Wortwelten
O, soeben fiel mir auf, daß heute dieser Weblog 200 Tage alt wird.
Das ist selbstverständlich falsch, unrichtig gar. Schließlich begann ich bereits ich am 20. oder 21. Januar dieses Jahres, allerdings in myblogigeren Sphären, die ich irgendwann im April zu verlassen wußte.
Demnach ist diese tolle 200 gar nicht echt, nur eine einigermaßen hübsche Zahl mit ein paar Nullen drin, deren Aussage jedoch kaum bedeutung haben kann, darf oder soll. Schließlich führte ein solches Jubiläum, wäre es eins, die unausgesprochene Aufforderung mit sich, so etwas wie ein Fazit abzuliefern oder zukünftige Perspektiven ins Auge zu fassen.
Dergleichen mißfällt mir jedoch, weswegen ich großzügigerweise darauf verzichte.
[Im Hintergrund: Janus - "Auferstehung"]
morast - 7. Nov, 22:15 - Rubrik:
Wortwelten
Es ist erstaunlich, daß es exakt dreieinhalb sinnlos vertrödelter Stunden bedurfte, um mich davon zu überzeugen, daß etwas anderes als Herumsitzen und Hunger haben wesentlich mehr Sinn in sich bergen würde. Noch erstaunlicher ist eigentlich, daß sich die vergangene Zeit in meinem Kopf anfühlt, als hätte ich soeben mehrere Tage achtlos in jene finstere Ecke geworfen, in die normalerweise der inexistente WG-Hund zu pinkeln pflegt.
Ich weiß, was zu tun wäre, doch bin nicht bereit dazu. Ich weiß, was mich erheitern könnte, daß die Freude nur wenige Schritte entfernt wartet, doch bin nicht willens, mich zu bewegen. Und wenn ich darüber nachdenke, so erscheint mir mein Verhalten als ebenso sinnbefreit und nutzlos wie mein herumsitzendes Auf-Nichts-Warten, das ich mit internetziger Amüsanz zu beträufeln versuche.
Doch die Erkenntnis nützt nichts, treibt mich nicht aus meinem Sessel hoch in die Welt, und nur mein zunehmender Hunger läßt die Wirklichkeit sich in mir bemerkbar machen.
Was tue ich hier, frage ich mich und begreife, daß ich seit Stunden dem gleichen Album lausche, ohne es bisher vernommen zu haben. Nun jedoch höre ich es, freue mich über das ergeifende Lied, das gleich noch einmal meine Gehörgänge beträufeln darf und suche in dem kramüberfluteten Zimmer nach kälteabwehrenden Kleidungsstücken.
Ich will raus, denke ich und wundere mich, daß ich für diese Erkenntnis mehrere, auf dreieinhalb Stunden komprimierte, Tage gebraucht habe.
[Im Hintergrund: Scream Silence - "Transient"]
morast - 5. Nov, 13:37 - Rubrik:
Wortwelten
Zu einer Zeit, in der ich mich mit der Überlegung beschäftigte, ob ich denn nicht, wenn ich einmal groß wäre, zum Lehrer tauge und ob Biologie und Chemie nicht geeignete Fächer wären, um deren Inhalte an Schüler weiterzugeben, wurde meine Klasse von einem Lehrer unterrichtet, der auf den gewöhnlichsten aller Nachnamen hörte: Herr Schmidt.
Da ich noch längst nicht in der siebenten Klassenstufe weilte, demnach auch noch nicht die Inhalte der Chemiestunden vermittelt bekommen hatte, richtete ich mein Augenmerk auf die Biologie, also auf das Fach, das Herr Schmidt uns beizubringen versuchte.
Herr Schmidt war ein seltsamer Kerl. Ich kann mich nicht erinnern, daß er jemals etwas anderes trug als ausgewaschene Jeans und seinen Aktenkoffer mit der dreistelligen Zahlenkombination. Herr Schmidt hatte einen fettigen Seitenscheitel, den er abgöttisch zu lieben schien, der ihn aber - das war selbst mir Geschmacksunkundigen damals schon bewußt - entstellte, insbesondere weil sich zu ihm eine Art Mähne gesellte, also Haare, die ihm hinten in den Kragen wuchsen und äußerst unmodern wirkten.
Herr Schmidt trug keine Brille, wie es das Lehrerklischee forderte. Diese hätte auch schlecht in sein affenartiges Gesicht gepaßt, das - wenn ich heute darüber nachdenke - bar jeden Intelligenzfunkens zu sein schien. Dabei war Herr Schmidt nicht dumm, keineswegs, wußte er doch bestens über seine Fächer Bescheid, gab uns eine Information nach der andern kund, die wir niederzuschreiben und in Kurzkontrollen und Klausuren zu wiederholen hatten.
Einmal machte Bianca den verzeihlichen Fehler, in einer Definition statt "Organismus" "Orgasmus" zu schreiben und erheiterte Herrn Schmidt somit maßlos. Ich kann mich nicht erinnern, den Grund für sein Gelächter damals verstanden zu haben, doch begriff ich, daß es etwas mit dem Geheimnis seines Aktenkoffers zu tun haben mußte.
Der Aktenkoffer stand nämlich niemals auf; nur manchmal klackte Herr Schmidt zweifach an den Verschlüssen und öffnete ihn, natürlich so, daß niemandem aus der Klasse Einsicht in das mysteriöse Innere gewährt wurde. Niemandem, außer demjenigen, der dem Lehrertisch am nächsten, in der ersten Reihe, saß und der, sobald Herr Schmidt den Blick abwandte, heimlich in das Kofferinnere lugte.
Der heimlich Einblick Suchende war ich, und ich war es auch, der nicht verstand, warum Herr Schmidt sich überhaupt die Mühe machte, täglich seinen Aktenkoffer durch die Gegend zu tragen, fanden sich in ihm doch nur ein oder zwei Hefter, ein paar Schreibgegenstände und eine Zeitschrift. Das allein forderte keinen Aktenkoffer, aber vielleicht glaubte Herr Schmidt, mit einem solchen Koffer wichtig und lehrerhaft auszusehen. Ihm fehlte schließlich die Klischee-Brille.
In unseren Augen jedoch erschien Herr Schmidt eher skurril und albern.
Ich war es übrigens auch, der herausfand, welche Zeitschrift es war, die Herr Schmidt stets mit sich herumtrug, die er in dem geschlossenen Koffer vor neugierigen Augen verbarg, aber nicht vor mir geheimhalten konnte. Es war die Blitz-Illu, die vielleicht niveauloseste Schmuddelzeitschrift, die an Kiosks erwerbbar war, angefüllt mit erotischen, aber keineswegs pornographischen, Inhalten, mit Bildern leicht- oder unbekleideter Mädchen und Texten voller erfundener, unfaßbar tragischer Szenarien und Entdeckungen.
Herr Schmidt besaß vermutlich genügend Intelligenz, um die Texte für wertlos zu erachten. Sein Augenmerk galt also den Bildern - eine Information, die für uns Schüler, insbesondere uns Jungen, von hohem Wert war und für allerlei Getuschel sorgte. Allerdings nicht während seines Unterrichts, denn zuweilen wurde Herr Schmidt sehr ärgerlich und regte sich minutenlang über irgendeine, in unseren Augen unbedeutende Kleinigkeit auf.
Unsere Mädchen waren gewitzter, hatten begonnen, sich auf andere Art und Weise für Herrn Schmidt zu interessieren. Denn nach ein paar Unterrichtsstunden wurde ersichtlich, bei welchen Themen Herr Schmidt mit Vorliebe abschweifte und über Biologiefremdes zu reden begann.
So erwähnte er Charles Darwin, der mit der "Beagle" über die Meere gefahren war und ermahnte uns, die "Beagle" nicht mit den Beatles zu verwechseln. Das wäre uns Jungen im Traum nicht eingefallen, waren doch derart veraltete Musikgruppen kein Teil unserer Welt. Constanze und Jana jedoch inszenierten, als eines Tages eine Kurzkontrolle anstand, einen Dialog, der genau auf dieser Verwechslungsgefahr aufbaute. Herr Schmidt tapste arglos in die Falle, ließ sich nach ein paar einleitenden Worten seitens der Schüler, auf den Gedankengang ein, was wohl die Bedeutung des Wortes "Beagle" sei. Nachdem er die Hunderasse ausgiebig erläutert hatte, sprang er über zu den Beatles, zu Elvis Presley und weiter zu anderen Themen, denen ich längst nicht mehr zuhörte. Die Stunde war gerettet, die Kurzkontrolle fiel aus, hatte dem Biologielehrer-Monolog weichen müssen.
Eine seiner Monolog-Weisheiten blieb mir bis heute im Gedächtnis und taucht immer mal wieder auf, wenn ich morgens vor dem Spiegel stehe. Damals war bei mir an ersten Flaum noch nicht zu denken, und trotzdem wies uns Herr Schmidt darauf hin, daß man möglichst spät damit beginnen sollte, sich selbst zu rasieren.
"Wenn man einmal anfängt,", erzählte er, "wird es immer schlimmer. Zuerst rasiert man sich noch einmal die Woche, dann mehrmals und schließlich muß man sich täglich rasieren, um gesittet auszusehen. Dann gibt es kein Zurück." Ich glaube, Herr Schmidt haßte das Rasieren.
Wir argwöhnten, ob Herr Schmidt ein Trinker sei, und bis heute weiß ich es nicht, ja bezweifle es. Und doch zeigte er Eigenschaften, die jenen armseligen Figuren eigen war, deren Leben aus nichts als der Gemeinschaft gleichwertiger Alkoholabhängiger und flüssigem Vergessen bestand. Sein fettiger Scheitel glänzte, und hin und wieder vergaß Herr Schmidt, sich zu rasieren. Zuweilen wirkten seine Augen glasig, und seine Monologe an der Tafel wechselten ohne Zusammenhang von einer Thematik zur nächsten.
Doch er roch nicht - wenn man den penetranten Geruch seines Deodorants ignorierte -, ging aufrecht und gerade, mit federndem Schritt und stets so, als habe er ein Ziel. "Lernt fleißig.", pflegte er zu sagen, "Sonst werdet ihr noch einer von denen, die morgens froh um sechs am Kiosk stehen, mit der Bierdose in der Hand, und in den Papierkorb pinkeln." Wir lernten, doch konnten nicht umhin, Herrn Schmidt für wundersam zu erachten. Wie normal war denn ein Lehrer, der die Xanthoproteinreaktion, die Nachweisreaktion für aromatische Aminosäuren in Proteinen, an sich selbst ausprobierte, indem er Salpetersäure auf seine Hand schüttete und anschließend herumging, um die Gelbfärbung der Haut zu zeigen?
Irgendwer von uns bekam heraus, daß Herr Schmidt eine Frau hatte. Sie war behindert. Er selbst sprach nicht darüber, aber die nackten Mädchen in seiner Aktentasche ließen vermuten, daß er nicht in jeder Hinsicht glücklich mit ihr war.
"In der nächsten Stunde führe ich mündliche Tests durch.", kündigte Herr Schmidt einmal an.
Ich erschrak. Mir fiel es leicht zu lernen, in Klausuren die richtigen Ergebnisse niederzuschreiben. Doch mündlich, von Angesicht zu Angesicht mit dem Feind, der vermutlich nur Böses wollte, würde ich versagen. Die Stunde drohte ein Debakel zu werden, denn obgleich Herr Schmidt nicht die Zeit hatte, jeden von uns zu prüfen, war es sicherlich allein meine Angst, die mich auf den freien Stuhl neben ihn befördern würde.
Es regnete an dem Tag, und Herr Schmidt begann seine Stunde. Ich bangte, doch Herr Schmidt dachte nicht daran, mit den Prüfungen zu beginnen. Vielmehr erzählte er, scheinbar ohne Anlaß, von seiner Studienzeit, damals, als er auch tagelang habe lernen müssen, bis nichts mehr in den Schädel paßte, als er wieder und wieder verzweifelte und sich wieder und wieder zu weiterem Lernen anspornte. Doch einen Tag vor der Prüfung legte er all seine Hefter und Bücher nieder, ging hinaus durch den Nieselregen zur nächsten Kneipe, dorthin, wo er sich desöfteren abends mit seinen Studienfreunden zu treffen pflegte, und betrank sich. Er verbrachte den Tag mit Trinken, schlief am nächsten Morgen aus, und ging dann mit geklärtem Kopf in die Prüfung.
Wie diese ausgegangen war, verriet er uns nicht. Vielleicht weil er begriffen hatte, daß seine Erzählung ihren Zweck verfehlt hatte. Schließlich war uns kaum noch in Erinnerung, daß er uns mahnen wollte, frühzeitig mit dem Lernen anzufangen und den Prüfungsvortag mit anderem zu verbringen, sondern nur, daß Herr Schmidt getrunken hatte, um sich von seiner Last zu befreien. War Herr Schmidt doch ein Trinker?
"Eigentlich wollte ich ja mündliche Kontrollen machen. Das habe ich leider nicht geschafft.", sprach Herr Schmidt in das Klingeln hinein, das grell und unangenehm unsere Erlösung verkündete.
"Aber seid nächstes Mal vorbereitet.", rief er uns hinterher, als wir bereits erleichtert nach draußen eilten, als könnte Herr Schmidt es sich noch einmal anders überlegen.
In der nächsten Stunde hatte Herr Schmidt sein Vorhaben vergessen, und wenige Wochen später war er nicht länger unser Biologielehrer. Er wurde ersetzt durch irgendwen ohne schmierigen Seitenscheitel, ohne Nackedei-Aktenkoffer, ohne die Beatles-Beagle-Geschichten. Ich weiß nicht, woran es lag, daß er entlassen wurde, vernahm Gerüchte von Drogenmißbrauch, von Problemen mit seiner Frau, doch wußte, daß allein seine Unfähigkeit als Pädagoge ausreichend Grund gewesen wäre, ihn seiner Arbeit zu entledigen.
Ich traf Herrn Schmidt noch häufig, grüßte ihn stets freundlich. Wir entdeckten, daß er täglich durch die Innenstadt lief, stets mit altbekannter Hinten-Lang-Frisur, stets mit ausgewaschener Jeans. Sein Aktenkoffer fehlte, dafür trug er nun immer ein Kapuzen-Sweatshirt und ein Basecap, das seinen fettigen Scheitel verbarg. Seine Hände versteckte er in den Ärmeln seines Sweatshirts, als müßte er Einstichlöcher verbergen. Er magerte ab, und binnen weniger Monate alterte sein Gesicht um Jahre.
Ich sah ihn von nun an seltener. Doch wenn ich ihn entdeckte, waren seine Schritte noch immer zielgerichtet, und ich fragte mich stets, wohin wohl er eilte. Doch sein Blick war fern, und er erkannte mich nicht länger. Ich entdeckte Mitleid für ihn in mir, Mitleid, weil er wegen seines fehlenden Jobs womöglich auf eine schiefe Bahn gekommen war, die nur abwärts führte.
Das alles liegt viele Jahre zurück, doch auch heute noch begegne ich manchmal Herrn Schmidt, wenn ich in meiner Heimat verweile, beobachte ihn, wie er kofferlos durch die Innenstadt läuft, die Welt um ihn herum mißachtend, noch immer mit Kapuzenshirt und Basecap bekleidet, und frage mich, ob er sich an mich erinnern würde, wenn ich ihn anspräche.
Ich wage es nicht, doch mit einiger Erleichterung bemerke ich, daß er noch immer lebt, daß er nicht schlechter aussieht, daß er sich irgendwie gefangen zu haben scheint.
Und dann blicke an mir herab und stelle verwundert fest, daß ich kein Lehrer geworden bin, obwohl ich mir damals nicht anderes vorstellen konnte.
[Im Hintergrund: Scream Silence - "Forgotten Days"]
morast - 4. Nov, 19:24 - Rubrik:
Wortwelten
Nach mehreren terminvereinbarenden Mails und Telefonaten, nach einer dreistündigen Schulung, nach ausgiebiger Regel- und Hinweislektüre und wiederholter Dialogübungen hielt ich mich für bereit, meinen Nebenjob anzutreten. Obgleich mir mißlang, extra zeitig ins Bett zu gehen, fühlte ich mich dann, als ich mich endlich dazu durchrang, längst müde genug, um gleich auf der Stelle einzuschlafen. Doch das tat ich nicht, und so lenkte ich meine wirren Gedanken in die Handlung eines angenehmen Buchs, das letztendlich meine Augen zu schließen wußte.
Aber ich fand keinen Schlaf, entdeckte in meinem Kopf mindestens drei wirklich gute Geschichten, die niederzuschreiben sich lohnen würde und den Wunsch, sofort aufzustehen und mich ihnen hinzugeben. Nebenbei trieben die geübten Dialoge ihr albernes Spiel in mir, führten mich ins Absurdum, bis ich alles ignorierend mich auf der Toilette wiederfand und vom Anblick der noch immer sommerzeitlichen Uhrzeit schockiert war, gestand sie mir doch nur noch vier Stunden Schlaf bis zum unfreiwillig-freiwilligen Erwachen zu.
Als ich 3.30 Uhr den Wecker klingeln hörte, beschloß ich, die Mitternächlichkeit meines Wachseins zu ignorieren und den Tag für angebrochen zu erklären. Ein gemütliches Frühstück erwirkte zusätzliche Hektik, als ich zur Bushaltestelle rannte, um keinesfalls am ersten Arbeitstag meinen Antritt verpassen. Ich durchquerte die Stadt, und mit mir unzählige Gesichter, die aussahen, als würden sie täglich um diese Uhrzeit aufstehen müssen. Ich lenkte mein Mitleid von mir selbst auf ihre zerfurchten, teigigen Mienen und begriff, welch Wonne es war, den Sonnenaufgang schlafend verbringen zu können.
Als ich eintraf, war meine Kollegin bereits anwesend, eine Bulgarin, die gut genug deutsch sprach, um für diese Arbeit geeignet zu sein, doch nicht gut genug, um sich ihrer selbst sicher zu sein. Der angekündigte Teamleiter fehlte - ich hatte nichts anderes erwartet und ersetzte ihn.
Wir waren im Auftrag einer Firma unterwegs, die wiederum im Auftrag einer Firma agierte, die wiederum für das Land tätig war, und hatten nichts weiter zu tun, als sechs Stunden lang mit ein- und demselben Bus umherzufahren, in ihm verweilend die Einsteigenden und Aussteigenden, die Kinderwagen , Rollstühle und Fahrräder zu zählen, die Zahlen an jeder Haltestelle niederzukritzeln und nebenbei die Fahrgäste mit einer Reihe von Fragen über ihren Fahrtweg und die Häufigkeit desselben zu plagen.
Die Bulgarin wollte zählen - eindeutig der leichtere Teil unseres Schaffens, ich willigte ein und belästigte die Busfahrenden mit meinen Interviews. Kurz vor sechs Uhr morgens war leicht nachvollziehbar, daß der Antwortunwille unter den eben Aufgestandenen recht verbreitet war; trotzdem fanden sich auf der ersten, einstündigen Fahrt fünf freundliche Menschen, die mich meinen Interviewzettel ausfüllen ließen und dafür sorgten, daß ich mit ausgetrockneter Mundhöhle in meiner Wasserflasche höchste Freuden fand.
"Ich hasse Busse.", teilte ich meiner Kollegin mit, die sich wenig dafür interessierte, daß ich meine Aussage gern mit kindheitlichen Erlebnissen begründet hätte, bei denen zuweilen meine über Busflure verteilten Mageninhalte eine Rolle spielten. Ich schwieg also, nutzte die Endhaltestellen-Wartepause, um die auf meinem Fragebogen eingetragenen Antworten in kryptische Zahlencodes zu übersetzen und den klischeewidersprechend freundlichen Busfahrer nach einer Möglichkeit der Blasenentleeren zu befragen. Er wies mich zum Metro-Großmarkt, dessen Pforten jedoch noch geschlossen hatten, weswegen ich, den Personaleingang nutzend, durch die geheimen, fremden Augen eigentlich nicht zugänglichen, Gänge irrte, bis ich eine Erleichterungseinrichtung fand und anschließend sicheren Schrittes, als würde ich hier erlaubterweise umherwandeln und das alles kennen wie meine Westentasche, den Rückweg zum Bus antrat.
Ich genoß die frische Nachtluft, die dem wachsenden Druck in meinem Schädel die Kraft nahm, stieg ein, gesellte mich zu meiner Mitarbeiterin, die, als der Bus sich wieder in Bewegung setzte, zwei Nullen bei Ein- und Aussteiger auf ihren neuen Zettel kritzelte. Als sich die ersten Fahrgäste zu uns gesellten, begriff ich, daß nun mit höherer Aktivität und unzähligen Schülern zu rechnen war. Ich interviewte ohne Gnade, torkelte durch den prall besetzten Bus, um zu neuen Opfern zu gelangen, erhielt unzählige Ablehnungen, doch erwischte auch ein paar Willige, deren Antworten meinen kleinen Block befüllten. Hin und wieder hielt ich inne, atmete tief durch, richtete meine Blick nach vorne, durch die Scheibe auf die Straße, nahm mich zusammen, als könne ich alle Anzeichen meiner zunehmenden Übelkeit ignorieren, ja verschwinden lassen.
Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Meine Befragungen erschienen mir allmählich weniger bedeutsam, ihre Anzahl wuchs langsamer. Aus meinen Zetteln las immer ich die Menge der bis zur nächsten Endhaltestelle verbleibenden Minuten ab und stöhnte lautlos in mich hinein. Ich erwog, meine Mitarbeiterin von meinem Zustand in Kenntnis zu setzen, doch sie hatte nur Augen für die Ein- und Aussteigenden, schien mich seit Anbeginn der ersten Fahrt mit höflicher Ignoranz zu dulden.
Ich blickte aus dem Fenster und erkannte die Gegend, wußte, daß es nur noch wenige Minuten dauern konnte, bis wir anhielten, uns eine kleine Pause gönnen durften. Als der letzte Fahrgast ausstieg, erstarb das Motorengeräusch. Die Ruhe, das fehlende Schaukeln und Schunkeln, die Bewegungslosigkeit des Busses, taten mir wohl, und ich erdreistete mir, den Fahrer erneut nach einer Toilette zu befragen. Er wies hinter einen Zaun, drückte mir sein Schlüsselbund in die Hand und mahnte mich zur Dringlichkeit. Dankbar rannte ich zur gezeugten Tür, schloß auf, fand das Klobecken - und übergab mich.
Ich hatte mich seit Jahren nicht mehr übergeben und längst vergessen, wie ich dieses Gefühl haßte, wie sehr mich es anwiderte, den eigenen Körper immer wieder zusammenkrampfen zu spüren, wie sehr mich es störte, nicht Herr meiner selbst sein zu können.
Ich traf das Becken nicht vollständig, benetzte jedoch einen Teil meiner Hose.
Als ich mich entleert hatte, mahnte ich mich zur Ruhe und Eile zugleich. Mit Klopapier und Papierhandtüchern bereinigte ich den Beckenrand, den Boden, mich selbst, nur provisorisch, doch gut genug, um niemanden anzuekeln. Mir selbst war Ekel fremd; ich störte mich nicht am Geruch, am Geschmack oder Aussehen des Erbrochenen, wußte nur, daß es zu beseitigen war, daß ich mich zu beeilen hatte. Das Ergebnis war zufriedenstellend, wenngleich ich meine Hose schon in sauberen Zuständen erlebt hatte.
Hastig spülte ich meine Hände ab, meinen Mund aus, trank einen Schluck Leitungswasser, rannte hinaus, schloß die Tür ab und überreichte die Schlüssel dem wartenden Busfahrer. Er wirkte nicht mürrisch; ich war früh genug zurückgekehrt. Meine Mitarbeiterin stand außerhalb des Busses, und ich erklärte ihr meine Situation, meinen Unwillen, meine Unfähigkeit, weiterzufahren. Sie verstand nicht, doch gab das nicht zu. Ich redete zu hektisch, wiederholte mich in ruhigerem Ton. Nun schien sie zu begreifen, war ratlos, wußte nicht, was sie allein anfangen sollte.
Besänftigend zückte ich das Telefon, klingelte die Zentrale an. Der Busfahrer wies uns an einzusteigen, glaubte, wir würden nur draußen verweilen, weil im Bus das Telefonieren verboten sei.
"Nur direkt hinterm Fahrersitz.", erklärte er. "Wegen der Elektronik."
Zur Fahrerzelle Abstand nehmend, telefonierte ich, erklärte ich mich, erhielt Verständnis. Ob ich nicht trotzdem weitermachen könne, auf die Eigenschaft als Zähler beschränkt, vorne sitzend, wo es weniger schaukelt. Ich würde es versuchen, meinte ich, den unangenehmen Geruch, der noch immer an meiner Hose [oder in meiner Nase] klebte, ignorierend. Im Augenblick ging es mir gut, doch ich wußte, das würde nicht lange so bleiben.
Von nun an war die Bulgarin die Interviewende, hatte Glück, da der Massenstrom der Zur-Schule-Fahrenden vorbei war. Nur hin und wieder eine Befragung, öfter jedoch eine Ablehnung. Ich zählte, doch mit fortschreitender Fahrt fiel es mir schwerer, mich zu konzentrieren. Irgendwann ertappte ich mich, wieder und wieder auf meinen Block zu schauen, Zahlen zu suchen. Noch dreißig Minuten. Noch 28 Minuten. Noch 25... Ich atmete tief und tiefer.
Viel konnte nicht mehr in meinem Magen sein, wußte ich, doch das Dröhnen in meinem Schädel wurde unerträglich; das Zählen fiel trotz geringer Passagieranzahl immer schwerer.
'Ich kann jederzeit aussteigen.', beruhigte ich mich. Zwar ließe ich dann meine Mitarbeiterin unwissend allein zurück, doch würde sie sich schon zu helfen wissen. Das Ende der dritten einstündigen Fahrt rückte schleichend näher, und ich wußte, daß es meine letzte Fahrt sein würde. Jede einzelne Minute war ein Kampf, den ich irgendwann wieder verlieren würde.
"Es geht nicht mehr.", teilte ich der Bulgarin mit, als niemand außer uns mehr im Bus saß. "Ich muß aufhören."
Sie verstand, was ich sagte, doch nicht, was ich meinte, schien nicht zu begreifen, wie unwohl ich mich fühlte, blickte mich vorwurfsvoll an.
"Ich rufe in der Zentrale an.", teilte ich der Bulgarin mit. "Die werden dir sagen, wie es nun weitergeht."
Aus der Zentrale erhielt ich überraschenderweise Lob für meinen Kampfesgeist, für meinen Einsatz, und Genesungswünsche - kein Wort über mein Versagen, die entstehenden Nachteile. Für meine Mitarbeiterin ward auch schnell eine Lösung gefunden: Sie durfte bleiben, als Zählerin, ab und zu jemanden befragend, sobald sich die Möglichkeit ergab. Sie wurde zur Teamleiterin befördert, bekam die Aufgabe, unsere Zettel im Laufe des Tages in der Zentraler einzureichen.
Ich dagegen packte meine Sachen ein, schloß im Geiste mit der Fahrt ab, bewahrte Ruhe, konzentrierte mich auf die Straße und auf den Augenblick, in dem ich aussteigen, umsteigen würde. Mein Kopf dröhnte, und ich sehnte mich nach Ruhe.
Ein Knall. Der Bus hatte einem abdrängenden PKW ausweichen müssen und im Gebüsch einen großen Stein gestreift. Die Frontschürze war beschädigt, der Blinker funktionsuntüchtig.
Der Busfahrer hielt an, stieg aus, besah sich den Schaden, fuhr zur Endhaltestelle weiter, wo er warten und seine Kollegen informieren konnte. Auf dem Display neben dem Lenkrad stand eine Botschaft: "Bus beschädigt. Weiterfahrt möglich." Ich war beeindruckt.
Der Busfahrer blieb ruhig. Allerdings hatte sein Funkgerät hier keinen Empfang, er wußte nicht weiter, entlieh sich mein Handy, dessen Guthaben längst unter einem Euro angekommen war, und schaffte es, seine Kollegen zu informieren, einen Austausch zu organisieren. Dankbar gab er mir das Mobiltelefon zurück, und ich war froh, daß ich ihm ebenso helfen konnte, wie er mir geholfen hatte,
Wir verständigten die Zentrale über den kleinen Unfall, über die Möglichkeit des Bustausches. Der Mitarbeiter dort war amüsiert. Ich, wissend, endlich heimkehren zu können, auch.
Nach einer mehrminütigen Wartezeit an der Endhaltestelle fuhr der Bus weiter. Die Bulgarin zählte und bemühte sich, sobald die ersten Fahrgäste eingestiegen waren, diese zu interviewen. Sie tat sich schwer dabei, stellte ich fest, und überlegte, ob es an fehlenden Deutschkenntnissen oder allgemeiner Unwissenheit liegen könnte.
Als ich endlich ausstieg, atmete ich auf. Ein paar Meter weiter wurde der Bus getauscht, doch das interessierte mich nicht mehr. Das Dröhnen in meinem Kopf nahm mich noch immer ein, drohte mir, doch ich ignorierte es, freute mich, daß der Boden unter meinen Füßen endlich stillstand.
[Im Hintergrund: Arch Enemy - "Wages Of Sin"]
morast - 4. Nov, 15:54 - Rubrik:
Wortwelten
Warum müssen Fantasy-Bücher immer ein Teil eines Zyklus', einer Trilogie oder ähnlichem sein, von denen man den ersten Teil in der Bibliothek ausleihen kann, ohne jedoch zu wissen, ob der Rest bereits geschrieben wurde?
Warum stehen es in Buchläden stets nur die üblichen Fantasy-Verdächtigen [Tolkien, Hohlbein, Zimmer Bradley, Pratchett] und deren Nachahmer - oder eben das dritte oder vierte Buch einer von - mir unbekannten - Zeitschriften und Schriftstellern gelobten Reihe, das ich nicht zu kaufen wage, weil ich befürchten muß, die übrigen Werke niemals zu Gesicht zu bekommen?
Warum verfügen dann aber Wühlkisten wiederum über andere Teile anderer Reihen, solche, die ich noch nie zu Gesicht bekam, solche, die mich mit Niedrigpreisen locken, obgleich auch hier zu befürchten ist, daß es bei diesem Exemplar bleiben wird?
Es gibt gute Fantasy-Reihen; das gebe ich gerne zu [ohne auch nur an "Herr der Ringe" zu denken]. Doch das kann doch nicht der Grund dafür sein, warum jedes in diesem Genre geschriebene Werk nur der winzige Teil eines großen Ganzen sein darf.
Enttäuscht lege ich das Buch beiseite und freue mich auf John Irvings "Gottes Werk und Teufels Beitrag", das mich sanft in den Schlaf geleiten möge...
morast - 2. Nov, 20:57 - Rubrik:
Wortwelten
Als ich gestern die Bibliothek betrat und wie gewohnt zur Fantasy-Abteilung schlenderte, fiel mir auf, daß mein Interesse für derartige Literatur in den letzten Monaten stark nachgelassen hatte.
Früher durchforstete ich Woche für Woche die Bücherreihen nach fantastischen Werken, die mich ansprachen, mich begeistern konnten. Heute wage ich kaum einen Blick in die Richtung, gehe schnell weiter zu "höherwertigerer" Literatur.
Bin ich zu alt geworden für diese Art der Schreibe?, frage ich mich verwundert und stelle erleichtert fest, daß dem nicht so sein kann, las ich doch unlängst den aktuellen Harry Potter, ein neues Werk von Wolfgang Hohlbein und Walter Moers "Die Stadt der Träumenden Bücher".
Und doch weiß ich, daß die fantastischen Welten, die zwischen den Seiten aufgebaut werden, nicht länger das sind, was mich verlockt. Fast, als würde ich einen ehemals nahestehenden, doch längst entfremdeten Freund begrüßen, streife ich am Regal entlang, sehe mich schon auf dem Weg zu weltliterarischen Meisterwerken.
Aber dann erblicke ich ein Buch, das meine Aufmerksamkeit erregt, für einen Moment nur, doch lang genug, um meine Hände ausstrecken und zugreifen zu lassen. Ich überfliege den Klappentext und weiß schon jetzt, daß ich zwischen den Buichdeckeln nichts Neues finden werde; die alten Fantasy-Geschichten mit anderen Worten erzählt.
Unbeteiligt blättere ich im Buch herum, Papier raschelt, und meine Augen greifen hier und da einen Wortfetzen heraus. Ich rieche die Blätter, ihren typischen Duft, fühle mich erinnert an zahlreiche Geschichten, die noch immer in meinem Gedächtnis lauern, die mich bewegten, beeindruckten, aus der Wirklichkeit in eine angenehme, mitreißende Welt entführten, die fremd und bekannt zugleich war, die so oft ein sehnsüchtige Lächeln auf meine Lippen wandern ließ.
Ich spüre die Vergangenheit, die Verheißung, die von diesen bedruckten Seiten ausgeht, die Erinnerung daran, wie es war, mich von der fantsatischen Literatur einnehmen, verzehren zu lassen, und bin versucht, es erneut zu wagen, gewillt, dieses Buch nicht länger hier stehen zu lassen, meinen Unmut, mein Desinteresse zu überwinden und zwischen dem Papier eine Welt zu finden, die mich mit alter Begeisterung empfängt.
Ohne weiteres Zögern nehme ich das Buch an mich, leihe es aus und verlasse die Bibliothek.
morast - 2. Nov, 15:24 - Rubrik:
Wortwelten
Und dann war da noch der Tag, an dem ich im Zuge einer WG-internen Reinigungsaktion beim Badputzen kurzerhand alle leeren Duschbad- und Shampoo-Verpackungen entsorgte und erst Stunden später bemerkte, daß auch mein preisintensives After-Shave dabei gewesen sein mußte, so daß ich mich genötigt sah, eine Weile in den unappetitlichen Tiefen des Mülleimers herumzuwühlen, um letztendlich erfolgreich das Gesuchte hervorzuzaubern, gründlich abzuwaschen und vorfreudig die nächste Rasur abzuwarten.
[Im Hintergrund: Ensiferum - "Ensiferum"]
morast - 2. Nov, 09:33 - Rubrik:
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Exakt 22:10 machte ich mich auf den weiten Weg zu J, das funktionstüchtige und mit Superdynamo ausgestattete Fahrrad meines Mitbewohners nutzend. J wartete schon leicht fröstelnd, hatte ich mich doch für ein paar Minuten früher angekündigt. Wir schwangen uns auf die Räder und düsten langsam los. Langsam, weil Js frisch repariertes Rad unganzer war als gedacht und demnach den Fortbewegungszwecken wenig dienliche Macken aufwies. Trotzdem kamen wir voran, und während ich in der Sparkassenfiliale Geld aus der Wand zauberte, versuchte J sich daran, die lockere Fahrradkette richtig zu positionieren.
Aufgrund der damaschkeplatzigen Pozileifreiheit [Js Licht war wesentlich inexistenter als das meinige] aufatmend erreichten wir das Kino, wo wir die Räder sachgemäß vertäuten und uns an der nächstbesten Schlange hintenanstellten. "Hier geht es am Schnellsten.", wußte ich zu behaupten, doch behielt nicht recht, da die jungen Menschen vor uns Parallelwartereihen bildeten, in die sich immer mehr von ihnen stellten [Der Gesamt-IQ schien trotzdem nicht zunzunehmen.].
Kurzerhand wechselten wir die Schlange, gerade rechtzeitig, um mitzuerleben, daß ein Pärchen seine Unentschlossenheit beseitigt hatte, sich vor uns einreihte und kurz darauf ein weiteres Pärchen begrüßte. Ich grummelte ein wenig, doch J war cleverer und nutzte die Gesprächsbeschäftigkeit der vier zu Vordrängelzwecken aus. Das wurde letztendlich zwar bemerkt, aber nicht geahndet, so daß wir uns in Ruhe überlegen konnten, ob nun "Doom" oder "Der Fischer und seine Frau" der angemessenere Film sei. Ich drückte meine Tendenz zu dem Christian-Ulmen-Film überumständlich aus, doch wir verstanden uns und kauften entsprechende Karten. Leider war Js Stempel-Bonus-Super-Checker-Karte schon abgelaufen, so daß sie eine neue bekam. Eigentlich zwei, meine nahm sie auch. Und die Kinokarten. Und zwei Superdupergutscheine für Tortilla Chips.
Nun jedoch war sie verwirrt. Ich zunächst auch, stand doch am Eingang niemand, um die Karten zu zerreißen. Dann aber doch, und ich quitterte die Entwertung mit einem freudigen Lächeln. J verschwand, tauchte wieder auf, besorgte Tortilla Chips mit leckerem Käsesaucendip und stellte betrübt fest, daß der eben erworbene Superdupergutschein nur für große Portionen galt, also im Augenblick nichts nützte. Mist.
Kino 2 wartete auf uns. Es war nahezu leer. Nur acht weitere Personen wollten "Der Fischer und seine Frau" sehen. Wir plazierten uns trotzdem in die Parkett-Reihe, um einerseits unserer Ehrlichkeit Ausdruck zu verleihen und andererseits Js Vorliebe für vordere Sitzplätze zu befriedigen.
Die Verbraucherinformationen begannen und waren unglaublich schlecht. Nicht minder schlecht waren die Film-Ankündigungen für die Zukunft. "Typischer Frauenfilm.", wußte J fachgerecht zu attributieren.
Dann ging es los. Der Käsedip war alle, die Chips aber noch nicht. Dafür war der Film schön, barg eine Menge Schmunzler und nicht weniger nachdenkenswerte Momente, erfreute mit angenehmer Leichtigkeit, die sich wohltuend mit berührender Ernsthaftigkeit mischte. [Ich breche die alberne Filmkritik an dieser Stelle ab, bevor ich mich in noch albernere Ausdrucksweisen verliere...]. Kurz: Der Film war schön.
Wir gingen raus zu den Rädern in die Kälte auf den mit klassischer Musik bestreuten Bahnhofsvorplatz und fuhren auf der falschen Straßenseite, partiell ohne Licht, heim, verabschiedeten uns vor meiner Haustür und waren kurz nach Eins in jeweils heimatlichen Gefilden angelangt.
morast - 30. Okt, 01:40 - Rubrik:
Wortwelten
Der Datenschutz unserer Universitätsbibliothek ist ein befremdlicher Phänomen. Der zufällige Finder [oder weniger zufällige Dieb] eines modernen Magdeburger RFID-Chip-Studentenausweises vermag nicht nur den darauf geladenen Geldwert in der Mensa oder am Kopierer ungefragt verprassen, sondern auch unzählige Bücher auf den fremden Namen aus der Universitätsbibliothek entleihen, ohne daß jemand mißtrauisch die Nase rümpft. Denn das identifizierende Paßfoto [das übrigens bei mir sechs Jahre alt ist und demnach meinem heutigen Ich nur teilweise ähnelt] interessiert die Bibliotheksmitarbeiter unterstützenden Ausleihautomaten nicht im Geringsten.
Benutze ich einen der vielen zur Verfügung stehenden Bibliotheks-Katalog-Rechner, um auf meinen Namen Bücher vorzubestellen oder zu verlängern, so wird mir empfohlen, das mit den persönlichen Daten vollgestopfte Fenster zu schließen. Benutzt dann der nächste Nutzer denselben Rechner und will auch er persönlichere Anwendungen ausführen, so werden ihm beim Einloggen die bisher, von den Vorgängern genutzten Bibliotheksausweisnummern zur Auswahl angeboten. Ich weiß nicht genau, wozu das dienen soll, doch ist es auf jeden Fall hilfreich, wenn man diese Information mißbrauchen will. Schließlich entspricht das Standardpaßwort in der Universiätsbibliothek den ersten vier Buchstaben des Nachnamens - und die meisten Studenten sind zu faul, selbiges abzuändern. Ein kurzer Blick auf einen fremden Ausweis [oder die zufällige Kenntnis des Nachnamens des Besitzers] in Kombination mit der Beobachtung, an welchem Rechner er seine Bücher verlängert oder neue bestellt hat, genügt, um - mit einem Quentchen Geduld, sich in das persönliche Bibliotheksnutzerkonto eines anderen einzuschleichen. Mißbrauch fällt leicht; persönliche Daten liegen hier offen.
Viel kann nicht passieren, das gebe ich zu, kann man doch auf dieser Ebene wenig mehr machen als zu verlängern oder zu zu bestellen. Doch dem gewitzten Datendieb wird schon etwas einfallen, wie er sich diese Informationen profitabel zunutzen machen wird.
Klinge ich paranoid? Mag sein. Wahrscheinlich sogar. Schließlich habe ich heute beobachtet, daß ich nach einer Anfrage im Bibliothekskatalog entweder das Fenster stets schließe und neu öffne, damit meine Anfrage für den Nächsten nicht mehr nachvollziehbar wird, oder daß ich Pseudo-Anfragen starte, die nichts mit dem zu tun haben, was ich wirklich suchte. Es ist erschreckend, sich dabei zu beobachten, wie man unbewußt jeden verdächtigt, mit den eigenen Daten Unsinn treiben zu wollen.
["Bloß weil ich nicht paranoid bin, heißt das nicht, daß ich nicht verfolgt werde..."]
[Im Hintergrund: Die Schröders - "Silver Surfer"]
morast - 27. Okt, 19:22 - Rubrik:
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Als ich den Raum betrat, war es noch dunkel. Geistesabwesend tastete nach dem Lichtschalter, fand ihn, fand einen weiteren. Und noch einen. Verdutzt halte ich inne, vergrößere den Türspalt um das fahle Flurlicht einzulassen.
Ich entdecke fünf Schalter, vier davon Doppelschalter. Jalousien, elektrisch kippbare Fenster - und fünf Mal Licht. Die Beschriftungen sind wirr und unverständlich.
Ich lasse es klicken, mehrmals, durchschaue das System schnell. Es folgt einer Logik, die leicht nachzuvollziehen ist. Vorn, Links Mitte, Rechts Mitte, Links Hinten/Vorn, Rechts Hinten/Vorn.
Und mit einem Grinsen stiehlt sich ein Gedanke in meinen Kopf: Wie wäre es, eine ähnliche Raumbeleuchtung zu installieren, bestehend aus unzähligen [Neon-]Leuchten, die über eine von der Leuchtenanzahl verschiedene Menge Schalter gesteuert werden können.
Doch darf hinter der An- und Ausklickerei keinerlei erkennbare Logik stecken. Betätigt man Schalter 1, so kann es passieren, daß Lampe 1 erstrahlt. Genauso gut können aber drei oder vier beliebig im Raum verteilte Lampen zu leuchten beginnen. Oder gar keine.
Die anderen Schalter, die allesamt mit unnützen, kyptischen Beschriftungen ["Süd-Süd-Ost-Mitte-Links", "Regenbogensonne", "Nicht drücken", "Licht", ...] versehen sind, folgen natürlich anderen, aber gleichsam undurchschaubaren Gesetzen wie Schalter 1.
Und dann möge es dunkel sein und lichtsuchende Raumbetreter anfangen, mit den Schaltern zu kämpfen und ihnen die Optimalbeleuchtung zu entlocken. Wie ein hämischer Blubberkasten würde ich danebenstehen und in mich hinein grinsen...
[Im Hintergrund: Dorn - "Schatten Der Vergangenheit"]
morast - 26. Okt, 09:10 - Rubrik:
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