Bahnbegegnungen

Mittwoch, 16. Februar 2005

straßenbahnerlebnisse 2

ihre kleidung war leger, unkonventionell, auf dezente art und weise "anders". sie las zeitung, keine der hiesigen lokalzeitungen, irgendein, mir unbekanntes tagesblatt. wie einen schild hielt sie die die bedruckten seiten nach oben, immer wieder umblätternd, sich vom restlichen straßenbahngetümmel abgrenzend. ja, man könnte sogar behaupten, sie isolierte sich von der welt, obgleich sie gerade dabei war, die geschehnisse in ebenjener welt nachzulesen.

hinter sie setzte sich ein paar im rentenalter. ich vermochte nicht viel zu erkennen, starrte ich doch auf ihre bemützten hinterköpfe. soviel sei gesagt: die mützen waren weder modisch, noch formschön, extravagant oder überhaupt nur interessant. die der frau war ein weißes ausgebeultes stück stoff, das nahezu den ganzen kopf bedeckte. alles, was es nicht vermochte, erledigte ein häßlichbraunkarierter schal. die mütze des mannes war von der sorte, die durch den pseudopopstar ben gewisse berühmtheit erlangt hatte - konnte aber auch schon jahrzehnte alt sein. ihr farbton lag irgendwo zwischen braun, grau und grün. auffällig an ihr war vor allem, daß der mann sich die mühe gemacht hatte, sie umzukrempeln, so daß sie nur einen geringen teil seines dickbackigen, schlecht rasierten, roten kopfes zu bedecken vermochte. die ohren blieben frei. das verwunderte mich ein bißchen.

warum, fragte ich mich, müssen ältere leute sich eigentlich prinzipiell in grau- und brauntöne kleiden? warum war beige die am häufigsten gesehene farbe bei menschen über 60? sollte so versucht werden, sich dezent aus dem vordergrund zurückzuziehen, unauffällig zu wirken, niemandem zur last zu fallen, sich womöglich gar farblich an zukünftige, erdige aufenthaltsorte anzupassen?

die beiden älteren personen schauten grimmig aneinander vorbei aus dem fenster und redeten, ohne einander zuzuhören: das übliche genuschelte geschimpfe, das irgendwie zu jedem thema eine abfällige meinung zu beinhalten vermochte. die zeitungsleserin legte ihre zeitung nieder, drehte sich um und unterbrach das sinnentleerte gespräch, indem sie sich danach erkundigte, ob die nächste haltestelle die richtige sei, um zum bahnhof zu gelangen.

die daraufhin erfolgenden antworten hätten sowohl ein ja als auch ein nein sein können, eigentlich sogar beides gleichzeitig. mit stammelnden, genuschelten worten versuchte der ältere mann zu erklären, wie sich die junge frau zu verhalten hätte, sobald sie die straßenbahn verließ, versuchte richtungsweisende erläuterungen zu liefern. allerdings brachte er keinen einzigen vollständigen satz heraus und versteckte den großteil seiner worte unter einer schicht nuschelei. die ältere frau klinkte sich ein, erzählte etwas von fahrrädern, die auf den bahnhofseingang hindeuten würden.

glücklicherweise fuhr die bahn gerade an ebenjenem bahnhof vorbei, so daß sich die beiden überforderten befragten mit profaner gestik zu behelfen wußten, deuteten mehrfach in richtung des bahnhofseingangs, deuteten auf die fahrräder, die man davor erkennen konnte und schlossen damit ihre erklärung ab.

die junge dame bedankte sich freundlich, lächelte artig, schnappte sich ihren rucksack und begab sich zur straßenbahntür. der nuschelmann wies noch auf ihre zeitung, die sie wohl vergessen hätte. "nein, nein.", lächelte die junge dame, "das ist nur die erste seite. die habe ich schon gelesen. der nächste freut sich.", und stieg aus.

das alte paar schickte noch ein paar grummelnde worte hinterdrein. ich verstand sie nicht, doch ihr tonfall war mürrisch genug, um zu erahnen, daß weder die begegnung noch die zurückgebliebende zeitung ihnen zusagten.

welche mürrische mienen, wunderte ich mich und beobachtete zu meiner linken, wie eine dame im mittleren alter einen viererplatz für sich allein beanspruchte, indem sie ihre tasche auf den sitz gegenüber stellte und so den zutritt zu den übrigen plätzen versperrte. ein musik hörender jugendlicher warf ihr einen fragenden blick zu. seufzend stellte sie die tasche zwischen ihre beine. der junge nahm platz.

an der nächsten haltestelle stieg ein älterer mann ein, sah sich nach einem platz um und endeckte den nur halb besetzten vierer. er richtete einige wenige worte an die versperrende dame, die daraufhin mürrisch den weg freigab, nicht im geringsten daran denkend, einfach selber weiter, ans fenster, zu rücken. der mann zwängte sich mühsam durch und ließ sich nieder.

die bahn fuhr weiter. die unfreundliche miene auf dem gesicht der frau verblieb. und kaum war die nächste haltestelle erreicht, kaum hatten sich ringsum einige einzelplätze geleert, stand sie auf, ergriff ihre tasche und setzte sich dorthin, wo sie neben keinem fremden zu sitzen hatte, wo sie ungestört bleiben würde. war sie nun zufrieden? nein, ihre miene beharrte auf trübsinn.

und auch die frau, welche die ganze zeit bewegungslos neben mir gesessen hatte, stand nun auf, nicht, um den ausgang zu suchen, sondern um von mir fort auf einen einzelplatz zu kommen. ihr gesicht sprach bände.

was war nur los?, fragte ich mich. überall entdeckte ich nur mürrische mienen, unfreundliche gesichter, nach unten gezogene mundwinkel, böse blicke und finstere stirnfalten. verstohlen tastete ich nach meiner eigenen stirn, befühlte die gegend über die nase. und tatsächlich: auch ich hatte die stirn gerunzelt, unfreundliche falten über meine augen gepflanzt. heimlich versteckte ich meinen kopf in der hand und versuchte die falten glattzustreichen, drückte sie fest an meinen schädel. was hätte ich für ein stirnbügeleisen gegeben!

ich wollte nicht grimmig gucken, wollte nicht mit faltiger stirn durch die gegend laufen. ich knetete eine weile an den runzeln herum, ohne viel zu erreichen. als ich mir jedoch meiner albernen handlungsweise bewußt wurde, stahl sich ein grinsen auf mein gesicht.

und plötzlich waren die runzelfalten verschwunden. ich spürte, wie ein druck von meinem schädel wich, den ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. beglückt stieg ich aus, schaute vergnügt einem vorüberlaufenden mädchen in die augen und erntete dafür ein zauberhaft süßes lächeln.

das leben konnte so einfach sein.
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Donnerstag, 10. Februar 2005

straßenbahnerlebnisse

und in der straßenbahn entdeckte ich eine junge dame, deren blasses antlitz meine richtung mied. ich lächelte bei dem traurigen gedanken, daß ich sie wohl nie ansprechen würde, daß ich ausstiege und sie niemals wiedersähe.

auf anderem platz beobachtete sich ein junge in der glasscheibe, sang seinem spiegelbild lautlos, doch ergreifend, ein lied. ich lächelte, weil ich der einzige war, der dieses kleine schauspiel bemerkte und sah weg, als die blicke des jungen zu mir herüber wanderten. ich wollte ihn nicht stören.

die nächste haltestelle war noch weit, da drängelten sich schon die menschenscharen in die straßenbahntürbereiche, stopften sich zu einer formlosen, hektischen masse zusammen. ich saß, wartete geduldig, bis auch der letzte aussteigwillige der bahn entkommen war und huschte dann geschwind zwischen den sich schon schließenden türen hindurch, hinein in die kühle abendluft.

ich lächelte, als ich den regen bemerkte.
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Sonntag, 6. Februar 2005

Zugfahrt

Der Zug ist leer. Um diese Uhrzeit fährt wohl niemand mehr. Nur eine Handvoll Leute leistet mir Gesellschaft, doch flüchtet sich in verschiedene Abteile, sucht die Isolation von den Anderen, den Fremden. Es ist der letzte Zug. Ich bin froh, ihn erreicht zu haben, lasse mich nieder und freue mich darauf, bald endgültig zu Hause sein zu könen. Ein Türke fragt mich nach einem Wochenendticket. Ich habe keines. Merkwürdigerweise schäme ich mich dafür.
Das Abteil gehört mir alleine. Als der Zug anfährt, wechsele ich den Sitzplatz.

Draußen hinter der Scheibe entdecke ich nur Dunkelheit. Das Rattern des Zuges beruhigt mich. Meine eigenen Worte beruhigen mich. Ein Schaffner kontrolliert meinen Fahrschein. Seine Höflichkeit erstaunt mich und wird von mir erwidert. Ich verkrieche mich wieder in meine Gedanken. Der Türke kehrt zurück, berichtet mir von seiner erfolgreichen Flucht vor dem Schaffner. Ich lächle, gebe ihm recht, weiß nicht, ob er immer so offen ist oder getrunken hat. In seinem Stoffbeutel klirrt es verdächtig gläsern. Es ist mir egal. Wieder allein beiße ich in einen Apfel, lese ein paar Zeilen in einem Buch, das ich längst kenne, doch von dem zu fesseln ich immer wieder bereit bin.

An der Scheibe klebt der Handabdruck eines Kindes. Fasziniert setzte ich meinen eigenen daneben und betrachte die beiden eigenartigen Kunstwerke. In einem anderen Abteil beginnt der Türke zu singen. Laut und nicht wirklich begabt. Ich verstehe kein Wort, doch grinse vergnügt. Als abzusehen ist, daß der fremdartige Gesang nichtaufhören wird, vertiefe ich mich erneut in meine Lektüre.

Vielleicht war heute ein guter Tag.
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