Wortwelten
Erstaunlich: Nachdem ich mir vornahm, guter Laune sein, war ich es.
Es ist warm draußen, Frühling fast, und ich genieße das. Ich entdecke ein leises Lächeln auf meinen Lippen, als mir abstrus-alberne Gefdanken im Kopf begegnen, als ich Menschen sehe und mir Geschichtchen zu ihnen ausdenke oder über ihre Auffälligkeiten sinniere. 'Ist sie schön?', frage ich mich, als ein Mädel vorbeiläuft. 'Nur oberflächlich.', antworte ich mir selbst und bin zufrieden, das erkannt zu haben und dieser Art von Schönheit nicht zu bedürfen. Mir entgegen kommt jemand, dem ich keine Sympathie zu schenken gewillt bin, obgleich ich ihn gut kenne. 'Warum treffe ich ihn ständig?, frage ich mich genervt, doch schmunzle alsbald über meinen Versuch, von Unsichtbarem gefesselt in eine andere Richtung zu blicken, ihn dann wie zufällig im letzten Augenblick des Vorbeilaufens zu entdecken und mit möglichst knapp gehaltenem Gruß weiterziehen zu lassen. Ich begreife, daß ich frei bin, und einen unbeobachteten Moment lang verfalle ich in eine Art unauffälligen Hopserlaufs.
Irgendwann begegne ich einer Freundin, bleibe stehen, grüße sie, ihren Freund, führe Gespräch. Nicht lange, denn allzu schnell finden die beiden Liebenden einander und lassen mich in Gerede und Gehabe außen vor. Unbeteiligt stehe ich neben ihnen, bis Aufbruch sie von mir reißt und mich mit dem Gefühl einer unfüllbaren Leere zurückläßt.
'Da bist du ja wieder.', begrüße ich meine Trübnis, doch schicke sie wieder fort.
Die gute Laune gefiel mir besser.
[Im Hintergrund: Agathodaimon - "Chapter III"]
morast - 21. Mär, 20:01 - Rubrik:
Wortwelten
Daß ich Drehtüren verachte, hatte ich - so glaube ich - bereits irgendwann einmal erwähnt. Gerne würde ich eine donnernd-gesungene Schimpftirade anstimmen, in der auch schwarzmetalltypische Grunz- und Kreischlaute nicht fehlen dürfen, und die von mir als Sinnlos erachteten Drehtüren auf diese Weise musikalisch verteufeln. Doch meine Sangeskünste sind eher in unterem Mittelmaß angesiedelt, was die wenigen Gitarrengriffe, die auszuführen ich vermag, nicht wettmachen könnten. Überhaupt fehlten mir für eine richtige Schimpftiradengesangsformation noch ein ausreichend versierter Basser und ein Schlagzeugmann, den es nicht stört, daß sein Musikwerkzeug stets am hinteren Ende der Bühne positioniert wird.
"Drehtüren / ihr widerlichen Drehtüren!", brüllte ich ins Mikro und scheute mich nicht, anschließend auch gleich die von mir derzeit bewohnte Stadt zu beschimpfen: "Magdeburg / du widerliches Magdeburg / Mööööhhh!!". Das "Mööööhhh!!" steht übrigens für einen Grunzlaut im niederen Frequenzbereich.
Magdeburg ist eigentlich gar nicht widerlich. Leider aber ist Magdeburg die Stadt der Drehtüren. Und da Drehtüren eine widerlich-dumme Erfindung darstellen, erdreistete ich mir, in obiger Black/Death-Metal-Komposition die Widerlichkeit der Drehtüren auf die eigentlich gar nicht widerliche Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts zu übertragen. "Magdeburg / du wenig widerliche Stadt / voller widerlicher Drehtüren" wäre einfach nicht überzeugend gewesen.
Genauso wie einstmals irgendjemand die Bürgermeister Deutschlands von der eigentlich überdenkenswerten Ansicht überzeugte, daß moderne Kunst, insbesondere wenn sie meterhoch, häßlich und rostanfällig ist, öden Innenstädten eine süßlich duftende, sonnenhell strahlende Note kultureller Offenheit und kreativer Freigeistigkeit verleiht und somit potentielle Innenstadtbeleber in Scharen aus umliegenden Dörfern, Bundesländern und Staaten herbeilockt, die die künstlerische Genialität der Altmetallaufbereitungsmaßnahme nicht nur mit vom Staunen geöffneten Mündern und glotzenden Augen, sondern auch mit ausführlichen Kaufexzessen in den innenstädtischen Läden und Cafés zu würdigen wissen, genauso schien einst das Gerücht durch Magdeburg geeilt sein, daß Drehtüren vornehm, ästhetisch und ungemein praktisch seien.
Das sind sie nicht. Drehtüren sind langsam. Öffne ich eine normale Tür auf normale Art und Weise [Klinke runterdrücken; Tür ziehen/schieben; durch den entstehenden Spalt schlüpfen], so überhole ich jeden zeitgleich eintretenden Drehtürbenutzer. Die Zeit, die ich bereits an unnütz langsame Drehtüren verschwendete, hätte ich längst nutzen können, um ein ganzes Album voller musikalisch wertvoller Liedstücke über die Vorteile normaler Türen gegenüber sich drehenden aufzunehmen.
Leider mangelt es oft an Türalternativen, und so bleibt mir keine Wahl, als mich zusammen mit der Tür drehen zu lassen.
Ohne nachzudenken fallen mir drei Drehtüren an zentralen Stellen in Magdeburg auf; und alle drei sind anders, als hätte der Drehtürenverkäufer, der die Hausbesitzer zum Einbau eines solchen Undings überredete, auch noch genug künstlerischen Anspruch gehabt, Einmaligkeiten schaffen zu wollen.
Die Tür zum bahnhofsnahen Vielraumkino beispielsweise muß manuell betrieben werden, eignet sich daher gut als Anschauungsmaterial des Hebelgesetzes: Faßt also Papis übereifrige Tochter zu weit innen an, muß sie wesentlich mehr Kraft aufbringen, das Türungetüm in Bewegung zu setzen, als wenn sie ihre Fingerchen am äußeren Ende der Tür positioniert. Wenn Papi dann nicht schnell genug seine helfenden Erwachsenenhände einsetzt, fängt Papis übereifriges Töchterchen auf der Stelle an zu heulen ob ihrer kindlichen Unfähigkeit, plauzt bockig auf den Drehtürenboden und blockiert somit für allen Nachkommenden die Drehtürbenutzung und somit den Ein- oder Ausgang.
Grundsätzlich vermeide ich es, die Kino-Drehtür zu berühren, mehr Arbeit aufzuwenden, als beispielsweise die Benutzung einer Normaltür benötigt hätte; es kommt immer irgendwer und dreht für mich mit.
Die Tür zum "Palazzo", einem Café mit einstmals recht noblem Flair, das aber heute nur noch in den Köpfen der Altmagdeburger als vornehm gilt und in Wirklichkeit zur Heimat unfreundlicher Schneckentempo-Kellner wurde, stellt eine besondere Drehtür-Raffinesse dar. Sie steht still, doch sobald jemand in ihr Inneres tritt, reagieren nützliche Sensoren und setzen das drehende Ungetüm in Bewegung. Augenblicke später befindet man sich im Café-Inneren und kann stundenlang darauf warten, endlich die Karte gereicht zu bekommen, während der von der Drehtür eindringende Kaltluftschwall an der nächste Erkältung bastelt.
Das Magdeburger Allee-Center ist eines von jenen Dingern, die mittlerweile in jeder Innenstadt zu finden sind und möglichst vielen Geschäften auf möglichst vielen, durch Rolltreppen und Fahrstühle erreichbare, Etagen in einem einzigen Gebäude zusammenwürfeln. Im Magdeburger Allee-Center findet man neben derzeit fünf Schuhgeschäften [Ein dritte Etage und somit eine Unzahl neuer Schuhgeschäfte soll in wenige Tagen eingeweiht werden.] eine nicht geringe Zahl an Drehtüren. Früher war ich der Ansicht, daß die Drehtüren sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegen würden, doch so etwas wie Konstanz gibt es auch bei ihnen nicht. Ständig wird beschleunigt und abgebremst - und das, ohne daß ein übereifriges Töchterchen in den schmaler werdenden Spalt der Drehtür schlüpft und diese für einen Augenblick zum Stillstand bringt.
Die Allee-Center-Drehtüren besitzen nämlich nur zwei Öffnungen. "Normale" Drehtüren sind Kreuze, die in vier Kammern Menschen unterbringen und mit sich drehen können. Die zwei Kammern der Allee-Center-Drehtüren dagegen sind zwar wesentlich größer als ein Viertel des Drehtürkreises, aber auch kleiner als die Hälfte. Es bleibt also ein Platz dazwischen, der - natürlich - mit Werbung vollgestopft werden kann. Decken sich diese kammerartigen Öffnungen mit dem Ein- bzw. Ausgang des Gebäudes, dann dreht sich die Tür mit verhältnismäßig langsamer Geschwindigkeit. Hat jedoch die Tür einen Winkel von fast 90 Grad hinter sich gelassen, beschleunigt sie, um den in der Tür stehenden möglichst schnell ihre Freiheit zurückzugeben.
Erdreistet sich ein übereifriges Töchterchen, im letzten Augenblick noch in die Kammer zu hüpfen, hilft auch alles Patschehändchen-Anschieben nichts mehr: Die Tür hält an und gibt den Eingesperrten Grund, ihrem Einkaufsstreß-Ungemach murmelnd und stöhnend Laut zu verleihen. Die ohnehin vergleichsweise langwierige Prozedur verzögert sich zusätzlich.
Tatsächlich verhält es sich jedoch nicht so, daß ich Drehtüren verachte, weil sie sich in quälender Langsamkeit drehen oder weil immer übereifrige Töchterchen oder nacheilende Papis den Gebäudezu- oder -austrittsprozeß unnötigerweise verzögern. Ich habe selten Grund zu derartiger Eile, daß ein paar innerhalb der Drehtür verlustig gehende Sekunden nicht entbehrlich wären, selbst wenn die Sammlung aller verlorengegangenen Sekunden die Entstehung eines guten Black-Metal-Albums mit dem Titel "Drehtür, widerliche Drehtür" erwirkt hätten.
Nein, was mir mißfällt, ist es, daß sich viele ungeduldige Einkaufswillige gleichzeitig in diese Kammern zu stopfen versuchen - und bei geringster Gelegenheit zu schimpfen beginnen. Ich mag es nicht, mich mit Zentimeterschritten zu bewegen, weil die Platz- und Drehtürgeschwindigkeitsverhältnisse mir keine andere Wahl lassen. Am liebsten, wenn ich eine Drehtür betrete, gehe ich noch eins, zwei Schritte und bleibe dann stehen, bis sich auf der anderen Seite eine Öffnung offenbart, die groß genug ist, mich samt meines Rucksack durchzulassen. Jedoch klappt das niemals, allein schon weil die Nachdrängelnden ständig in Bewegung sein wollen, lieber Millimeterschrittchen zurücklegen, als einen Augenblick lang zu ruhen und abzuwarten.
Ich verachte Drehtüren, weil sie "echte" Türen in den Schatten stellen. Im Allee-Center werden die Drehtüren nämlich flankiert von zwei "echten" Türen, die sich jedoch unsinnigerweise nicht von außen öffnen lassen. Will ich also die Albernheit einer Drehtür nicht über mich ergehen lassen, wenn ich das Gebäude betrete, muß ich hoffen, daß eine dieser beiden Türen durch Zufall einen Spalt weit offensteht oder daß gerade jemand das Gebäude verläßt und mir sozusagen die Klinke in die Hand gibt. "Normale Tür / du wunderschöne normale Tür", summe ich dann und betrete das Allee-Center.
Allerdings lassen sich die flankierenden Türen auch häufig nicht von innen öffnen. "Die Drehtür ist breit genug. Die reicht aus!", sagt sich der verantwortliche Türenverschließer und dreht den Schlüssel vorsichtshalber einmal mehr im Schloß - damit auf keinen Fall irgendwer dahereilen und diese Tür ihrer Bestimmung zuführen kann. Doch ich eile, drücke die Klinke nach unten, stemme mein Gewicht gegen die Tür, ohne daß sie sich auch nur um Haaresbreite bewegt. "Dieser gemeine Türenverschließer!", schimpfe ich und überlege, ob ich meinem Black-Metal-Album ein weiteres Werk namens "Türenverschließer / du widerlicher Türenverschließer" hinzufügen sollte.
Unterdessen bewegen sich die Drehtürbenutzer innerhalb der Drehtür im Schneckentempo vorwärts und lachen mich aus, weil ich etwas Besseres sein und nicht mit dem gemeinen Pöbel die Drehtür teilen wollte. Doch das Lachen bleibt ihnen im Halse stecken, wenn ein übereifriges Töchterchen sich in letzter Sekunde in den Drehtürspalt drängt...
Neulich lief ich quietschvergnügt durch die Magdeburger Innenstadt. Gerade hatte ich eine unversehrte Tafel Mini-Schokolade in meinem Rucksack entdeckt und war nun in Begriff, diese auszupacken und genüßlich zu vertilgen. 'Hui, es ist Freitag!', fiel mir da ein, 'Zeit, die neuesten Black-Metal-Erscheinungen im örtlichen Musikwarenfachgeschäft zu belauschen!'. Also begab ich mich zum Allee-Center. Die flankierenden Türen präsentierten sich mit abweisender Verschlossenheit, die Drehtür dagegen mit sympathischer Offenheit. Denn gerade, als ich mich ihr näherte, zeigte sie mir ihre kammrige Seite, so daß ich nur hineinzuschlüpfen brauchte. Ich hatte die Kammer für mich allein und blieb auf der Stelle stehen. Keinen Millimeter bewegte ich mich, während die Tür um mich herum rotierte und ein Stückchen Vollmilchschokolade auf meiner Zunge schmolz. Ich war guter Dinge und vollends vertieft in den Genuß der Süßschmelze in meinem Mund, so daß ich nur am Rande meines Bewußtseins wahrnahm, daß die Drehtür plötzlich stehenblieb.
Ein Farbiger war im letzten Moment zu mir in die Kammer gehuscht. Die Sicherheitssensoren hatten reagiert und die Tür angehalten. Vorsichtshalber. In der anderen Kammer höre ich Leute schimpfen. Ich lächelte vergnügt, weil mich schimpfende Leute immer lächeln machen.
"Jaja!", sprach der Farbige in perfektem Deutsch, "Diese Scheiß-Ausländer!" Und dabei grinste er mich an.
Ich grinste zurück, und es war mir egal, ob ich Schokolade an den Zähnen kleben hatte oder nicht.
morast - 20. Mär, 16:24 - Rubrik:
Wortwelten
Ich bade selten. Mit vier Gleichaltrigen eine Wohnung zu teilen bedeutet, sich in den Bädern niemals wirklich heimisch fühlen zu können. Schließlich wartet vielleicht schon der nächste potentielle Nutzer vor der Tür, sich ärgernd, daß jemand sich erdreistete, ein ausgiebiges Bad zu nehmen.
Es hat sich durchgesetzt, daß Baden-Wollende die anderen Anwesende über ihr Vorhaben in Kenntnis setzen. Ein von höchsten Dringlichkeiten getriebenes Türgerüttel kann somit vermieden werden. Dennoch mißfällt mir die Vorstellung, daß irgendwer, und sei er mir auch noch so gut bekannt, die im Bad gesuchte Entspannung durch versehentliche Badtüröffnungsversuche zunichte machen könnte.
Obgleich ich als Kind nahezu täglich badete, stellt für mich heute ein Wannenbad tatsächlich etwas Exklusives dar, das nicht durch Kannst-dU-dich-bitte-beeilen-Profanitäten zunichte gemacht werden sollte. Wächst also in mir der Wunsch nach einem Bad, so harre ich geduldig aus, bis ich die Wohnung nur noch mit mir selbst teile und ein Eintreffen der anderen innerhalb der nächsten Stund auch nicht erwartbar ist.
Ich bade selten, und vergesse deswegen immer wieder, was mir während des Badens jedesmal bewußt wird: Baden ist öde und unspektakulär. Angeblich die beste Art, Entspannung zu finden erweist sich bereits nach wenigen Minuten als unnützes Warten auf die sich einstellende innere Ruhe.
Erst vorgestern badete ich. In Ermangelung besserer Badezusätze hatte ich dem Wasser ein paar Tropfen Kneipp-Erkältungsbad beigefügt und ein angenehmes, Nase befreiendes Aroma geschaffen, das mir glücklicherweise zusagte. Ich liebe es, heiß zu baden, so heiß, daß ich es nahezu nicht mehr ertrage, daß mir jede Pore zu brennen, zu jucken scheint, wenn ich meinen Körper langsam in das heiße Wasser versenke. Als Kind versuchte ich bei jedem Bad, die Wassertemperatur ein kleines Stückchen näher an Unerträgliche anzunähern - und mich durch Gewöhnung abzuhärten.
Vermutlich gibt es nur zwei Momente am allein konsumierten Wannenbad, die wirklich von Bedeutung sind: Das Ein- und das Auftauchen.
Das heiße Wasser verschlingt, verbrennt meine Haut, und ich erfreue mich des Gefühls, wenn der anfängliche Schmerz gewichen ist und wohliges Hitzeempfinden zurückläßt. Ich benetze jeden Quadratmillimeter Haut langsam, mit Vorsicht, behutsam, will auskosten, was sich allzu schnell in Gewöhnung wandelt.
Irgendwann liege ich. Wasser verschlingt, bedeckt meinen Körper, nur der Kopf bleibt verschont, gekrönt von bereits feuchtem Haar. In die Stille des Badezimmers, der leeren Wohnung atme ich Eukalyptus- und Metholdämpfe, und ein Lächeln findet meine Lippen, als ich begreife, daß ich mich wohl fühle, daß in diesem Moment alles in Ordnung ist.
Der Augenblick jedoch ist kurz, viel zu kurz. Denn alsbald empfinde ich das heiße Wasser nur noch als unbedeutendes, heißes Wasser. Schon entdecke ich die erste Frage, ob ich es mir erlauben dürfe, die Wanne bereits wieder zu verlassen, in meinem Denken, gekoppelt mit dem schlechten Gewissen des Verschwenders. Ich bleibe..
Unnütz liegt meine Brille auf dem Wannenrand; beschlagen erblindeten die Gläser. Ich versuche, in einem guten Buch zu lesen, die Badezeit künstlich zu verlängern, doch ohne Sehhilfe erweist sich das eigentlich Angenehme als unerwartet anstrengend. Ich kämpfe mich durch die Zeilen und spüre, wie ich unruhig werde, mich bewegen möchte, mich nicht länger auf die gedruckten Worte konzentrieren kann.
'Was soll am Baden so toll sein?', wudnere ich mich, lege das Buch weg, erledige die üblichen Waschformalitäten und reiße den Stöpsel aus dem Wannengrund. Schon will ich aufstehen, als ich innehalte. Der zweite gute Moment: Das Auftauchen.
Lächelnd lehne ich mich zurück, spüre das Wasser langsam aus der Wanne entweichen, an meinem Leib vorbeigleiten, sich in den Ausfluß stürzen. Mein Körper taucht auf, ohne sich zu bewegen, ist der feucht-warmen Badezimmerluft ausgesetzt, doch friert nicht. AUfgehitzt erfreue ich mich der Ruhe, die mich endlich gefunden hat. Während die letzten Tropfen Wasser der Wanne entweichen, verspüre ich zum zweiten Mal völliges Wohlbefinden, tauche ein in die Entspannung, die mir das Badewasser erst durch dessen Fehlen geben konnte. Ich friere nicht, mein Herz klopft laut, aufgepeitscht von der nun entwichenen Hitze; ich fühle mich leben. Zufrieden schließe ich die Augen und verharre im Moment. Es ist ruhig; keine Musik belästigt meine Ohren, keine Stimmen. Nur Stille. Und Wärme. Und ich.
Als die Hitze meines Leibes zu entfliehen beginnt, stehe ich auf. Meine Haut ist längst getrocknet, und selbst das Haar wirft keine Wasserperlen auf den Fliesenboden, als ich der Wanne entsteige. Das weiche Handtuch reibt die letzten Topfen weg.
'Ein Bademantel wäre nicht schlecht.', denke ich und schlüpfe glücklich in frischgewaschene Kleidungsstücke.
[Im Hintergrund: Dementi - "Für Heute Reicht's"]
morast - 20. Mär, 12:18 - Rubrik:
Wortwelten
In meinem Mund warten Geschwader unausgesprochener Worte auf den richtigen Augenblick, die richtige Situation, auf den [er]lösenden Gedanken, der sie befreit, von mir befreit, in die Welt und fremdes Gehör entläßt. So vieles wünsche ich zu sagen, das erst auf meiner Zunge schwelt, wenn ich längst vorüber geeilt, wenn das Gespräch längst beendet.
Die Worte sammeln sich in mir.
Manchmal flüstere ich sie heimlich in das mitternächtliche Dunkel, in die Bilder, die ich im Geiste male. Manchmal entschlüpfen sie mir mit einem Seufzer in die Leere, wo ich sie schwinden, sich verlieren sehe.
Dennnoch schweige ich nicht. Doch während ich rede, höre ich mir zu. Ich schüttle innerlich den Kopf ob des Gesagten, ob des Gemeint-aber-nicht-Gesagten. Ich höre mich um Kopf und Kragen reden, befehle mir Themenwechsel, als könnte ich etwas retten, als könnte ich der richtigen Worte Weg finden.
Schwer liegt die Zunge in ihrer Höhle, versperrt der Worte Weg. Erst später wird sie weichen, nachgeben unter dem steigenden Druck des Ungesagten.
Zuweilen schreie ich.
Wenn ich verstumme, höre ich die Gedanken sprechen, die Möglichkeiten sich durch meinen Schädel wälzen, neue Silben kreierend, zu Worten, Sätzen knüpfend. Ich will aufstehen, losrennen, die Zeiten zurückdrehen, ihr gegenüberstehen und alles sagen, ausspeien, freilassen, was darauf wartet, ihr Antlitz zu streifen und in ihre Sinne einzudringen.
Manchmal renne ich tatsächlich.
Unterwegs jedoch purzeln einzelne Buchstaben auf meinem atemschweren Mund, stürzen hinab auf den Boden, hinterlassen eine unsichtbare Spur des Ungesagten. Ich halte inne, klaube auf, auf, was mir entfiel, stopfe eilig die Fragmente zurück in ihre Höhle, werfe sie wild durcheinander.
Als ich sie erreiche, ihr meine schwelenden Zeilen schenken will, entrinnt meinem Mund nur wirres Wortwerk, nur namenloses Stottern.
morast - 18. Mär, 01:10 - Rubrik:
Wortwelten
Ich neige dazu, Bücher zu lesen. Gern und häufig.
Fahre ich also allein irgendwohin, sei es mit Bus, Straßenbahn oder Zug, ist absehbar, daß sich in meinem Rucksack ein Buch befindet. Ich möchte damit keinen Status signalisieren
[Dicke Bücher kämen dafür besonders in Frage, weil sie üblicherweise eine "Was?-So-ein-dickes-Buch-liest-du?"-Reaktion erwirken, auf die man mit einem überlegenen "Ach,-das-Buch-ist-dick?-Hatte-ich-gar-nicht-bemerkt!"-Blick reagieren und weiteres Erstaunen erwirken kann.]
, meine Intelligenz zur Schau stellen
[Die Kombination "dickes Buch" + "Brillenträger" ergibt so manches ausbaufähiges Vorurteil, in das nicht selten wenig angenehme Synonyme für "Intelligenz" eingebunden werden.]
oder andere mit den erlesenen Weisheiten nerven. Es geht mir nicht darum, Seiten zu zählen und die Zahl stolz präsentieren
[am besten in Verbindung mit einer möglichst abgerundeten Zeitangabe: "Und dafür habe ich nur ... Stunden gebraucht."]
oder anderen meine Überlegenheit zu präsentieren, weil ich in Zeiten erstarkender Bildschirmmedien mich auf Altmodisch-Traditionelles besinne.
Nein, Bücher dienen meiner Neigung zum Eskapismus
[Das Wort habe ich irgendwo gelesen und wollte es unbedingt mal selber schreiben.]
, dem Wunsch, nicht nur das Alltägliche zu lesen, sondern auch die aufgezählten Wunderlichkeiten diverser Autoren, die Seltsamkeiten anderer Leben, die vielen Weisheiten und Erfahrungen, die ich mit meinen eigenen [oder angelesenen] vergleichen und zu neuen Formen kann. Vorrangig möchte ich unterhalten werden. Die Anreicherung von Wissen ist ein gewünschter, aber nicht zwingend notwendiger Nebeneffekt. Daß ich auf diese Art und Weise neue Begriffe meinem aktiven Wortschatz hinzufügen kann, halte ich ebenfalls für nebensächlich
[auch wenn so etwas durchaus Eindruck zu schinden vermag]
.
Ich möchte unterhalten werden - allerdings auf intelligente Weise. Es gibt genug dumme Bücher, derer ich nicht bedarf - zu viele von ihnen konsumierte ich bereits. Tatsächlich neige ich sogar dazu, den Autoren stets Gutes zu unterstellen und versuche zumeist, ein Buch, auch wenn es mir offensichtlich von Beginn an mißfällt, zu Ende zu lesen, einfach weil ich daran glaube, daß es sich noch bessern wird.
Ich lese also viel, und in der Straßenbahn geschieht es zuweilen, daß ich einsteige, ein Buch aus dem Rucksack krame und die "echte" Welt übersehe - die Welt, in der Freunde von mir herumstehen und sich wundern, warum ich sie ignoriere. Hin und wieder begegne ich ähnlich Gesonnenen. Sie sitzen in der Bahn, vertiefen sich in ihre Zeilenberge und bemerken oft zu spät, daß die gewünschte Aussteigehaltestelle schon längst vorüber ist. Ich lächle nach innen, begegne ich anderen Lesenden, glaube, Verbündete gefunden zu haben.
Ein Kind, das in einem dicken Abenteuerroman schmökert, mag ich sofort, zeigt es mir doch, daß die allgemein befürchtete Kindsverdummung nicht in jedem Fall Realität wurde. Entdecke ich Gleichaltrige, versuche ich in Erfahrung zu bringen, was sie lesen, ob ich das Buch schon kenne, ob ich gutheißen kann, womit sie sich beschäftigen. Es gelingt nicht immer; denn die Einbände aufgeschlagener Bücher ruhen meist auf den Knien der Lesenden. Und so bin ich geneigt anzunehmen, daß es sich um ein gutes, lesenswertes Werk handelt, und freue mich insgeheim darüber.
Als ich neulich in eine Straßenbahn stieg, saß an der Tür eine Blondine. Wasserstoffblond gefärbte Haare assoziiere ich immer mit dem Wort "billig", insbesondere bei Frauen. Auch ihre Kleidung bewirkte keine positiven Assoziationen. "Tussi.", dachte ich abfällig - dann entdeckte ich das Buch auf ihrem Schoß. Ich konnte den Titel nicht einmal erahnen, doch es war nicht von uninteressanter Schlankheit, erweckte nicht den Eindruck, eine Deutschunterricht-Zwangslektüre zu sein
[Ich rege mich zuweilen über Menschen auf, die als Lieblingsbücher jene angeben, die sie in der Schule lesen mußten - einfach weil keine Alternativen zur Verfügung stehen. Es sei erwähnt, daß ich nahezu alle in der Schule gelesenen Bücher heute nicht mehr mag - einfach weil sie totanalysiert wurden. Seit mehr als 15 Jahren beispielsweise verachte ich "Robinson Crusoe" - obwohl Herr Defoe vermutlich nicht schlecht schrieb.]
und wirkte auch sonst wenig "tussig". Es stand sozusagen in direktem Widerspruch zum Äußeren ihrer Besitzerin.
"Don't judge a book by it's cover." heißt es irgendwo, und doch kann keiner sich des automatischen Schubladendenkens erwehren, das Begegnungen irgendwo einzusortieren versucht.
[Ich entschuldige dieses Kategorisieren immer damit, daß das ein natürlicher Schutzmechanismus sei, der solange keine bösartigen Auswirkungen zeigt, solange man imstande ist, die Personen aus den Schubladen wieder herauszunehmen, solange man also gewillt ist, seine vorurteilsbehaftete Meinung zu ändern. Und das bin ich.]
Allein die Existenz des Buches im Schoß der von mir als "Tussi" bedachten jungen Dame bewog mich zu einem Umdenken. Womöglich handelte es sich bei ihr um ein intelligentes, belesenes Wesen, das nur mit schlechtem Modegeschmack und vielleicht falschem Umgang bestückt war. Vielleicht wäre sie gar imstande, mir Vorträge über von ihr neu erschlossene Wissenschaften zu halten, während ich mich noch immer darum bemühe, in ihr nicht die typische Assitoaster-Tussi zu sehen, für die ich sie anfangs hielt.
'Doch halt!', sagte ich mir selber, 'Ich sollte diesen "Don't-judge-a-book"-Spruch wörtlicher nehmen.'
Denn schließlich war es einzig und allein das Buch, das mir Intelligenz suggerierte. Das Buch als Symbol für Weitsicht und Wissen beschwörte mich, seiner Besitzerin allerlei positive Eigenschaften zuzusprechen, obgleich ich selbige wenige Augenblicke zuvor bezweifelte. Ich war überrascht und versuchte, das zu hinterfragen.
Ein Buch, und sei es noch so schlecht und minderwertig, wirft stets ein positives Licht auf den Lesenden. Würde ich "Die Freude am Hamsterzerstampfen" in aller Öffentlichkeit präsentierend lesen, so nähme man an, es handle sich um irgendetwas Witziges, irgendetwas mit Ironie oder so. Ebenso bei "Hitler ist mein Freund" und "Wie verärgert man Menschen". Beschäftigte ich mich mit Hitlers "Mein Kampf", unterstellte man mir nicht fanatischen Faschismus oder krankhaften Wahn, sondern eher Wissensdurst und Neugierde. Und selbst wenn eine verfallende Mittvierzigerin sich einen jener niveaulosen Kitschromane zu Gemüte führt, deren Umschläge stets gemalte Bilder leidenschaftlich Liebender
[dem maskulinen Part fehlt aus irgendeinem Grunde zumeist die Oberkörperbekleidung]
zeigen und die stets "Feuer der Sehnsucht" oder "Verhängnisvolles Begehren" heißen, unterstellt man ihr nicht fehlende Bildung oder schlechten Geschmack, sondern freut sich darüber, daß sie nicht Kartoffelchips mampfend auf dem heimischen Sofa liegt und nachmittägliche Gerichtssendungen konsumiert.
Bücher sind gleichbedeutend mit Gutem, und selbst einem Werk, das Satan beschwören oder die Vernichtung der Welt erwirken würde, so könnte man sicherlich Gutes abgewinnen und seinen Besitzer trotz offensichtlicher Verschrobenheit und von ihm ausgehender Gefahr lobend als "gebildet" oder ähnliches bezeichnen. Blicke ich also auf die junge Dame, deren Äußeres sie deklassiert, deren Buch sie aber auf meiner Gutfind-Skala nach oben schiebt, so kann ich mich nicht entscheiden, ob ich meine voreilig gefaßte Negativ-Meinung revidieren oder mich veralbert fühlen soll von einem Ding, das kaum mehr ist als ein bißchen Schwarz zwischen ein paar Stücken Baum.
Am liebsten würde ich ihr das Buch, dessen Titel für mich noch immer nicht erkennbar war, entreißen, einen Blick auf den Umschlag werfen und es ihr dann liebevoll-sanft, mit respektvoller Miene, zurückgeben. "Das hättest du wohl nicht gedacht!?", werden ihre Blicke mich verhöhnen und der verächtliche Zug um ihre Mundwinkel wird mir verraten, daß ich nicht der erste bin, den sie auf so simple Art und Weise täuschte, dem sie mit der Kombination aus Scheinbar Gegensätzlichem einen Spiegel vor das verdutzte Gesicht hielt.
Oder aber ich werde beim Anblick des Titels lauthals lachen und "Hab' ich's doch gewußt!" in die empört glotzenden Gesichter der Umstehenden rufen. Mit einer wegwerfenden Handbewegung werde ich der Blondine ihr Schundwerk zurückgeben, während die Bahn anhält und ich mit rauschendem Mantel und einem triumphierenden "Ha-HA!" in die Winterkälte entfliehe.
Oder aber ich werde ihr Buch gar nicht richtig zu fassen bekommen; sie wird aufstehen und mir eine deftige ohrfeige verpassen - sehr zum Gefallen der Mitfahrenden. Zu meiner Buchtitel-Unwissenheit wird sich Scham gesellen, und einen freien Blatz belegend werde ich mein eigenes Buch herauskramen und mich zwischen den Seiten vor der Welt verstecken.
"Der liest ein Buch.", werden diejenigen, die mich vorher mit Spott und Mißtrauen bedachten, erstaunt feststellen und nun selber vor Scham im Straßenbahnboden versinken wollen.
Denn wer ein Buch liest, kann schließlich kein schlechter Mensch sein.
[Im Hintergrund: Sternenstaub - "Destination Infinity"]
morast - 15. Mär, 17:19 - Rubrik:
Wortwelten
Die Nacht zum Sonntag wird lang werden, weiß ich.
Meine Begleitung, die keine war, hat sich längst den vereinten Mächten von Müdigkeit und Trunkenheit ergeben und das Weite gesucht, ein Konzerterlebnis im Rücken wissend, das ich vermieden hatte. Schlechtmusik gehört nicht zu den Dingen, für die Geld zu bezahlen ich gewillt bin, selbst wenn die Verlockung einer möglichen Bekanntmachung mit Fast-Fremden, deren Kennenlernen ich mit Freuden erwartete, mich fast vom Gegenteil zu überzeugen weiß. Aber eben nur fast.
Unsere gemeinsame Zeit an diesem Abend betrug eine halbe Stunde. Allerdings ist das eine Schätzung, eine Lüge, die einberechnet, daß ich bereits mehrere Minuten nach meiner Ankunft in der Diskothek durch die Menschenmassen schlenderte; daß ich zwischendurch, als sie mich zu weiterer Schlechtmusik auf die Tanzfläche zwang, in den Zweitraum floh, wo ich mich angenehmeren Klängen ergeben und der wartenden Welt verschließen konnte; und daß ich in der gemeinsamen Zeit wegen hoher Musiklautstärke und Ignoranzreaktion meinerseits auf von ihr ausgehende Vorwurfsandeutungen tatsächlich nur wenige Augenblicke mit ihr teilte.
Sie eilte hinfort, ihr männliches Anhängsel hinterdrein. Keineswegs war ich gewillt, dies zu bedauern, war doch ihr trunken-müder Zustand nicht unbedingt meinem Gefallen nahe. Einzig den Weggang ihrer Bekanntschaften, mit denen ich nur nickende Grüße wechselte, ansonsten aber kaum ein Wort sprach, bedauerte ich, war mir doch dadurch das letzte einigermaßen bekannte Gesicht genommen - ausgenommen jene, mit denen ich seit jeher kein Wort zu wechseln pflege.
Tatsächlich ertappe ich mich nun dabei, Menschen zu ersehnen, deren Gegenwart mir sonst unlieb, fast lästig, ist, einzig und allein, um mittels inhaltsloser Kommunikation den Gedanken zu verdrängen, inmitten dieser fremd-bekannter Menschenmassen verloren, unerwünscht, zu sein. Noch ist es nicht soweit; noch zehre ich vom Großmut meiner gehobenen Stimmung. Doch die Nacht wird lang werden, weiß ich.
Die Unerwünschten bleiben - im Gegensatz zu anderen Tagen - fern, ebenso die mir sich ohnehin stets verwehrte Möglichkeit, Wildfremden in Gespräche um Sein und Sinn zu verwickeln, in deren Verlauf ich eine Bekanntschaft, eine Weisheit, mehr mein Eigen nennen darf.
Ich lüge erneut; denn tatsächlich ergibt sich ein Gespräch, das jedoch nur euphemistisch als solches zu bezeichnen ist. Eigentlich nicke ich nur, will den Redenden, der gerade sein Glas umstößt und sein klebrig-alkoholisches Mischgetränk auf dem Tresen ausbreitet, nicht durch Worte zu weiteren Aussagen ermuntern.
Er faselt etwas von Toleranz, von der unvergleichlichen Großmut der Plattenaufleger, weil sie sich dazu herabließen, seinen Musikwünschen nachzugehen, ohne ihn für diese zu verurteilen. Seine Rede ist hohl und dumm, selbst wenn man die alkoholbedingte Geistesträgheit abzieht.
Wo befinde ich mich? In einem Nebenraum der Diskothek, der eine kleinere Tanzfläche beherbergt, auf der nahezu nie getanzt wird [nicht im eigentlichen Sinne], einem ausgesuchten Publikum vorbehalten. Nach welchem Kriterium das Publikum ausgesucht wird, vermag ich nicht zu sagen, aber glaube, es hat etwas mit langen Haaren, mit Bier und Nieten [die metallische Sorte - die andere, menschliche, ist sowieso da] zu tun. Um mich herum dröhnen schwermetallische Klänge; die Boxen geben ihr bestes, selbst mir bekannte Songs zu unerkennbarem Einheitsgitarrenkrach zu verunstalten. Trotzdem rennt oder torkelt bei jedem Liedanfang irgendwer auf die Tanzfläche, um dort das Bier auf den Boden zu stellen, das Haupthaar zu schütteln und hin und wieder die Faust gen schlecht verputzter Diskothekendecke zu richten. Die Luft ist verraucht von Lärm und Zigaretten; das eigene Wort, selbst wenn ich reden würde, verhallt zwischen schwarzen Klamotten und männlichen Kameradschaftsbeweisen. Niemand scheint nüchtern, und die altbekannten Fremdgesichter, die ich ohne Alkoholeinfluß nicht wiedererkennen würde werden von unsicheren Beinen getragen - hin zur Tanzfläche, die auch Einzelkämpfern Zutritt gewährt, hin in die Arme neuankommender Diskothekenbekanntschaften ähnlichen Äußeres.
Ich bin hier verkehrt; meine schwarze Stoffhose [mit weißen Streifen bestückt] mein schwarzes, langärmliges Hemd, mein bartlos-unschuldiges Gesicht, meine Brille, die Verletzlichkeit offenbart, verweigern die Zugehörigkeit zum Dresscode der Allzeit-Metaller, zum Mann-Sein, Held-Sein, Kämpfer-Sein der lebenden Klischees, die mich umgeben. Selbst mein geöffnetes Langhaar, die Springerstiefel an meinen Füßen, das ledernde Armband, vermögen nicht zu verhindern, daß ich mich fremd, falsch, fühle, als gehöre ich eigentlich in den anderen Raum, dorthin, wo die Bässe unheller Tanzmusik mich nach wenigen Sekunden Abwechslung suchenden Diskothekenspaziergangs wieder in meine Gitarrenkrach-Höhle fliehen lassen.
An der Bar stehsitzt der angetrunkene Glatzkopf und berichtet scheinbar Bewundernswertes: Böhse Onkelz, die für ihn großartigste Musikgruppe aller Zeiten [Ich ersparte mir und ihm meinen abfälligen Kommentar und die daraus entstehende Diskussion], habe er sich gewünscht, direkt beim verantwortlichen Musikmacher. Dieser habe genickt und Zustimmung signalisiert - und dem Glatzkopf einen Grund zu grenzenlosem Entzücken gegeben. Dort wo er herkommt, würde er für seine Liebe zu den Onkelz stets verachtet werden, meint er und bestellt ein neues Mischgetränk. Ja, stimme ich ihm, besser: seinen "Feinden", in Gedanken zu, in einer Metaldisko sollte man tatsächlich keine Onkelz wünschen. Nicht wegen möglicher Politkonsequenzen, sondern einfach weil die Musik schlecht und unpassend ist. Doch der Glatzkopf redet schon weiter: In seiner Heimat seien die Onkel verpönt und mit ihr alle Onkelz-Hörenden; schließlich seien die Onkelz rechts. Ich lache verhöhnend. Die Böhse-Onkelz-Sind-Rechts-Diskussion glaubte ich schon vor Jahren abgehakt. Der Glatzkopf interpretiert mein Lachen zu seinen Gunsten: Ich verlache die Dummköpfe, die nicht wissen, daß BO längst zum linken Lager gewechselt seien.
Obgleich ich das Gespräch zu beenden wünsche, kann ich nicht umhin, eine Frage zu formulieren: Hat der DJ denn die Onkelz gespielt? Er hat [Nun bin ich tatsächlich verwundert.], und gibt dem Glatzkopf somit Anlaß genug, die Toleranz der hier Anwesenden, das Gruppengefühl, die Integration Fremder zu lobpreisen. Ich proste ihm mit meiner neuerworbenen Cola zu und gehe meiner Wege, mich über seine Worte wundernd.
Die hier Anwesenden weilen fernab jeglicher Toleranz, glaube ich zu wissen. Oft genug verweilte ich hier, um beobachtet zu haben, daß die Langhaarigen eine eingeschworene Gemeinschaft bilden. Irgendwie kennt jeder jeden, akzeptiert jeder jeden. Doch nur, solange er die richtigen Zeichen trägt, das richtige Outfit, die richtigen Accessoires, das richtige Bier in der Hand. Ich selbst kann noch so oft mein Haar zu metallenen Klängen ausschütteln - solange ich mich nicht anders kleide und hin und wieder biertrinkend herumtorkle, werde ich nie Teil der Metaller-Masse. Letztendlich, das ist mir klar, wollte ich nie Teil jener Masse sein; doch eins, zwei Gesichter mit Namen zu kennen, hätte mir auch nicht geschadet.
Ein Mann in hellblauem, selbstgestricktem Wollpulli durchquert den Raum. Vermutlich gehört er zur Crew der aufgetretenen Band, schert sich nicht um die Blicke der angeblich Toleranten. Und tatsächlich; ein Wollpullover scheint wenig Kritikauslösendes zu bergen, so anders zu sein, daß er akzeptiert werden kann. Als jedoch ein junger Mann mit Lacrimosa-Shirt die Herumstehenden mustert, erntet er ein ganzes Geschwader unausgesprochener Beleidigungen. Lacrimosa, das sei dem Unwissenden erläutert, ist die Gothic-Einstiegsdroge, die Musik, die 16jährige Mädchen hören, wenn sie beginnen, im Kleiderschrank die wenigen schwarzfarbenen Kleidungsstücke zusammenzusuchen - ein schmalzig-pathetisches Gebräu aus Liebe und Schmerz, das jedoch - ich muß es zugeben - zuweilen auch mein Gefallen erregte. Mit einem solchen Shirt jedoch herumzurennen, bedeutet nichts weiter, als öffentlich zuzugeben, ein Neuling, ein Nichtswisser, Nichtsahner zu sein. Lieber tausend Wollpullover als ein Lacrimosa-Shirt, soviel ist klar.
Ich staune über die Szeneregeln, derer ich mir unbewußt bewußt bin, ja, die ich sogar partiell befolge, ohne davon zu ahnen. Mit gewissem Stolz erfreue ich mich manchmal der Entwicklung meines Äußeren, dahin gehend, daß ich glaube, die in Metal- und Gothic-Szene vorherrschenden Schnickschnack weitestgehend zu meiden und meinen eigenen Stil-Weg zu gehen. Doch vermutlich belüge ich mich hierbei, käme ich doch niemals auf den Gedanken, mich der Scham eines Lacrimosa-Shirts auszusetzen.
An der Tanzfläche Wartende, Herumstehende, beobachten, lästern, sowohl über Vorbeilaufende als auch über die gerade laufende Musik. Sich selbst karikierend sehe ich hin und wieder lachend eine Faust in den inexistenten Himmel gestoßen werden, als wüßte man um die Lächerlichkeit derlei Gebarens - und würde es beim nächstpassenden Lied trotzdem wieder praktizieren. Metaller ereifern sich über Gothics, deren klischee-kitschig-tuckiges Gehabe; Gothics werfen angewiderte Blicke auf die klebrig-verschwitzten Gesichter, die zerzausten Haare der Metaller. Doch nur um den Schein zu wahren; denn die meisten hier kennen sich, sehen sich zu oft, um die gegenseitige Existenz nicht längst akzeptiert, ja um nicht längst Bekanntschaften in der Fremdszene geschlossen zu haben. Die Besuchergruppe der Diskothek erweist sich als undurchdringliches Geflecht zahlloser Bekanntschaften, am heutigen Konzertabend heimgesucht und bereichert durch unübliche viele Außenstehende, die stets im Weg zu stehen und zu den falschen Liedern zu tanzen wissen.
Da ist der junge Geck im Ledermantel, in welchem er sich präsentativ-wichtig zu glauben scheint, doch sich nur der Lächerlichkeit der frotzelnden Masse preisgibt. Oder jener Herr, aus dessen schwarzem Shirt weiße iPod-Kopfhörer herausragen, als müsse er nicht nur seine Finanzkräftigkeit unter Beweis stellen, sondern wolle jederzeit zu seiner eigenen, besseren Musik tanzen - selbst wenn diese im Diskolärm überhaupt nicht vernehmbar wäre. Oder jener Typ, der zusammen mit drei Damen zu einem Gothic-Rock-Klassiker zu tanzen wagt, obgleich auf dieser Tanzfläche das Tanzen verpönt und durch das metal-übliche Bangen abgelöst worden ist. Ach nein, fällt mir auf, der Tanzende bin ja ich; und die viele vorangegangene Kopfschüttelei trügt meinen Gleichgewichtssinn, läßt meine Schneeschiebertanzbewegungen plump und eckig aussehen - obwohl ich ohnehin kein ästhetisches Äquivalent zu den neben mir tanzenden femininen Wesen bilden kann.
Frauen haben übrigens, sobald sie einigermaßen gut ["fickbar"] aussehen, alles Recht der Welt, sich falsch zu kleiden oder zu benehmen. Natürlich nur innerhalb gewisser Grenzen; denn die HipHop-Tussi, die plötzlich anfängt, ihr Haupthaar fernab des Taktes und jedweder Anschaulichkeit zu schütteln, wird mit eisern-metallischer Verachtung gestraft. Doch, wenn der Körper hübsch genug ist, darf sich frau sogar erdreisten, zu Nightwish zu tanzen - zu einer Band, deren Song ein spontanes Mittelfingermeer in Richtung des DJs katapultierte.
Zwei Colas befinden sich in meinem Bauch - ich trank nicht aus Durst, sondern um meine Hände zu beschäftigen. Als Nichtraucher, Nichttrinker, fernab jeglicher Bekannter, hat man es schwer und sucht Trost in sich allmählich aufwärmenden Colagläsern. Ob des geringen Anteils an erwähnenswert-guter Musik verrinnt allmählich das anfängliche Gute-Laune-Potential, nähert sich einer resignierten Null-Linie.
Ich muß aufs Klo. Mit mir muß jener, der keinen Schritt geradeaus zu gehen imstande ist, der torkelnd alle im Metal-Raum Anwesenden nacheinander mustert, der grölend die Faust gen Himmel streckt, grob lacht und einem Hutträger dessen Kopfbedeckung klaut, weil er meint, dadurch lustig zu wirken. Ich zögere, mit ihm die Toilette teilen zu müssen, nicht weil ich mich vor ihm fürchte, sondern weil ich seiner Nebelgeisttaten nicht gewahr sein möchte. Doch ich muß; und so gehe ich.
Die Toilette ist widerlich. Ich hörte davon, daß Damentoiletten in Diskotheken die Ausgeburt des Ekels darstellen sollen; doch fällt mir schwer zu glauben, die der Anblick des Männerklos noch zu überbieten ist. Irgendjemand hat es für gut befunden, eine Pinkelrinne zu installieren, die im Winter, befüllt von flüssigen Stoffwechselendprodukten fröhlich vor sich hin zu dampfen pflegt. Die Kabinen lassen Zweifel an der Zivilisiertheit meiner Mitmenschen aufkommen. Ich bin dankbar für die dicke Sohle meiner Stiefel und verrichte, was verrichtet werden muß.
Die Hände waschend gewahre ich erwähnten Rabauken neben mir - zusammen mit zwei weiteren Kerlen und einer Frau, die ihren Standort - inmitten des Herrenklos - zu genießen scheint. Er unterhält sich und hält mir nebenbei seine gerade angezündete Zigarette vor die Lippen. Als wäre ich sein bester Kumpel, aufgenommen im Kreis der Stammbelegschaft dieser Diskothek. Ich überlege, was ihn dazu verleitet haben konnte: meine gut durchgeschüttelten Haare oder mein müdigkeitsbedingtes Torkeln. Ich entscheide mich für "seine Trunkenheit" und lehne freundlich, aber bestimmt, ab.
Der in der Diskothek aushängende Straßenbahnplan verkündet mir die Abfahrtszeit meiner Bahn: 3:54 Uhr, eine wertlose Information, solange ich abseits jeder Uhrzeit existiere. ich frage die Nächstbesten; zwei beleibte Mädchen, die in einer Sitzecke plaudernd Abstand suchen. 3:15 Uhr. Eine halbe Stunde verbleibt mir, und während ich den Liedern im Metal-Raum lausche, ein mir bekanntes darunter erhoffe, zähle ich die vermutlich verstreichenden Minuten, bis die Unruhe mich aufstehen und anderen Uhrenbesitzer suchen läßt. Diesmal fällt es mir schwer; Uhren zählen nicht zum üblichen Gothic-Accessoir; der fünfte Versuch bringt Antwort: 3:33 Uhr. Ich grinse in mich hinein. "333 - Half Evil". Noch ein Lied genehmige ich mir: Guns N' Roses mit "Sweet Child O' Mine", dann fordere ich meinen Mantel von der Garderobe zurück.
Mir ist warm, als ich die kalte Nachluft betrete; meine mittlerweile trübe Stimmung steigt langsam in erträgliche Bereiche. Ich habe alle Zeit der Welt, laufe langsam zur Haltestelle, dennoch eine Dreiergruppe ehemaliger Diskobesucher überholend. Das Haltestellenwarthäuschen glotzt mir verdächtig leer entgegen. Ich ahne Schlimmes, doch wage keinen Gedanken, bevor ich nicht den Fahrplan studiert habe. 3:16 Uhr fuhr die letzte Bahn, 4:24 Uhr wird die nächste eintrudeln. Ich fluche leise, rechne, wann ich am nächsten morgen aufzustehen habe, wie wenig Stunden mir ohnehin verbleiben, wie wenig mir verbleiben würden, wartete ich noch auf die alberne Bahn, deren Plan nicht mit dem in der Diskothek aushängenden kongruiert. Schlagartig stürzt meine Stimmung ins Bodenlose.
Ein Taxi fährt vorbei. Spontan hebe ich meinen Arm, halte es an, steige ein, teile mein Fahrtziel mit. Reichen 10 Euro? Mein letztes Scheingeld. Der Taxifahrer nickt, ein wenig träge. Die Taxikommunikation entbehrt jeder Tiefe; ich bin froh darüber, schimpfe mit ihm über das schlechte Pflaster vor der Diskothek, über Leute, die ein Taxi bestellen, dann aber nicht erscheinen, sinniere über die Gründe der gerade einsetzenden Hoch-Zeit für Taxianforderungen, lasse mir das Navigationssystem erläutern. Kurz vor dem ziel entdecke ich endlich den Preisgeldzähler im Innenrückspiegel. 9,80 Euro. Der Taxifahrer bemerkt meinen Blick, schaltet den Zähler aus, fährt mich trotzdem weiter.
Zehn Euro?, frage ich, als ich aussteige, und als der Fahrer nickt, reiche ich ihm den Schein, den ich während der gesamten Fahrt in der Hand gehalten habe. Es ist vier Uhr, bemerke ich, als ich meine Wohnung betrete. Auf dem Küchentisch warte der Rest vom Mittagessen. Während ich, Schmerzlaute verkneifend, meine verfilzten Haare durchbürste, arbeitet die Mikrowelle. Mein Magen knurrt freudig, als ich mir das Essen einverleibe. Ich spüre, wie meine Mundwinkel vor Vergnügen nach oben schweben. Fröhlichen Gemüts gehe ich zu Bett.
Vier Stunden Schlaf müssen reichen.
Die Nacht ist kurz.
[Im Hintergrund: Graveworm - "When Daylight's Gone"]
morast - 9. Mär, 10:17 - Rubrik:
Wortwelten
Ich liebe Schnee.
Nun, da der Winter allmählich weicht, in Matsch keimendes Grün zurückläßt und einem sonnigen Frühling die Pforten öffnet, sehne ich mich zuweilen zurück. Ich liebe es, wenn der Schnee in großen, schweren Fladen vom grauen Himmel schwebt, wenn man den Flug der Flocken verfolgen, sie zu erhaschen versuchen kann. Ich liebe es, Schnee in der Hand zu spüren, darauf zu warten daß er langsam schmilzt, ihne zu kleinen Kügelchen formend, fester und fester zusammendrückend, bis daß der letzte Tropfen kalten Wassers meiner Hand entrinnt. Ich liebe es, im Vorgehen meine Finger über Baumrinden und Autos streifen zu lassen, winzige Mengen Weiß zu klauben und in meiner immer tauber werdenden Hand zu einem kugelschönen Schneeball wachsen zu lassen. Ich liebe es, Schneebälle mit Wucht gegen Bäume oder Wände zu schmettern, auf daß deren Hälften fest verwachsen an ihrem Ziel kleben bleiben. Ich liebe es, wenn meine schwarze Gewandung eine weiße Hülle trägt, eine, die man in der nächsten Straßenbahn, im nächsten Hauseingang, nur abzuschütteln braucht, sollte man ihrer überdrüssig werden.
Ich liebe es, durch frisch gefallenen Schnee zu stapfen. Egal, wie tief oder dünnschichtig ist, ich möchte hindurch, nehme Umwege in Kauf, nur um im reinen Weiß meine Spuren zu hinterlassen, zeichne auf einer Wiese mit Fußstapfen einen riesigen Buchstaben, den der neue Schnee alsbald bedeckt. Ich ertappe mich, Wege gehen zu wollen, auf denen noch niemand ging, abseits der Mitte, dort, wo alle laufen, abseits bereits Vorhandener Schuhwerk- und Pfotenabdrücke. Nur selten blicke ich zurück, sehe meine Spuren mich verfolgen, während unter meinen Sohlen der neue Schnee leise knirscht, entjungfert durch meinen Schritt. Ich bin hier, denke ich schmunzelnd, ich bin hier und hinterlasse Zeichen.
Ich liebe Schnee.
[Im Hintergrund: <7b>Gojira - "From Mars To Sirius"]
morast - 5. Mär, 09:51 - Rubrik:
Wortwelten
Ich bin Künstler.
Fällt dieser Satz aus meinem Mund, so rückt mein Schmunzelmundwinkel [rechts] unweigerlich ein Stückchen nach oben, bin ich mir doch der Gewaltigkeit dieser Aussage durchaus bewußt - und ebenso der Überheblichkeit, die in ihr steckt. Tatsächlich vermag ich es nicht, die Worte - egal, ob entrüstet oder verträumt, stolz oder desinteressiert - auszusprechen, ohne semidebil in mich hineinzugrinsen.
"Künstler": Diese Buchstabenanreihung allein trabt durch höchste Sphären - und sei es nur durch die der Verachtung. In ähnliche Bereiche kommt vermutlich nur noch "Webmaster", ein Titel, mit dem ich mich ebenfalls nicht zu schmücken vermag, ohne mich selbst auszulachen.
Heute vergaß ich meinen Schlüssel innerhalb meiner Räumlichkeiten, war also auf die Gunst meines Mitbewohners angewiesen, der jedoch beschlossen hatte, noch mehrere Stunden lang in der Ferne zu verweilen, unerreichbar und angefüllt mit Beschäftigung. Für mich bedeutete dies: Warten.
Allerdings fällt es mir leicht zu warten, insbesondere, wenn ich alle Utensilien für die Anfdertigung eines neuen Comics oder ein Buch [oder gar beides] bei mir trage. Ein Bleistift fehlte, doch diesen zu erwerben, erwies sich als leichte Aufgabe.
Schwieriger war es, ein wenig befülltes Café zu finden, das Gemütlichkeit nicht mit fehlender Beleuchtung gleichsetzte. Ich fand und plazierte mich ich einer bequemen Ecke, mein Künstlerutensiliar auspackend. Die Bedienung eilte herbei, und ohne die Karte eines Blickes gewürdigt zu haben, bestellte ich.
Das suggerierte Selbstbewußtsein und Geradlinigkeit. Und zumindest ersteres ist für die Existenz als nur von der eigenen Kreativität lebender Künstler vonnöten.
Mein Äußeres schaffte es, den Spagat zwischen "verlottert" und "gepflegt" zu bewältigen, denn während ich eigentlich sauber und ästhetisch gekleidet aussah, zeugten doch mein langes Haar, meine stopplige Gesichtsbehaarung und meine unhell-alternative Gewandung von gewisser Bequemlichkeit, gesellschaftlichen zwängen abschwörend. Dieser Zwiespalt brachte vielleicht auch einen Teil der gespaltenen Persönlichkeit nach Außen, derer Künstler bekanntlich oft habhaft sind.
Ich bestellte. Abgesehen davon, daß ich alkoholische Getränke ohnehin verweigere, erschien es mir auch unangemessen, daß ein kreativer Geist seine Insipiration durch Vernebelung vergällen oder - noch schlimmer - erwirken müßte. Kaffee - dem ich ebenfalls längst abschwor - hätte zu profan, zu normal, zu unbedeutend gewirkt. Modegetränke wie 'Latte Macchiato mit Zimt-Erdnußaroma' hätten von Anpassung und Trendwellensurferei gekündet.
Ich entschied mich also für eine Heiße Schokolade - wie so oft - und für Waffeln mit Puderzucker. Letztere dienten als Alibi für einen längeren Café-Aufenthalt - und gleichzeitig als willkommene Leckerei.
Als die Waffeln gebracht wurden, war ich längst vertieft in meine Arbeit - nahezu unansprechbar. Ein weiteres Mal tauchte die Kellnerin auf, um sich nach meinem Leergeschirrstatus zu erkundigen, und sah mich zwischen zahlreichen Stiften über ein weißes Blatt gebeugt, entrückt Linien ziehend. Neben mir stand die Tasse mit der mittlerweile weniger heißen Schokolade und der Teller mit dem letzten Waffelrest, der zugunsten des Spontanausbruchs meiner Zeichenwilligkeit warten mußte.
Nun schien sie zu begreifen: 'Ah, da sitzt ein Künstler!', denn fortan ließ sie mich in Ruhe. Noch mehrere Mal erspähte ich sie, durch meine Blickwinkelränder laufend, doch niemals hielt sie inne, um sich nach meinem Begehr zu erkundigen, mein kreatives Schöpfen durch ihre profane Fragerei zu unterbrechen.
Ich war akzeptiert als Teil der Lokalität, als Teil meiner Ecke, als Künstler, der unter keinen Umständen mit Normalität konforntiert werden durfte, solange sein Schaffen anhielt.
Ich zeichnete. Der heutige Comic nahm Gestalt an, und meine Laune besserte sich. Die letzten Linien kontrollierend verstaute ich das bekrakelte Blatt in meiner Mappe, steckte auch die Stifte weg, beseitigte die unschönen Radiergummikrümel und blickte auf.
Noch immer wurde ich gemieden - doch nicht, als wäre ich ein Aussätziger, keiner Beachtung würdig, sondern als natürlicher Teil des Cafés, der auf sich aufmerksam machen würde, sollte er etwas wünschen. Und tatsächlich, ich wünschte. Eine Cola sollte es sein; nichts weiter als das Bedürfnis, meinen Kopfschmerzen und der stillstehenden Zeit entgegenzuwirken.
Ich kramte mein Buch [Salman Rushdie - "Scham und Schande"] aus dem Rucksack, lümmelte mich bequem in meine Ecke, darauf achtend, mich von den in der öffentlichkeit üblichen Verhaltensmustern nicht allzu weit zu entfernen, und las. Als das Glas kam, weilte ich schon wieder in fernen Welten.
Irgendwann, als ich glaubte, meinen Mitbewohner zu Hause zu wissen, erhob ich mich. Ich hatte es nicht nötig, auf das Erscheinen der Bedienung zu warten, war mein eigener Herr, warf meinen Mantel über und ging vor, zum Tresen. 'Der Künstler bequemt sich zu bezahlen.', schienen ihre Augen zu wispern, als die Kellnerin mir die Rechnung präsentierte.
Mit annehmbarer Trinkgeldhöhe und freundlichen Abschiedworten verließ ich das Café und erfreute mich meiner guten Laune.
Ich bin Künstler, dachte ich schmunzelnd.
morast - 3. Mär, 21:59 - Rubrik:
Wortwelten
Die Reform der Reform [Wenn es nach mir ginge, müßte man "Reform" mit PH schreiben, also "Rephorm", einfach, weil es albern aussieht.] der deutschen Rechtschreibung wurde verabschiedet.
Ich bin mir unschlüssig darüber, warum man "verabschiedet" sagt, wenn Dinge beschlossen werden, die in naher Zkunft Willkommen geheißen werden. Aber die deutsche Sprache ist sowieso von mißverständlichen Kompliziertheiten geprägt, so daß es mir eine Freude ist, mich absichtlich in ihnen zu verrennen und stundenlang den inexistenten Weg hinaus zu suchen.
Eine Vereinfachung, die eigentlich der reformierten Reform hätte untergejubelt werden sollen, fiel mir in der vergangenheit häufiger auf, zuletzt am gestrigen Abend. Zuweilen gerate ich nämlich ins Stottern. Das geschieht schnell und ohne daß ich einen eigentlichen Fehler fabriziere. Nein, meine Aussprache ist von ordnungsgemäßer Korrektheit; nur die deutsche Sprache nicht.
Erzähle ich beispielsweise von meinen frühen Programmierkünsten, werde ich manchmal argwöhnisch beäugt:
"In Informatik war ich schon immer gut."
Moment. In Informatik? Das klingt ja schrecklich! Die Harmonie des Sprachflusses ist gewaltig gestört. Ich stottere nicht, und dennoch stottere ich. Es tut mir leid.
Um anderen ein solches Schicksal zu ersparen, plane ich, die deutsche Sprache einer zusätzlichen Reform auszusetzen, die das falsche Stottern in Zukunft verhindern und somit den Redefluß nicht länger bremsen wird:
Besteht die Gefahr, daß Präpositionen [insbesondere lokale] dem nachfolgenden Substantiv ähneln und die Zunge zu Wiederholungen zwingen, so wird gnadenlos gekürzt.
Umständliche Erklärungen erübrigen sich, zähle ich folgende Beispeile auf:
- In Formatik war ich schon immer gut.
- Ich strebe nach Haltigkeit.
- Ich verweilte mehrere Wochen lang in Dien.
- Ich wohne am Brosiusplatz.
- Ich achte eigentlich nur auf Fälligkeiten.
- Ich bitte um Buchung meines Fluges.
- Mein Freund kommt aus Tralien.
- Ich schreibe einen Brief an Tje.
Mit dieser Sprachverbesserung wird Reden endlich wieder Spaß machen!
[Im Hintergrund: Gojira - "From Mars To Sirius"]
morast - 3. Mär, 15:55 - Rubrik:
Wortwelten
Ich wünschte, ich könnte einkaufen. Einfach so.
Ich wünschte, ich müßte ich nicht im Hinterkopf behalten, daß dieses Gemüse gespritzt wurde, daß irgendwelche Bauern subventioniert und somit andere benachteiligt wurden, daß diese Früchte von unterbezahlten Kinderhänden gepflückt und nach Europa versendet wurden, daß ich damit Nationen ausbeute, Menschen unterdrücke, Tiere quäle, die Natur zerstöre.
Ich wünschte, ich müßte nicht darauf achten, ob ich nicht wieder nur einem von schlauen Verpackungsdesignern ausgetüftelten Trick verfalle, ob die Packung halbleer ist oder mich nur wegen bestimmter Fabrkombinationen anspricht, ob ich das Produkt nur kaufe, weil es mir aus irgendeiner Werbung, Empfehlung, Serie, Sendung, unbewußt in Erinnerung blieb und dank geeigneter Bilder in geeigneten Positivzusammenhang gesetzt wurde.
Ich wünschte, ich müßte nicht befürchten, daß die herstellende Firma zu bekannt, zu mächtig, zu sehr kapitalistisch geprägt sei, daß die Firmenkette in international-negative Verwicklungen involviert ist, Kinder oder Mitarbeiter mißhandelt, unölologisch produziert, zu einer Kette gehört, die einst Juden vergaste oder Homosexuelle diskriminierte.
Ich wünschte, ich müßte mich nicht fragen, welche Giftstoffe in die Produkte gespritzt wurden, um sie länger haltbar zu machen, besser aussehen zu lassen, welche Vitamine und angeblich gesundheitsfördernde Zusätze beigefügt wurden, um mich zum Kauf zu bewegen, welche künstlichen Anreicherungen hinzugesetzt wurden, um die Masse zu erhöhen und den Fertigungspreis zu erniedrigen, welche Stoffe Fette und zucker ersetzten, um mit dem Diätwahn und ähnlichem Gesundheitsfanatismus schrittzuhalten, welche Aromen meine Zunge beim Konsum benetzen und meinen Körper vergiften werden.
Ich wünschte, ich hätte nicht mit jedem Produkt, das ich in die Hand nehme, das Gefühl, einer riesigen Lüge aufgesessen zu sein.
Ich wünschte, ich könnte fernsehen, einfach so.
ich wünschte, Nachrichtensendungen bestünden aus nachrichten, nicht aus reißerisch zusammengeklaubten, stimmungsmachenden Informationsfetzen, die in einen Zusammenhang zu bringen ich längst aufgab, nicht aus Bildern, die bewegen sollen, nicht aus stammtischartigen Interviewsentenzen, die mich beeinflussen, in bestimmte Meinungsmuster drängen sollen.
Ich wünschte, ich bräuchte nicht durch die Kanäle schlittern auf der Flucht vor der allgegenwärtigen Penetranz uninformativer, schlecht recherchierter vermutungen und Fakten über Persönen des öffentlichen Interesses, denen gefälligst mein Interesse zu gelten habe, auf der Flucht vor allgegenwärtigen, schlichte Geister fesselnden Zweitleben, für die man auf das erste, eigene, verzichten darf.
Ich wünschte, ich könnte fernsehen, ohne glauben zu müssen, daß mir mit diesem Film, mit dieser Serie, Dinge schöngeredet, angepriesen, würden, derer ich nicht bedarf, daß mir unterschwellig Produkte aufgedrängt wurden, deren Kauf mein leben angeblich vereinfach, entwirren, leiten könnte.
Ich wünschte, ich könnte glauben, was ich sehe, müßte nicht alles hinterfragen, alles anzweifeln, für gestellt, übertrieben, untertrieben, gekünstelt, meinungsforcierend, undurchdacht oder schlichtweg falsch halten, wünschte, ich könnte Informationen beziehen, ohne jedesmal Quellen als glaub- oder unglaubwürdig kategorisieren, andere, thematisch verwandte Berichte auf Deckungsgleichheit der Fakten prüfen zu müssen, wünschte, ich könnte glauben, daß der mir präsentierte Teil der wirklichen Welt auch ein repräsentativer sei.
Ich wünschte, ich könnte fernsehen, ohne zu erwarten, daß jeder einzelne auf der anderen Seite der Glasscheibe Lügen verbreitet.
Ich wünschte, ich könnte leben, einfach so.
Ich wünschte, ich könnte durch die Welt gehen und glauben, was ich sehe, höre, fühle, könnte bewerten, ohne in Gefahr zu geraten, mich auf falsches Wissen zu berufen, könnte Meinungen vertreten, ohne befürchten zu müssen, an irgendeiner Stelle beeinflußt worden zu sein, könnte agieren, ohne das Gefühl, ferngelenkt zu werden.
Ich wünschte, ich könnte reden und schreiben, was mir in den Sinn kommt, wann und wo ich es mag, ohne bedenken zu müssen, wie richtig oder falsch es sein könnte, an dieser oder jener Stelle Informationen preiszugeben, ohne mich ständig fragen zu müssen, was mit meinen Daten passiert, wer mich beobachtet, wenn ich einkaufe, wenn ich meine EC-Karten-Geheimnummer irgendwo eintippe, wer all das sammelbare Bild-, Ton und Textmaterial betrachtet, auswertet, einsortiert, weiterverwendet, wem, welcher Firma, welchem Unbekannten, ich wann vertrauen kann, ob nicht jeder, der mir die Hande schüttelt, in Wahrheit nach Untaten schnüffelt, mir Geld zu entziehen, mich in Fallen zu locken versucht.
Ich wünschte, ich könnte mit Menschen sprechen und müßte nicht nur ihre Fassaden ansehen, nicht nur ein antrainiertes Lächeln, das mich in Sicherheit wiegen soll, nicht nur das routinierte Sympathiegesicht, müßte nicht hinter jedem Wort eine verschönernde Höflichkeit, eine undurchschaubare Halbwahrheit erwarten, gegeben aus Freundschaft, aus gesellschaftlicher Tradition, aus wirtschaftlichen Gründen heraus, müßte nicht in Augen blicken, denen selbst längst der Durchblick abhanden kam, wann und wo die Grenze zur Unwahrheit überschritten wurde.
Ich wünschte, ich könnte in einer Welt leben, die endloser Netze aus Falschheiten, aus ungewolltem oder bewußt erstrebten Lügen, nicht bedarf, die mich nicht in jedem vergehenden Augenblick das Gefühl gäbe, mich längst in diesen Netzen verstrickt zu haben, längst Teil davon zu sein, Opfer und Täter zugleich.
[Im Hintergrund: Farmakon - "A Warm Glimpse"]
morast - 9. Feb, 16:33 - Rubrik:
Wortwelten