Wortwelten
"Bei dir habe ich immer das Gefühl, ich spreche gegen Wände."
"Wenn man sonst Selbstgespräche führt, sind doch Wände mal eine gelungene Abwechslung..."
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morast - 21. Apr, 19:10 - Rubrik:
Wortwelten
Das Auge ist eine optische Senke.
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morast - 21. Apr, 19:10 - Rubrik:
Wortwelten
Was ist eigentlich das akustische Äquivalent eines Blicks?
Wenn ich irgendwohin schaue, sehe, etwas betrachte, dann richte ich meine Blicke dorthin, auf das Objekt. Doch Blicke existieren nicht wirklich, strahlt doch nichts aus den eigenen Augen heraus. [Oder doch?]
Ich glaube gelernt zu haben, daß das menschliche Auge einfallendes Licht auffängt und "verarbeitet". Werden also in Comics Blicke mit gestrichelten Linien angedeutet, müßten die Pfeile an den Strichlinienenden, so man geneigt ist, welche hinzuzeichnen, nicht - wie im ersten Augenblick logisch erscheint - auf das Objekt gerichtet sein, sondern von diesem wegzeigen, hin zu den Augen, dem wahrnehmenden Organ.
Worauf ich hinauswollte: Das Wort "Blick" impliziert, daß von den Augen ausgehend auf ein Objekt irgend etwas "gestrahlt" wird.
Beim Hören, wissen wir, trifft das nicht zu. Denn die Schallwellen erreichen die Ohrmuschel, dringen ein, produzieren Bewegungen des Trommelfells usw. Wenn man also hört [oder riecht], "strahlt" nichts vom eigenen Körper weg auf das Objekt.
Trotzdem suche ich ein akustisches/olfaktorisches Äquivalent für "Blick". Denn schließlich gibt es den Blick im eigentlichen Sinne ja auch nicht. Er entsprang sicherlich irgendeiner menschlichen Vorstellung. Warum sollte es dann nicht auch etwas derartiges für Nase und Ohren geben?
Ich bin für Vorschläge offen.
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morast - 20. Apr, 19:09 - Rubrik:
Wortwelten
Ich nehme mir mal die Frechheit heraus, eine Hypothese zu fomulieren:
Weblogeinträge, die schon mit Kommentaren versehen sind, werden häufiger kommentiert.
Das scheint im ersten Moment wenig sinnvoll zu sein, insbesondere da ich es nicht unbedingt statistisch untermauern kann. Doch ich glaube recht zu haben, glaube, diesbezügliches Verhalten in meinem eigenen Weblog beobachten zu können.
Begründen ließe sich derlei Verhalten recht einfach:
Wo ein Text steht, der kommentiert wurde, stehen im Grunde mehrere Texte, auf die man Bezug nehmen kann, weswegen die Kommentargebwahrscheinlichkeit eindeutig erhöht wurde. Möglicherweise sorgen aber auch häufig kommentierte Einträge für Neugierde, lenken eher die Blicke der Lesenden auf sich. Immer nach dem Motto: "Was andere gutgefunden haben, kann doch eigentlich nicht schlecht sein."
Hinzu kommt, daß der Weblog-Autor ja die Möglichkeit hat, sowohl auf seinen eigenen Text als auch auf die Kommentare Bezug zu nehmen, weswegen so etwas wie ein Dialog entsehen kann, der die Kommentarzahlen deutlich erhöht.
Trotzdem würde ich gerne wissen, ob obige Hypothese sich nur in meiner Phantasie bewahrheitet, oder ob ich gar ein allgemein gültiges Gesetz erfand bzw. wiedererfand.
Wenn die Gültigkeit der Hypothese unumstritten wäre, könnte man als publikums- und vor allem kommentarheischender Schreiber sich dazu herablassen, unter falschen Pseudonymen [gibt es eigentlich "richtige" Pseudonyme] den Text mit lobenden oder kritischen Worten zu bestücken. Das ergäbe sicherlich nicht mehr Sinn als ein Selbstgespräch, doch würde womöglich diejenigen anlocken, die nur das kommentieren, was schon mehrfach kommentiert wurde...
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morast - 19. Apr, 19:09 - Rubrik:
Wortwelten
Mein Vater hatte stets einen Musikgeschmack, für den ich ihn bewunderte. Während ich bis heute Schwierigkeiten habe, die musikalischen Vorlieben meiner Mutter einzordnen, hatte doch Vatis umfangreiche Plattensammlung einen beeindruckenden Aussagewert, den ich heute, da ich meine Teenie- und Hitparadenmusikzeiten hinter mir gelassen habe, umso höher einzuschätzen weiß.
Ich denke an Alben von Creedence Clearwater Revival, an T.Rex, an Pink Floyd, an The Electric Light Orchestra, an Jethro Tull, an Van Halen und viele weitere, die vermutlich nicht zuletzt auch meinen Musikgeschmack prägten und von Anfang an in rockigere Richtungen lenkten. [Meine ersten eigenen Original-Kassetten: Bryan Adams und Roxette - noch stark beeinflußt durch ein ständig dudelndes Radio.]
Nach dem Tod meine Vaters flehten mein Bruder und ich unisono meine Mutter an, sie möge die Platten unter keinen Umständen ihrem Umzug zum Opfer fallen lassen, erboten uns freiwillig, die sperrigen Datenträger in unseren Eigenbesitz überzuführen. Diese jedoch blieb stur, wußte unter den Platten auch solche, die ihr gefielen, hätte sich auch niemals von den anderen trennen wollen. Wir waren besänftigt und erfreuten uns der Existenz einer solchen, unschätzbar wertvollen Sammlung, einer unerschöpflichen Goldgrube genialer Musik.
Nun gut, nicht alles war ideal. Manfred Krug zum Beispiel, oder Neil Diamond - damit konnten wir nicht allzu viel anfangen. Doch die vielen, selbst in unseren jugendlichen, unwissenden Augen wahrlich guten Werke [zu nicht geringen Teilen aus der Sowjetunion importiert - ich amüsiere mich noch heute über die russische Schreibweise von "Jethro Tull"] bildeten eindeutig ein positives Übergewicht, glorifizierten den Musikgeschmack unseres Vaters.
Ich hatte immer geglaubt, die Alben, die mein Vater so sehr gemocht hatte, wären "Underground" gewesen, alternative, chartunabhängige Musik. Als ich eines Tages jedoch das Hallenser Beatles-Museum aufsuchte und eine an der Wand hängende Hitparadentabelle studierte, stellte ich fest, daß sich zwar irgendein Album von den Beatles auf Platz 1 befand [was wohl der Grund war, warum diese Tabelle im Museum überhaupt gezeigt wurde], doch danach gleich "Green River", ein wahrlich hörenswertes Album von CCR folgte. Auf Platz 2. Ich war schockiert, suchte nach Erklärungen.
Wie sollte ein DDR-Staatsbürger auch von der Underground-Musik des kapitalisitischen Auslands erfahren haben?, fragte ich mich. Gab es damals eigentlich schon eine Independent-Szene, gab es den heute so mystifizierten "Underground" überhaupt? War derartiges überhaupt nötig, wo doch die Musik der Hitparaden mit den Beatles und CCR eindeutig als gut zu bezeichnen war?
Ich weiß es nicht, und mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Vorstellung, daß mein Vater kein überinformierter Szene-Junkie gewesen war, sondern schlichtweg jemand, der gute Musik mochte - und sei sie auch von der breiten Masse in Chartpositionen erhoben worden.
Heute ist das anders: Nach guter Musik suchend wird man in den Hitparaden kaum fündig werden - eigentlich eine absurde, fast Situation, die zu akzeptieren ich wohl niemals bereit sein werde. Und so schließe ich die Augen, lausche einer Platte meines Vaters und sehne mich für ein paar Minuten nach einer Vergangenheit, die ich nie erlebte.
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morast - 17. Apr, 19:08 - Rubrik:
Wortwelten
Nachtrag 1:
Soeben beendete ich die Lektüre des Werkes "Der Boden unter ihren Füßen" von Salman Rushdie. Ich will mich nicht mit Buchkritik aufhalten, sondern nur anmerken, daß mich das Jahr 1989 noch immer nicht loszulassen scheint. Das Buch beginnt im Jahre 1989, schweift dann in die Vergangenheit ab und arbeitet dann wieder auf das Jahr 1989 hin, in der die "Heldin" auf tragische Weise ums Leben kommt. 1989 als Höhepunkt eines 800-Seiten-Romans.
Langsam fühle ich mich verfolgt...
Nachtrag 2:
Nach Ablenkung suchend, betrat ich das Zimmer meiner Mitbewohnerin. Diese saß gerade, eine Tomaten-Chili-Fertigsuppe verspeisend vor ihrem Fernseher, irgendeine alberne deutsche Pro7-Eigenproduktionsweltpremiere betrachtend. Ich halte dem deutschen Film im Allgemeinen nicht viel Negatives vor [wenn man davon absieht, daß ich mich zuweilen mißfallend über schlechte Hollywoodkopien äußere], weiß um sehenswertes deutsches Filmgut. Mein Verhalten nachträglich betrachtend komme ich jedoch zu dem Schluß, wie gut es ist, nicht fernzusehen.
Ich betrat das Zimmer, erkundigte mich nach der Mahlzeit, erkundigte mich nach dem Film, sah hin, zehn Sekunden, zwanzig Sekunden, eine Minute. Dann schüttelte ich mich, stand auf und verließ das Zimmer. Vor der Tür blieb ich stehen, stellte verwundert fest, wo ich war, daß ich soeben ohne bewußte Selbstkontrolle das Zimmer verlassen hatte und fragte mich nach der Ursache. Ekel, war die Antwort, die in meinem Kopf erklang, tiefgreifender Ekel, der sich auf meinen gesamten Körper auszubreiten schien, der mich befiel, mich zusammenzucken, mich fliehen ließ.
Noch einmal schüttelte ich mich angewidert und floh in mein Zimmer.
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morast - 16. Apr, 19:07 - Rubrik:
Wortwelten
Gestern telefonierte ich mit C. Sie wollte mich zu einer Party einladen, zu der sie selbst nicht zu gehen wünschte - aber mußte. Ihr Bruder sei dort, und ihr Freund. Und natürlich eine Ansammlung mir nicht sympathischer Menschen.
Müde, träge und wenig homophil lehnte ich dankend ab, wollte schon auflegen, als ich bemerkte, daß das Gespräch noch nicht zu Ende war, daß C noch etwas auf dem Herzen hatte.
Ihr Freund schenkte ihr nicht genügend Beachtung, rannte ohne Perspektiven durch die Welt, antriebslos, lebte nur für Partys, auf denen er aufblühte und sein Trübsals-Ich in ein verrückt-sympathisches Scheinbild verwandelte. Auf Partys lästerte er mit Freunden, mit Kumpels, über Frauen, auch über seine eigene Freundin, machte anderen weiblichen Wesen Komplimente. C fühlte sich vernachlässigt, brachte das zuweilen zur Sprache und erntete nur ein standardisiertes "Ich werde mich ändern."
Ich lachte traurig, als C mir das erzählte, glaubte ihn nicht zu derartigen Veränderungen bereit. Können sich Menschen ändern? Vermutlich. Aber nicht so, nicht, wenn sie die Notwendigkeit nicht erfassen. Und das tat er nicht, traf Verabredungen, organsisierte Feierlichkeiten, ohne daran zu denken, daß seine Freundin C inmitten ihres Studiums steckte, nicht immer Zeit für derlei hatte, möglicherweise auch mal mit ihm allein zu sein wünschte. Sein Mittelpunkt war er, waren seine Freunde, seine gute Laune, die er nur auf Partys fand. Vor C zeigte er nur seine Schwächen, seine Unsicherheit.
C wollte nicht zu der Party, aber mußte, war verpflichtet, hatte mich eingeladen, um sich nicht zurückgelassen zu fühlen.
Wir redeten lange. Weswegen sie mit ihm zusammen sei, fragte ich. Wegen seiner Verrücktheit, antwortete sie zögernd. Mehr fiel ihr nicht ein.
Heute morgen klingelte das Telefon, riß mich aus dem Schlaf. Es sei aus, teilte mir C mit. Ich schüttelte die Müdigkeit von mir ab. Was?, fragte ich, noch immer benommen.
Sie war gestern Abend zu der Party gefahren, wollte kurz mit ihrem Freund reden, der schon den ganzen Nachmittag fort verbracht, den sie den gesamten Tag nicht gesehen hatte. Du fühlst dich vernachlässigt?, fragte er, lauernd. C nickte nur. Ihr Freund sprang auf, rannte aus dem Zimmer, schmiß die Tür hinter sich zu.
Das wars, meinte C zu mir am Telefon. Er selbst habe es beendet, habe einen Schlußstrich die bröckelnde Beziehung gezogen. Sie fühle sich besser jetzt, behauptete sie und legte auf.
Noch immer im Bett liegend dachte ich nach, fühlte mich schuldig. Hatte ich nicht wegweisende Worte gegeben, die ein Ende erwirken mußten? Hatte ich ihr nicht sogar einzureden versucht, daß sie sich so nicht behandeln zu lassen brauchte?
Aber er hatte ja Schluß gemacht, versuchte ich mich zu besänftigen. Die Beziehung war sowieso kaputt. Vielleicht war es ganz gut so. Vielleicht war es wirklich das Beste, redete ich mir zu.
Doch innerlich zweifelte ich.
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morast - 16. Apr, 19:06 - Rubrik:
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Ich besitze keinen Fernseher.
Das ist weder sonderlich lobenswert noch übermäßig ungewöhnlich. Sicherlich, in Deutschland stößt man zuweilen auf ungläubige Blicke, berichtet man stolz von seinem Nicht-Besitz. Relativiert man jedoch seine Ansicht auf die Weltbevölkerung, wird schnell klar, daß das Kein-Fernseher-Außenseiter-Image, das man womöglich für "alternativ" oder gar kreativ hält, verblaßt, sobald man zur großen Masse gehört.
Erstaunlich an meinem Nichtbesitz ist jedoch die - für meine Verhältnisse - beachtliche DVD-Sammlung, die ich - zugegebenermaßen mit Ausnahmen - gern zu zeigen oder auszuleihen bereit bin. Leider fällt es mir ohne TV-Gerät unglaublich schwer, die von mir erworbenen Filme anzusehen, verfügt doch mein Rechner über keinerlei DVD-kompatibles Abspielgerät.
Dabei besitze ich einen DVD-Player, ein einstmals preiswertes Stand-Alone-Gerät, das sein degradiertes Dasein als CD-Player fristen muß. Ich glaube, ihm mißfällt diese abwertende Behandlung, neigt es doch zuweilen dazu, meine geliebten CDs nur widerwillig abzuspielen, böswillig zu knurren oder gar noch gefährlichere Geräusche von sich zu geben. Dann schalte ich ihn schnell aus und entschuldige mich.
Möchte ich eine meiner neun DVDs ansehen, habe ich mich bettelnd durch meine WG zu kämpfen, an jede Tür zu klopfen, ob einer meiner vier Mitbewohnerinnen bzw Mitbewohner so freundlich wäre, ihren bzw seinen teuren Fernseher an mich zu verleihen. Mit unwilligen Blicken bestück schleppe ich dann dankbar das schwere Gerät in mein Zimmer, positioniere es auf einem Stuhl neben dem sicherlich freudig erregten DVD-Player und fletze mich in meinen Sessel.
Ich will nicht fernsehen. Könnte gar nicht, wenn ich wollte. In mein Zimmer führt kein Fernsehkabel, muß es auch nicht. Fernsehen lenkt viel zu sehr ab, raubt mir Antrieb und Willen.
So lümmle ich mich zufrieden in meinen Sessel und schaue mir eine meiner DVDs an, vielleicht die neue, "Herr Lehmann", vielleicht eine der alten, die ich schon unzählige Male sah. Später muß ich den Fernseher wieder zurückbringen, wieder mühsam mit allen nötigen Kabeln und Steckern verbinden, den Ausgangszustand wieder herstellen, um jeglichen Ärger zu vermeiden.
Kommentare bleiben jedoch nicht aus:
"Willste dir nicht endlich mal nen eigenen Fernseher kaufen?"
"Aber ich will ja gar nicht fernsehen.", meine ich.
"Jaja, ich weiß."
"Ein Fernseher lohnt sich für mich nicht."
Mein Mitbewohner versucht zu erklären:
"Aber dann brauchst du nicht jedesmal zu uns rennen, alles abmontieren, das Gerät rüberschleppen, dranbasteln und so."
"Es lohnt sich nicht.", wiederhole ich.
"Natürlich lohnt es sich. Für deine DVDs."
"Das sind doch nur neun. Außerdem kenn ich die ja schon alle."
Besänftigt schweigt mein Mitbewohner, sieht mir zu, wie ich versuche, das Scart-Kabel falsch zu montieren.
'Ich sollte mir "Herr Lehmann" nochmal ansehen.', denke ich unterdessen.
'Morgen Abend vielleicht.'
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morast - 16. Apr, 19:06 - Rubrik:
Wortwelten
Des Frühlings Farbe ist Rot.
Nein, ich versuche nicht, einen Farbwandel des bekannten blauen Bands des Frühlings zu erwirken, sondern rede einzig und allein von meinen Augen. Diese, mit wunderschöner blaugrauer Regenbogenhaut versehen, nahmen in den letzten Tagen eine ungesund rote Färbung an. Es ist Frühling, denke ich, wenn ich in den Spiegel blicke, wenn ich den unangenehmen Juckreiz in den Augen verspüre. Es ist Frühling, denke ich, wenn ich mich vom Sonnenschein geblendet mit netten Freunden oder weniger netten Lernutensilien auf bläulichen blühenden Wiesen niederlasse und hin und wieder herzhaft zu niesen beginne. Es ist Frühling. Mein Indikatorheuschnupfen weiß es genau. Ängstlich harre ich des Tages, da ein nerviges und unauslöschbares Kribbeln zwischen Gehörgang und Mundhöhle einsetzen wird, das kein Kratzen, kein Schnalzen, kein Ignorieren zu vertreiben vermag.
'Noch ist es nicht soweit.'. denke ich vergnügt und reibe mir mit schmutzigen Fingern die juckenden Augen.
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morast - 15. Apr, 19:05 - Rubrik:
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Mein Vermieter ist ein geiziges, arrogantes Arschloch.
Glücklicherweise verstehe ich mich mit ihm recht gut, nenne ihm beim Vornamen und benutze das vertrauliche "du". Ich glaube, darauf besteht er, will er doch jung und dynamisch wirken.
Tortzdem ist er geizig. Seitdem ich hier wohne, wird das Haus saniert. Zwei Bauarbeiter schuften Tag für Tag an einem fünfstöckigen Gebäude, daß drei offizielle und zwei inoffzielle Eingänge [Rechtsanwaltkanzlei, Brasserie] besitzt und zudem noch um einen Innenhof angeordnet ist. Zwar kann man ihnen nicht absprechen, allmählich voranzukommen, doch sind vier Hände bei einem Altbau dieser Größe zu keinen blitzschnellen Überleistungen imstande. Glücklicherweise machen zwei Leute auch wesentlich weniger Baulärm als zehn.
Warum nur zwei?, fragte ich einst. Ist billiger, vernahm ich. Toll.
Seine langjährige Freundin will er auch nicht heiraten. Nicht, weil er sie nicht mögen würde, sondern einzig und allein weil er dazu einen detaillierten Ehevertrag aufsetzen müßte - und ihr trotzdem unterstellte, sie liefe nach der Hochzeit einfach mit allem Hab und Gut davon.
Mittagessen gibt es zumeist in der Uni-Mensa. Schließlich ist er selbst noch irgendwo eingeschriebener Student. Und Mutti, der das Gebäude eigentlich gehört, kommt gleich mit. Zu Studentenpreisen natürlich.
Irgendwann soltle der Innenhof verschönert werden. Ein albernes Unterfangen, findet man doch dort ein wildes Chaos aus überquellenden Mülltonnen, wirr angeordneten Fahrrädern und Unmengen von Bauschutt. Doch ein paar Pflänzchen sollen ja Wunder bewirken können - vermutlich auch winzige Nadelbäumchen, die man normalerweise auf Friedhöfen pflanzt: Koniferen. Sechs Stück leistete er sich, ließ sie vom Hausmeister eingraben.
Zwei Tage später waren sie fort. Ich wunderte mich ein wenig. Doch nicht sehr, hatte ich doch längst aufgehört, nach den Beweggründen für derartiges zu fragen. Vermutlich war ihre Pflege zu kostenintensiv. Wasser ist ja auch nicht mehr so billig wie früher...
Doch ich irrte mich. Die sechs Koniferen gab es noch. Nur standen sie jetzt vor Hauseingang 1, dort, wo der Vermieter selbst tagtäglich ein- und auszugehen pflegte. In einem Anflug von Größenwahn war ihm wohl die Idee gekommen, das Gebäude nach außen hin dekorativer zu gestalten. Auf dem Innenhof sah niemand die teuren Pflänzchen. Doch draußen...
Die sechs Koniferen säumten den Weg zum Eingang. Drei links. Drei rechts. Sie sahen erbärmlich aus. Inmitten einer kahlen graubraunen Fläche standen sie und überlegten, ob es besser wäre zu wachsen oder einzugehen. Ich glaube, sie haben sich bis heute nicht entschieden.
Der Vermieter jedoch hatte sich entschieden. Nämlich für die Verschönerung des Außenbereichs. Weitere Pflanzen mußten her. Das Beet durfte nicht länger als Parkplatz mißbraucht werden.
Und tatsächlich: Wenige Tage später schmückten auch unseren Eingang divere Pflänzchen. Sie waren grün, soviel sei zu sagen. Vermutlich ein preiswertes Sonderangebot immergrüner unverwüstlicher Superpflanzen, noch widerstandfähiger als jede Kunstblume.
Es waren nicht viele. Sechs oder sieben. Jede einzelne von ihnen bildete den Mittelpunkt eines Kreises mit drei Metern Durchmesser, in dessen Inneren außer der einen keine weitere Pflanze stehen durfte. Das Beet wirkte leerer als zuvor.
Doch wie um allen Mietern zu beweisen, was für ein feiner Kerl er gewesen war, in welche Kosten er sich gestürzt hatte, als er die Pflanzen erwarb, waren alle Schilder an den einzelnen grünen Büscheln verblieben. Jeder Interessent konnte also nicht nur erfahren, wie das dekorative Element zu betiteln war, sondern auch, wie man es zu pflegen hatte. Ich wette, selbst die Preisschilder [natürlich die originalen, vor der Preissenkung] klebten auch auch noch dran, zeugten vom Großmut des Vermieters.
Jeden Tag, wenn ich heimkehre, betrachte ich nun unser Beet, sehe auf die spärliche Anzahl an Pflanzen herab und stelle fest, daß ihnen jeder dekorativer Effekt, jede Schönheit verlorengeht, so traurig und einsam, wie sie auf dem kargen Boden herumvegetieren.
Doch eine gute Sache hat dieser halbherzige Verschönerungsversuch. Nun, da es wärmer wird und die Pflänzchen um Wasser betteln, das ihnen aufgrund des angestiegenen Kaltwasserpreises verwehrt wird, entbehrt es nicht einer gewissen fesselnden Spannung, täglich den Pflanzen beim allmählichen Sterben zuzusehen.
Eine hat es schon geschafft; der Rest ist auf bestem Weg.
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morast - 14. Apr, 19:04 - Rubrik:
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