenn es niemanden interessiert.

Will sagen: Jeder handle, wie er/sie wünscht, doch sollte dabei im Hinterkopf behalten werden, daß eine simple Aneianderreihung von Worten - und sei sie noch so schön und bezaubernd - niemals genügt, um die Vielfalt des Lebens beschreiben zu können.

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NBerlin - 24. Mai, 15:06

Und....

hat sie sich über das Buch gefreut?
Ich bin da ja nicht ganz deiner Meinung, Erkenntnisse sind wichtig und wenn man sie schön formuliert festhalten kann, ist das doch was wert und kann einen helfen (sie nicht zu vergessen). Klar gibt es ne Menge Nonsense, aber den gilt es auszusortieren...

morast - 24. Mai, 16:06

Ich glaube, sie verstand den Humor nicht ganz. Naja...

Ja, ich gebe dir recht, daß nicht alle Erkenntnisse selbst gemacht werden müssen, sondern auch welche von anderen übernommen werden können. Doch ich brauche keine Erkenntnisse, was Glück und Liebe ist, was Freundschaft bedeutet, wenn sie alle ähnliches ausdrücken - und nur das wiederspiegeln, was ich sowieso denke.

Und bevor ich mir die Mühe mache auszusortieren, beschränke ich mich auf das bißchen, das mich von Anfang an überzeugt.

Aber es besteht nicht zu befürchten, daß ich tobend um mich schlagen werde, sobal ich einen Spruch oder dergleichen sehen... :)

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