Wortwelten

Freitag, 2. September 2005

Merkel in Magdeburg - Pseudo-Live-Blogging

Live-Blogging auf Papier. Mein Notizbuch und ich befinden sich auf dem Magdeburger Domplatz, wo in wenigen Minuten Frau Dr. Angela Merkel ihren Wahlkampfauftritt zelebrieren wird. Ihr Tourbus steht nicht hinter der Bühne, sondern neben ihr, seitlich von ihr, so daß mit blauen ["Wechsel wählen"] oder orangefarbenen ["Angie"] Schildern bewaffnete CDU-Groupies ihr Geleit von der Ruhe- zur Redeposition geben können.

Die ersten beiden Redner ergreifen das Wort. Der erste, ein mir Unbekannter, schreit in das Mikrophon, glaubt vielleicht, dadurch besser anzukommen. Sein Schnauzbart wirkt nicht minder unattraktiv als sein ständiges "Meine Damen und Herren", bis zu zwei Mal pro Satz. Ich kann es nicht mehr hören. Gleich raste ich aus...

Der zweite Redner benutzt Fußballsprache. Von Trainerwechsel ist die Rede. Die Metaphern gehen in ihrer Penetranz ineinander über und sollen wohl nur eines verdeutlichen: Bernd Heynemann, Magdeburgs CDU-Spitzenkandidat und bereits im Bundestag tätig, war einst Schiedsrichter. Und genauso wird er auch vorgestellt, nicht als Amtsperson, sondern als "unser Schiedsrichter". Nun ja.

Was will eigentlich Christoph Bergner, Hallenser CDU-Kandidat, hier? Er wird doch sowieso nicht reden [dürfen]. Mein Hallenser Freund M würde mir an dieser Stelle mal wieder mitteilen, daß sein Vater einst mit Christoph Bergner zusammen im Trabi fuhr.

Bevor es hier losgeht, ein kleiner Rückblick:
Auf dem Weg zum Domplatz wurde ich von einem Polizisten angehalten, der meinen Rucksack auf gefährliche Waffen oder ähnliches durchsuchen wollte. Vielleicht war ich ihm in meiner schwarzen Kleidung mit der Bombenlegerfrisur besonders verdächtig vorgekommen. Vielleicht sah er mir aber auch an, daß ich aus der Stadt stammte, in der Helmut Kohl einst mit Eiern beworfen worden war.
Er erledigte seine Arbeit gründlich, supergründlich, gründlicher als ich es jemals - selbst bei Flughafenkontrollen - erlebte. Und schnell wurde er in dem Krimskrams der vielen einzelnen Taschen fündig: eine Batterie, ein hochgefährliches Wurfobjekt.
"Können Sie haben.", meinte ich freimütig. Schließlich war die Batterie leer. Doch er stopfte sie nach eingehender Betrachtung wieder in den Rucksack.
In der Vordertasche fand er ein anderes potentielles Mordwerkzeug: ein Felgenband.
Für alle, die nicht wissen, was das ist: Ein Felgenband legt man auf die Innenseite einer Fahrradfelge, damit der Schlauch nicht auf dem blanken Metall aufliegt und sich dort aufreibt. Es hat demnach den Durchmesser eines Fahrradreifens, eine Breite von vielleicht anderthalb Zentimetern und besteht aus Gummi. Die ultimative Mord- und Anschlagswaffe also.
"Was ist das?", fragte der grüne Mann, und ich erklärte es ihm.
"Brauchen Sie das noch?", fragte er.
"Ja, auf jeden Fall.", meinte ich, um mein schönes Felgenband besorgt.
Er fragte bei seinem Kollegen um Rat. Der zuckte mit den Schultern und ließ mich und mein gefährliches Band gewähren.
Mein gewissenhafter Untersucher gab nach, ließ uns weiterziehen, eilte dann aber hinterher, begleitete mich. Scheinbar wollte er mich zu seinen Kollegen bringen, die am Domplatz Stellung bezogen hatten.
Dort angekommen wechselte er einige Wort mit ihnen. Sie interessierten sich allerdings weder für ihn noch für uns.
"Dürfen wir jetzt gehen?", fragte ich.
"Jaja.", meinte er mürrisch.

Eine Frage stelle ich mir in Anbetracht der mir unbekannten Politiker:
Wo ist eigentlich Ministerpräsident Böhmer?

Die Schilder "Wechsel Wählen" und "Angie" nerven. Die Trillerpfeifen sind ebenso allgegenwärtig wie die schrecklich sektenhaften CDU-Jünger.

Als "Frau Dr. Angela Merkel", wie sie mehrmals angekündigt wird, aus ihrem Tourbus kommt, vernehme ich erstaunlich wenig Applaus. Warum auch? Sie wird zwar als zukünftige Bundeskanzlerin vorgestellt und von den Sekten-Wahnies frenetisch begrüßt, doch hat sie noch nichts wirklich Erwähnenswertes geleistet, das die Massen zum Toben bringen könnte.

Nach den beiden, bereits erwähnten, Vorrednern ist sie endlich an der Reihe. Sie stottert, verspricht sich, datiert die Wahl auf den 17. September, meint aber "in 17 Tagen", erntet Hohn und Spott.
Ihre Rede beginnt erstaunlich langweilig, was mir Gelegenheit gibt, die Vorband der Wahlkampfveranstaltung zu erwähnen.

Die Partymusikkopiermusikgruppe "Undercover" hatte vergebens versucht, mittels üblicher Partysongs die Stimmung hochzupuschen. Doch Wolfgang Petry und die [alte] Neue Deutsche Welle waren genauso wenig dafür geeignet wie die unschöne Choreographie der Coverband.
Ich glaube, selbst Roland Kaiser von der SPD war besser als diese Hampelmannformation.

Den Wunsch, hier politische Erkenntnisse zu erhalten, muß ich wohl begraben. Denn an dieser Stelle ist Politik Party und Polemik. Nicht gerade das Wahre, das ich ersuchte.

Frau Merkel stottert viel zu viel. Bei fünf Versprechern habe ich aufgehört zu zählen. Es ist erschreckend, was für eine schlechte Rednerin sie ist - nicht zuletzt im Vergleich mit Herrn Fischer und Herrn Schröder.
Ich kann nicht umhin, die bisher vermittelten Inhalte als "Stammtischrede" zu klassifizieren.

Warum redet eigentlich "unser" Bernd Heynemann nicht?

Frau Merkel meint, Eichel muß weg und argumentiert konzeptlos à la "Nieder mit dem König. Es lebe der König." Hauptsache, er ist erstmal weg.

Im Publikum befinden sich, ebenso wie bei Herrn Schröder die omnipräsenten Hartz-IV-"Montags"-Demonstranten. Zum Glück behindern ihre untransparenten Transparente mir diesmal nicht die Sicht. Dafür sorgen allerdings die bereits erwähnten "Angie"-/"Wechsel wählen"-Schilder. Immerhin können auch dynamische CDU-Jünger nicht stundenlang beide Arme heben.

Wow. Ich überlege gerade, ob ich nicht besser SPD statt der Grünen wählen sollte - und das während Frau Merkels Wahlkampfrede. Das spricht nicht unbedingt für sie.

Frau Merkel: "Wir haben in Deutschland keine Bodenschätze. Der Schatz unseres Landes sind die Menschen."
Andere Länder haben wohl demnach keine Menschen? Oder sind das dann alles Untermenschen?

Die Rede fällt in die Kategorie "Stupidity Hoch Zehn": Dort, wo die CDU ein Bundesland regiert, verbessern sich sofort die PISA-Ergebnisse.

"Angie" wird zunehmend sicherer. Sie scherzt und zieht Publikumssympathien auf ihre Seite. Vielleicht hat sie allmählich ihren Redefluß gefunden.

Ihre Rhetorik ist dennoch mies. Schlechter Satzbau, noch schlechtere Wörter. Wer benutzt schon mehrmals "die allermeisten"?

Ihr Appell für die Gentechnologie in Deutschland erntet Applaus. Ich schüttle angewidert mit dem Kopf. Sie redet von "weißer Gentechnik", als gäbe es eine simple Einteilung in "gute" und "böse" Gentechnik, in weiße Magie, die Heilzwecken dient, und schwarze Magie, die Dämonenbeschwörungen vorbehalten ist.
[Außerdem erwähnt sie Sachsen-Anhalt als [ehemaligen] Chemiestandort und meint, daß dadurch die Grundlagen für die Genforschung geschaffen seien. Ist Gentechnik nicht eher Biologie als Chemie?]

Während der Rede ertappe ich mich, wie ich in alten Notizbucheinträgen schmökere. Disziplin!

Die geplante Erhöhung des Steuerfreibetrages [auf 8000 Euro für Erwachsene und Kinder] bedeutet für eine vierköpfige Familie, daß sie, wenn sie weniger als 32000 jährlich verdient, keine Steuern zu zahlen braucht, behauptet Frau Dr. Merkel.
Keine Steuern? Das ist ja wohl ein Witz. Sofort fällt mir nicht nur die Tabaksteuer und dergleichen, sondern auch die geplante Mehrwertsteuererhöhung ein.

Angela Merkel lächelt und wirkt zum ersten Mal sympathisch. Ich bin beeindruckt.

Die vielen Kosten, die vom Bruttolohn abgehen, sollen mittels der Erhöhung der Mehrwertsteuer gesenkt werden. Das erntet Pfiffe und Buhrufe aus dem Publikum, die Frau Merkel spöttisch abtut.
Ab Januar 2001 soll das, im Falle eines Wahlsieges, verwirklicht werden. Vermutlich ist eine Mehrwertsteuererhöhung in den nächsten Jahren sowieso nicht aufzuhalten. Bin gespannt, was nach einem CDU-Wahlsieg tatsächlich geschehen wird.

Schon wieder derselbe Spruch über Kanzler Schröder und die SPD: "Versprochen - gebrochen". Langsam nervt's.

Von der Bühne schwappt so etwas wie Aufbruchsstimmung, der Wechselgedanke, herüber. Respekt an Frau Merkel.

Vor mir, innerhalb des riesigen abgezäunten Areals tigert eine Fotografin umher und ordnet fingierte Fotos von jugendlichen Schildhochhaltern an.

Langsam wird es zu dunkel zum Schreiben. Auch der Stift hat allmählich keine Lust mehr und wird - um mal in der vorhin erwähnten Fußballsprache zu bleiben - ausgewechselt.

Thema Sicherheit: Frau Merkel fordert Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Protestrufe belächelt sie: "Jaja, ich weiß, wer da jetzt protestiert."
Als wären alle Videoüberwachungsgegner potentielle Missetäter, die nur durch die Überwachung von ihren Untaten abgehalten werden würden.
Auch erwähnt sie den Erfolg der Terroristenfahndungen von London als Pro-Argument, vernachlässigt aber, daß sämtliche Kameras für Terrorprävention ungeeignet gewesen waren.

Dann erzählt sie die wahrlich schlechte Geschichte von Herrn Ströbele von den Grünen, dessen Fahrrad vor dem Reichstag gestohlen worden war und der sich in seinem Wunsch, den Dieb zu finden, an die Reichstagsvorplatzkameraüberwacher wandte. Erfolglos übrigens. Der Geschichte fehlte jeder Witz, jede Pointe.
Und ich frage mich, ob fortan jeder alberne Fahrraddieb Berechtigung geben soll, die Winkel unserer Städte und Dörfer genauestens zu überwachen.

Dann lamentiert Frau Merkel über diejenigen, die "in ihren Moscheen oder sonstwo Haßpredigen gegen den deutschen Staat" von sich geben. Ihr Tonfall in Kombination mit dem Gesagten wirkt äußerst aggressiv. Von christlicher Nächstenliebe ist kaum etwas zu spüren. Eher von kaschiertem Fremdenhaß. Eine unvorsichtige Wanderung nahe des Abgrunds.
[Ist Brandenburg, Frau Merkels Heimatland, nicht eine Hochburg der Rechten?]

Anschließend redet Frau Merkel über "die anderen", verfällt erneut einem bissigen und fast schon bösartigen Tonfall, arbeitet mit schamlosen Unterstellungen und albernen Behauptungen wie der, daß Politiker gefälligst nicht zu lachen haben - erst recht nicht auf derart überdimensional großen Plakaten wie die von den Linken.

Merkel redet weiter. 'Oh mein Gott.', denke ich mir, ' Soviel Stumpfsinn habe ich schon nicht mehr gehört.'

"Neuwahlen gibt's, weil keiner auf Schröder hört."
Was für eine alberne Vereinfachung.

Ich stelle nebenbei fest, daß der Magdeburger Dom auch in Dunkelheit wunderschön aussieht.

Schon wieder spielt Frau Merkel auf die CDU als Partei der Einheit an. Es nervt.

"Oppositionsarbeit" - was für ein Wort.

"Ich gebe keine Versprechen, die ich nicht halten kann."
Nun ja, wahrhaft viele Inhalte hat sie meiner Erinnerung nach auch nicht rübergebracht.

Von irgendwo klatschen Menschen immer wieder. Doch die Leute um mich herum halten still, bewegen sich nicht. Vielleicht stammt das Klatschgeräusch ja von Band.

"Deswegen bitte ich Sie, Ihre Stimme der Christlich Demokratischen Union zu geben"
"Niemals!", schreit eine einzelne Stimme aus dem Hintergrund.

Frau Merkel spricht davon, daß es Zeit wird, daß die einzelnen Bundesländer "die rote Laterne abgeben" und führt Sachsen-Anhalt als Erfolgsbeispiel an. Allerdings: Irgendein Bundesland muß die rote Laterne doch haben. Das geht gar nicht anders.

Neben mir steht ein alter Mann mit weißem Haar, hat die ganze Zeit über den Kopf gesenkt, klatscht nicht. Er spricht mich an:
"Sie hätten wohl ne Stirnlampe haben müssen."
Als ein Platz im Licht frei wird, weist er ihn mir zu. Ich bedanke mich lächelnd.

Frau Dr. Angela Merkel beendet ihre Rede ohne großen Höhepunkt, ohne Feierlichkeit. Die Menschen wenden sich ab und gehen. Doch Bernd Heynemann spricht noch ein paar Worte. Das hätte ich nicht mehr erwartet.

Leider erzählt er nur Müll. Er berichtet davon, daß die Prinzen zu Schröders Wahlkampfveranstaltung in Dresden ihren Top-Titel "Chronisch Pleite" nicht singen durften.
Top-Titel? Ich kenne ihn nicht.

Mit Musiktiteln geht es weiter und mündet in den Gedanken, daß die Scorpions aus Hannover einst einen Song schrieben, der auch für den 18. September herhalten könnte: "Winds Of Change", das Wendelied mit dem Pfeif-Intro.
Albern hoch Zehn.

Oh mein Gott. Das Lied der Deutschen.
Und nochmal: Oh mein Gott. Während wir fliehen, spielt Undercover noch einen Klassiker: "Angie" von den Rolling Stones.
Das hätte nun wirklich nicht sein müssen.

Natürlich muß ich mich mit der Frage auseinandersetzen, ob Schröder und Fischer, bloß weil sie wesentlich bessere, überzeugendere Redner sind, auch bessere Politik machen. Auch sollte ich mich fragen, inwieweit die von Frau Dr. Angela Merkel angesprochenen Reformen das Land vorantreiben können und ob Rot und Grün zu ähnlichem imstande sein werden.

Doch bedeutsamer für mich ist es festzustellen, daß es genug CDU-Inhalte gibt, mit denen ich mich nicht identifizieren kann, so daß meine bereits getroffene Wahlentscheidung durch diesen Auftritt eher bestärkt als erschüttert wurde.

Selbst der Ohrwurm "Angie", der mich noch Stunden später belästigte, vermochte das nicht zu ändern.

Donnerstag, 1. September 2005

Über das politische Desinteresse

Generelles politisches und historisches Desinteresse war schon immer einer meiner Wesenszüge, die zu verleugnen mir stets unglaublich schwer fiel, insbesondere weil ich nicht umhin konnte, jederzeit freimütig zuzugeben, daß ich von Nichts eine Ahnung hatte - und habe.

Schon im zarten Alter von zehn Jahren drängte mich mein besorgter Vater dazu, damit zu beginnen, Zeitungen zu lesen, nicht alles, nur hin und wieder ein Artikel, eine Seite, damit ich ein Gespür für den Stil, die Art und Weise bekäme. Er selbst war übrigens derjenige in unserer Familie, der am lautesten über die oft hohlen Inhalte des lokalen Tagesblattes schimpfte.

Bis heute lese ich keine Zeitung. Das hat weniger mit Zeitmangel als mit Unlust zu tun. Obgleich ich immer wieder von meinem Vater angestachelt worden war, interessierte ich mich maximal für den samstäglichen Käptn-Blaubär-Comic [der tatsächlich oft sehr amüsant war].

Ich probierte es mit der Bild [war ja klar, daß das nichts wird], mit den lokalen Blättern von Halle und Magdeburg [Mitteldeutsche Zeitung und Volksstimme], mit der Welt [Das Abo war ein Geschenk des Springer-Verlages an meine damalige Mitbewohnerin.], mit der FAZ [Mein Mitbewohner hatte sie abonniert.] und der Zeit [Ein Gemeinschaftsabonnement zweier Mitbewohner.]. Doch ich las nicht, interessierte mich doch zu wenig.

Begann ich irgendwo, stellte ich schnell fest, daß mir die Hintergründe fehlte. Bis heute vermag ich nicht genau zu erklären, was genau in Israel eigentlich los ist.
Doch ich habe nicht den Willen, den Ehrgeiz, dieses fehlende Wissen zu beseitigen, ist mein Interesse nicht derart stark ausgeprägt, daß ich mich durch seitenweise Geschichte und politische Verknüpfungen und durch unzählige unbekannte Namen und Orte kämpfen kann oder möchte.

Es muß erst ein ungewollter Irakkrieg kommen, der mit seiner Medienpräsenz zum Nachdenken und Hinterfragen einlädt, um mich davon zu überzeugen, daß es besser sei, sich zu informieren. Und tatsächlich informierte ich mich bei Ereignissen wie diesen, lobte das Internet für seine Medienbestände, für die Zusammenfassungen und Zusammenhangsdarstellungen, lobte mich für meine Beständigkeit, was das Verfolgen neuerer Berichte anging.
Doch schnell ebbte auch dieses Interesse ab, und ich verfiel meiner alten Ignoranz von Politik und Geschehen.

Glücklicherweise ist es mit dieser aber nicht allzu weit her, gewöhnte ich mir doch längst an, täglich eine geraume Weile online Neuigkeiten aller Welt zu betrachten, meine Blicke über Schlagzeilen und ergreifende Bilder schweifen zu lassen und bei geweckter Neugierde auch die entsprechenden Artikel zu lesen.

Und so kann ich heute von mir behaupten, nicht fern der Gegenwart zu leben, zu begreifen, was "draußen" vor sich geht, zumindest in Ansätzen. Denn noch immer spüre ich, daß ich mich mit einem "gefährlichen Halbwissen" umgebe, daß die wahren Hintergründe verborgen bleiben, obgleich es den Anschein hat, als wüßte ich bescheid.

Ich weiß, daß mein fehlendes Wissen und mein fehlendes Interesse an Politik und Geschichte Gründe sind, weswegen ich - trotz einigermaßen akzeptablen Schreibstiles - niemals ein guter Journalist werden würde. Deswegen erachte ich als befremdlich, mich dabei zu beobachten, wie mich ich innerhalb weniger Wochen schon zum dritten Mal zu einer Wahlkampfveranstaltung begeben werde, um polemischer Rhetorik und vereinzelten Inhalten zu lauschen.

Auch hier fehlen mir oft die Hintergründe, doch reichen die skurrilen Umstände der Wahl und die allgemeine mediale Aufregung aus, um mich wieder neugierig zu machen, einzufangen und für einen Moment in dem Glauben zu wiegen, Politik wäre etwas, das ich verstehen könnte, ja vielleicht sogar verstehen will.

Und so erhebe ich mich nun und begebe mich auf den Magdeburger Domplatz, um der Kanzlerkandidatin der CDU zu lauschen und ihr die Möglichkeit zu geben, meine bereits gefestigten Ansichten zumindest ansatzweise zu erweichen und vielleicht ein wenig mehr Licht in mein politsch-historisches Unverständnis zu bringen.

Wahlkampfunstimmigkeiten in Magdeburg

Da ich rauszufinden versuchte, zu welcher Uhrzeit und an welchem Ort die CDU-Vorsitzende Merkel heute Abend in Magdeburg zu sehen und zu hören sein wird, gelangte ich schnell zu der Magdeburger CDU-Seite www.cdu-magdeburg.de, die mir tatsächlich Auskunft gab.
Unter "Aktuelle Termine" fand ich als aktuellsten, terminlich naheliegensten Eintrag:
02.09.05 Bowling-Abend der Frauen-Union.
Schön.

Die deutschlandweit gültige CDU-Seite schickte mich weiter zu www.angela-merkel.de, wo ich unter "Termine" tatsächlich fündig wurde:
01.09.2005 Wahlkampfauftritt 20:00 Uhr, Domplatz, Magdeburg.

Mit blieb keine Zeit, mich zu wundern, warum Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder sich mit dem kleineren, aber zentraler gelegenen Alten Markt begnügt hatten, während Frau Merkel und Konsorten mit dem weitläufigeren Domplatz vorlieb nehmen, war ich doch schon auf dem Weg zur nächsten informativen Seite:
www.heynemann.de, der Internetauftritt des Magdeburger CD-Kandidaten Bernd Heynemann.

Und auch dort wurde ich fündig. Die Terminübersicht klärte mich auf:
01.09.2005, 19:00 Uhr Großveranstaltung mit Angela Merkel Domplatz Magdeburg.

Moment. 19 Uhr? Nicht 20 Uhr, wie die Heimseitenbastler von Frau Merkel geschrieben hatten? Welche Uhrzeit stimmte nun? Eine derartige Uneinigkeit war ich aber von Grün und Rot nicht gewohnt.

Ich wunderte mich, überlege, wann ich dort am besten eintrudeln sollte und stellte die Hypothese auf, daß Bernd Heynemann als Vorredner schon gegen 19 Uhr seine Ansprache kundgibt, während Frau Merkel erst 20 Uhr das Wort erhalten wird.

Das erklärt zwar die unterschiedlichen Uhrzeiten, wirft aber ein schlechtes Licht auf die Einigkeit innerhalb der CDU und die Frage auf, ob Frau Merkel womöglich gar kein Interesse für den Magdeburger CDU-Volksvertreter Bernd Heynemann aufbringt, so daß dessen Wahlkampfauftritt auf ihrer eigenen Internetseite unerwähnt bleiben darf.
Das dürfte den armen Herrn Heynemann bestürzen, so er es je erfährt.

Falls irgendwem bei der Lektüre obiger Zeilen der Name "Bernd Heynemann" bekannt vorgekommen ist, so liegt das daran, daß es sich tatsächlich um den einstmals sehr geschätzten und fähigen Schiedrichter handelt, der nun in Ruhestand bzw in die Politik [Ich weigere mich, hier die Behauptung aufzustellen, das wäre das gleiche.] ging.
Tatsächlich stellt Bernd Heynemann wohl einen der wenigen Bürger Magdeburgs dar, der sich internationaler Bekannt- und Beliebtheit erfreut.

Das jedoch ist noch lange kein Grund, ihn oder seine Partei zu wählen, aber Anlaß genug, sich zu überlegen, ob man zu dem Wahlkampfauftritt des ehemaligen Schiedsrichters Trillerpfeifen und rote Karten mitbringen sollte...

Die Rettung der hölzernen Dame

Ich wohne im Dachgeschoß, verfüge daher über eine Schräge in meinem Zimmer, die ein nicht minder schräges Fenster einschließt. Inmitten der momentan recht hochsommerlichen Temperaturen lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, nicht nur das schräge Fenster so weit wie möglich zu öffnen, sondern auch Tür und Zweitfenster dem maximalen Aufsperrwinkel auszusetzen. Daß ein erfrischender Durchzug daraus resultiert, ist erwartbar und gewissen Grenzen auch beabsichtigt.

Leider [oder: Glücklicherweise] verfügt das erwähnte schräge Fenster über ein enorm breites Fensterbrett, das dazu einlädt, nicht nur die beiden Miniaturtopfpflanzen, die meine geringe Pflegebereitschaft überlebten, darauf zu postieren, sondern auch bedeutsame Nachschlagewerke [Duden, Fremdwörterlexikon, Herkunftswörterbuch, Synonymwörterbuch], allerlei Krimskrams und eine Künstlerpuppe.

Letztere bekam ich einst von meiner Mami [Erstaunlicherweise sage und schreibe ich noch immer am liebsten "Mami", weil ich alles andere - "Mutti", "Mutter", "femininer Elternteil", ... - für zu unpersönlich halte.] geschenkt. Es handelt sich um das standardmäßig bekannte Exemplar aus Holz mit beweglichen Gliedern, die man zu den abenteuerlichsten Posen verrenken kann, um somit ein gutes Modell für eventuelle Abmalversuche zu schaffen.

Meine Puppe stellt mit ihren schätzungsweise 40 Zentimetern Größe kein kleines Exemplar dar und ist zudem auch noch weiblich. Tatsächlich stand auf der Packung, daß sie weiblichen Geschlechts sei [Die männlichen waren wohl ausverkauft, meinte meine Mami.], was sich anhand vorhandener Oberkörperauswölbungen leicht verifizieren läßt.

Ich habe die Puppe noch nicht oft benutzt, verforme nur zuweilen ihre Glieder und erfreue mich des neuen Anblicks. Sie steht auf dem Fensterbrett, direkt vor meinem Schreibtisch und bildet einen schönen Blickfang für mich, der sich stets gern von seiner Arbeit ablenken läßt.

Die Sonne scheint eifrig in mein Zimmer hinein, blendet mich so sehr, daß ich gezwungen bin, ihre Aktivität etwas zu dämpfen, ihre Strahlen mittels eines Vorhangimitats abzumildern. Einen echten Vorhang besitzt das schräge Fenster nicht. Daher muß die Flagge einer Metal-Band dafür herhalten.

Provisorisch befestige ich das obere Ende am Fenster und erfreue mich des Windes, der den Flaggenstoff sanft in Wallung bringt. Doch kaum blicke ich weg, fährt eine Bö durch mein Zimmer, rüttelt wild an der Flagge, die sich jedoch nicht aus ihrer Befestigung löst.
Aber ihre heftigen Bewegungen reißen meine Künstlerpuppe mit sich. Vor wenigen Tagen hatte ich ihre Hände wie während eines großen Schreckens zum Mund geführt, als würde sie immerfort "Oh!" ausrufen.

Und nun höre ich deutlich, wie Fahne die Künstlerpuppe von ihrem Platz zerrt, sehe vor meinem geistigen Auge die hölzerne Dame "Oh!" rufen, wende meinen Kopf und erhasche mit meinen Blicken gerade noch ihren Sockel, der hinter dem Fensterbrett verschwindet, dem aus dem Fenster stürzenden Puppenkörper hinterhereilt.

Ein lautes Klackern folgt. Dann herrscht Stille.

Langsam erhebe ich mich, sehe hinaus - und lächle.
Die hölzerne Puppe hat den Sturz überlebt. Kein Wunder, ist sie doch nicht - wie befürchtet - fünf Stockwerke in die Tiefe gefallen, sondern liegt dank rettender Dachschräge kopfüber, aber unversehrt in der Dachrinne anderthalb Meter unter mir.

Tapfer klettere ich auf meinen Schreibtisch, befreie das Fensterbrett von störendem Krimskrams, luge ein weiteres Mal nach außen. Anderthalb Meter sind mehr, als ich mit Armlänge überrücken kann. Und eigentlich will ich es auch gar nicht, mißfällt mir doch der Gedanke, aus dem Dachgeschoß auf den Innenhof zu stürzen.

Ich sehe mich um. Irgendetwas muß es doch geben, das mir behilflich sein kann, irgendein Gegenstand, mit dessen Unterstützung ich die Puppe aus ihrer mißlichen Lage zu befreien vermag. Denn ich habe nicht vor, sie, die ich durchaus mochte und schließlich einst ein Geschenk war, dort, allen Unwettern ausgesetzt, vermodern zu lassen.

Ich benötige etwas Langes, Flexibles - ein Seil. Doch ich habe kein Seil. Wo ist MacGyver, wenn man ihn braucht?
Ich finde nichts. Nichts - außer einem Ledergürtel, dessen Schnallenende bereits eine annehmbare Schlaufe bildet.

Das muß es ein!
Ich schnappe mir den Gürtel, klettere erneut auf den Schreibtisch, strecke meine Arme aus dem Fenster, manövriere die Ledergürtelschlaufe in die Nähe der Puppe. Langsam, vorsichtig, unnötige Bewegungen vermeidend. Das hölzerne Wesen kann jeden Augenblick aus der rettenden Dachrinne stürzen.

Ich habe eine Schlaufe. Doch wohin damit? Noch immer reckt die Puppe beide Arme nach oben. Das "Oh!" sieht zwar sturzbedingt bereits etwas verzerrt aus, doch gibt meiner Schlaufe die Möglichkeit, sich um einen Arm zu legen.

Ein Geduldsspiel, doch in solchen Dingen bin ich gut. Die Schlaufe findet ihr Ziel, legt sich so, wie ich es mir wünsche. Langsam beginne ich zu ziehen. Die Puppe rührt sich nicht. Irgendwo ist sie verkeilt.
Keine Panik. Ruhig bleiben. Nicht zerren. Sonst dreht sich der Arm nach oben, die Schlaufe rutscht ab und die vielleicht letzte Rettungsmöglichkeit verfliegt.

Ich rüttle ein wenig, sanft, am Gürtel. Die Künstlerpuppe löst sich, gleitet langsam, aber stetig nach oben. Nur nicht zu früh freuen. Nicht nervös werden.
Die Puppe kommt näher. Fast kann ich sie greifen. Gleich. Nur noch wenige Zentimeter trennen meine linke Hand von ihrem hölzernen Leib. Ich ziehe weiter, lache innerlich auf und packe zu.

Ich hab sie!
Vorsichtig klettere ich vom Schreibtisch. Es sähe mir ähnlich, jetzt, nach geglückter Rettungsaktion selbst zu stürzen.
Doch nichts geschieht.

Erleichtert stelle ich die Holzpuppe auf den Boden, lege die Gürtelschlaufe ab, setze mich und lehne mich stolz zurück.
Wer braucht schon MacGyver?

Mittwoch, 31. August 2005

Über Audiotexte

Nachdem nach Deef [seit längerer Zeit] und 40something [seit heute] auch Nadine damit begann, Podcasting zu betreiben, also eigene Wortgebilde vorzulesen, aufzunehmen und zum Download zur Verfügung zu stellen, machte ich mir Gedanken, inwieweit das für mich nutzbar oder sinnvoll sein könnte.

Ein einziges Mal lauschte ich einem Audiotext [Was für ein dämliches Wort] von Deef, doch mußte feststellen, daß dergleichen nichts für mich ist - weder passiv noch aktiv.

Passiv deswegen nicht, weil ich es nun mal liebe, jederzeit Musik zu hören und weil ich Texte viel lieber lese als höre. Auch begreife ich das Weblog-Lesen als Buch-/Zeitschriften-Ergänzung und nicht als etwas für die Ohren.

Der Vorteil läge natürlich auf der Hand: Man könnte während des Lauschens auch noch etwas anderes machen, sich mit sinnvollen Dingen beschäftigen, und somit wertvolle Zeit nutzen.
Aber genau das will ich nicht. Zum einen, weil ich als Mann dem Vorurteil folgend mit mehreren gleichzeitig stattfindenden Tätigkeiten hoffnungslos überlastet wäre [Ich schließe mal "atmen", "leben", "denken", "Luft holen", "sitzen", "stehen", "gehen", "existieren", "zwinkern", "lächeln", ... aus dem Wort "mehreren" aus.], zum anderen, weil ich die Lektüre von Bloginhalten als Freizeit begreife, als Augenblicke, die ich für nichts anderes nutzen möchte - erst recht nicht für pseudowichtige, scheinbar sinnvolle Tätigkeiten

Mich als aktiven Podcastbetreiber zu betätigen und meine Texte zusätzlich oder ausschließlich als Audiodatei zur Verfügung zu stellen, liegt mir fern. Zwar wäre die notwendige Grundausstattung bereits vorhanden, doch weiß ich am Bloggen gerade den verhältnismäßig geringen Aufwand zu schätzen, der für den Erhalt eines Ergebnis' notwendig ist.
Da ich mich als perfektionistisch angehaucht kenne, wird es sicherlich jedesmal eine Unmengen an nicht zufriedenstellenden Versuchen geben, bevor ich mich mit einer Audioversion meiner Worte anfreunden kann.
Dieser zusätzlichen Mühen bedarf es [derzeit noch] nicht. Im übrigen ginge so die durch das erwähnte "Podcast-Hören-und-sich-nebenbei-auch-anderen-Dingen-widmen"-Multi-Tasking eingesparte Zeit wieder verloren, was auch nicht als sinnvoll zu erachten ist.

Tatsächlich fällt mir nur ein einziger Punkt ein, der mich womöglich irgendwann überzeugen könnte, Geschriebenes in Gesprochenes verwandeln zu wollen:
Einst wurde mir mitgeteilt, ich hätte eine angenehme Stimme, die sich wohl zum Vorlesen eignete. Gegenüber derartigen Komplimenten bin ich zwar nicht unempfindlich, doch reicht eine solche Aussage bei weitem nicht aus, um mich nachhaltig zu beeinflussen.

Also verweile ich in der zur Vergangenheit mutierenden Gegenwart und entscheide mich dagegen, Anschluß am zukunftsorientierten Podcast-Fieber zu suchen. Meine treue Leserschaft wird es mir vielleicht verzeihen.

Dienstag, 30. August 2005

Tierversuch

Der vorgestrige Bratislava-Besuch ergab eine erstaunliche, aber mittels wissenschaftlicher Versuche gesicherte Erkenntnis:

Eine gewöhnliche slowakische Schnecke kann, mit schwerem Eigenheim beladen und unter Schlaf- und Eßpausenverzicht, mehr als 120 Meter pro Tag zurücklegen.

Beeindruckend.

Genitalerfrischung

An der Straßenbahnheltestelle konnte ich einen schnauzbärtigen Mann beobachten, der mit heftiger Gestik und verzerrtem Gesicht schimpfend seine Meinung intonierte.

Weniger auffällig als seine - aufgrund schallisolierender Straßenbahnfenster mich nicht erreichenden - Worteruptionen war sein T-Shirt, das mich wesentlich mehr fesselte als alles Vernehmbare. Schließlich konnte ich auf dunkelblauem Stoff einen gelben Schriftzug ausmachen, der mich durchaus verwunderte, ja abstieß.
''Widerlich!', dachte ich, als ich mir bildlich vorstellte, was ich dort lesen mußte:
Peniscola.

Nachdem ich mich zuerst eine geraume Weile dazu benötigte, mich von den abszoßenden Assoziationen zu lösen, die sprudelnde Erfrischungsgetränke mit maskulinen Primärgeschlechtsorganen in Verbindung brachten, rätselte ich lange, was für eine "scola" [=Schule] das wohl sein könnte.

Schließlich aber brachte mir das Internet des Rätsels Lösung:
Peñiscola ist die schönste Stadt Spaniens.

Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet.

Donnerstag, 25. August 2005

Neulich in der Fußgängerzone

Die Hallenser autmobilverkehrsbefreite Einkaufsstraße nennt sich offiziell "Leipziger Straße", obgleich sie jeder "Boulevard" nennt. Vor kurzem lief ich eben genannten Boulevard entlang, vom Bahnhof kommend in Richtung des Marktplatzes, als ich einem kleinen Stand auszuweichen hatte.

Um ihn herum hatten sich ein paar prollige Gestalten gruppiert, von denen, sobald ich in Hörweite war, einer das Gespräch mit seinen Freunden unterbrach, um sich mir zuzuwenden, mir eine blaue A6-Karte vor das Gesicht zu halten und mich sofort anzuquatschen:
"Entschuldigung... Du kannst hier was gewinnen."

Vermutlich hätte ich irgendwie reagieren sollen, doch fühlte ich mich dafür zu träge, zu sehr in mich selbst versunken, zu sehr mit dem Augenblick zufrieden. Ich verringerte mein Tempo nicht, ging einfach weiter, ohne ihn, den bedeutungslosen Störenfried, zu beachten. Ich wußte, daß ich nicht unfreundlich schaute, doch lächelte auch nicht.

Als ich, unberührt von seinen Versuchen, meine Aufmerksamkeit zu erheischen, weiterging, begann die prollige Meute gemeinsam, ausfallend zu werden, als hätte ich sie mit meiner reglosen Miene, mit meinem unbeeindruckten Verhalten, irgendwie demütigen wollen.
Zuerst erklang ein "Hoho... - um meine vermeintliche Abgehobenheit ironisch zu kommentieren, dann folgten mehrere Kommentare zu meinem Äußeren, zu meiner Kleidung und ein paar zusätzliche zu meinen Haaren. Natürlich allesamt beleidigend.

Ich war erstaunt. Kaum äußerte ich kein Interesse an ihrem Produkt, mutierte ich gleich zum Feind, für Beschimpfungen geeignet.
Selbstverständlich war ich mir dessen bewußt, daß es sich bei ihnen auch nur um Studenten handelte, die irgendeinen albernen Job ausführten, um ein wenig Geld verdienen zu können, doch erachtete ich es für überflüssig, mich auf einen ausführlichen Disput mit ihnen über die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens, mir ihr Produkt aufzuschwatzen, einzulassen, hatte ich doch mit einem einzigen Blick vier Gründe erspäht, die meine Ignoranz berechtigten und mich aus der Gruppe potentieller Kunden ausschlossen:

1. Auf der gezeigten, blauen Karte hatte ich sofort das TV-Movie-Logo entdeckt. Doch verfüge ich wie bereits erwähnt weder über einen Fernseher, noch über das für eine - überflüssige - regelmäßig erscheinende Fernsehzeitschrift nötige, finanzielle Potential.

2. Sollte mich ich jemals dazu durchringen, dergleichen erwerben zu wollen, wird es bestimmt nicht der Student auf der Straße sein, den ich diesbezüglich zu kontaktieren wünsche.

3. Meine Stimmung war zu gut, um mich mit profanen Dingen wie Fernsehzeitschriften oder Gewinnspielen abgeben zu wollen.

4. Gewinnspiele scheinen das ultimative Köderargument unserer Gesellschaft zu werden. Bloß weil irgendwo zu lesen ist, daß es etwas zu gewinnen gibt, sind Menschen bereit, sich zum Kasper machen oder sich alberne Überflüssigkeiten aufschwatzen zu lassen. Schon längst entwickelte ich eine Abneigung gegen derartige Gewinnspiele und erst recht gegen Menschen, die glauben, mich auf derart primitive Weise für ihre Sache gewinnen zu können.

Und so ging ich weiter, hörte hinter mir die Stimmen der lästernden Prolls und versuchte, meine wenig freundlichen Gedanken nicht in mein allgemeines Wohlsein einfließen zu lassen.

Wahlkampfauftrittsvergleich

Nachdem ich mich am Montag dazu überredet hatte, unseren Bundeskanzler auf Magdeburgs Altem Markt erleben zu wollen, konnte ich es mir gestern nicht nehmen lassen, auch dem Magdeburg besuchenden Joschka Fischer meine Anwesenheit zukommen zu lassen. Und ich muß gestehen, daß die Unterschiede zwischen den Wahlauftritten beider Parteien, beider Politikgrößen immens war, auf jeden Fall größer, als ich es erwartet hätte.

Den größeren Etat der Sozialdemokraten konnte man anhand eines riesigen Bildschirms bewundern, auf dem auch aus letzter Reihe nicht nur die Gesichter der einzelnen Parteimitglieder oder deren vollständige Leiber erkennen, sondern auch anspruchslos-unterhaltsame SPD-Reklamefilmchen beschauen konnte.
Die Bühne der Grünen war kleiner, und Herr Fischer hatte seine fehlende Bildschirmpräsenz durch Körpermasse und Stimmvolumen auszugleichen, was ihm allerdings erstaunlich gut gelang.

Daß den Kanzler mehr Politikinteressierte und Trillerpfeifenbesitzer besuchten als den Außenminister, hätte wohl niemand anders erwartet. 8000 zu 1300. Und ich mittendrin.
Doch während den Magdeburger SPD-Funktionären und en Ehrengästen ein riesiges Areal vor der Bühne reserviert worden war, so daß der gemeine Pöbel sich erst in deutlichem Abstand zu den Politikgrößen postieren konnte, gab es bei den Grünen nur einen schmalen Sicherheitsbereich, der nicht weiter ins Gewicht viel. Volksnähe statt Leinwand, schien das Motto zu lauten.

Allein das musikalische Vorprogramm beider Parteien ist eine Erwähnung wert. Herr Schröder und Konsorten hatten dazu extra Roland Kaiser geordert, dem zwar kein schlechtes Image anhaftet, der allerdings Vertreter einer musikalischen Richtung ist, die wohl wenig die Jugend anzusprechen vermag. Vielleicht mögen SPD-Jungwähler aber auch Schlagermusik. Immerhin hat sich der Sänger von spektakulären Songs wie "Joana - geboren um Liebe zu geben" und "Alles, was du willst" zur SPD bekannt und durchaus glaubwürdig vermittelt, der Ansicht zu sein, allein die SPD sei befähigt, Deutschland in eine gute Zukunft zu führen.

Das Wort "Volksnähe" schien den Grünen dagegen auch hier anzuhaften, beschränkte sich man doch auf Kleinstein, eine junge, erwähnenswert gute Magdeburger Band mit ebensolchem Ruf. Und während Herr Kaiser nach Schröders Rede schwieg, lieferte Kleinstein noch eine abschließende Zwei-Song-Show.

Herr Schröder mied in seiner Rede außenpolitische Themen, schien im doch wichtiger zu sein, darzustellen, was er zu leisten imstande ist, was er bereits geleistet hat und - das war ihm besonders wichtig - was die CDU/CSU niemals leisten wird. Selbst vor der Erwähnung von ALGII und HartzIV scheute er sich nicht, was ihm ein gehöriges Trillerkonzert und diverse Buh-Rufe seitens der mit zahlreichen Transparenten bestückten Pseudo-Montags-Demonstranten einbrachte.

Nebenbei: Warum heißen Transparente eigentlich so? Denn Transparent waren sie keineswegs, sondern versperrten allen, die hinter ihnen standen, die Sicht auf Bühne und Bildschirm. Ja, man könnte sogar so weit gehen, sich darüber zu beschweren, daß jene, die jeden Montag für mehr soziale Gerechtigkeit demonstrieren, selbst asozial agierten, indem sie anderen, Interessierten, eigennützig und unnachgiebig die Sicht verstellten.

Schröder wirkte ruhig, kumpelhaft. Doch selbst die zwanzigste Beteuerung, daß Stoibers Worte gegen Ostdeutschland keineswegs in seinem Sinne stünden, ja zu einer innerdeutschen Spaltung führen würden, ließ ihn zu keinem "von uns" werden.
Fischer war "näher". Seine Rede war drängend, kratzig, zuweilen leger.

Während Herr Schröder immer wieder seine "Freundinnen und Freunde" anredete, bevorzugte Herr Fischer seine "Damen und Herren", wobei es ihm nichts auszumachen schien, angesichts des verhältnismäßig jungen Publikums immer wieder in das persönliche "ihr" abzurutschen.

Ich überlegte eine Weile, ob ich es nun für verwerflich hielt, geduzt zu werden, oder für sympathisch. Ich entschied mich für letzteres, spätestens, als er leise raunte:
"Ich weiß, ihr nehmt den Westerwelle nicht ernst."

Und während Schröder auf das Publikum nur reagierte, indem er in Frage stellte, ob hinter den lärmenden Trillerpfeifen auch etwas zu finden sei, unterbrach sich Fischer mehrmals, um Publikumseinwürfen zu begegnen. Seine Stimme donnerte förmlich, als er auf einen von rechtem Gedankengut zeugenden Spruch zu antworten begann, schwoll an zu einem Gewitter gegen Rechts, gegen derartiges Denken, das einst Deutschland zerstörte und niemals wieder eine Chance bekommen wird, brauste auf, riß das Publikum mit sich und verebbte in begeistertem Applaus.

Als ich nach Hause radelte, stellte ich fest, daß zu erwarten ist, daß jede Geste Schröders mit Bedacht gewählt worden war, daß das SPD-Wahlkampf-Team jeden Satz, jeden Schritt durchgeplant, durchgestylt hatte.
Der Auftritt der Grünen hatte einen anderen, persönlicheren, volksnäheren Eindruck hinterlassen, so als ob vieles impulsiv, spontan gesagt und getan worden wäre, als ob hier nicht jede Silbe kunstvoll geradegerückt worden wäre.

Aber vielleicht war auch das nur Show, nur ein Kunstprodukt der Marketingexperten. Ich weiß es nicht.

Mittwoch, 17. August 2005

Über die Häßlichkeit von Schlafanzügen

Ich bin kein Liebhaber von Schlafanzügen.
Diese Aussage gilt nicht im allgemeinen, sondern richtet sich eher speziell auf mich, auf meine eigenen Schlafanzüge. Denn diese sehen nicht unbedingt begeisternswert aus und lassen auch meinen Adoniskörper in wenig vorteilhaftem Licht dastehen.

Wenn ich es mir genauer überlege, muß ich erstaunt feststellen, daß ich nur zwei Schlafanzüge besitze, einen kurzen und einen langen. Letzteren mag ich sogar, beziehungsweise mochte ich, bevor er sich allmählich aufzulösen begann. Und der kurze ist ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, sieht - weil er früher nie benutzt wurde - zwar akzeptabel aus, wird aber von mir nicht favorisiert, weil er und ich im modischen Sinne keine Einheit bilden können.

Was soll man auch von einem Kleidungsstück erwarten, dessen flächengrößte Farbanteile aus Grau, dreckigem, unschönem Grau bestehen, welches nur durch ein dunkles Rot unzureichend ergänzt und aufgewertet wurde? Und als wäre dies nicht genug der Augenqual, beschloß der offensichtlich blinde und modegeschmacksbefreite Schlafanzugdesigner, eine zerlaufene "53" auf Ärmel und Hosenbein zu malen, die nicht nur bedeutungslos ist, sondern schlichtweg lächerlich wirkt.

Diese Lächerlichkeit überträgt sich - zumindest in meinen Gedanken - vom Schlafanzug auf meine gesamte Person, weswegen ich es vorziehe, den Schlafanzug nur nachts zu tragen und die Anzahl der Blicke anderer auf dieses keineswegs geschätzte Kleidungsstück zu minimieren.

Früher, als Kind, mußte ich immer Schlafanzüge tragen, die in den meisten Fällen zu klein oder häßlich [oder beides] gewesen waren. Omas schenkten mit Vorliebe Schlafanzüge, die schon vor Jahren zu eng gewesen waren, lernte ich. Irgendwann, als ich mich in eigener Wohnung frei entfalten konnte, übernachtete ich entweder nackt - was ich aus verschiedenen Gründen bald bleiben ließ - oder in extra dafür reservierten Shorts.
Vorzugsweise erwählte ich meine blauen Garfield-Boxershorts. Diese waren zwar an Lächerlichkeit kaum zu überbieten, doch war die Lächerlichkeit bewußt gewählt, gesucht, und daher bedeutungslos.

Dann kam der Winter. Die Shorts reichten nicht länger, um das Frösteln unter meiner zuweilen nicht ausreichend wärmenden Bettdecke zu tilgen. Ich probierte es mit zusätzlichen T-Shirts, fortan als Schlaf-Shirts bezeichnet, kleidete mich also im Bett mit von mir durchaus gemochten Shirts und Shorts.

Irgendwann entdeckte ich die beiden Schlafanzüge in meinem Kleiderschrank und hielt es für eine gute Idee, sie auszuprobieren, anzuziehen. Ich mochte den langen, weiß-karierten, den ich von meinem Vater irgendwann geschenkt bekommen hatte. Er wirkte fast schon festlich, fast, als wäre ich Bestandteil einer Fernsehserie, eines Filmes, in denen nahezu sämtliche Darsteller ihre Nächte in Designer-Schlafkleidung verbringen und auch gleich nach dem Erwachen kunstvoll zurechtgemachten Prinzessinnen gleichen.
Nein, ich fühlte mich nicht wie eine Prinzessin. Aber ich fühlte mich vornehm.

Als es wieder wärmer wurde, entschloß ich mich dazu, den langen gegen den kurzen Schlafanzug einzutauschen, erwartend, das gleiche edle Gefühl geschenkt zu bekommen. Doch ich wurde enttäuscht. Innerhalb weniger Tage verwandelte ich mich vom nächtlichen Lord zu Schlumpi, der grauen Maus.

Und doch behielt ich es bei, trug den Schlafanzug, weil sich in meinem Kopf der Gedanke festgesetzt hatte, daß es richtiger ist, einen Schlafanzug im Bett zu tragen als eine eigenes ausgewählte Short-Shirt-Kombination.

Vorhin klingelte es. Die Postfrau riß mich aus dem Schlaf. Ich verübelte es ihr nicht, erwartete ich doch sehnsüchtig die Ankunft dreier Bücher. Vergnügt sprang ich aus dem Bett, setzte die Brille auf, rannte zur Tür, betätigte den Türöffner und sagte:
"Einen Moment noch. Ich bin sofort unten."

Das widersprach sich zwar, doch gab mir die Gelegenheit, meinen häßlichen, lächerlichen Schlafanzug gegen annehmbare Normalkleidung auszutauschen, mich selbst in ästhetischere Wohlfühlklamotten zu transferieren. Auf keinen Fall wollte ich durch das Treppenhaus stürmen und der Postfrau in meinem schäbigen Schlafgewand begegnen oder noch schlimmer: einem meiner Nachbarn.

Und eine Frage stellte sich mir, die ich nicht verdrängen konnte: Selbst wenn man von der Häßlichkeit meines eigenen absah - Warum sind Schlafanzüge im allgemeinen nicht die geeigneten Kleidungsstücke, in denen man - natürlich innerhalb der eigenen vier Wände - Fremden oder Freunden begegnet? Warum strahlen diese Zweiteiler, die tatsächlich ja aus Hose und Shirt bestehen, also kaum andere Komponenten verwenden, als es normalerweise zu tragen üblich ist, etwas derart Privates, Intimes aus, das auf keinen Fall anderen unter die Nase gerieben werden sollte?

Liegt es nur an der fehlenden Unterwäsche? Liegt es daran, daß man in dieser Kleidung geschlafen hat und womöglich des Nachts noch mit anderen, anzüglicheren Dingen beschäftigt gewesen sein könnte? Liegt es gar daran, daß es sich nicht gehört, erst halb zehn aufzustehen und den Tag zu beginnen?

Ich weiß es nicht und verschwinde grübelnd unter der Dusche. Ohne Schlafanzug.

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