Donnerstag, 25. August 2005

Wahlkampfauftrittsvergleich

Nachdem ich mich am Montag dazu überredet hatte, unseren Bundeskanzler auf Magdeburgs Altem Markt erleben zu wollen, konnte ich es mir gestern nicht nehmen lassen, auch dem Magdeburg besuchenden Joschka Fischer meine Anwesenheit zukommen zu lassen. Und ich muß gestehen, daß die Unterschiede zwischen den Wahlauftritten beider Parteien, beider Politikgrößen immens war, auf jeden Fall größer, als ich es erwartet hätte.

Den größeren Etat der Sozialdemokraten konnte man anhand eines riesigen Bildschirms bewundern, auf dem auch aus letzter Reihe nicht nur die Gesichter der einzelnen Parteimitglieder oder deren vollständige Leiber erkennen, sondern auch anspruchslos-unterhaltsame SPD-Reklamefilmchen beschauen konnte.
Die Bühne der Grünen war kleiner, und Herr Fischer hatte seine fehlende Bildschirmpräsenz durch Körpermasse und Stimmvolumen auszugleichen, was ihm allerdings erstaunlich gut gelang.

Daß den Kanzler mehr Politikinteressierte und Trillerpfeifenbesitzer besuchten als den Außenminister, hätte wohl niemand anders erwartet. 8000 zu 1300. Und ich mittendrin.
Doch während den Magdeburger SPD-Funktionären und en Ehrengästen ein riesiges Areal vor der Bühne reserviert worden war, so daß der gemeine Pöbel sich erst in deutlichem Abstand zu den Politikgrößen postieren konnte, gab es bei den Grünen nur einen schmalen Sicherheitsbereich, der nicht weiter ins Gewicht viel. Volksnähe statt Leinwand, schien das Motto zu lauten.

Allein das musikalische Vorprogramm beider Parteien ist eine Erwähnung wert. Herr Schröder und Konsorten hatten dazu extra Roland Kaiser geordert, dem zwar kein schlechtes Image anhaftet, der allerdings Vertreter einer musikalischen Richtung ist, die wohl wenig die Jugend anzusprechen vermag. Vielleicht mögen SPD-Jungwähler aber auch Schlagermusik. Immerhin hat sich der Sänger von spektakulären Songs wie "Joana - geboren um Liebe zu geben" und "Alles, was du willst" zur SPD bekannt und durchaus glaubwürdig vermittelt, der Ansicht zu sein, allein die SPD sei befähigt, Deutschland in eine gute Zukunft zu führen.

Das Wort "Volksnähe" schien den Grünen dagegen auch hier anzuhaften, beschränkte sich man doch auf Kleinstein, eine junge, erwähnenswert gute Magdeburger Band mit ebensolchem Ruf. Und während Herr Kaiser nach Schröders Rede schwieg, lieferte Kleinstein noch eine abschließende Zwei-Song-Show.

Herr Schröder mied in seiner Rede außenpolitische Themen, schien im doch wichtiger zu sein, darzustellen, was er zu leisten imstande ist, was er bereits geleistet hat und - das war ihm besonders wichtig - was die CDU/CSU niemals leisten wird. Selbst vor der Erwähnung von ALGII und HartzIV scheute er sich nicht, was ihm ein gehöriges Trillerkonzert und diverse Buh-Rufe seitens der mit zahlreichen Transparenten bestückten Pseudo-Montags-Demonstranten einbrachte.

Nebenbei: Warum heißen Transparente eigentlich so? Denn Transparent waren sie keineswegs, sondern versperrten allen, die hinter ihnen standen, die Sicht auf Bühne und Bildschirm. Ja, man könnte sogar so weit gehen, sich darüber zu beschweren, daß jene, die jeden Montag für mehr soziale Gerechtigkeit demonstrieren, selbst asozial agierten, indem sie anderen, Interessierten, eigennützig und unnachgiebig die Sicht verstellten.

Schröder wirkte ruhig, kumpelhaft. Doch selbst die zwanzigste Beteuerung, daß Stoibers Worte gegen Ostdeutschland keineswegs in seinem Sinne stünden, ja zu einer innerdeutschen Spaltung führen würden, ließ ihn zu keinem "von uns" werden.
Fischer war "näher". Seine Rede war drängend, kratzig, zuweilen leger.

Während Herr Schröder immer wieder seine "Freundinnen und Freunde" anredete, bevorzugte Herr Fischer seine "Damen und Herren", wobei es ihm nichts auszumachen schien, angesichts des verhältnismäßig jungen Publikums immer wieder in das persönliche "ihr" abzurutschen.

Ich überlegte eine Weile, ob ich es nun für verwerflich hielt, geduzt zu werden, oder für sympathisch. Ich entschied mich für letzteres, spätestens, als er leise raunte:
"Ich weiß, ihr nehmt den Westerwelle nicht ernst."

Und während Schröder auf das Publikum nur reagierte, indem er in Frage stellte, ob hinter den lärmenden Trillerpfeifen auch etwas zu finden sei, unterbrach sich Fischer mehrmals, um Publikumseinwürfen zu begegnen. Seine Stimme donnerte förmlich, als er auf einen von rechtem Gedankengut zeugenden Spruch zu antworten begann, schwoll an zu einem Gewitter gegen Rechts, gegen derartiges Denken, das einst Deutschland zerstörte und niemals wieder eine Chance bekommen wird, brauste auf, riß das Publikum mit sich und verebbte in begeistertem Applaus.

Als ich nach Hause radelte, stellte ich fest, daß zu erwarten ist, daß jede Geste Schröders mit Bedacht gewählt worden war, daß das SPD-Wahlkampf-Team jeden Satz, jeden Schritt durchgeplant, durchgestylt hatte.
Der Auftritt der Grünen hatte einen anderen, persönlicheren, volksnäheren Eindruck hinterlassen, so als ob vieles impulsiv, spontan gesagt und getan worden wäre, als ob hier nicht jede Silbe kunstvoll geradegerückt worden wäre.

Aber vielleicht war auch das nur Show, nur ein Kunstprodukt der Marketingexperten. Ich weiß es nicht.

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