Wortwelten
Es ist eigentlich erstaunlich, daß nicht nur ich, sondern die gesamte Menschheit diese Thematik bisher absolut vernachlässigt hat, obgleich sie - insbesondere für uns Jugendlich-Erwachsene - von tragender Bedeutung ist.
Ich gebe es gerne zu: Ich gehöre zu den Menschen, die, bevor sei des Abends weggehen, dazu neigen, sich reinlich fühlen zu wollen. Dazu gehört oftmals nicht nur ein kurzer Blick in den Spiegel, sondern tatsächlich auch der Sprung unter die heiße Dusche, die dortige Säuberung von Haut und Haaren, das Bürsten der Zähne [zumeist außerhalb der Duschkabine] und das Elektrorasieren unansehnlicher Gesichtsstoppeln [immer außerhalb der Duschkabine].
Doch selbst wenn das angenehm duftende Haar endlich trocken gefönt und in annehmbar gut aussehende Lage gebracht worden ist, selbst wenn der eigene Leib aus jeder Pore verlockend sauber zu duften scheint, selbst wenn ein Frauen verführender, den eigenen unterstützender Zusatzgeruch in bedürftigen Körperregionen verteilt worden ist, selbst wenn ich mich ausreichend an hautpflegenden Lotionen bedient habe, selbst wenn alle erforderlichen Selbstreinigungsprozesse abgeschlossen sind, gebe ich mich nicht zufrieden.
Vor dem halshohen Spiegel posiere ich mehre Minuten lang, bis ich Kleidungsstücke gefunden habe, die meiner eigenen Reinlichkeit entsprechen und zugleich dafür Sorge tragen, daß ich mich in ihnen wohl fühle. Tatsächlich kann es sich bei ihnen um die billigsten Schlumpersachen aus Opas Mottenkiste handeln - solange ich, während sie sich auf meiner sauberen Haut befinden, in ihnen spüre, mich so gekleidet zu haben, wie ich mich fühle, und solange sie sauber genug sind, um jeglichen Eindruck auszuräumen, ich ginge in den tagsüber getragenen Normaloklamotten aus.
Ich gebe es gerne zu: Ich mag es, mich zu mir gefallender Musik zu bewegen. Und wenn dabei - nicht zuletzt unterstützt durch die stets nur unzureichend funktionierende Kalt- und Frischluftzufuhr - meine bereinigten Poren Schweißflüsse auswerfen, so erachte ich das als zu meinen Bewegungen gehörig. Und wenn Freunde, Bekannte und Nichtbekannte sich dazu entschließen, die ohnehin fehlende Atemluft mit Zigarettenausdünsten zusätzlich olfaktorisch zu belasten, so erachte ich dies als zum Abend gehörig.
Wenn ich also Stunden später feststelle, Geldbörseninhalte gegen Inhalte anderer Art eingetauscht zu haben, frage ich mich stets, wozu das anfängliche Prozedere nötig gewesen war: Meine Haut ist verschwitzt, meine Frisur zerzaust, mein Haar vom Schweißfluß ein wenig befettet und mit dem selben widerlichen Kaltrauchgestank durchzogen, der auch jedem einzelnen meiner Kleidungsstücke innewohnt. Alles an mir, inklusive meines Schuhwerks, bedürfte nun einer Totalreinigung.
Wäre es nicht einfacher, von vorneherein alles beim alten zu belassen, sich vor dem Ausgehen nicht extra zu duschen, zu rasieren, zu waschen, zu fönen, zu stylen, zu putzen, anzuziehen? Wäre es nicht einfacher, die alten Klamotten des Tages am Leibe zu behalten und die zusätzliche, abendliche Beschmutzung aufgrund der ohnehin fehlenden Totalreinlichkeit mit einem Schulterzucken zu akzeptieren? Wäre es nicht einfacher, jeden Streß zu vermeiden, möglicherweise ein oder zwei schickere Kleidungsstücke aus dem Schrank zu zerren, jedoch ansonsten zusätzliche Säuberungsaktionen für unnötig zu erachten?
Denn unnötig sind sie durchaus. Schon nach wenigen Minuten an einer menschbefüllten, stimmungsguten Lokalität ist der eigene Leib, inklusive Hülle, bereit für die Reinigung. Theoretisch könnte man alle fünf oder zehn Minuten von einer Party wegrennen, nach Hause eilen und die gesamte Prozedur des Säuberns und Kleiderwechselns wiederholen. Das brächte sicherlich einen beträchtlichen Aufwand mit sich, steigerte aber nur die ohnehin vorhandene Sinnlosigkeit der abendlichen Eigenvorbereitungen in die Bereiche ersichtlicher Albernheit.
Die Logik überzeugt, sollte spätestens jetzt ein Hand-gegen-Kopf-Klatsch des Begreifens ["Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?"] beim Leser verursacht haben. Und wenn dann alle abendlichen Weggeher in abgetragenen, ungepflegten Klamotten, mit zerzausten Frisuren und verwischtem Make-up, mit stinkenden Achseln und rauchigem Atem die Lokalitäten begehen, werde ich mich hämisch grinsen und die Welt um mich drehen lassen.
Denn dann bin ich der funkelnde Diamant an der Spitze des staubigen Kohlehaufens, der wahre Held des Abends...
morast - 8. Dez, 23:36 - Rubrik:
Wortwelten
Eigentlich ist es erstaunlich, wohin das Arbeiten in Deutschland gekommen ist. Anstatt untertage in kinderhohen, lichtlosen Schächten zwölf Stunden lang unter extremer Luftverknappung nach Millionen Jahre alten Pflanzenresten zu buddeln, sitzen wir bequem am eigenen Bürorechner, spielen im klimaanlagenbelüfteten Räumen an ergonomisch eingerichteten Plätzen Nonsensspiele, gehen ins Internet, wo wir Weblogs lesen und Podcasts hören und jede andere Möglichkeit, die Zeit zu vertreiben, gierig aufsaugen.
Ich enthalte mich natürlich solch dubioser Arbeitgeberausbeutungen. Schließlich bin ich Student, arbeite nicht und habe genug Zeit, jeden Tag so viel zu surfen, wie ich will. Mein Büro ist zu Hause und wenig ergonomisch eingerichtet. Auch beschränkt sich die Klimaanlage auf Fenster und Heizung. Letztere wird allerdings nach Mitternacht abgestellt, was nicht immer erfreulich ist. Leider konnte ich nicht herausfinden, wann sie wieder angestellt wird, da ich um diese Zeit vermutlich weder wach noch fähig bin, irgendetwas zu realisieren, was nicht bettartig aussieht.
Natürlich werde ich nicht bezahlt, noch nicht einmal vom Bafög-Amt, das noch immer auf meine versprochenen, ausgefüllten Anträge wartet. Ich bin aber auch ein Idiot.
Geld brauche ich trotzdem. Die Flatrate will ja irgendwie bezahlt werden. Und ab und zu Nahrung aufzunehmen, kann auch nützlich sein. Also arbeite ich. Naja, nicht wirklich. Denn wenn ich arbeite, mutiere ich zu einem von diesen ewigen Eigentlich-Typen.
"Ich mache das hier ja nur nebenbei. Eigentlich bin ich Student/Künstler/wasBesseres..."
Ich arbeite im Supermarkt und sortiere Wurst ein. Lecker. Ich vermute, ich habe noch nicht erwähnt, daß ich Wurst - abgesehen von magerem Schinken und diversen Salamisorten - verabscheue. In "meinem" Regal gibt es eine Buäx-Ecke, angefüllt mit Dingen, die ekliger sind als das, was ich heute - bereits gärwarm und fruchtfliegenüberwuchert - in den Biomüll warf. Die Ecke umfaßt übrigens mindestens ein Drittel des gesamten Wurstbereiches.
Oder ich arbeite in einer Firma, die für das Land Sachsen-Anhalt Verkehrserhebungen durchführt und Studenten in Busse stopft, auf daß sie die Ein- und Aussteigenden, die Kinderwagen und Rollstühle [zuzüglich ihrer Benutzer], die Hunde [nicht, wenn sie in Korb oder Tasche verstaut sind] und Busfahrer [nur in der Straßenbahn] zählen und mit albernen Fragen über Wegziel und Fahrtbeginn beglücken mögen. Daß mir früher bei längeren Busfahrten immer schlecht wurde, hatte ich verdrängt/vergessen. Allerdings ging es mir am ersten Arbeitstag nach etwa zwei Stunden befragender Busfahrt wieder durch den Kopf - zusammen mit dem Frühstück und etwa zehn Litern Magensäure. Glücklicherweise außerhalb des Busses. Eine weitere Tapferkeitsstunde später erlöste ich mich und brauchte zwei Tage, um mich wieder so ähnlich zu fühlen wie ich selbst.
Derzeit arbeite ich als Hörbuchhörer. Eigentlich als Hörbuchkorrekturhörer. Aber das Wort ist so lang, daß es sich niemand richtig durchliest. Deswegen beschränke ich mich zumeist auf die erste Variante. Klingt auch besser. Bisher arbeitete ich nur einmal, dafür aber fünf Stunden hintereinander. Das ist viel für jemanden, der sich beim heimischen Arbeiten gerne mal ein Päuschen gönnt, sobald das befriedigende Ich-habe-was-geschafft-Gefühl sich blicken läßt - also zuweilen auch schon nach zehn Minuten.
Ich hatte fünf Stunden lang nichts anderes zu tun, als einem alten Mann zuzuhören, der über seine Erlebnisse in den Jahren 1941 bis 1945 berichtete, und meiner naturgegebenen Pingeligkeit folgend irgendwelche Fehler zu notieren. Ich fand nicht viel. Gut so. Nicht minder erfreute mich, daß das Hörbuch durchweg interessant war - auch wenn mir nach dem Hören der CDs 5, 6, 14 und 22 ein wenig der Zusammenhang fehlte.
Nebenbei surfte ich im Internet. Das traute ich mich nicht, insbesondere da ich feststellte, daß das Lesen von Nachrichten oder Weblogeinträgen mich sehr ablenkte. Also beschränkte ich mich auf einen sporadischen Mail- und Cartoonseitencheck, der auch den nicht minder sporadischen Besuchergängen der Chefin zugute kam - sie ertappte mich nur einmal, ließ sich aber nichts anmerken. Wahrscheinlich wollte sie einen derart perfekten [und gutaussehenden] Hörer wie mich nicht verlieren.
Allein die Möglichkeit jedoch, im Internet umherklicken zu können, empfand ich als enorm.
"Früher", hätte ich am liebsten aufspringend geschrien, mit meinem Krückstock in der Luft herumstochernd, "Früher hätte es sowas nicht gegeben! Früher mußten wir noch richtig arbeiten! Zuckerbrot und Peitsche, sag ich da nur. Zuckerbrot und Peitsche!"
Leider/Glücklicherweise bin ich nicht alt genug, um solche Bemerkungen von mir geben zu können, war doch die einzige Zeit, in der ich wirklich hart arbeiten mußte, mein Zivildienst gewesen. Der ist nicht nur lange her, sondern war auch nur so hart, weil ich fünf Uhr morgens aufstehen mußte, um nicht zum wiederholten Male unpünktlich im Krankenhaus einzutreffen. Ansonsten habe ich kaum eine langweiligere Zeit verlebt als den Zivildienst. Die unzähligen Möglichkeiten, so zu tun, als sei ich beschäftigt, nur um zusätzlichen Arbeiten oder eventuellem Ärger aus dem Weg zu gehen, habe ich zwar längst vergessen, könnte ich aber notfalls wieder in Erinnerung rufen.
Als ich vor meinem eigenen Rechner saß und Hörbuchwort für Hörbuchwort vernahm, mich in meinem Bürostuhl zurechtlümmelte und entspannt der Sprecherstimme lauschte, stellte ich fest, wie gut es doch vielen Arbeitenden heutzutage zu gehen scheint.
Ich habe keinen Einblick in das Früher, doch begehre ich auch nicht danach. Mir reicht es aus, verallgemeinernd festzustellen, daß Arbeiten früher härter gewesen sein muß. Und wie jeder weiß, sind Verallgemeinerungen sowieso immer falsch. Oder richtig. Weiß ich nicht mehr.
Ich zeichnete. Das kann ich einigermaßen gut, und weil es auch entsprechende Aufträge gab [Das hört sich wichtig an. Gut so.], krakelte ich mit dem einzig auffindbaren Zeichenutensil auf meine mitgebrachten weißen Blätter. Kugelschreiber sind für solche Zwecke ungeeignet, doch in der Not esse ich auch Blutwurst [Ja, das ist tatsächlich eine mißglückte Abwandlung des Not-Teufel-Fliegen-Klassikers.].
Innerhalb von fünf Stunden kann man einiges auf Blätter krakeln, selbst wenn man - wie ich - pedantisch und kleinlich dazu neigt, das eigene Werk überstrenger Kritik unterziehen zu wollen. Erfreulich war, daß weder der Sprecher meine Zeichnerei, noch meine Stiftbewegung den Lauschprozeß, noch die Chefin meine Nebenbeschäftigung störte.
Nach fünf Stunden gab ich CD 22 - die letzte ihrer Art - ab und verabschiedete mich.
"Wollen Sie wiederkommen?", fragte die Chefin, von ihrem Arbeitsplatz aufblickend. Ich glaubte, ein sehnsüchtiges Funkeln in ihren Augen gesheen zu haben. Vielleicht war es aber auch nur ein Deckenlampenlichtreflex auf ihren Brillengläsern.
Wollte ich wiederkommen?
Ich dachte an den bequemen, klimatisierten Arbeitsplatz, den eigenen Rechner mit Internetanbindung und die drei bekritzelten Blätter, ich dachte an gerade-noch-so nicht vollgekotzte Busse und riesige Buäx-Wurstregale. Doch ich hielt mein Strahlemanngesicht professionell unter einem Pokerantlitz [Leider spiele ich kein Poker. Deswegen schien der Strahlemann in mir wohl ein wenig durch.] versteckt und meinte lässig:
"Na klar, babe!"
Allerdings ohne das "babe".
morast - 7. Dez, 22:18 - Rubrik:
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Ich begrüßte des Winters erste ernstzunehmende Daseinsbekundungen nicht nur, indem ich kaltes, schneeballrundes Weiß in Richtung meiner wenig begeisterten Begleitung schleuderte, sondern auch durch einen sportlich-aktiven Straßenbahn-Einfang-Spurt über die schneematschglatte Wege meines Viertels.
Dieser jedoch endete erfolglos darin, daß ich keuchend an der geleerten Haltestelle eintraf und das metallene Ungetüm hämisch von mir forteilen sah.
Zum ersten Mal konnte ich den Winter spüren. Er brannte tief in meiner Lunge. Gierig saugte ich die kalte Luft auf dem Himmel, versenkte mein Empfinden in die in Atemschmerz glühende Brust, wendete mich ab vom graublauen Zigarettendunst neben mir, der mir dieses kleine, zweifelhafte Vergnügen zu entreißen suchte.
Von meinen Lippen schwebte ein scheues Lächeln dem stählernen Koloß hinterher, den ich verpaßte. Passanten fingen es auf und wußten nichts damit anzufangen, stopften es tief in die ausgebeulten Taschen ihrer Verwunderung, wo es sich irgendwann von selbst verlor...
[Im Hintergrund: Janus - "Die Ruhe selbst"]
morast - 30. Nov, 02:14 - Rubrik:
Wortwelten
Wenn wieder einmal ein Monat vergangen war, trafen wir uns stets irgendwo auf der Straße wieder, niemals beabsichtigt, niemals gewollt, und doch stets mit dem freudigen Lächeln im eigenen Gesicht, als hätte man den anderen vermißt.
Nach kurz gehaltenen Grußworten fanden wir uns schnell im ewig gleichen Gespräch wieder. Das heißt, eigentlich redete er, blies seinen trüben Monolog in die Unnahbarkeit, die zwischen uns lag, als könnte uns das Übel der Welt verbinden, zu gemeinsamen Streitern im Kampf gegen das Böse werden lassen.
Die Charaktere seiner Erzählung wechselten, besuchten zuweilen andere Drehorte, spielten andere Genres; doch stets lag über seinen gesprochenen Worten ein finsterer Hauch, als stünde jedes menschliche Wesen gegen ihn geheimem Bunde.
Und wenn dann, während wir wie alte Vertraute, die wir niemals sein würden, den Weg entlangschlenderten, der letzte Tropfen Schwarz von seiner Zunge perlte, hinterließ er ein Schweigen, das mich aufforderte, meine Worte suchte, Worte, die seinen gleichen, nur meine eigene Welt, meine eigene trübe Geschichte berichten sollten.
'Vielleicht gehört es sich nicht zu sagen, alles sei in Ordnung.', dachte ich oft.
'Vielleicht ist es unschicklich, mit der eigenen Zufriedenheit zu prahlen, sie überhaupt zu erwähnen, da man den Neid des anderen heraufbeschwören, seinem schweren Schicksal ohne den nötigen Respekt begegnen würde.
Vielleicht...'
Mein Mund blieb verschlossen. Kein Gedanke brannte in meinem Kopf, wollte sich in Worte pressen lassen. Es war, als hätten die geheimen Verschwörer einen Gehirnsauger erfunden und mir jede einzelne Silbe aus dem Schädel gelöscht.
Dann sah er mich stets an, sich allmählich der Pause im Redefluß bewußt werdend, und fragte:
"Und? Was hat dir den Tag versaut?"
'Nichts!', dachte ich oft, doch schwieg.
Ich kannte keinen versauten Tag. Keinen einzigen.
[Im Hintergrund: The Sisters Of Mercy -"First And Last And Always"]
morast - 23. Nov, 23:02 - Rubrik:
Wortwelten
Keine gute Idee ist es, während des Zähneputzens vor dem Badzimmerspiegel im Takt des Ohrwurms umherzuhüpfen, nach mehreren Sprüngen zu spüren, wie der Duschvorleger unter den eigenen Füßen weggleitet und der eigene Körper mit zu hoher Geschwindigkeit den weißen Badezimmerkacheln entgegenstürzt, während die Zahnbürste die Hand verläßt und unter den Schrank geschleudert wird, eine weiße Zahnpastaschaumspur hinterlassend...
[Im Kopf:Judas Priest - "Living After Midnight"]
morast - 23. Nov, 12:59 - Rubrik:
Wortwelten
Unlängst geschah es, daß ich zu später Stunde, als längst nächtliches Schweigen die Räume überflutet hatte, das Badezimmer aufsuchte, um mich dort zu reinigen und letztendlich - mit sauberem Antlitz und ebensolchen Zähnen - auch selbst in süßen Traumtiefen versinken zu können. Doch kaum hatte ich den Badezimmerlichtschalter berührt, explodierte die Dunkelheit in mein Auge. Ein greller Lichtblitz sprang mir entgegen, begleitet von einem wohl harmlosen, doch in der vorherigen Stille erschreckenden Knall, der mich zusammenzucken ließ.
Der undurchdringlichen Finsternis zum Trotz erkannte ich das Problem und fing sogleich an, es zu beseitigen, indem ich die nun defekte Glühbirne ["Glühlampe, heißt das, du Idiot!", mögen mir jetzt unwillige Deutschpenibler zurufen; doch ich höre nicht hin und bleibe bei meiner fruchtigeren Variante.] vorsichtig ertastete und ausschraubte. Die Vorsicht war überflüssig, ließ ich es doch an ihr fehlen, als ich die gläserne Birne fest in den Händen zu halten glaubte. Sie entglitt meinen Fingern, fiel auf den teppichgepolsterten Badezimmerboden, rollte weiter über die - bei Tageslicht sauberweiß blitzenden - Kacheln und verkroch sich dann unter den Schrank, wo sie beschloß, ihren Zustand nicht länger bewahren und dem keramischen Drängen von außen nachgeben zu wollen - und zerbrach.
Ich seufzte, suchte vergebens in der Abstellkammer und an anderen, abwegigeren Orten nach einer Ersatzglühbirne, doch fand keine außer derjenigen, die normalerweise von der Decke meines eigenen Zimmers zu baumeln pflegte. Es hatte Zeiten gegeben, da war die glühbirnenbefüllte Fassung, die derzeit kahl und schmucklos aus dem Deckenloch ragte, von einer ästhetischen Lampe umhüllt, doch mußte sie ebenso wie ich feststellen, daß niedrige Zimmerdecken zwar den Vorteil bieten, im Bedarfsfall in Sekundenschnelle ohne Benutzung jeglicher Hinaufsteighilfsmittel einen Glühbirnenwechsel vornehmen zu können, doch auch den Nachteil in sich bergen, Lampen auf derart geringen Höhen zu postieren, daß sie meinen wild herumgeschleuderten Körperteilen optimale Ziel- und Angriffsfläche bieten, selbst wenn ein solcher Angriff von mir nicht erwünscht wird.
Kurz und gut, ich beraubte meine nichtexistente Lampe ihrer Birne, wissend, daß noch zwei weitere, eine Schreibtischsteh- und eine Leselampe, ausreichenden Lichtersatz bilden würden, und begab mich zurück ins Badezimmer, wo ich nach raschem Schrauben mit neu-alter Glühfrucht das Splittergeschehen beleuchten konnte.
Eine Kehrblech-Handfeger-Kombination einsetzend beseitigte ich alle findbaren Scherben, befestigte aber trotzdem einen warnenden Zettel im Badeingangsbereich, darauf hinweisend, daß Barfüße hier - bis zur nächstmorgendlichen Gründlich-Reinigung unangebracht seien. Im 60-Watt-Schein bemerkte ich, daß die zerschollene Birne erstaunlich wenig Schaden davon getragen hatte, war doch mehr oder minder schlichtweg nur das Gewinde herausgebrochen und somit nur eine Minimalzahl Scherben generiert worden.
Wissend, jeden Schaden annehmbar beseitigt zu haben, trug ich das glasstückbewehrte Kehrblech zu Mülleimer, wo ich die scharfkantigen Birnenstücke dem Eimerinhalt übereignete. Leider füllte dieser das Behältnis bereits ausreichend, so daß mein gläserner Abfall auf der anderen Seite des Eimers wieder aus selbigem floh, vierzig Zentimeter tief fiel und ein weiteres Mal zerbrach, unbeeindruckt von dem ungewöhnlichen Umstand, daß sie, die Glühbirne, nun zum dritten Mal kaputt gegangen war.
Merklich schlechterer Laune kehrte ich die zusätzlichen Scherben auf und verfrachtete sie abermals ins Eimerinnere, sorgsam auf ihren dortigen Verbleib achtend.
Wenige Stunden später betrat A beschämt mein Zimmer. Denn auch ihr war gelungen, was eine Nacht zuvor mir vorbehalten gewesen war: Die Zerstörung einer Glühlampe. Diesmal hatte die Flurlampe Nummer Eins ihren letzten Lebensfunken ausgestrahlt, war knall- und klanglos ins ewig graue gewichen. A schien verstört, glaubte sie doch Schuldzuweisungen von meinen Lippen saugen zu können. Doch ich lächelte, erzählte von meinem Dreifachmord.
Noch bevor weitere dreißig Minuten vergangen waren, hatte ich mich auf meine Bettdecke gekniet, unter der versehentlich meine teleskopische Leselampe geweilt hatte, deren metallene Teleskopstangen nun mittels eines Knickes plastisch verformt waren. Mit 'Kein Problem!' glaubte ich das klirrende 'O nein!' in meinem Schädel besänftigen zu können - doch irrte. Denn sobald ich die Lampe berührte, erstarb sie, zerfiel in mehrere Teile, als hätte sie nur auf mich, auf eine letzte Segnung, gewartet.
Etwas verwundert stand ich auf und resümierte: Innerhalb eines Tages hatten A und ich drei Lampen in den Tod getrieben. Leselampe. Flurlampe. Badlampe. Letztere erdreistete sich sogar, dreifach zu sterben.
Ich schüttelte den Kopf, freute mich über die einzig verbliebene Lichtquelle in meinem Zimmer, schaltete sie, die Schreibtischlampe, ein und notierte mir, ausreichend beleuchtet:
"Glühbirnen kaufen."
[Im Hintergrund: Dismal Euphony - "Soria Moria Slott"]
morast - 19. Nov, 00:42 - Rubrik:
Wortwelten
- Es ist möglich, zu zweit einen Abend zu verbringen, eine Disko zweifach und eine Kneipe einfach in Benutzung zu ziehen und nur 4,80 an Gesamtkosten aufwenden, insofern der Disko-Eintriit kostenlos ist.
- Kostenlos ist nicht immer gut.
- Korsagen siehen nicht an jeder Frau ästhetisch aus.
- Übre den Pissoirs im Hallenser "Pe1" hängt ein großer Spiegel, der nicht nur ausgiebeige Betrachtung auf das eigene Gemächte, sondern auch auf das Fremder und somit vergleichende Analysen ermöglicht.
. Im Hallenser "twentysix" liegen diverse Lesezirkel-Zeitschriften als Anschauungsmaterial und Langeweilebrecher aus. Bemerkenswert dabei ist allerdings, daß es sich um den "Playboy" handelt.
morast - 16. Nov, 10:40 - Rubrik:
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Die Bibliothekarin fiel mir sogleich auf, als ich die Etage betrat. Ihre laute, weinerliche Stimme richtete sich mit unzähligen Fragen und Sorgen an eine geduldige Kollegin, doch tönte durch die Bücherregale an die Ohren aller Stöbernden, die üblicherweise bibliothekseigene Stille gnadenlos zunichte machend.
Ich mochte sie schon nicht mehr, bevor ich sie sah. Doch als ich sie erblickte, wagte gerade ein junger Mann, sie anzusprechen und freundlich zu fragen, ob sie denn Wechselgeld für die Toilettenbenutzung erübrigen könne. Und während andere Bibliotheksmitarbeiterinnen stets hilfsbereit zu reagieren pflegten, seufzte diese gequält, schlurfte unwillig zu ihrem Schreibtisch und rückte das gewünschte Kleingeld heraus.
Nur wenige Augenblicke erkundigte sich ein kleines Mädchen, vielleicht neun Jahre alt, offensichtlich mit den bibliothekseigenen Üblichkeiten unvertraut, nach dem zweiten Harry-Potter-Band. Sie wurde mit wenigen Worten abgefertigt, in die Fantasy-Abteilung verwiesen, deren Standort dem Mädchen jedoch unbekannt zu sein schien, irrte sie doch planlos suchend durch die Gänge, nur allmählich ihrem Ziel näherrückend.
Meine Füße befanden sich bereits auf den Stufen zur nächsthöheren Etage und durch die Ritzen der Treppe konnte ich das Mädchen beobachten, wie es neugierig, doch mit allmählich zunehmender Verzweiflung die Bücherregale entlangstreifte. Nicht länger konnte ich diesen Anblick ertragen, drehte mich um, lief den Treppenabsatz, den ich bereits überwunden hatte, hinab, hin zu dem Mädchen, das mittlerweile in der Fantasy-Abteilung angekommen war, aber erfolglos Harry Potter unter H zu finden versuchte.
Des richtigen Standorts kundig, tippte ich sie kurz an und zeigte dann wortlos auf die Harry-Potter-Bände, die klobig in den Regalen auf gewillte Entleiher warteten.
Das Mädchen lächelte kurz, sagte vielleicht "Ah.", vielleicht auch "Danke.". Ich vernahm es kaum, war schon hinfort geeilt, hatte Dankesworte nicht benötigend die Stufen erklommen, um fernab der unfreundlichen Bibliotheksmitarbeiterin nach mich Interessierendem zu suchen.
[Im Hintergrund: Ensiferum - "Ensiferum"]
morast - 15. Nov, 19:51 - Rubrik:
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"Werter Benutzer.
Bitte hinterlassen Sie diese Räumlichkeiten so, wie Sie sie selbst vorfinden möchten."
So oder ähnlich steht es auf der Herrentoilette der Stadtbibliothek Magdeburgs geschrieben. Und während ich beim nachdenklichen Zurücklehnen versehentlich den Spülknopf betätige, frage ich mich, ob es wirklich notwendig ist, daß ich die WC-Räumlichkeiten einer neuen Kachelung unterziehe, ein paar Bilder mitbringe und aufhänge, den Einweghandtücherspender durch Frottee ersetze, das Pissoir rausreiße
[Warum hat man eigentlich ein Pissoir dorteingebaut, wo Platz für ein zweites Klo gewesen wäre. Ich kann mich nicht vorstellen, daß das Bibo-WC derart stark frequentiert ist, daß der minimale Zeitvorteil eines Pissoirs [auch "Urinal" genannt] gegenüber einem herkömmlichen Klo bemerkbar wird. Oder können manche Männer nicht anders, als im Stehen zu pinkeln und sind daher auf die Verfügbarkeit eines Pissoirs mehr oder weniger angewiesen?]
und durch eine Badewanne oder Dusche ersetze, den 10-Cent-Eintrittsgeld-Automaten entferne und mir allein [und diversen Privilegierten] die Zugangsrechte zu diesem WC zustehe, die Lampen gegen weniger grelle autausche, ..., daß ich also die WC-Räumlichkeiten rundum saniere und verbessere, nur, um sie so verlassen zu können, wie ich sie selbst vorfinden möchte...
[Unerfreulich wird es, wenn der nächste WC-Nutzer völlig andere Design-Vorstellungen hat als ich...]
morast - 15. Nov, 14:53 - Rubrik:
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Meinen montäglichen Besuch im örtlichen Plattenladen vollziehend, die Neuerscheinungen betrachtend und mit drei unbedeutend schlechten Werken Klänge in meine wenig verzückten Ohren zaubernd werde ich meiner Nachbarin gewahr, die sich schon, als ich noch das erste der drei mich womöglich interessierenden, aber letztlich enttäuschenden Alben in das Abspielgerät einlegte, mit einem Werk beschäftigte, das nun, während ich die CDs auswechsle, noch immer durch die Muscheln ihrer Kopfhörer an meine Ohren dringt und mich widerwillig frösteln läßt - ein Zustand, der sich auch nicht ändert, nachdem ich alle ausgewählten Alben als für mich unannehmbar erklärt und festgestellt habe, daß das neben mir stehende Mädchen noch immer mit dem einen Werk zugange ist, das lautstark an ihren Ohren vorbei in meine Richtung ätzt.
Ich beziehe mich nicht auf die CD in ihren Händen, nicht auf die aktuelle Ausgabe des für mich ohnehin wenig begeisternswerten Kompilationsklassikers Bravo Hits, deren Chartklänge fortwährend durch ihre Lauscher kriechen, sondern schlichtweg auf das eine Lied, das sie wieder und wieder zu hören, ja - auch wenn es mich abschreckt, das glauben zu müssen - zu genießen scheint, das Anfang und Ende meiner erfolglosen CD-Reinhöraktion begleitete und noch immer nicht verstummte, vermutlich in absehbarer Zeit noch unzählige Male wiederholt werden wird und in mir die Frage aufkommen läßt, warum man ein Lied, das tagsüber, tagtäglich, immer wieder, im Radiofernsehen totgespielt wird, ein Lied, dessen Klingeltonversionen die Medienlandschaft verstopfen, ein Lied, dessen Klänge simpel genug sind, um nach dem ersten Refrain mitsingen und auf das restliche Lied verzichten zu können, warum man also ein Lied, dessen Überall-Präsenz kaum steigerbar ist, unbedingt minutenlang im Plattenladen anhören muß, warum man seine freie Zeit damit zubringt, diesen einen Song, der auch im gemütlichen Fernseh- oder Radiosessel wieder und wieder vernommen werden könnte, in Dauerrotation zu konsumieren und von ihm, nach maximaler Medienpräsenz und unentkommenbarer Wiederholt-Beschallung, immer noch begeistert zu sein scheint und sich - dessen nicht überdrüssig werdend - das für mich zutiefst minderwertige Liedgut wieder und wieder in den Schädel stopft.
Ohne Antworten begebe ich mich auf den Heimweg und ärgere mich über den schrecklich-penetranten Ohrwurm, der aufgrund der Dauerrotationshörerin meine Gedanken terrorisiert:
Tokio Hotel - "Durch den Monsun".
[Im Hintergrund: Ensiferum - "Ensiferum"]
morast - 14. Nov, 19:25 - Rubrik:
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