morast - 9. Mai, 10:13 - Rubrik:
Farbenfroh
In der Hoffnung, dass meine Mami nicht versehentlich vorher hier reinschaut: eine kleine Muttertagskarte.

morast - 9. Mai, 00:21 - Rubrik:
Farbenfroh

Ich las gerade
Roger Zelazny "Der Clan der Magier". Das Buch ist gut und empfehlenswert, nicht nur, weil es unterhaltsam und aus ungewöhnlicher Perspektive geschrieben wurde, sondern auch, weil es haufenweise Fantasy- und Horrorklischees fast nebenbei aufgreift, einbaut und zu gänzlich anderem verarbeitet.
Und so existieren eine katzenbesitzende Hexe, ein frankensteiniger Doktor, ein mächtiger Vampir, ein sherlockholmiger Detektiv, ein pflanzenliebender Werwolf und ein verrückt gewordener Priester - und alle versuchen, ein "Spiel" zu gewinnen, bei dem es letztlich darum geht, das Tor zu den Alten Göttern zu öffnen - oder verschlossen zu halten.
Was es nicht gibt, ist ein Clan. Oder Magier. Natürlich kommt Magie vor, aber kein einziges Wesen innerhalb des Buches verdient die Bezeichnung Magier. Und bloß weil sich mehrere befremdliche Figuren zu einem bestimmten Datum an einem bestimmten Ort zusammenfinden, ergibt sich daraus noch lange kein Clan. Der deutsche Titel ist also nicht nur albern, sondern schlichtweg falsch.
Der originale Titel lautet "A Night in the Lonesome October" und ist ungefähr vierundzwanzig Milliarden Parsec von der deutschen Variante entfernt.
Doch die Krönung ist das Titelcover: Darauf finden wir einen dramatisch aussehenden Magier mit spitz zulaufendem Turban, wallenden Gewändern und einem Minikrokodil auf der linken Hand; einen Braunbären, der ein güldenes Gefäß hält, aus dem es unnatürlich grün qualmt; einen weißen, die Flügel ausbreitenden Hahn; ein weißes Häschen; einen Otter-oder-was-immer-das-darstellen-soll; ein Erdmännchen-oder-so; ein wirklich putziges Stachelschwein und - natürlich, darauf kann nicht verzichtet werden - einen winzigen Meerjungfrauenmann [Meerjungmann?] mit Schmetterlingsflügeln und einer winzigen Wolke am Schwanzende.
Nichts davon existiert in den Buch! Natürlich ist es reichhaltig mit Tieren bestückt, und während der Zeremonie verwandelt man sich auch kurz, wenige Zeilen lang, in einen Braunbären, doch der Rest ist Schwachsinn! In diesem Buch existieren eine Fledermaus, eine Eule, ein weißer Rabe, eine Schlange, ein Hund, eine Katze, eine Ratte, noch ein Hund, ein Werwolf und ein paar Pferde - da hätte man doch wenigstens durch Zufall einen Treffer landen können!
Mich ärgert das. Titelgeber, Coverbildaussucher: Lest das Buch, bevor ihr es mit Unsinn bestückt! Oder zumindest die wenigzeilige Inhaltsangabe. Oder überfliegt sie wenigstens.

Ich fühle mich an das Buch "Spiegelzeit" von Wolfgang Hohlbein erinnert, dessen Paperbackcover mit einem wikingerigen Knochenschiff vor idyllischer Fantasylandschaft versehen war. Ein Wikingerschiff?!? Das Buch spielt in Deutschland! Hauptsächlich auf Rummelplätzen. Hauptsächlich in der Gegenwart. Zuweilen auch ein paar Jährchen in der Vergangenheit. Aber zu keinem Zeitpunkt kommen Schiffe vor. Erst recht nicht welche aus Knochen. Vor idyllischer Kulisse. Mit albern gewandeten Gestalten drauf.
Lest! Das! Buch!
morast - 8. Mai, 09:05 - Rubrik:
Farbenfroh
Das war sie wieder, schwarz und weiß, auf dem frisch gemähten Innenstadtrasen: die Elster. Fast war ich geneigt, sie als meine Elster zu bezeichnen, begegnete ich ihr doch fast täglich. Nicht immer hier, doch im Umkreis von etwa Hundert Metern um den Schotterparkplatz herum war die Wahrscheinlichkeit groß, sie anzutreffen. Oft stand sie nur auf dem Rasen, hüpfte ein paar Zentimeter weit, um anschließend innezuhalten, abzuwarten und wieder ein wenig zu hüpfen. Wenn ich ihr zu nahe kam, flog sie fort, meistens auf ihren Lieblingsahorn, und beschaute mich aus sicherer Entfernung.
Dass sie es war, die ich sah, war eindeutig: Keine andere Elster wirkte derart kräftig, nicht aufgeplustert oder fett, sondern fast schon muskulös – insoweit man das von Vögeln sagen darf. Und trotz ihrer für eine Elster beeindruckenden Statur erweckte sie den Eindruck angenehmer Freundlichkeit, fast so, als könnte man hingehen und sie streicheln.
Man konnte nicht. Mehrmals schon hatte ich versucht, ihr seidig glänzendes Gefieder zu berühren, doch jedesmal hatte sie sich mit wenigen, eleganten Bewegungen aus meiner Reichweite hinausbefördert. Und so verblieb mir nur die stille Bewunderung, die Freude darüber, dass ihr ich fast täglich begegnete und ihre monochrome Schönheit bestaunen durfte.
Ich hatte es eilig, doch nahm mir die Zeit, um nach ihr Ausschau zu halten. Und da war sie, stand auf dem Rasen und schaute mich an. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie mir jemals einen derart intensiven Blick geschenkt hatte, und für einen Moment war ich versucht, an eine Art Verbindung zwischen uns beiden, zwischen Mensch und Tier, zu glauben. Wer wusste schon, wie intelligent Vögel wirklich waren?
Sie hüpfte auf mich zu. Ich liebte es, wenn sie hüpfte, denn diese Bewegung verlieh ihrer anmutigen Gestalt einen kindlichen Charme und ließ in mir erneut den Wunsch wachsen, sie einfach mal streicheln zu dürfen. Sie hüpfte erneut, und ich blieb stehen. Ich wollte sie nicht erschrecken, und zugleich hoffte ich, dass sie noch ein wenig näher kommen würde. Und wieder hüpfte sie. Ich jubilierte innerlich, steckte langsam meine Hand in die Jackentasche. Vielleicht hatte ich ja ein paar Brotkrumen für sie. Oder ein paar Körner. Oder irgendetwas anderes. Vielleicht etwas Glänzendes. Elstern liebten doch angeblich alles, was glänzte. Vielleicht besaß ich ja ein Kaugummipapier, das ich ihr zum Geschenk machen konnte.
Die Elster legte den Kopf schief. Sie beobachtet mich, dachte ich erfreut und kramte weiter. Ich fand nichts. Nicht in dieser Tasche. Vielleicht in der anderen...
Ich ließ meine Blicke schweifen. Wo befand sich eigentlich das Nest der Elster? Etwa in ihrem Lieblingsahorn? Nein, da hatte ich schon gesucht. Aber irgendwo hier in der Nähe musste es doch sein. Irgendwo musste sie doch all ihre glänzenden Schätze horten.
Ich erinnerte mich an ein Kinderbuch, in welchem in einer Baumhöhle zahlreiche glitzernde Elsternschätze entdeckt wurden, und dachte kurz daran, was sich wohl im Versteck meiner Elster befinden würde. Vielleicht güldene Ketten und diamantverzierte Ringe? Vielleicht Münzen in Hülle und Fülle... Ich brauchte ja eigentlich nur ein glänzendes Kaugummipapier zu finden, es der Elster zu schenken und dann zu beobachten, wohin sie flog. Wer weiß, was für Kostbarkeiten mich erwarteten?
Die Elster war inzwischen nähergekommen. Meine Hand durchwühlte noch immer die zweite Jackentasche, doch fand nichts. Ein Schlüssel, klar, doch den brauchte ich noch. Und selbst die Einkaufwagen-Euro-Münze, die ich stets in meiner Jacke aufbewahrte, wäre ein zu großes Opfer gewesen. Ich zuckte mit den Schultern.
"Tut mir leid, liebe Elster, ...", fing ich an, doch weiter kam ich nicht. Die Elster hatte ihre Schwingen ausgebreitet und flog direkt auf mich zu. Ich duckte mich reflexartig, doch ihr Schnabel bohrte sich in meinen Jackenkragen. "Was...?!", setzte ich an, doch da befand ich mich schon in der Luft. Der Boden entfernte sich, und die Elster trug mich mühelos immer weiter in die Höhe. Nur wenige Augenblicke später sank sie wieder herab, hielt direkt auf eine Gruppe alter, dicht belaubter Bäume zu.
'Silberfarbene Jacken sind unpraktisch.", dachte ich noch, bevor mich das Dunkel eines Baumlochs verschluckte.
morast - 6. Mai, 16:56 - Rubrik:
Wortwelten
Ich mag Süßes, schrecke nicht davor zurück, mal eben eine Tafel Schokolade zu verspeisen oder mein Mittagessen aus etwas bestehen zu lassen, das andere nur als Nachtisch bereichnen würden. Und so war es wenig verwunderlich, dass ich den heutigen Mensabesuch mit dem Verzehr sogenannter Germknödel kombinierte.
Nun ist Germknödelteig an sich ja schon minimal gesüßt. [Ich behaupte das jetzt einfach mal, ohne recherchiert zu haben.] Und im Gegensatz zum herkömmlichen Hefeknödel befindet sich im Inneren eines Germknödels eine Füllung, zumeist aus Marmelade bestehend. In meinem Fall handelte es sich um Pflaumenmus. Durchaus süßes Pflaumenmus.
Damit aber der Germknödel nicht trostlos und alleine auf dem Teller verbleiben musste, wurde ihm noch ein wenig lecker-süße Vanillesoße mitgegeben, die in ihrer Zusammensetzung an Pudding erinnerte. Süßer Teig mit fruchtig-süßer Füllung und pudding-süßer Soße. Das sollte auch die letzte Naschkatze befriedigen.
Doch die Mensa setzte noch einen drauf. Obgleich die zermatschten Pflaumen der Germknödel bereits genügend Frucht zum Essen beigetragen hatten und obgleich die Vanillesoße ausreichend gewesen war, um sowohl den Soßenbedarf zu decken als auch des Tellers Weiß zu verhüllen, gab es noch anderthalb Kellen zusätzlicher Soße über den Germknödel: Kirschen mit süßroter Kirschsirupsoße. Hurra!
Das Essen selbst wurde zu eienr Manscherei. Der weiche Germknödelteig gab seine Pflaumenbreifüllung frei, die sich sogleich mit Vanille- und Kirschsoße vermengte und ein wunderbares Gemisch erzeugte, das längst alle Grenzen des Wortes "süß" überschritten hatte. Ich genoß es – zusammen mit 20 Stück Würfelzucker in Form von Cola.
morast - 5. Mai, 15:23 - Rubrik:
Wortwelten
... für eine Krimiliebhaberin
P.S.: Der Fleck auf der linken Seite ist ein Fingerabdruck. Ist durch die Verkleinerung leider nicht eindeutig erkennbar.
morast - 5. Mai, 09:22 - Rubrik:
Farbenfroh
morast - 30. Apr, 11:50 - Rubrik:
Farbenfroh
Ich glaube, ich habe "Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär" von Walter Moers mittlerweile zwei Mal komplett gelesen und außerdem mindestens die Hälte davon vorgelesen. Doch erst gestern, nachdem ich bereits Monate nicht mehr an dieses Buch und dessen Inhalt gedacht hatte, fiel es mir auf:
Blaubärs Gallertfreund Qert heißt mit vollem Namen Qwert Zuiopü. Und das wiederum ist die gesamte obere Buchstabenreihe der deutschen Tastatur von links nach rechts!
Ich vermute, ich bin nicht der erste, der das bemerkte. Doch, verdammt, warum brauchte ich dafür so lange?
Im Übrigen kann ich mich nicht entscheiden, ob ich die Namenswahl jetzt für äußerst unkreativ oder schon wieder für genial halten soll...
morast - 27. Apr, 23:55 - Rubrik:
Krimskrams
ich strahlte aufgeregt, während norbert als zeichen seiner zustimmung nur langsam den kopf schüttelte.
www.totzumittag.de
morast - 25. Apr, 08:56 - Rubrik:
Farbenfroh
Meine Nase trieft. Es könnte schlimmer sein, aber muss nicht. Schließlich kratzt auch mein Hals, reizt mich immer wieder dazu, kraftvoll und aus tiefster Kehle zu husten. Und bei jedem Huster versucht mein ohnehin schmerzender Schädel zu explodieren. Es gelingt ihm nicht, doch die kontinuierliche Gegenwehr raubt meinem restlichen Körper die Kraft. Arme und Beine fühlen sich an, als hätte ich sie aus hautfarbener Götterspeise gefertigt, meine Finger scheinen zu zittern, obgleich ich ihnen das nicht anzusehen vermag.
Interessanterweise kann ich den Zeitpunkt, zu dem ich mir diese Erkältung einfing, relativ präzise bestimmen: eine Party, die ich insbesondere trotz der dort Anwesenden, ihrer Gespräche und Bemerkungen - und trotz der herrschenden [emotionalen und echten] Temperaturverhältnisse - als einigermaßen annehmbar in Erinnerung habe, was allerdings vorrangig der Nahrungsmitteleigenversorgung und dem Unterhaltungswert eines dort angelesenen Buches zuzuschreiben ist.
Und so stellt sich die Frage, ob mein unguter Gesundheitszustand einfach nur die logische Konsequenz einer nicht minder unguten Feierlichkeit darstellt, sozusagen eine nachwirkende, erwartbare Begleiterscheinung, oder ob die Erkältung eine Art hämischen Nachtrag, einen strafenden Kontrapunkt zu meinem Prä-Party-Optimismus, zu meinem illusorischen Glauben, diese Zusammenkunft werde sich trotz allem irgendwie als nett herausstellen, sein soll.
Vielleicht ist die Erkältung aber auch einfach nur eine Erkältung, und ich wäre gut beraten, sie im Bett auszukurieren, statt mir unnütz-alberne Erklärungsversuche aus den Zitterfingern zu saugen.
morast - 23. Apr, 13:22 - Rubrik:
Wortwelten
Die Formulierung "Fragen über Fragen" ist nicht neu. Wenn sich aber etwas über etwas anderem befindet, befindet sich dann nicht logischerweise auch etwas unter etwas anderem?
Wäre es, dieser Logik folgend, dann nicht berechtigt, auch "Fragen unter Fragen" sagen zu dürfen?
Oder muss ich dann befürchten, jedesmal dohv angeschaut zu werden und eine langatmige Erklärung abgeben zu dürfen, die letztlich niemanden interessiert?
Fragen unter Fragen...
morast - 22. Apr, 22:23 - Rubrik:
Krimskrams
Auch wenn es nicht Morgen ist und ich diesen Text nicht in das entsprechende Buch schrieb, wurde er doch in die Rubrik "Morning Pages" eingeordnet. Schließlich entstand er spontan in einer Ruhepause, wurde während des Schreibens ersonnen.
Und so.
"Diese verdammten Schuhe!", fluchte ich.
"Waaas?", rief Anne aus dem Badezimmer, wobei einzig meiner Fantasie zu verdanken war, dass ich überhaupt erahnen konnte, was sie rief.
"Nichts.", antwortete ich, war ich doch keineswegs versessen darauf, ein Gespräch anzuzetteln, das lautstark durch die gesamte Wohnung gebrüllt wurde. Doch Anne stand bereits im Zimmer und schenkte mir einen fragenden Blick. Offensichtlich hatte sie eingesehen, dass die Zahnbürste in ihrem Mund der oralen Kommunikation abträglich war, und zog es vor, sich auf Mimik und Gestikzzu beschränken.
"Ach, nichts.", wiederholte ich. "Es sind nur diese verdammten Schuhe." Ein weiterer fragendender Blick.
"Sie passen nicht.", erklärte ich seufzend. Anne deutete auf den blauen Karton, der hinter der Zimmertür herumlag. "Aber die hast du doch vorgestern erst gekauft.", sollte diese Geste heißen, und für einen Moment war ich stolz darauf, sie gut genug zu kennen, dass sich jedes gesprochene Wort erübrigte.
"Ja, ich weiß. Doch ich komm' einfach nicht rein." Zur Bekräftigung stieß ich mehrmals meinen rechten Fuß in das schwarze Leder. Der Schuh jedoch weigerte sich, fast so, als wäre er über Nacht geschrumpft.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Schaute auf. Noch immer putzte sich Anne die Zähne, doch dabei drehte und schüttelte sie immer wieder ihre freie Hand. Ich verstand schnell und lächelte. Vielleicht war ich tatsächlich perfekt für sie, dachte ich. Vielleicht war ich tatsächlich derjenige, der ihr jedes Wort von den Augen abzulesen vermochte.
Liebevoll schaute ich zu Anne, dann drehte ich meinen Schuh um und schüttelte ihn. Ich zweifelte zwar daran, doch möglichweise hatte irgendein WG-"Nikolaus" die Frechheit besessen, Dinge in meinem Schuh zu verstecken. Doch abgesehen von ein paar schwarzen Stoffkrumen brachte das Schütteln nichts zum Vorschein.
Prüfend ließ ich meine Finger in das Schuhinnere gleiten. Kein Widerstand.
Neugierig schaute ich auf die Schuhgröße. 43, wie gehabt.
Ich sah erneut zu Anne, die mittlerweile ihre kreisenden Putzbewegungen unterbrochen hatte. Schaum bedeckte ihre Lippen, und anscheinend wusste auch sie nicht mehr weiter. Ich probierte es erneut, presste mit aller Kraft meinen Fuß in den Schuh. "Das ... muss ... doch ... passen!", keuchte ich. Doch es passte nicht. Der Schuh war einfach zu klein. Oder mein Fuß zu groß.
"Ich versteh das nicht.", sagte ich zu Anne, doch Anne befand sich gar nicht mehr im Zimmer. Mund ausspülen, dachte ich, und betrachtete den widerspenstigen Schuh. Er war noch neu, ich hatte ihn außerhalb der Wohnung noch nicht getragen. Vielleicht sollte ich ihn einfach wieder zurückbringen, überlegte ich, umtauschen oder so. Und vielleicht könnten wir dann noch kurz beim Café Venezia vorbeischauen, dort, wo wir uns vor vier Monaten kennengelernt hatten, und einen riesigen Eisbecher auf unser Wohl bestellen...
Plötzlich stand Anne neben mir, in der Hand ein riesiges Messer haltend, die Zahnbürste noch immer im Mund. "Ruckedigu, ruckedigu!", nuschelte sie und weißer Schaum floß ihr das Kinn hinab. Ein Schrei: "Blut ist im Schuh!", und sie schlug zu.
morast - 22. Apr, 18:50 - Rubrik:
Morning Pages
Ich habe begonnen, ihn zu bemitleiden. Vielleicht verdient er mein Mitleid nicht, vielleicht braucht er es auch gar nicht, vielleicht würde es ihn sogar verärgern, doch das ist mir egal.
Seinen Job möchte ich nicht haben. Nicht nur weil dieser kaum beliebter sein kann als der von Politessen und Straßenbahnkontrolleuren, sondern weil er eindeutig langweilig ist. Den halben Tag sitzt er an einem kleinen Tisch nahe des Bibliothekseingangs und betrachtet die Hereinkommenden. Jeder, der die Bibliothek betritt, ist verdächtig; soviel steht fest.
Nicht nur, weil Studenten nachlässig sind und die eine oder andere Verordnung mal ignorieren, sondern auch, weil Studenten clever sind, clever genug, um Methoden zu entwickeln, erwähnte Verordnungen zu umgehen.
Doch Nahrungsmittel haben in der Bibliothek nichts zu suchen! Ebensowenig Rucksäcke und andere Taschen! Die Bücher waren teuer und sollen nicht von Müsliriegeln und Bionade verunstaltet werden oder gar mutwillig entwendet werden!
Wer einen der schicken blauen Bibo-Plastikkörbchen durch die Tür trägt, ist verdächtig. Sicherlich: Das ist ein Buch und das andere ein Notebook. Doch was befindet sich darunter? Oder dort, in deinen ausgebeulten Hosentaschen? Ein Handy? Du weißt aber, dass Telefonieren in der Universitätsbibltiohek untersagt ist?
Der Mann hat längst den Großteil seiner Haare verloren, und ich hege die Vermutung, dass zusammen mit diesen auch die Fähigkeit zu lächeln verschwand. Sein Mund ist eine gerade Linie, und jedesmal, wenn ich ihn sehe, frage ich mich, was wohl der Grund für seine Verbitterung sein könnte.
Ist es nur der Umstand, dass er hier hockt, tagein, tagaus, die Hereingehenden betrachtet und in den seltensten Fällen aktiv zu werden braucht? Ist es nur der Umstand, dass täglich Hunderte Studenten an ihm vorbeilaufen, ihn oft keines Blick würdigen, während er sie betrachtet, sich ausmalt, welche Zukunft vor ihnen liegen könnte, welche Erfolge sie womöglich noch einheimsen werden - während er an der selbständig öffnenden Glastür darauf nur noch darauf warten kann, dass seine Rente sich nähert?
Ich glaube in seiner Verbitterung zu ertrinken, wenn ich an ihm vorübergehe, und hoffe inständig, mich zu irren. Doch wenn er im Bibo-Café einsam seine Pause verbringt oder die steif und hölzern die Toilette besucht, wenn er wortlos Stunde für Stunde absitzt, dann erwacht mein Mitleid.
Seine Ablöse kommt, und sie wechseln einige Worte. Viel war nicht los, und das Gespräch beschränkt sich auf das Nötigste. Seine Nachfolgerin wirkt lebendiger, dynamischer, so, als würde ihr der öde Job gefallen, als würde sie in der Nähe derart vieler junger Menschen aufblühen. Als ich in ihre Richtung blicke, lächelt sie sogar, und ich bin verdutzt. Wie macht sie das?
Am nächsten Tag sehe ich ihn wieder, an gleicher Stelle wie immer, der Mund wie immer an den Horizont angepasst, ein dünner Strich, der das Kräuseln längst verlernte. Doch ich will es versuche, will es wagen.
Als ich die Bibliothek betrete, schaue ich nicht weg. Bewusst locker trage ich meinen Korb herein, offenbare ein ehrliches Gesicht. Ich habe nichts zu verbergen, denke ich, und versuche, das meiner Mimik anmerken zu lassen. Und dann die Krönung: Ich lächle.
Gerade, als er mich prüfend mustert, mein Utensiliar in Augenschein nimmt, als sein Blick zu meinem Gesicht wandert, genau jetzt lächle ich. Ich schiebe alles Mitleid beiseite und lächle einfach.
Es ist nicht leicht. Zu unnatürlich wirkt, was meine Mundwinkel fabrizieren, doch ich gebe mir Mühe. Schau her, rufe ich in Gedanken, ich respektiere dich, finde gut, was du machst, dass du uns vor Unrat und Schmutz, vor Handyträllerei und verklebten Seiten, vor Taschengerempel und Buchdiebstahl bewahrst, finde gut, dass du imstande bist, Tag für Tag diesen, deinen, Job, zu erledigen. Ich lächle, weil ich zu wissen glaube, dass diese Arbeit für dich nicht alles ist, weil du zu Hause Frau und Kinder besitzt, weil du interessanten Hobbys nachgehst, dem Frohsinn frönst, sobald du diese Bibliothek hinter dir gelassen hast.
Später sah ich ihn in irgendeiner Sparkassenfiliale. Er war allein, und eine bittere Linie bildete seinen Mund.
morast - 21. Apr, 14:45 - Rubrik:
Wortwelten