Wortwelten

Sonntag, 25. September 2005

Blog-Remix: "Die Begegnung mit der Glasbausteinfrau"

Das Wochenende stand vor der Tür, und die Leere im heimischen Kühlschrank hatte bereits existenzbedrohliche Formen angenommen. Ich schielte auf meine Uhr. Die Zeiger schienen hämisch zu grinsen: Kurz vor Acht.
Ich hatte nichts anderes erwartet.

Vermutlich würde ich, selbst wenn deutsche Geschäftsbetreiber irgendwann die staatlich tolerierte Möglichkeit erhalten sollten, täglich für 24 Stunden ihre Ladenpforten zu öffnen, es trotzdem irgendwie schaffen, erst auf den allerletzten Drücker, erst im letztmöglichen Augenblick, durch die lichtschrankenunterstützte Glastür meines favorisierten [weil nahegelegenen] Einkaufmarktes zu stürmen und in zielorientierter Hast die mehr oder minder nahrhaften Lebensnotwendigkeiten aus den bereits geleerten Regalen zu klauben.

Ebenfalls zu erwarten war, daß ich erst vor den in Kürze schließenden Lebensmittelgeschäftstüren feststellte, daß sich der für den vorübergehende Besitz eines Einkaufwagens notwenige Plastikchip in einer anderen Hose, in einem anderen Rucksack oder in einem anderen Leben befand und daß zugleich ein "echtes" Eurostück in den überschaubaren Tiefen meines Portemonaies unauffindbar blieb. Selbst durch eifrige Geldwechselversuche [inklusive eines zwar mühsam aufgebrachten, aber dennoch eigentlich überzeugend-freundlichen Lächelns] ließ sich keinerlei passender Ersatz auftreiben.

Seufzend, den regulären Riten eines freitagabendlichen Last-Minute-Einkaufs folgend, krallte ich mir also die nächstbeste Pappe - wissend, daß sie letztendlich doch zu klein sein würde - und begann, durch die neonlichtüberfluteten Gänge zu pirschen, um mir und meinem pelzig-parasitären Mitbewohner das Wochenend-Überleben zu sichern.

Um mich herum wuselten gesichtlose Menschenmassen, zumeist - ebenso wie ich - Opfer ihrer eigenen DummTrägheit, standen im Weg, redeten zu laut oder waren einfach nur viel zu "da", um erträglich zu sein. Für einen Moment wünschte mir nichts sehnlicher als einen blinkenden, neonroten Stirnaufdruck "Misanthrop", der jedem menschähnlichen Wesen in meiner Nähe die unmißverständliche Bitte um einen gehörigen Maximal-Sicherheitsabstand in den tumben Schädel hämmern würde.

Ich schüttelte langsam den Kopf, als könnte ich dadurch die wirren Gedanken verscheuchen.
'Schnell raus hier.', dachte ich und tilgte die letzten Geräusche um mich herum mit dem wütenden Elektrogitarrenkrach aus meinen Kopfhörern. Die Welt verstummte, als ich die Lautstärke maximierte, und ich hob amüsiert einen Mundwinkel.

Der Pappkarton war zu klein. Das begiff ich schon nach wenigen Metern, schon nach wenigen, eilig in meinem Arm zusammengerafften Lebensmitteln. Die Pappe war zu klein und würde, sobald ich nicht mehr genügend achtgab, sobald ich meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwendete, unter ihrer Last zusammen-, oder besser: auseinanderbrechen. Auch das war zu erwarten.

Und während ich darum kämpfte, die einzukaufenden Produkte einerseits trageoptimal innerhalb des Kartons anzuordnen, andererseits diesen mit beiden Händen formstabilisierend zu stützen, bemerkte ich eine ältere Frau, die am Ende des Ganges stand und sich verwirrt umsah, als wäre sie von hundsgemeinen Außerirdischen in diese fremde Welt abgesetzt und hier zurückgelassen worden.

Sie war klein, doch nicht klein genug, um übersehen zu werden. Und trotzdem schien es, als hätte sie eine Sphäre unsichtbarer Unnahbarkeit um sich herum errichtet, als würde jeder in ihrer unmittelbaren Umgebung versuchen, diese möglichst schnell wieder zu verlassen und die Frau mit größtmöglichen Ignoranzportionen zuzuschütten.

'Oh nein.', dachte ich, ahnte bereits, was kommen würde, seufzte, hoffte heimlich noch immer auf die Existenz eines wirksamen "Misanthrop"-Schildes auf meiner Stirn und setzte scheinbar unbeteiligt meinen Einkauf fort.
Die alte Frau rührte sich nicht von der Stelle, schien auf jemanden, auf mich, zu warten.

'O nein.', dachte ich nochmals und verlagerte den bereits überfüllten Pappkarton auf meinen rechten Arm.
Die Frau – ich stellte fest, unfähig zu sein, ihr Alter auch nur annähernd schätzen zu können – stand am Ende "meines" Ganges, reglos, nach vorn gebeugt, als trüge sie eine schier unerträglich Bürde.
'Ihre Brille vielleicht.', dachte ich und grinste humorlos. Ihre Brille wirkte wie ein abscheuliches, modernes Kunstwerk, "Aschenbecher-In-Kunststoff", wie ein Satz häßlicher Glasbausteine, über dem sich fettiges Haar zu einem traurigen Frisurimitat zusammenfand.

Die Frau roch, nein: stank, nach Schweiß, nach Schweiß und Urin.
Ich seufzte, mal wieder, war schon Schlimmerem begegnet.

Vorsichtig versuchte ich, ihr auszuweichen, wie alle anderen den Blick abzuwenden, war schon fast vorbei, als ich versehentlich mit meinem Karton ihre für diese heißen Temperaturen völlig unpassenden Klamotten streifte. Sie blickte auf, ohne überrascht zu wirken, und sprach mich an:
"Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?

Ich sparte mir einen weiteren Seufzer, jeden "Ich hab's ja geahnt."-Kommentar und den Gedanken an mein dringend notwendiges Stirnschild und zerrte die Kopfhörer aus meinen Ohren.
Leise klirrten elektrische Gitarren in die muffige Ladenluft, vermischten sich mit dem kaum wahrnehmbaren Hintergrundrauschen menschlicher Anwesenheiten.
'Warum ist keiner von denen hier?', fragte ich mich wütend, 'Warum ausgerechnet ich und warum ausgerechnet heute?'.

Meine Gedanken beiseite schiebend, klebte ich den bestmöglichen Versuch eines Lächelns auf meine Lippen und erkundigte mich vorsichtig:
"Ja?"

Erst beim zweiten Versuch verstand ich sie. Ihre Stimme war leise und brüchig, als traute sie sich nicht zu reden - oder hätte es lange nicht getan.
Hinter übergroßen Glasbausteinbrillengläser blickten zwei Augen hilfesuchend zu mir hoch.

'Es stimmt.', stellte ich mitleidig fest, 'Mit dem Alter werden wir wieder zu Kindern.'
Die alte Frau war beinahe wieder im Embryonalstadium angekommen, schien allein kaum lebensfähig zu sein, blickte mich an, als wäre ich ihre Krücke, ihr rettender Engel am Rande des Abgrunds.

Nun war auch ich zum Teil ihrer Sphäre, ihrer Aura, geworden. Ich bemerkte es sofort, denn die übrigen Einkäufer wichen nicht nur der alten Frau aus, sondern auch meinen neugierigen, ja herausfordernden Blicken, als wären sie dank meines selbstlosen Opfers von ihrer Helferspflicht entbunden, von ihrer Menschlichkeitsbürde befreit worden.

Fast erahnte ich das hämisch-erleichterte Grinsen in den Mundwinkeln der Vorbeigehenden, die Belohnung für ihre stupide Ignoranz anderen gegenüber, das Glück, sich aus allem heraushalten zu können, sich nur um ihre eigene Nichtigkeit kümmern zu müssen.
"Schönen Dank, ihr Idioten.", schimpfte ich - lautlos natürlich.

Weder die Blindheit der Vorbeigehenden, noch die unerträgliche Hilflosigkeit der alten Frau, ihre offensichtliche Bedürftigkeit trugen dazu bei, meine ohnehin unerträgliche Laune zu verbessern..
Doch ich lächelte tapfer, als die alte Frau an meinem Ärmel zupfte und ein kaum vernehmbares Flüstern aus ihrer Richtung meine Ohren suchte.

In überteuerte Designerkleidung gehüllt eilte ein hochgewachsenes Wichtigtuerpaar vorbei. Während die Frau ihrer urtypischen Geschlechterrolle nachging, Nahrungsmittel und andere notwendige Utensilien zusammenzusuchen, beschränkte sich das Männchen darauf, den sich füllenden Einkaufwagen zu schieben und mit abschätzendem Blick die Umgebung zu mustern.
"Das gibt was zu erzählen." schienen seine sonnebrillenverhüllten Augen zu sagen, "Im Aldi finden sich immer irgendwelche Freaks." Und mit höhnischem Grinsen schaute er zu mir, zu uns, herüber, als wären wir soeben dem Kuriositätenkabinett eines Zirkus' entlaufen.
Ich bedachte ihn mit dem finstersten Blick, den ich auf die Schnelle auftreiben konnte, und wandte mich wieder dem Stimmchen zu.

"Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?", tönten - beinahe lautlos - die Glasbausteine neben mir ein weiteres Mal.

"Ja?", fragte ich geduldig, "Was denn?"
Ich beugte mich nach unten, um ihr brüchiges Stimmchen besser vernehmen zu können.
Sie lächelte scheu und flüsterte stockend: "Sha-a-aaampooo...?"

Man mußte schon blind sein, um das Shampoo zu übersehen. Ihre Aschenbecherglasbausteine schienen nicht nur abschreckend unattraktiv, sondern auch absolut wirkunsglos zu sein.
Wir waren dem Haarwaschmittel derart nahe, daß ich es schon riechen konnte. Nun ja, beinahe, war doch die Umgebungsluft geschwängert vom markanten Eigenduft der alten Frau.

Diesmal konnte ich den Seufzer nicht unterdrücken, bückte mich und präsentierte ihr die drei möglichen Sorten, auf die die Sortimentsauswahl glücklicherweise beschränkt war.
"Shampoo?", fragte ich, laut und deutlich, als stünde ich vor einem geistig zurückgebliebenen Kind. Alle verfügbaren Sorten in den Händen haltend präsentierte ich ihr die zur Verfügung stehenden Alternativen:
"Hier: Gegen Schuppen. Für Normal und leicht fettend. Für coloriert."

Der Fettgehalt ihrer Haare hätten ausgereicht, um das Linoleum der gesamten Aldifiliale in eine glänzende Rutschbahn zu verwandeln, doch wagte ich nicht, ihr die Shampoosorten-Entscheidung vorwegzunehmen. Lange Zeit schwankte sie zwischen "Normal" [Das "leicht fettend" würdigte sie mit fast schon damenhafter Ignoranz.] und dem Antischuppenprodukt. Entscheidungen zu treffen fiel ihr offensichtlich ebenso schwer, wie alleine einzukaufen.

"Nein.", verkündete sie plötzlich, als ich schon überlegte, wie es mir gelingen könnte, mich unauffällig aus ihrem Blickfeld zu stehlen.
"Ich nehme doch das Grüne: für Normal!", entschied sie und griff vorsichtig nach der grünen Shampooflasche in meiner Hand, als wäre sie das Unikat einer Swarovski-Kristallglaskaraffe.

"Prima.". Ich seufzte erneut [Das schien zu einer schlechten Angewohnheit zu werden.] und warf die andern Flaschen achtlos an ihre Plätze zurück.
'Überstanden.', dachte ich, rückte den allmählich schwer werdenden Karton auf meinem Arm zurecht und wollte mich verabschiedend abwenden, als ich ihr Stimmchen erneut vernahm.

"Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?", erklang es flüsternd unter meterdicken Glasbausteinen hervor. "Ist das da Duuuschgee-ee-eel?"
Kraftlos deutete sie auf die Badezusätze in 1,5-liter-Flaschen.
"Nein.", antworte ich, die letzten Reste meiner Hilfbereitschaft zusammenraffend.
"Das ist zum Baden. - Duschgel ist das hier.", ergänzte ich und zeigte auf die direkt daneben stehenden Flaschen.
"Ich nehme immer das gelbe.", half ich ihr weiter. "Das ist super für die Haut."
"Jaaa?", höre ich die alte Frau wispern, "Dann ne-ee-e-eehm ich das auch."
Und tapfer, fast stolz und mit ungewohnter Zielsicherheit, ergriff sie die gelbe Flasche und klemmte sie sich unter den Arm.

Lautlos nickte ihr zu und verabschiedete mich. Irgendwann ist auch meine Geduld erschöpft.
"Schönen Tag noch.", wünschte ich ihr - und meinte es ernst.

Die alte Frau sah mich an, blickte über ihre Aschenbechergläser hinweg und lächelte, als hätten wir jetzt ein gemeinsames Geheimnis, als verbände uns die Vorliebe für gelbes Duschgel.
Ich lächelte zurück, konnte mich dessen nicht erwehren, und fand sie - für einen Moment und mit fest verschlossenem Riechorgan - beinahe sympathisch.

Erleichtert zog ich von dannen, mit dem guten Gefühl, soeben meine tägliche Pfadfindertat hinter mich gebracht zu haben, eilte, mit dem bleischweren Karon beladen, auf dem Weg zu Kasse an den Sonderangebots-Gartengeräten vorbei. Dort bemühte sich der maskuline Teil des Wichtigtuerpaares gerade darum, einen fachmännischen Kennerblick aufzusetzen und die dargebotenen Werkzeuge kritisch zu mustern.

Höhnisch schenkte er mir sein "Freaks-Aus-Dem-Zirkus"-Grinsen, als ich ihn passierte, und ich ertappte mich, ernsthaft die Frage nachzudenken, ob der Garantieanspruch auf Spaten und Hacken verfiele, wären sie über und über mit Blut und Hirn [von letzterem allerdings eher weniger] besudelt...

Während ich noch in wohligen Gedanken schwelgte, vernahm ich hinter mir die bekannte, bröckelnde Stimme der Glasbausteinfrau, die sich gerade an Mr Wichtig wandte :
"Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?"

Ich lächelte stumm, verbarg mein Grinsen in den mit Salami-Pizzen befüllten Tiefen einer Kühltruhe.
Die alte Frau ließ nicht locker, zog Mr Wichtig an seinem teuren Designerärmel und fragte leise:
"Daaamenbiii-i-i-inden? ... E-e-e-xtra dick?"

Und für einen Moment glaubte ich zu erkennen, wie sie, die kleine, hagere, stinkende Frau, mir über ihre Aschenbecherglasbausteine hinweg schelmisch-vergnügt zuzwinkerte, während sie sich bei Mr Wichtig einhakte und ihn gnadenlos in ihre markante Aura zerrte.

Sein höhnisches Grinsen schmolz in Sekundenschnelle, wich einer ungesunden Gesichtsröte. Er rang nach Worten, doch fand keine, ließ sich willenlos von der alten Frau führen, ziehen, den neonlichtüberfluteten Gang entlang, dorthin, wo die reichliche Auswahl der Damen-Hygiene-Artikel auf ihn wartete.

Blog-Remix: "wasch.mittel.zart.bitter."

an einem freitag spätnachmittag husche ich, müde und schlecht gelaunt, noch eilig in den discounter meines vertrauens.

nur schnell noch menschen-/katzenfutter, und wein für einen ruhigen abend mit den hoheiten und herzallerliebstem.
ach ja - und waschmittel.
und brötchen fürs hoffentlich besser gelaunte frühstück, morgen.
käse?

natürlich keinen euro klein - und der einkaufswagenchip trampt wahrscheinlich per anhalter durch die galaxis oder treibt sonst was und -wo, jedenfalls ist er nicht an seinem angestammten irgendwo-platz in linus' tape- und knöllchenüberfülltem handschuhfach.

sämtliche "könnten sie eventuell 2 euro wechseln"-versuche werden im keim und durch, mich in meiner missmutigkeit um längen schlagende, mitmenschen (pah!) erstickt.

"friday i'm in love", schießen mir plötzlich "the cure" durch den kopf und in diesem moment würde ich herrn robert smith gerne eins auf die eh schon rotverschmierte fresse hauen.
(so etwas passiert mir übrigens ausserordentlich selten.)

o.k. - dann eben ohne wagen.

rein ins verhasste getümmel und schon beim zusammenraffen der ersten produkte meines begehrs erhasche ich, augenwinklig, am ende des gangs: eine kleine frau, anscheinend wahllos andere menschen ansprechend, welche sich in diesem moment sofort fluchtartig von ihr entfernen.
"oh, nee - bloß keine muttchen, jetzt", denke ich und schäme mich dabei ein bisschen, aber derzeitiger launestatus lässt einfach nichts anderes zu.

inzwischen habe ich beide arme fast voll mit geraffel meiner wahl und bin am ende des gangs angelangt:

bei muttchen.

muttchen hat kein schätzbares alter.
sie geht gebückt, als ob sie unter der last ihrer glasbausteinbrille schier zusammenbricht und möfft ein bisschen. - nach schweiss und voll ausgelasteter "tena lady".
ihr haar ist dünn und fettig. sie selbst scheint recht mager, aber unter der viel zu warmen und schlecht sitzenden kleidung kann ich das nicht mit bestimmtheit ausmachen.

und dann bin ich auch schon dran:

"entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?", spricht sie mich an.

jetzt, mit dieser leisen, brüchigen stimme, erinnert sie mich an ein aus dem nest gefallenes vogelküken, das blind und verzweifelt nach seiner mutter ruft.
in diesem moment moment möchte ich dem kindchen-schema und dem helfer-komplex genauso eins auf die fresse hauen, wie herrn robert smith.

um uns herum gehen die mir bis dato nachfolgenden konsumenten sichtbar erleichtert ihren erledigungen nach.
"zum glück hat'se mich nicht erwischt", denken wohl die meisten.
"schönen dank, ihr idioten.", denke ich.
ich habe keinen bock. echt nicht.
muttchen ist jetzt wirklich das letzte, was ich brauche.

mit einem breit grinsenden - "tse - arme irre... wo ist die denn ausgebrochen..." zieht ein überstylischer schnösel mit seinem schnösel-gegenstück (weiblich) beim anblick meines stinkenden, kleinen glasbausteinvögelchens an mir vorbei. (es ist ja übrigens grade wieder total "in", "schnell nochmal" bei aldi einzukaufen, aber auf die kö nimmt man die tüten anschließend immer noch nicht mit)
in ermangelung eines kragens knirsche ich nur mit den zähnen, statt ihn platzen zu lassen.

"entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?", piepst es wieder neben mir.

ich gebe auf.

"ja, was denn?", frage ich das muttchen, dessen alter ich beim anblick ihrer über meinen katzenfutterbepackten arm lugenden augen nun überhaupt nicht mehr einschätzen kann.
sie seufzt erleichtert auf und piepsbrüchelt: "sha-a-aaampooo...?"
das shampoo steht direkt vor uns im regal. unten.
offensichtlich helfen die glasbausteine auch nicht mehr.

ich seufze ebenfalls, nehme, unter anwendung kunstvollster akrobatik, jeweils eine der drei shampoo-sorten aus dem regal und halte sie ihr hin: "shampoo? - hier: gegen schuppen - für normal und leicht fettend - für coloriert."
mir ist die einzig mögliche antwort klar, doch muttchen schwankt erst noch bedächtig zwischen gegen schuppen und normal (das und leicht fettend lässt sie beschämt aus).
"nein. ich nehme doch das grüne: für normal!", entscheidet sie sich schließlich doch und nimmt mir ganz vorsichtig ihre favorisierte flasche aus der hand, als wärs ein edelstein.

"prima.", seufze ich und schmeiße die anderen packungen wieder zurück.
grade will ich "tja dann..." sagen und weitergehen, als sie wieder ansetzt:
"entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung? ... ist das da duuuschgee-ee-eel?", piepst sie und zeigt auf die badezusätze in 1,5-liter-flaschen.
"nein.", antworte ich. "das ist zum baden. - duschgel ist das hier." (ich zeige auf die flaschen direkt daneben.) "ich nehme immer das gelbe - das ist super für die haut."
"jaaa?", flüstert muttchen und: "dann ne-ee-e-eehm ich das auch."
fast stolz greift sie nach der gelben flasche und klemmt sie sich unter den arm.

"schönen tag noch.", wünsche ich ihr nun und muttchen lächelnd mich an, über ihre brille.
als hätten wir jetzt ein tolles geheimnis.
ich muss nun doch zurücklächeln und habe sie - mir den "die-tena-ist-voll"-möff wegdenkend - fast ein bisschen gern.

ziehe von dannen. - am schnösel vorbei, der grade mit gegenstück gartengeräte begutäugt, die rücken dekadent und abwertend zum toilettenpapier gedreht, das direkt gegenüber aufgebaut ist.
er lächelt mich an, während ich an ihm vorbeigehe. - mit diesem "tja, einer muss es ja machen"-blick, für den ich ihm... (aber das denkt ihr euch sicher schon).

keine minute später höre ich, betont unauffällig über die tiefkühltruhe gebeugt, wie muttchen den schnösel fragt:
"entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?
daaamenbiii-i-i-inden? ... e-e-e-xtra dick?"

fast glaube ich, dass sie mich, klammheimlich und über ihre glasbausteine hinweg, schelmisch anblinzelt, während sie sich bei ihm einhakt und ihn - mitsamt seiner schlagartig aufsteigenden gesichtsröte - richtung damen-hygiene-artikel zieht.

["wasch.mittel.zart.bitter." entstammt der Feder der geschätzten Rebella und existiert auch als Audio-Variante.]

Blog-Remix: Vorwort

Es ist soweit. Heute werden die Ergebnisse des von Herrn Bandini initiierten Blog-Remixes veröffentlicht.
Den Vorgaben entsprechend werde ich nun beide Texte, das entzückende Original "wasch.mittel.zart.bitter." von Rebella und meinen Remix veröffentlichen, auf daß ein vergleichender Blick möglich werde.
Und tatsächlich empfehle ich, auch wenn diversen Lesern das Original nicht unbekannt sein dürfte, sich mit Hingabe beiden Texten zu widmen. Es lohnt sich.

Da jedoch dieser Weblog-Eintrag so eine unerträgliche Länge erhalten würde, erdreiste ich mir, ihn zu zerstückeln, in "Vorwort", "Original" und "Remix" dreizuteilen.
Es sei mir verziehen.

Weniger verzeihbar ist allerdings mein ankündigendes Geschwafel, wenn es denn kein Ende nimmt.

Daher verbliebt mir nicht weiter, als eine angenehme Lektüre zu wünschen und vergnügt in mich hineinzugrinsen.

Mittwoch, 21. September 2005

Über das Doppeltaschentum

Bei niemehrschule fand ich soeben einen Beitrag über das DDT, das dem weiblichen Geschlecht vorbehaltene Mysterium des "Doppeltaschentums".

Über ähnliches machte ich mir heute in der Straßenbahn Gedanken, als ich eine kleine, dicke Frau beobachtete, die mit wollener Strickjacke, fleckiger Jogginghose und weißen Sticksocken unter unförmigen Sandalen recht nachlässig gekleidet war und einen rot-schwarz-gemusterten Rucksack trug, sich aber das Damenhafte bewahrte, indem sie ihre Handtasche [der Riemen befand sich unter denen des Rucksacks] an der Seite baumeln ließ - obwohl "baumeln" vielleicht das falsche Wort ist, krallte sie die Handtasche doch fest, als wäre zu befürchten, daß im nächsten Moment ein bösartiger Handtaschenräuber vorbeieilte, um sie ihr heimtückisch zu entreißen.

Insbesondere weil der Rucksack den Eindruck von Leere und Leichtigkeit erweckte, fragte ich mich, warum sie ihren Handtascheninhalt nicht in ihn füllte - oder ganz auf ihn verzichtete.

Vielleicht liegt die Antwort ja tatsächlich darin, daß Kleinsthandtaschen sehr damenhaft wirken und somit - ebenso wie unbequeme, hochhackige Schuhe - geschlechtsspezifizierende Akzente setzen können, wenn alle Hoffnung schon verloren scheint.

Allerdings muß ich zugeben, der Ansicht zu sein, daß eine Frau auch mit prall gefülltem Reiserucksack bepackt und schweren Springerstiefeln bekleidet sein kann, ohne an Weiblichkeit zu verlieren...

Im übrigen ist ein Freund von mir Besitzer eines Herrenhandtäschchens, etwa in der Art, wie sie auch mein Opa früher nutzte. Und jedes Mal, wenn ich ihn damit sehe, frage ich mich, ob diese Herrenhandtasche mit ihrem um das Handgelenk baumelnden Riemen alberner ist oder mein Rucksack, indem ich nur Kleinigkeiten mit mir herumtrage...

Montag, 19. September 2005

Ihr hundsgemeinen Belästiger!

Ja, natürlich, tut mir leid, ich erwähnte es bereits, doch eigentlich kann und will ich nicht davon ablassen, mich zu wiederholen. Nicht weil ich - wie andernorts heute schon einmal erwähnt - ein großer Lieberhaber von Redundanz bin oder es gar mag, mich unsäglich über nichtige Kleinigkeiten aufzuregen, sondern eher weil es mir wieder und wieder auffällt und die - nicht unerlaubte, aber bisher unbeantwortete - Frage in den Kopf hämmert, ob irgendwer außer mir sich dadurch auch nur ansatzweise gestört fühlt.

Worüber ich schier endlos schwafle?
Na, über die Bibliothek, ist doch klar. Über die Universitätsbibliothek, um genau zu sein, genau jene Bibliothek, in der ich derzeit sitze und - wenn ich mich nicht mal wieder anderweitig ablenke oder mit unsinnigen Nichtigkeiten beschäftige [Das koinsidiert zumeist.] - zu lernen versuche, oder zumindest versuche, mir einzureden, daß es besser wäre, hier, jetzt und auf der Stelle zu lernen.

Ich sitze hier und könnte stundenlang nichts anderes machen, als die nervigen Geräusche aufzählen, die mich umgeben, zuweilen amüsieren, zuweilen ignoriert werden können, zumeist aber meine Geduld und Konzentrationsfähigkeit [Beide sind aufrund eines mir nicht unbedingt zusagenden Lern-Themengebiets nur geringfügig ausgeprägt.] grenzwertig belasten.

Leider hat der Konstrukteur dieser, eigentlich durchaus anmutigen Bibliothek vergessen, daß schlauere Menschen als er in der Vergangenheit einen Grund gehabt haben könnten, Lesesäle zu installieren, die getrennt vom Bibliotheks-Buchausleihbereich ihr geräuschreduziertes Dasein fristen.
Und so kam es, daß nach Bibliotheksbau und -öffnung alle wundersam vom architektonischen Design beeindruckten Bibliotheksnutzer den allgegenwärtigen und leider kaum vermeidbaren Lärmpegel zu beanstanden wußten - doch leider letztendlich nichts geschah, um geräuschreduzierende Maßnahmen in die Wege zu leiten.

Wie auch, sind doch alle vier Etagen der Bibliothek auf kurios-attraktive Weise ineinander übergehend, so daß das laute Klotürklappen im Kellergeschoß noch unter dem Dach vernehmbar wäre, wären die Klotüren klappbar konstruiert worden.
Doch wo sich der Schall ungehindert ausbreiten kann, reibt er sich beide inexistenten Händchen und breitet sich fröhlich aus.

Wenn ich also einen Platz gefunden habe, an dem ich mich niederzulassen und meine Bücher und Hefter über- und nebeneinanderzustapeln gedenke, darf ich mich einer Geräuschkulisse erfreuen, die in ihrer Vielfalt vielleicht beeindruckend, in ihrer Wirkung allerdings wenig angenehm ist. Schließlich werde ich abgelenkt, abgelenkt vom Lernen, abgelenkt vom Lesen - und das, obwohl ich selbst schon für genügend Ablenkmöglichkeiten sorge.

Doch wenn die Laptoptastatur am Tisch hinter mir lustig vor sich hin klappert und das transportable Rechengerät mit lustigen ICQ-Geräuschen zu beeindrucken weiß, wenn das eingängliche Metalldrehkreuz jeden Besucher mit einem typischen, überall vernembaren Rattern begrüßt, wenn die Bücherrücksortierwägelchen der Bibliotheksmitarbeiterinnen gequälte Quietschgeräusche von sich geben und die Zeitungsleser sich nebenan orgiastisch durch die raschelnden Seiten wühlen, wenn Handyklingeltöne und im typischen Schreiflüsterton abgehaltene Gespräche die akustischen Sphären verunreinigen, dann erlaube ich mir, leise zu seufzen und mir das Konzentrationsmaximum abzufordern.

Und tatsächlich, es scheint zu funktionieren: Ich lerne, ich lese, ich widme mich meinem Studium ungeachtet der bedrohlichen Geräusche um mich herum, ungeachtet der Bauarbeiter direkt neben der Bibliothek, deren Kreissägengekreisch das "Komma rüber"-Gebrüll zuweilen zu übertönen vermag, ungeachtet der ständig zu verrückenden Stühle auf allen Etagen, die schleifend den Untergrund malträtieren.
Ich lerne - und freue mich darüber.

Zumindest, bis die erste Frau an mir vorbeiläuft, oder besser: den Gang benutzt, der sich direkt über meinem, in ein Buch vertieftes Haupt befindet. Frauen neigen schließlich zuweilen dazu, Schuhe mit höheren Absätzen zu tragen, deren Geräuschproduktion immens und kaum vermeidbar ist. Ich, dessen Springerstiefel ein typisches, leises Schnallenklimpern von sich geben, fordere keineswegs ein Bibliotheks-Barfußgebot oder die Herausgabe von Geräuschmampfpantoffeln. Ich fodere auch nicht, Frauen aus den Bibliotheken fernzuhalten, um die schuhgeräuschinitiierte Lärmbelästigung zu reduzieren. Das wäre dreist, diskriminierend und lächerlich.

Ich wünsche mir allerdings, und das von ganzem Herzen und schon seit einer graumen Weile, daß der Gang über meinem Haupt endlich und endgültig mit dicker, fetter Auslegware bestückt wird, so daß die albernen Klackgeräusche in weichem Filz-oder-was-auch-immer versinken und sich dort und nicht in meinen neugierig gespitzten Ohren austoben mögen.
Das Problem an klackernden Frauenschuhen besteht schließlich auch darin, daß ich als männliches Wesen immer wieder geneigt bin, diesen Klang mit einer vorbeilaufenden, anmutigen Dame zu assoziieren, die zu betrachten sich lohnen und mich vom Lernen abhalten würde.

Das Problem ist auch, daß nicht nur die BWL-Tussis, die standardmäßig mit hohem Schuhwerk versehen sind und ohne selbiges wohl existenzunfähig wären [Tatsächlich las ich neulich in einem Zitat von Mariah Carey, daß ihre Füße flache Schuhe nicht annehmen würden.], sondern vorwiegend und vor allem die sich stets im Gebäude befindlichen Bibliotheksmitarbeiterinnen ihre Füße mit dem lautesten, für meine Ohren unerträglichsten Material zu bedecken, um stolz und holprig durch die Gegend zu staken und zusammen mit ihren gleichfalls lautstark klackenden Kolleginnen die Etagen zu wechseln und sich - mal wieder - einen Kaffee oder eine Zigarette zu genehmigen und dann lachend, schwatzend und mit den Füßen lärmend an ihre Plätze zurückzukehren und mich zu stören, ja eigentlich sogar zu nerven.

Sicherlich, es wäre ein leichtes, meine Ohren zu verhüllen, mir Musik in die Gehörgänge zu stopfen und alle Außengeräusche in die totale Ignoranz zu verbannen. Doch zum einen könnte ich mich dann nicht mehr echauffieren und kilometerlange Texte verfassen und zum anderen kann ich mich schwer auf hochfrequenztechnische Aspekte des Lebens konzentrieren, wenn die besten Songs aller Zeiten durch meinen Kopf und somit auch durch meine Gedanken rinnen und alle paar Sekunden von ablenkenden Assoziationen begleitet werden.

Tatsächlich verweile ich in der Bibliothek, um zu lernen, um nicht Musik zu hören, um nicht am Rechner zu verweilen, um nicht in bellestristischen oder comichaften Genialitäten zu schmökern, um mich nicht wie zu Hause zu fühlen, um mich nicht abzulenken, nicht ablenken zu lassen. Doch leider sorgt der Biblitoheksklangteppich für ausreichend Ablenkung, sodaß ich alle zwei Minuten damit beginnen könnte, mir Gedanken über die diversen Geräusche und ihre Ursachen, über ihre Vermeidbarkeit und Sinnlosigkeit und über die mit ihnen verbundenen Bilder und Erinnerungen zu machen.

Und auch der Bibliothekseingangswächter, der mit streng musterndem Blick und penetranten Kontrollgängen für Recht und Ordnung sorgt und verhindert, daß auch nur ein einziger Bibliotheksbenutzer irgendwelche Speisen oder Getränke zu sich nimmt, vermag mich nicht zu trösten, sondern stachelt nur meinen Unmut an, weiß er doch nichts zur Verbesserung der bibliotheksunwürdigen Geräuschsituation beizuträgen, sondern nur spitzelnd durch die Gänge zu schleichen, als wären wir allesamt Verbrecher, Monster oder Schlimmeres.

"Warum hat die Bibliothek Geld für einen solchen Kontrolleur, aber nicht für ausreichend Teppichboden? Und warum kontrolliert der neugierige, sicherlich gewissenhafte, aber höchst unsympathische Kerl nicht mal die Bibliotheksmitarbeiterinnen, mißt nach, ob deren Absätze auch den Normbedingungen für Beschäftigtenschuhwerk Deutscher Universtätsitätsbibliotheken [NBfBSDUB] genügt oder diese an Länge und Geräuschinitiiation bei weitem überschreitet?", frage ich mich, ein Stück verbotener, zartschmelzender Schokolade auf meiner Zungenspitze ersehnend - und lerne weiter, krampfhaft bemüht, mich auf nichts anderes als meine Studien zu konzentrieren und jedes störende Geräusch mit hartnäckiger Ignoranz zu bekleben.

Doch ich horche auf, unterbreche mich. Über mir stolziert schon wieder ein Paar Steptanz-Hackenschuhe den ungedämpften Gang entlang. Empört sehe ich nach oben, will die gemeine Übeltäterin samt ihrer störenden Schuhe mit einem vernichtenden, hundsgemeinen Blick strafen - und wundere mich.
Denn die bösartige Gangläuferin, die gemeine Lärmbelästigerin, ist ein Mann, ein maskuliner Störenfried, ausgestattet mit modischem, schwarzglänzendem Schuhwerk.

Unfähig zu entscheiden, ob ich lachen oder verbissen vor mich hin grummeln sollte, stehe ich auf, gehe mit leise klimpernden Schnallenschuhen nach unten und entlocke dem Cafeteria-Automaten eine Tafel köstlicher, zartschmelzender, besänftigender Schokolade.

[Im Kopf: Depeche Mode - "Enjoy The Silence"]

Zu Besuch

Noch vor wenigen Monaten betrachtete ich dieses winziges Stückchen Erde, diesen grauen, kalten Stein, als etwas Fremdes, als einen unbedeutenden Ort, ohne wirklichen Bezug zu mir - oder zu meinem Vater. Bei der Beerdigung lachte ich traurig in mich hinein: 'Was soll ich hier? Das ist nicht mein Vati.'
Wie sollte ich, wie sollte irgendwer, begreifen, daß derjenige, den ich liebte, der mich zeugte, zu staubiger Asche verbrannt, in einem Metallgefäß verwahrt in dunkler Erde verschachert wurde? Wie sollte ich begreifen, daß fortan unter dem gravierten Mamorstein eine Flut aus Vergangenheiten, Erinnerungen, Gedanken und Bildern begraben liegt? Ich konnte es nicht, kann es noch immer nicht.

Bin ich nur Begeleiter, nur Fahrer, der meine Großmutter, meine Mutter, zum Friedhof bringt, mit ihr zusammen das Grab von Stöckchen und verwehten Blättern bereinigt, mit klarem, kalten Wasser begießt und den sorglos rankenden Blütenschmuck sorgsam pflegt, dann wünsche ich mir, alleine zu sein, wünsche ich mir, in Stille gekehrt verweilen zu können, um am Grab zu stehen, zu denken, zu reden. Ich wünsche mir, für einen Moment innezuhalten, mich zu erinnern, Tränen auf meiner Wange zu spüren.
Wir jedoch eilen weiter, erledigen, was als notwendig erwachtet wird, kehren zum Auto, nach Hause, zurück.
'Ich vermisse dich.', denke ich dann lautlos in Richtung des Grabes.

Heute bin ich allein. Umrankt von Sonnenschein und herbstlich von den Bäumen blätterndem Laub wirkt der Friedhof angenehm, fast schön. Einen Augenblick lang spiele ich mit dem Wunsch nach einer abgelegenen Bank, auf der ich sitzen und im Augenblick verharren könnte, in mich gekehrt, in Gedanken bei meinem Vater verweilend.

Noch vor wenigen Monaten hätte ich mich gewundert ob dieses Wunsches, hätte mir zu verstehen gegeben, daß mein Vater nicht dort ruht, nicht unter den lächerlichen 80x80 Zentimetern Erde, sondern allein in meinem Herzen, in meinem Geist, weilt.

Ich stimme mir zu. Meinen Vater an seinem Grabe zu suchen, ist falsch, unsinnig.
Und doch ist der Friedhof der Platz, an dem ich die Ruhe, die Besinnung finde, um mich ihm in meinem Herzen, in meinem Geiste, zu nähern. Als ich zum Grabplatz laufe, ertappe ich mich dabei, wie ich bereits Worte suche, die ich an meinen Vater wenden möchte. Ich lächle und spüre zugleich die Tränen in den Augen.

Der Anblick des Grabsteins betrübt mich. Liebevoll entferne ich jedes herabgewehte Blatt, gieße die gedeihenden Pflanzen, hinterlasse ein sauberes, gepflegtes Grab.

Doch das ist es nicht, weswegen ich hierherkam. Nicht ausschließlich.

Mir fällt schwer, den Mund zu öffnen, die vorbereiten Worte in die warme Herbstluft gleiten zu lassen. Die Wege sind zu eng, die Nähe zu anderen, frmeden Gräbern zu groß. Irgendwo schmimpft eine alte Frau mit ihrem Mann, entfacht eine kleine Diskussion, lenkt mich ab von mir, von meinen Gedanken.

Ich rede trotzdem, leise nur, als könnte ich für verrückt gehalten werden, erzähle von meiner Mutti, erzähle von mir, verspreche durchzuhalten, nicht aufzugeben, verspreche es mir selbst.

Die Tränen sind nah, doch fließen nicht. Ich bin nicht bei mir. Zuviel Äußeres, zuviel Fremdes, Anderes.
Für einen Moment wünschte ich mir, an einen Himmel glaube zu können, um meine Worte, meine Gedanken, dorthin zu richten. Doch ich kann nicht, stehe auf, verabschiede mich leise und gehe.

'Noch immer fehlt mir die Beziehung zu diesem Ort.', stelle ich fest - und weiß nicht, ob ich darüber glücklich oder traurig sein soll.

Rot-Blau-Violett-Grün-Gelb

Nun muß es doch noch einmal sein. Politik, meine ich. Aber nur kurz.

Die Frage, die sich jeder stellt, ist, wer zusammen mit wem regieren wird. Wir fassen zusammen:

Die Linkspartei.PDS will mit niemandem koalieren, sondern freut sich auf die Opposition. Das trifft sich gut, weil sich wohl keine Partei gefunden hätte, die mit ihnen zusammengegangen wäre. Paarungen wie Rot-Rot-Grün entfallen also.

Ebenso entfallen natürlich Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Dafür reichte es einfach nicht.

Ampel: Rot-Gelb-Grün. Geht nicht. Die FDP erklärte sich zum Rot-Grün-Abschaffer und will nichts mit denen zu tun haben. Auf keinen Fall. Niemals.

Schwampel / Jamaika-Koalition: Schwarz-Gelb-Grün. Klingt machbar. Allerdings müßte dann der Herr Fischer seinen Außenministerposten hergeben, weil dieser vermutlich der stärkeren FDP zugespielt werden würde. Vermutlich würde ihn das stören.
Im übrigen sind die Unterschiede von Grün zu Schwarz bzw Gelb doch enorm, so daß diese Koalition eher eine verkrampfte Notwendigkeit wäre, nicht eine grundsätzliche Einigung im Einverständnis aller.

Große Koalition: Schwarz-Rot. Wird von allen [Medien] als am wahrscheinlichsten angenommen. Aber Schröder will nicht gehen, will Kanzler bleiben, erst recht in einer Großen Koalition. Die CDU/CSU hat aber die Wahlergebnis-Nase vorn, so daß sie den Kanzler, besser: die Kanzlerin, stellen dürfte/könnte/sollte.
So richtig scheint auch diese Variante nicht zu funktionieren, insbesondere weil es die ist, die wohl vom "Volk" am wenigsten akzeptiert werden wird.

Fazit: Irgendwie scheint nichts zu passen, niemand zusammenzugehören. Vielleicht sollte Deutschland ohne Regieriung weitermachen. Oder die bisherigen Wähler durch vernünftige ersetzen.

Es geschieht nicht oft, daß mich Politik amüsiert...

P.S.: Erstaunlich, wie stark die Anzahl der Google-Suchergebnisse für das Wort "Schwampel" in den letzten Tagen stieg.

P.P.S.: Ach ja, und daß ziemlich wahrscheinlich ist, daß erstmals eine Frau Bundeskanzler[in] werden wird, scheint auch niemanden mehr wirklich zu interessieren.
Die Welt ist wirr.

P.P.P.S: Als nicht minder amüsant erachte ich den Umstand, daß säntliche Prognosen, mit denen man alle zwei Minuten zugeschüttet wurde, unsinnig bzw zumindest überflüssig waren. Hätte ich ins Blaue hineingeraten, hätte ich vermutlich auch nicht viel falscher gelegen.
Ich war schon immer etwas skeptisch, was Statistik angeht und freue mich darüber, darin bestätigt zu werden.

[Im Hintergrund: The Dresden Dolls - "The Perfect Fit"]

Donnerstag, 15. September 2005

Blog-Remix und so

Obgleich ich längst dem Alter entwuchs, der einen zwingt, an jedem neuen Trend unbedingt teilhaftig sein zu wollen, kann ich mich eines gewissen Reizes nicht erwehren, der vom in der Blogosphäre [Habe ich je erwähnt, daß mir dieses Wort mißfällt?] derzeit aktuellen Blog-Remix ausgeht.

Dieser wurde von Herrn Bandini in die Welt gesetzt, bei dem auch alle notwendigen Informationen [nämlich diese und jene] auffindbar sind.

Ich selbst entschloß mich dazu, Rebellas Text "wasch.mittel.zart.bitter." zu erwählen und zu remixen.

Gleichzeitig [obgleich das Anmeldedatum schon ein wenig überschritten ist] biete ich zwei meiner kurzgeschichtlichen Werke dar, auf daß irgendjemand sie mit einem Remix versehen möge:

- "Make-Up" und
- "Motten"

[Die Anmeldung erfolgt über Herrn Bandini, was mich jedoch als Kontaktperson für Fragen und Sorgen nicht ausschließt.]

Und so.

Mittwoch, 14. September 2005

Kontoauszugsdruckerquälerei

In Anbetracht dessen, daß ich es schon seit Jahren vorziehe, meine Bankgeschäfte online zu vollziehen, erscheint mir die Erfindung der Kontoauszugsdrucker nur insoweit sinnvoll, als daß die an diesen Maschinen abrufbaren Kontodaten online nur über einen begrenzten Zeitraum verfügbar sind.

Um also auch in Zukunft einen Blick in meine finanzielle Vergangenheit werfen zu können, bedarf es bedruckten Papiers und somit eines gelegentlichen Gangs zu einer nahegelegenen Bankfiliale, in der ich den Kontoauszugsdrucker hämisch grinsend mit meiner Bankkarte füttere.

Schließlich weiß ich schon jetzt, was passieren wird:
Der Drucker wird arbeiten und arbeiten, laute mechanische Geräusche von sich geben, seine intensive Tätigkeit bezeugend, wird kaum bemerkbar hin- und herruckeln und ein Blatt nach dem anderen ausspucken, solange, bis der Kontoauszugsauswurfschlitz überfüllt ist und ich zur Entnahme der bisherigen Ausrucke aufgefordert werde.
"Es folgen weitere.", verkündet mir die Anzeige und ich grinse weiter in mich hinein.

Allmählich wird mir langweilig. Ich wandere in der Bankfiliale umher, betrachte den aushängenden Plakate, sehe immer wieder zum Drucker, der emsig vor sich hinrattert, entdecke, daß dieser auch mit Braille-Schrift versehen ist und versuche vergeblich, mit geschlossenen Augen die einzelnen Buchstaben zu ertasten.
Ich weiß, wie sich ein "O" aussieht, doch erkennne es nicht unter meinen Fingern.

Die Bankkarte springt aus dem Schlitz, die letzte Seite wird gedruckt und - bereichert um einen dicken Papierstapel aus Kontoauszügen -begebe ich mich auf den Heimweg.

[Im Hintergrund: VAST - "What Else Do I Need"]

Montag, 12. September 2005

Wahlkampfslogansuperlativ

Nachdem mir der CDU-Wahlkampfslogan "Besser für die Menschen" schön öfter ein Dorn im Auge gewesen war, bemerkte ich heute einen ähnlichen: "Besser für unser Land." und muß das - auch wenn das Thema Politik/Wahlkampf/sinnlosePlakate sicherlich alle Lesenden [und vermutlich auch mich selbst] allmählich zu nerven beginnt - noch einmal kurz ausbreiten:

"Besser für die Menschen." hört sich schrecklich an, fast so, als wären andere gemeint, nicht wir, nicht die in diesem Land Lebenden, sondern jene dort, dort drüben, jene, die sich - vermutlich im Gegensatz zu uns [zu mir] - "Menschen" nennen dürfen.
Kurz: Ich fühle mich nicht angesprochen, lese ich diese Worte.

Diesen Umstand hat man mit "Besser für unser Land." zu korrigieren versucht, doch eignet sich der Spruch in Kombination mit der riesigen Deutschlandflagge im Plakathintergrund durchaus auch als Slogan für politisch rechtslastig orientierte Parteien.
Die CDU wird somit ersetzbar, insbesondere weil mit "Besser für.." keinerlei Botschaft vermittelt wird.
Denn die Frage, die sich mir immer wieder stellt, lautet: Besser? Besser als wer? Als die SPD? Als menschenfressende Mars-Ungeheuer mit messerscharfen Dornenklauen und tödlichem Giftgeifer? Das mag durchaus sein...

Überhaupt mißfällt mir der Komparativ: 'Wir sind nicht nur gut; wir sind besser.
Sicherlich werden dadurch alle übertrumpft, die von sich behaupten, "gut", "richtig gut" oder gar "unglaublich gut" zu sein, ist doch die Steigerungsform dazu geeignet, sich selbst vom gesamten gewöhnlich-guten Rest abzuheben und zu verlautbaren, daß man selbst, die eigene Partei - im Vergleich mit nicht erwähnten anderen - etwas Besonderes darstellen will.

Doch man vernachlässigte beim Plakatentwurf einen wichtigen Fakt: Es gibt noch eine zusätzliche Steigerungsform, den Superlativ [mit betontem E].
Wenn also die CDU "besser" ist, wer ist dann "am besten"? Hat sich die CDU nicht getraut zu behaupten, sie seien die Besten? Waren sie tatsächlich bei der Fomulierung des Wahlkampfslogans der schüchternen Ansicht, daß es welche gibt, die besser sind als sie, die besser als "besser" sind?
Will die CDU uns gar damit sagen, daß eine andere Partei, vielleicht gar die SPD, sie mit Leichtigkeit überflügeln könnte?

Und mir fällt noch ein weiterer Trumpf ein:
Latinisiert man "am besten", so erhält man "optimal". Das hört sich noch beeindruckender an als "am besten", so daß also, sollte die SPD irgendwann entscheiden, den CDU-Slogan "Besser für ..." mit "Am besten für..." zu kontern, irgendwer die Frechheit besitzen könnte, zu behaupten, er oder seine Partei sei "Optimal für..."
Das haut rein und läßt selbst das "am besten" lächerlich aussehen. Und der "Besser für"-Slogan der CDU wirkt dagegen wie Kinderkacke.

Doch das ist noch längst nicht alles, was geht. Denn schlechtes Deutsch gelangt allmählich in alle sprachlichen Bereich und sollte keineswegs vor Wahlplakataufschriften haltmachen.
Wenn mich also eine beliebige Partei XYZ anspräche, ich möge doch - selbstverständlich gegen entsprechend umfangreiche Bezahlung - mir einen genialen, ja ultimativen, Slogan ausdenken, mit dem man deutlich, ja überdeutlich, signalisisieren könnte, daß alle anderen Parteien null und nichtig, wertlos und abgedroschen, unnütz und albern seien, dann zückte ich kurz meinen Stift und krakelte siegesgewiß grinsend auf ein beliebiges Stückchen Papier folgende Worte:

"XYZ - Am optimalsten."

[Im Kopf: Agathodaimon - "Chapter III"]

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