Wortwelten
Gestern besuchte ich einen Bioladen. Das war nicht das erste Mal in meinem Leben, daß ich diesen Laden aufsuchte [sondern das zweite], aber das erste Mal, daß ich plante, mir tatsächlich etwas zu kaufen.
Mein Kühlschrank war leer und das Portemonaie einigermaßen gefüllt, so daß ich mir derartigen Luxus mal erlauben konnte. Ich hatte es mir schließlich verdient. Womit auch immer.
Schon die Anordnung der Fahrräder vor dem Laden zeugte von alternativem Lebenswandel. Die für Ordnung sorgenden Fahrradständer existierten, doch wurden ignoriert. Wildes Parken verwehrte sogar den Zugang zu ihnen. Ich kämpfte mich durch, schloß mein Rad trotzdem dort an. Nicht aus Ordnungsliebe oder Gesetzesergebenheit oder gar aus Protest gegen die Protestler. Nein, in Ermangelung eines eigenen ausklappbaren Fahrradständers an meinem Rad benötigte ich einfach nur irgend etwas, um mein Gefährt anzulehnen.
Der Laden war klein. Zwei Verkäuferinnen und eine Handvoll Kunden hielten sich in ihm auf. Erstaunlicherweise war das Angebot trotzdem immens. Ich glaube, wenn man die traditionellen Supermärkte um ihre "Non-Food-Abteilung" [so heißt das tatsächlich] berauben würde, stünde der Bioladen gar nicht mehr so mickrig da.
Ich sah mich um. Mein erster Besuch hatte mich einigermaßen auf die Preise vorbereitet. Doch nicht genug. Eine Flasche Apfelsaft für drei Euro. Camembert für zwei Euro. Cherry-Tomaten für 7,49 Euro das Kilogramm.
Der übliche Einkaufswagen war durch einen schönen Bastkorb ersetzt worden. Die Flaschenrücknahme funktionierte nach einem kreativen, mit eigenen, erläuternden Zeichnungen versehenen Prinzip.
Manches war Schwachsinn. Manches überraschte mich.
Beispielsweise bin ich ein genereller Tofu-In-Frage-Steller. Nichts gegen Tofu an sich. Doch der Versuch, Fleisch mit Nichtfleischlichem zu imitieren [Es gab tatsächlich Geschnetzeltes, Bratwürste usw.], wirkte auf mich recht albern. Auch brauchte ich keine Maschine [Ich konnte nicht genau erkennen, wozu sie diente.], die mit Holz verkleidet wurde, um so das mechanische Innere ökostylisch zu verpacken.
Schön fand ich es, Erdnußbutter zu entdecken. Oder Badewannenwasserfarben.
Ich traute mich aber nicht, etwas zu kaufen, war zu geizig, wollte mir dann doch nicht so viel "Gutes" gönnen, von dem ich nicht vollends überzeugt war.
Letztendlich entschied ich mich für ein paar Cherry-Tomaten [Erstaunlicherweise packt man im Bioladen sein Gemüse und Obst auch nur in durchsichtige Platiktüten.], für Öko-Quark und Brot.
Brot und ich sind zwei Todfeinde. Selten schaffe ich es, ein halbes Standardbrot zu verzehren, bevor es unangenehm aushärtet. Das hat weniger mit mangelnder Nahrungsaufnahme zu tun als mit dem Gedanken, daß es unzählige Dinge gibt, die leckerer, "spannender" sind als Brot.
Deswegen war ich angenehm überrascht, wie klein die agebotenen Brote im Bioladen waren. Dafür waren sie auch preisintensiv. Ich wählte ein niedliches Exemplar [Ich habe leider vergessen, welche Körner dort den Hauptanteil bildeten, welchen Namen das Brötchen - hihi - trug.], das mich ansprach, und bezahlte.
Das Bezahlen dauerte erstaunlich lange. Vermutlich muß man als Alternativer auch gelernt haben, keine Hektik zu verbreiten. Erst hatte ich zu warten, dann wurde das Brot umständlich eingepackt, dann noch auf irgendeiner Liste ein paar Notizen gemacht.
Das Brot selbst kostete zwei Euro, weswegen ich verdutzt aufblickte, als ich nicht mehr als drei Euro zu bezahlen hatte. Na gut, ich konnte meinen Einkauf in einer Hand halten - er war also nicht sehr umfangreich gewesen; trotzdem hatte ich das Gefühl, eigentlich recht wenig gelöhnt zu haben.
Mir selbst im Geiste ein paar Pluspunkte auf mein Gutmenschenkonto schreibend verabschiedete ich mich und radelte nach Hause.
morast - 30. Apr, 11:15 - Rubrik:
Wortwelten
"Bist du morgen da? Beim traditionellen Erster-Mai-Chili?"
Als Antwort hätte ich ein "Ja." erwartet. Oder auch ein "Nein. Da bin ich bei ...".
Vielleicht auch eine Frage:
"Ach, morgen ist der erste Mai?", "Wer kommt denn alles?" oder "Was fürn Chili?".
Ich hätte mich auch zufriedengeben mit "Was gibts denn da zu essen?"
Doch die einzige Antwort, die ich erhielt, war:
"Nö.", ein Blick in den Spiegel, "Warum ist meine Haut nur so trocken?"
morast - 30. Apr, 10:47 - Rubrik:
Wortwelten
Vielleicht ist heute Vatertag. Für mich.
Im Herbst vorigen Jahres verstarb mein Vater mehr oder weniger plötzlich an den Folgen von Alkoholismus. Zu diesem Zeitpunkt verweilte ich gerade auf Kreta, nahezu unerreichbar. Ich erfuhr vom Tode meines Vaters durch meinen Bruder, per Telefon.
Der Kreta-Urlaub war eigentlich ein sehr schöner gewesen. Und wie es meine Art ist, schrieb ich jedes bedeutungslose Detail nieder, auf daß man sich später bei der Lektüre lächelnd erinnern möge.
In den letzten Tagen habe ich mich mal wieder daran gemacht, die 50 einzeilig bekritzelten A5-Blätter abzutippen. Angenehm berührt gab ich mich den in Worte gepreßten Erinnerungen hin, genoß die Bilder, die sie in mir erweckten.
Dann las ich vom Tod meines Vaters, von dem Anruf meine Bruders, von der Möglichkeit heimzukehren, um einen letzten Blick auf einen kalten, zurechtgemachten Leib zu werfen, in dem ich nicht das finden würde, was ich liebte.
Ich hatte mich bemüht, meine persönlichen Gedanken, meinen Schmerz, meine Trauer aus dem Reisebericht rauszuhalten, doch spürte, während ich meine eigenen Zeilen abtippte, wieviele Tränen und Zweifel dahinter steckten. Ich mußte innehalten, mit jemandem reden, der mich verstand.
Heute war der letzte Termin zur Abgabe meiner BaföG-Unterlagen. Wie immer hatte ich alles auf den letzten Drücker ausgefüllt und kopiert. Eine Angabe beinhaltete das Sterbedatum meines Vater und die Kopie der Todesurkunde.
Wieder hielt ich inne, atmete tief durch.
Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf: Meine Kinder, so ich denn jemals welche haben werde, werden niemals die Gelegenheit bekommen, meinen Vater kennenzulernen. Das betrübte mich.
Als ich zum BaföG-Amt radelte, hatte ich eine Straßenkreuzung zu überqueren. Die Ampel war längst auf Rot geschaltet; die Autos hätten durchsausen können - doch stockten, blieben stehen. Mitten auf der Straßen ging ein Mann, langsam, unsicher.
Er trug einen wilden Bart und eine Lederjacke, die ihm zu groß war. 'Ein Trinker', dachte ich. So dachten wohl auch andere, warteten an der Ampel und schauten der traurigen Gestalt neugierig zu, wie sie sich über die Straße quälte.
Ein Polizeiauto wollte durchfahren, bemerkte den bärtigen Mann, hielt an. Die Insassen glotzen, schauten nur. Die an der Ampel Stehenden glotzten, schauten nur.
Keiner bewegte sich. Jeder schien den Augenblick abzuwarten, bis etwas passierte, bis der Mann stürzte oder ihn ein nahendes Auto anfuhr.
Der Mann ging weiter, langsam, bedächtig, in kleinen Schritten, stürzte nicht, erinnerte mich an meinen Vater, der mit Stolz die Gehhilfen verweigert hatte - und immer wieder hingefallen war.
Ich schwang mich vom Rad, lehnte es an die Ampel, eilte auf die Straße. Die anderen glotzten noch immer.
"Kann ich irgendwie helfen?", fragte ich den Trinker, stand schon bereit, ihn abzustützen, ihm Halt zu geben, und wußte zugleich, daß er meine Hilfe verweigern würde.
"Nein, danke. Es geht schon."
Die Stimme, die unter dem wilden Bart hervorquoll, war erstaunlich klar.
Ich zog mich zurück, nur ein paar Meter, beobachtete ihn, um notfalls schnell eingreifen zu können.
Doch der Mann fiel nicht, kam langsam voran, überquerte die Straße und erreichte schließlich die sichere Fußgängerzone.
Die Menge glotzte noch immer, als wäre das Leben eine Fernsehsendung.
Ich schaute dem Mann hinterher, wünschte, ich könnte ihm doch irgendwie helfen, schwang mich auf mein Rad und fuhr davon.
Vor dem BaföG-Amt kam mir jemand entgegen.
'So hätte Vati ausgesehen, wenn der Alkohol nicht gewesen wäre.', durchfuhr es mich.
Ich setzte mich in eine unbeobachtete Ecke und weinte.
morast - 29. Apr, 13:41 - Rubrik:
Wortwelten
In Ermangelung "echten" Brotes entschloß ich mich heute morgen, Toast verspeisen zu wollen. Zwei Spiegeleier sollten die Mahlzeit kulinarisch aufwerten.
Ich entsann mich, daß in der Vergangenheit die letzten Toastscheiben stets fast noch "roh" gewesen waren, als der Toaster sie auswarf. Selbiges schien auch einer meiner Mitbewohner festgestellt zu haben, hatte er doch den Toaster auf "So-Lange-Wie-Irgend-Möglich" eingestellt.
Ich brutzelte also nebenbei an den Spiegeleiern herum, als ich mich wunderte, warum das Toasten denn heute so viel Zeit in Anspruch nahm. Mit einem fachmännischen Kennerblick durchschaute ich die Situation: Jemand hatte die Toastdauer maximiert.
Allerdings, das wußte ich, bedeutete die Maximaltoastdauer auch eine Maximalschwarzverfärbung, eine Maximalacyrlamidisierung meines Toasts.
Ohne zu zögern betätigte ich den "Stop"-Knopf. Der Toast kam rausgesprungen, gesellte sich zu den mittlerweile fertigen Spiegeleiern.
Hungrig biß ich in die gerösteten Brotscheibe.
'Lecker!', dachte ich.
Tatsächlich kann ich mich nicht entsinnen, jemals eine so angenehm geröstete Scheibe Toast verspeist zu haben.
'Der Zufall ist ein Meisterkoch.', beschloß ich beglückt.
[Im Hintergrund: Halloween - "Master Of The Rings"]
morast - 29. Apr, 09:45 - Rubrik:
Wortwelten
Nicht häufig kann ich mich an meine Träume erinnern. Jedoch die von letzter Nacht sind mir noch immer im Gedächnis.
Der erste handelte von einer Art Prüfung. Die Prüflinge mußten anstehen, um irgendwann geprüft werden zu können. Unglaublich, wieviele Studenten neben, vor und hinter mir anstanden. Es bildeten sich riesige Menschenschlangen. Diese wurden abgefertigt wie auf einem Flughafen. Mit Schaltern, Drehtüren und so weiter...
Der zweite Traum war recht wunderlich. Ich träumte von
Frau Kokolores, besser gesagt: von ihrem
Weblog.
Ich entsinne mich noch genau des Headerbildes: Ein Leuchtturm auf blauem Grund. Eine simple, comicartige Zeichnung.
Der neueste Eintrag des Weblogs beinhaltete eine endlose Auflistung von Fotos, auf denen Tassen zu sehen waren. Allesamt mit verschiedenen Leuchtturmmotiven [Ich erinnere mich auch an beigefarbene...]. Frau Kokolores hatte diese vielen Leuchtturmmotivkaffeetassen zum Geburtstag bekommen, freute sich nun darüber wie ein kariertes Honigkuchenpferd und bedankte sich recht artig bei allen Schenkenden.
Scheinbar war sie versessen auf Kaffeetassen mit Leuchtturmmotiv.
Was hatte das nur zu bedeuten...?
morast - 28. Apr, 22:46 - Rubrik:
Wortwelten
Da mir die Vorstellung gefiel, inmitten von Vogelgezwitscher und Sonnenschein den eigenen Gedanken hinterherzuhorchen, hatte ich mir ein wunderschönes Plätzchen am Elbufer ausgesucht, an dem ich es mir gemütlich machte. Ich zückte mein kleines Notizbuch, einen funktionsfähigen Kugelschreiber und schrieb munter drauflos, sinnierte
über Liebe, über Abhängig- und Unvollständigkeit. Hin und wieder klackerten hinter mir ein paar Nordic Walker den Kiesweg entlang, unterhielten sich zu laut, übertönten sogar das Dröhnen des tschechischen Lastschiffs, das langsam vorbeikroch. Ich schrieb, hielt inne, schrieb weiter, hörte mich im Kopf die eigenen Worte dozierend verlesen, lächelte bei diesem Gedanken, lächelte ob meiner guten Laune und der angenehmen Umgebung.
Dann hörte ich Stimmen.
Die Zeit war wie im Flug vergangen; eine Stunde lang hatte ich nur dagesessen, geschrieben und zuweilen selig auf die Elbe gestarrt. Doch nun hörte ich Stimmen. Sie kamen rasch näher.
'Die werden doch nicht...', dachte ich.
"Da sind schon Leute.", hörte ich.
'Leute?', dachte ich und erwiderte das begrüßende Kopfnicken der Neuankömmlinge so freundlich, wie es jemand vermochte, der soeben aus tiefsten Gedanken gerissen worden war und nun keine Möglichkeit mehr sah, dorthin zurückzukehren.
Die beiden Störenden hielten sich an den Händen, tauschten intensive Blicke. Ich hatte wohl ihren romantischen Stammplatz belegt. Das jedoch störte sie nicht; sie entfalten eine karierte Kuscheldecke, ließen sich darauf nieder und kuschelten sich eng aneinander, begannen, sich zu küssen, zu streicheln.
Ich sah weg, wollte nicht länger hier sein, versuchte vergeblich, mich unsichtbar zu machen. Noch ein paar abschließende Worte träufelten aus meinem Geist aufs Papier, bis ich es nicht mehr aushielt.
Ich habe nichts gegen Liebe, gönnen jedem Liebenden das persönliche Glück, freue mich gar, wenn Paare ihre tiefe Zuneigung zueinander zum Ausdruck bringen. Doch mich stört es, wenn mir derartige Liebesbekenntnisse aufgedrängt werden, ohne daß ich ihnen angehöre, wenn ich meiner kleinen Eigenwelt entrissen werde, um in den Strudel einer fremden zu geraten, deren Teil ich nicht sein möchte, nicht sein sollte. Mich stört es, wenn ich mich an scheinbar wohligem Platz plötzlich überflüssig fühle, wenn mir deutlich gemacht wird, daß ich, in dessen heimliches Reich andere eingebrochen waren, auf einmal als Eindringling gelte, obwohl ich nichts weiter gesucht hatte als stille Abgeschiedenheit und die Stimme meiner eigenen Gedanken.
Die Stimme war verstummt, durch fremde ersetzt worden.
Ich klappte mein Notizbuch zu, zog die Schuhe an, stieg auf mein Rad und raste von dannen...
morast - 28. Apr, 20:07 - Rubrik:
Wortwelten
"
To Be Continued..." mit "
TBC" abzukürzen, halte ich für unpassend.
morast - 28. Apr, 11:09 - Rubrik:
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Mitten in der Nacht erwachte ich, von abstrusen Gedanken geplagt. Einer davon lautete derart:
Da es im allgemeinen üblich ist, Dinge und Personen bestimmten Schubladen zuzuordnen, sollte das doch ebenso mit Personengruppen funktionieren, die nichts weiter verbindet als die zufällige Gleichheit des Geburtszeitraumes.
Es wurden bereits mehrfach Versuche unternommen, Generationen zu benennen, albernen Überschriften unterzuordnen, als wären alle im selben Zeitraum Geborenen unverwechselbar gleich, mit den gleichen politischen und sozialen Umständen aufgewachsen und hätten demnach allesamt dasselbe erlebt und zu erzählen.
'Generation Golf' und 'Generation iPod' stellen solche Versuche dar.
Doch das ist noch steigerbar.
Auch muß man sich nicht die Mühe machen, kreative Ideen fließen zu lassen und alle einer Generation Angehörigen bestimmten Produkten oder Werten zuzuordnen.
Einfacher wäre es doch, durchzunumerieren oder besser: durchzualphabetisieren.
Irgendwann beginnt man mit "A", bezeichnet wahllos eine Generation als "Generation A" und nennt die danach folgende "B", die darauffolgende "C" usw.
Bleibt die Frage, wo man beginnen sollte, da es irgendwie vor jeder Generation schon einmal eine gegeben haben muß. Das alte Huhn-oder-Ei-Problem.
DIe Lösung ist einfach:
Ich möchte, daß meine Generation mit "D" klassifiziert wird.
Ich bin ein Teil der D-Generation.
...
[Im Hintergrund: Tool - "Aenima"]
morast - 28. Apr, 11:06 - Rubrik:
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Als Reaktion auf einen Weblogeintrag bei Irgend Link kamen mir folgende Worte in den Sinn:
Ich urlaubte schon dreimal auf der Insel Kreta. Ich würde gern behaupten, ich verweilte abseits touristischer Einflüsse, aber das wäre eine Lüge. Aber ich war in einem Dorf, wo keine Monsterhotels standen und nur zwei Souvenirläden existierten.
Ich bewunderte in diesen Urlauben immer wieder die griechische Gelassenheit, die Ruhe, mit der sie alle ihre Tätigkeiten angehen. Das färbte sich ab.
Zumeist hielt die Abfärbung nicht lange. Kaum war ich in heimtliche Lande zurückkehrt und ein paar Tage der Hektik anderer ausgesetzt gewesen, verlor ich alle aufersehnte Gelassenheit, alle Ruhe.
Nun aber, nachdem ich drei Mal dort verweilte, nachdem ich mein Grundstudium längst hinter mir ließ und mich immer wieder frage, ob mein Weg denn der richtige sei und beruhigt feststelle, zu keiner Lösung kommen zu können, bemerke ich die Gelassenheit in mir.
Ich trage keine Uhr. Zu terminlichen Verpflichtungen versuche ich selbstverständlich pünktlich zu sein, doch lasse es mir nich nehmen, vorher in Ruhe zu lesen oder zu frühstücken. Es gibt keinen Grund, sich über einen verpaßten Bus zu ärgern oder mit dem Auto waghalsig durch die Innenstadt zu düsen - nur um fünf Minuten eher vor dem heimischen Fernseher sitzen und Sendungen wie "Die Burg" schauen zu können.
Es ist das Wissen, daß alles seinen Weg gehen wird, daß es keinen falschen Weg geben kann, einfach weil das eigene Leben nur über einen Weg verfügt und keine Möglichkeit besteht, zurückzugehen und anders zu wählen oder zu schauen, was bei anderen Daseinsvarianten herausgekommen wäre.
Ich will nicht behaupten, daß deswegen alles prinzipiell richtig ist; aber ich habe aufgehört, mich um vieles zu grämen.
Beispielsweise studiere ich ein Fach, das zwar interessant ist, aber mich zuweilen nervt und zweifeln läßt, ob ich in späterer Berufswelt mich mit derartigem auseinandersetzen möchte. Ich beschäftige mich mit anderem, nebenbei, und freue mich darüber, in Zukunft, wenn ich mein Studium abgeschlossen haben werde, nicht nur einen [den geradlinigen], sondern unzählige Wege vor meinen Füßen liegen zu sehen. Und jeder ist irgendwie der Richtige.
Das nimmt mir zuweilen viele Ängste und schenkt eine Ruhe, die mir das Gefühl gibt, von der Welt um mich herum abgeschottet zu sein, in Eigenzeit eingeschlossen, die langsamer verläuft, doch mehr Platz hat für mich selbst...
Und noch während ich das schreibe, rennt meine Mitbewohnerin mehrmals hektisch an meinem Zimmer vorbei. 'Keine Zeit!', murmelt sie, als ich sie verwundert anblicke...
morast - 28. Apr, 09:23 - Rubrik:
Wortwelten
Eine meiner Aufgaben als Zivildienstleistender im Krankenhaus war es, Patienten zu Röntgen, Computertomographie, Ultraschall etc zu begleiten. In den meisten Fällen war das nötig, wenn der Patient sich alleine nur mühsam oder unsicher [oder gar nicht] fortbewegen konnte oder die Gefahr einer Irrwanderung inerhalb des riesigen Krankenhauskomplexes bestand.
Diese bestand immer. Meine ersten Wochen als Zivildienstleistender waren ein navigatorischen Greuel. Auf meine Orientierungsfähigkeiten war noch nie sonderlich Verlaß gewesen, doch die Ratschläge der wegweisenden Schwestern taten ihr Übriges, um mich komplett zu verwirren. Schließlich waren die meisten genannten Wegziele seit Jahren schon nicht mehr nicht dort anzutreffen, wo sie nach Meinung der Wegweisenden hätten sein sollen. Unterwegs irgendeine weißbekittelte Gestalt zu fragen, war zum einen einigermaßen respektlos [Ich war nur Drecks-Zivi, und bei meinem Gegegnüber konnte sich womöglich gar um einen Chefarzt oder Professor - oder beides - handeln...] zum anderen aber auch erstaunlich erfolglos.
Die wenigsten Krankenhausangestellten wußten tatsächlich wo das Röntgen war, wo ich neue weiße Wäsche bekam, wohin man sich wenden mußte, wenn man diesem oder jenem Arzt etwas zu überreichen hatte.
Ich fragte mich durch - andere Zivis halfen weiter -, suchte, probierte, riet. So viel hatte ich nicht zu tun, als daß ich nicht das ganze Gebäude allmählich durchstöbern konnte. Tatsächlich schlenderte ich eines Tages gelassen den Hauptgang entlang, als mir meine vorgesetzte Oberschwester über den Weg lief, mich herumschlendern sah und verbissen fragte:
"Sie haben wohl nichts zu tun, oder wie?"
Ich hatte tatsächlich nichts zu tun, wenn man von einem Gang zur Apotheke absah, nach dessen Rückkehr mir Langweile drohte. Doch ich schwieg, zeigte auf die Apotheke. Zuzugeben, daß man nichts zu tun habe, konnte desaströs enden.
"Naja, denn...", giftete die Oberschwester und eilte von dannen. Sie hatte es immer eilig. War immer gestreßt. Und sie konnte mich nicht leiden.
Dazu gab es auch allen Grund; schließlich neigt ein gelangweilter 18Jähriger in einem zehngeschössigen Bauwerk schon einmal dazu, sämtliche Knöpfe im Fahrstuhl zu drücken, bevor er hastig aussteigt - und gerade noch sieht, wie die Oberschwester diesen Fahrstuhl betritt und ihm einen mißtrauischen Blick zuwirft, der später in eine unangenehme Unterredung münden sollte...
Einer der unangenehmsten Wege, die ich innerhalb des Krankenhauskomplexes zu erledigen hatte, war der Auftrag, eine beleibte Frau aus arabischen Landen zum Röntgen zu bringen. Diese verstand zwar kein einziges Wort Deutsch, war aber immer sehr freundlich gewesen und hatte ständig versucht, allen Krankenschwestern, Ärzten und Zivis ihre nicht unbedingt wohlschmeckenden Kekse anzudrehen.
Der Weg zum Röntgen dauerte seine Zeit. Ging ich alleine, konnte ich mit etwa drei bis fünf Minuten Fußmarsch rechnen - ohne Berücksichtigung der Auf-Den-Fahrstuhl-Wartedauer. Mit Patienten dauerte der Weg natürlich wesentlich länger; denn diejenigen, die ihn in gleicher Geschwindigkeit wie ich zurücklegen konnten [und davon gab es glücklichereise genug], waren auf meine Begleitung nicht angewiesen. Der Rest brauchte eben eine Weile.
Die Araberin ging langsam, gemächlich. Das hätte mich nicht weiter gestört, wäre sie nicht in ihren Traditionen und Bräuchen verhangen gewesen, die ihr befahlen, aufzwangen, hinter einem Mann [und sei er noch so jung] hinterherlaufen zu müssen, Abstand zu wahren.
Zuerst begriff ich nicht. Ich ging los, doch sie rührte sich nicht, kam erst allmählich nach. Sie bewegte sich langsam; doch wenn ich anhielt, um sie aufholen zu lassen, blieb auch sie stehen.
Wir kamen kaum voran. Schließlich war es meine Aufgabe, die Frau zum Röntgen zu begleiten, nicht wie ein albernes, berädertes hölzernes Kinderspielzeug hinter mir her dackeln zu lassen. Ich hatte den Auftrag, sie zu führen, ihr, wenn nötig, behilflich zu sein.
Doch sie lief hinter mir, langsam. Immer wieder sah ich mich um, lächelte ihr aufmunternd zu. Doch sie sah mich nicht an, ging weiter und weiter, achtete immer auf den Abstand zwischen uns.
Wenn ich um eine Ecke bog, kam sie mir erst nach, wenn sie sicher sein konnte, daß ich weitergegangen war und nicht auf der anderen Seite wartete. Wenn ich jemanden traf, den ich kannte und mit ihm ein paar Worte wechselte, blieb sie stehen, als gehörte sie nicht zu mir, und ich mußte immer wieder zurückschauen, um mich zu vergewissern, daß sei noch hinter mir war.
Ich glaube, daß ich - noch nicht einmal, wenn ich [gegen die Arbeitsauflangen verstoßend] allein ein gefülltes Krankenbett durch die Gänge karrte - noch nie derart lange für den Weg von der Station zum Röntgen gebraucht habe.
Zum Glück sollte ich die Frau nur abliefern, nicht auf sie warten und sie - vorerst - nicht abholen.
Ich hatte mehr als eine halbe Stunde sinnlos vertrödelt, einzig mit Warten, Schauen und langsamem Gehen.
'Gute Leistung.', dachte ich, meldete mich auf Station ab, ging mit meinem Zivi-Kumpel erst einmal eine geschlagene Stunde lang Essen, wohnte dann noch dem ausgiebigen Kaffekränzchen der Schwestern bei und durfte mich dann umziehen, durfte nach Hause gehen.
Auf dem Heimweg jedoch fühlte ich immer wieder den Drang in mir, mich umzudrehen, glaubte einen Schatten hinter mir gesehen zu haben, der mir unaufhörlich, in stetig gleichem Abstand folgte...
morast - 27. Apr, 12:25 - Rubrik:
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