Wortwelten

Dienstag, 31. Mai 2005

Das Perfekte System

Wäre eine Regierung, eine staatliche Oberheit, perfekt, makellos, bräuchte man keine Regierenden.

Der Gedanke, der hinter diesem Satz steckt, ist folgender: Politiker haben es sich vorwiegend zur Aufgabe gemacht, das Leben der Bürger zu verbessern, dabei aber auch die Belange des Staates zu vertreten. Dazu werden täglich Vorschläge erbracht, Ideen durchdacht, Entscheidungen gefällt.

Doch sind die Regierenden letztendlich nicht diejenigen, die die gefällte Entscheidung in die Tat umsetzen. Dafür sorgen Verwaltungsapparate. Was macht also die Obrigkeit? Entscheiden. Gegenwarts- und Zukunftssituationen durchdenken und versuchen, mit Regeln und Beschlüssen in die richtige Richtung zu lenken.

Dagegen ist nichts auszusetzen.

Aber es werden ständig neue Regeln aufgestellt, alte Gesetze abgeändert, verbessert, Ideen verworfen oder optimiert usw. Die Regeln, nach denen zu leben, zu handeln, ist, stellen nur eine Art schwammige Masse dar, deren Formen sich stetig ändern.

Im allgemeinen ist Veränderung gut. In diesem Fall jedoch nur bedingt. Denn Veränderung, der stete Drang, die stete Notwendigkeit zu verändern bedeutet hier vor allem eins: Die Gesetzgebung, die Regeln, die unser Dasein bestimmen, sind äußerst unzureichend. Sie sind bei weitem nicht perfekt, bei weitem nicht optimal, vielleicht noch nicht einmal gut.

Ständig muß korrigiert, Altes ausgemerzt, Neues beachtet werden. Ständig zeigt die Entwicklung des Staates, daß Gedanken in der Vergangenheit falsch waren oder in falsche Richtungen führten. Dieser Umstand bewirkt Diskussionen, Streit, zwischen Betroffenen und Verantwortlichen, zwischen Beharrern und Verbesserern.

Wäre das System perfekt, bedürfte es keiner Veränderung. Ein festes Regelwerk, das unabänderlich über der Bevölkerung schwebte und jede Eventualität berücksichtigte.

Wäre das System perfekt, bedürfte es nur einer einzigen Variablen, einer einzigen veränderlichen Größe: die menschliche Entwicklung.
Mit der Entwicklung des Menschen verändern sich dessen Denken, dessen Handlungsweise, dessen Bedürfnisse. Dieser Umstand muß natürlich berücksichtigt werden, muß Einfluß auf die Gesetze und Regeln haben.

Doch ansonsten wäre für die Regierenden nichts zu tun, nichts. Das Regelwerk in seiner Perfektion bräuchte keine steten Diskussionen und Verbesserungen, keine Korrekturen und Ausmerzungen. Nur dem Fortschritt müßte es angepaßt werden, nur der menschlichen Entwicklung.

Das zeigt also deutlich, wie weit das derzeitige System von der Perfektion entfernt ist, wie sehr es nötig ist, Fehler zu beseitigen und zu korrigieren, Löcher zu stopfen, die ihrerseits Löcher schaffen, die gestopft werden müssen.

Eine Regierung wäre im Perfekten System wohl nahezu überflüssig. Doch dieses ist selbstverständlich unerreichbar. Aber allein der Gedanke an ein solches zeigt, wie unvollkommen unsere Staatsform, unsere Gesetzgebung, unsere Regierung in Wirklichkeit ist, die wir zuweilen für vollkommen zu halten wünschen. Es zeigt auf, daß wir tagtäglich in einem System leben, daß aus einem Stückwerk von Fehlern besteht, die fortwährend korrigiert werden müssen.

Der wohl deutlichste Gegensatz zu diesem unförmigen Flickenteppich ist die Bibel - ein Buch, das über Jahrtausende Bestand hatte, das ab einem bestimmten Punkt nicht mehr verändert, verbessert wurde, ein Buch, das angeblich die Regeln des Lebens enthält, das nicht dem Fortschritt angepaßt wird, nicht mit der menschlichen Entwicklung Schritt zu halten versucht, nicht fortwährend in sich selbst Fehler aufdeckt, die korrigiert werden müssen.

Die Bibel könnte ein Beispiel für das Perfekte System sein - wäre sie perfekt. Doch das ist sie nicht, allein schon, weil sie von Menschen geschrieben wurden, denen man die Perfektion ohnehin absprechen kann. Die Bibel enthält mehr Fragen als Antworten.

Und doch wird sie von der christlichen Kirche als unfehlbares Werk Gottes, als Richtungsweiser, als Ratgeber benutzt, empfohlen. Alle Antworten seien darin verborgen.

Und so finden sich Theologen und Bibelforscher, die Fragen auf den Grund zu gehen versuchen, die Antworten "zwsichen den Zeilen" suchen, als gäbe es sie, als könnte das Jahrtausende alte Werk auch über alle Fragen der Moderne Auskunft geben.

Das kann es nicht.

Und doch steht dieses feste, starre Regelwerk im Gegensatz zu jeder Regierungsform, die sich immer neuen Formen fügt.

Beide sind unzureichend, ohne Perfektion. Wir leben irgendwo dazwischen und versuchen, mit dem klarzukommen, was gerade ist, suchen Halt an Werten und Glauben, an der vermeintlichen Sicherheit in der Starre, in der Formlosigkeit, vergessen, daß nicht jede Antwort bereits gegeben ist, daß nicht jede Antwort vom "System" erfolgen kann...

Sonntag, 29. Mai 2005

Waschlappen

Einst nannte ich mich eifrig trainierendes Mitglied eines Leichathletikvereins. Ich, schon immer von schlanker, vielleicht sogar dürrer Statur, brachte keine Höchstleistungen hervor, doch begriff ich mich als guten Langstrecken- und Ausdauerläufer.
Ein- bis zweimal jährlich bot unser Verein ein Trainingslager an, das selbstverständlich einem intensivierten Leistungsaufbau, aber auch einem angenehmen Zusammenfindungseffekt dienen und vor allem Freude bringen sollte. Und das tat es durchaus, wurden doch neben der täglichen Traininsgeinheiten Wanderungen unternommen, Städte besucht und anderen amüsanten Tätigkeiten gehuldigt.

Etwas, das wohl als Bindeglied zwischen "Spaß" und "Training" dienen sollte, war die Sauna. Ich war noch nie ein eifriger Repräsentant meines eigenen Leibes gewesen und vor allem mit beginnender Pubertät wenig begeistert von dergleichen Aktivitäten. Doch mir blieb keine Wahl - mein Selbstbewußtsein und mein Verweigerungssinn waren noch nicht sonderlich ausgeprägt -, mich in die Massen einzureihen, die scheinbar tatsächlich Freude zu emfpinden vermochten, anstatt ihrer - meiner Ansicht nach natürlichen - Scham irgendwie Ausdruck zu verleihen.

Das Schönste an der Sauna war für mich das anschließende Abduschen inklusive des dazugehörigen Pulszählens in der Ruhephase. Ich mochte es, meinen Puls zu spüren, mochte es, meinem Herzschlag zu lauschen, zu fühlen, wie lebendig ich war. Ich liebte es zu zählen, wie sehr die Hitze mir zugesetzt hatte, wie eifrig mein Körper bemüht war, Sauerstoff durch meine Adern zu pumpen. Ich genoß es, wenn die erstaunlich hohen Pulszahlen rasch geringer wurden, wenn ich in wenigen Minuten wieder meinem Ruhepuls näherte, wenn ich mir gewiß wurde, daß es mit meiner Kondition doch gar nicht so weit her war.

Der Rest der Sauna mißfiel mir. Dabei war die Hitze noch das geringste Problem. Kinder auf dem Weg in ihr Dasein als Jugendliche, neigen zu Übertreibungen, zu sinnlosen Kraftakten, vor allem, wenn feminine Altersgenossen den eigenen Posen beiwohnen. Also war es nicht nur Pflicht, sich in der Sauna möglichst weit oben zu positionieren, sondern auch noch so lange wie möglich - also, bis der Trainer die Selbstkasteiung abbrach - an dem feuchtheißen Ort auszuharren.

Unsere beiden Trainer - männlich und weiblich - gesellten sich übrigens nie zu uns, was ich nur gutheißen konnte. Das einzige, was sie neben dem Abbruch übertriebener Ausharrungsmutproben und saunaabschließender Zöglingsfürsorge taten, war, in regelmäßigen Abständen die Sauna zu betreten, in der wir alle tapfer schwitzten, sich zu dem Blecheimer neben dem Saunaofen zu begeben, ein wenig in den glühenden Kohlen herumzustochern und dann den Aufguß zu initiieren.

Denn ein Ritual war es durchaus. Schon wenn die Trainerin [in den meisten Fällen war es tatsächlich sie] die Sauna betrat, stöhnten wie alle auf. "O nein!" Ich glaube, das war es, was den Trainern an der Sauna am besten gefallen hatte: diese kollektive Verzweiflung aus unseren, sonst so großspurig tönenden Mündern.

Über der linken Schulter hing - einer namenlosen Bedrohung, einer unbesiegbaren Waffe, gleich - das Handtuch, das böse, unheilbringende. Nach dem Glutstochern bückte sich unsere Foltermagd stets, entnahm dem Metalleimer eine Kelle aus gleichem Material, tauchte sie in das lauwarme Wasser, zog sie heraus - und verteilte deren Inhalt langsam auf den glühenden Kohlen. Es zischte. Es dampfte. Die Atemluft war übersättigt von Hitze und Feuchtigkeit.

Weitere Kellen folgten. Dann war es vorbei. Nun ja, nicht ganz; schließlich mußte die ofenheiße Luft, der glühende Dampf, noch gleichmäßig um unsere nahezu nackte Leiber verteilt werden. Wir sollten schwitzen, schwitzen, schwitzen.

Und wir schwitzten. Die Trainerin nahm das Handtuch von der Schulter, breitete es aus und begann damit, uns die hitzige Luft zuzuwedeln. Wieder und wieder und wieder. Wir vermochten kaum zu atmen. Es roch, es schmeckte, nach Rauch, nach Kräutern, nach heißem Wasser, nach heißer Luft. Unsere Haut sehnte sich, verlangte nach einer Pause, nach Kühle, nach Wasser, nach Wind, kaltem Wind. Doch wir kannten keine Gnade uns selbst gegenüber.

Zumindest nicht, solange die Mädchen noch bei uns verweilten. Sobald diese allerdings gegangen waren, ihr Recht, das "schwächere Geschlecht" zu sein, einfordernd, nachdem sie uns verlassen, allein gelassen hatten, atmeten wir auf - und rückten nach unten. Eine Stufe, manchmal auch zwei.

Während des Trainingslagers, während der häufigen Saunabsuche, hatte ich die meiste Zeit in der Mitte gesessen und blieb dort. Ich war kein Held, wollte keiner, konnte keiner sein sein. Schließlich war ich nackt.

Eigentlich war niemand nackt. Nicht wirklich jedenfalls. Ich glaube, ich habe während des Trainingslagers niemals eine Mädchenbrust zu Gesicht bekommen. Die Scham war - unter uns allen - groß genug, um unsere primären [und sekundären] Geschlechtsmerkmale - obgleich noch längst nicht ausgebildet - verhüllt zu wissen. Handtücher leisteten dazu gute, ja hervorragende Dienste.

Ein Handtuch in der Sauna war Pflicht; schließlich durften die Holzbänke nicht mit unserem Schweiß getränkt und somit für andere Nutzer unerträglich gemacht werden. Die Handtücher bildeten das Alibi, das uns half, unserer Furcht vor dem eigenen, vor dem fremden Körper begegnen zu können - zumindest, wenn das eigene Handtuch groß genug war. Meines war nicht sonderlich groß. Mit Mühe bedeckte ich meine privatesten Körperteile und beneidete die anderen, deren Badetücher ausreichend Schutz vor argwöhnischen Blicken boten.

Doch nicht nur mit Handtuch war ich unzureichend ausgestattet. Auch ein Waschlappen fehlte mir. Bei den ersten Saunabesuchen war ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, einen Waschlappen mitzunehmen. Warum auch? Ich war ein Badewannenkind, badete täglich, hatte niemals einen Waschlappen benötigt und wendete einen solchen selbst in Ferien- und Trainingslagern nur sehr ungern an. Der Waschlappen war mir kein vertrauter Freund.

Den anderen aber schon. Und nicht nur Freund, sondern auch hilfreicher Lebensretter sollte er sein. Schließlich warfen für gewöhnlich, nachdem wir geraume Zeit inmitten der Feuchthitze vor uns hingeschwitzt, nachdem sämtliche weibliche Wesen [inklusive aufgießender Erwachsener] den kleinen Saunaraum verlassen hatten und keine Gefahr bestand, in der eigenen Waschlappenaktivität ertappt zu werden, alle noch Sitzenden ihre, von Eigenschweiß getränkten Waschlappen in Richtung des metallenen Aufgußeimers, wohl wissend, daß die kostbare, lauwarme Flüssigkeit eine kurze, aber lebensrettende Abkühlung versprach.

Vielleicht stammt als solcherlei Aktivitäten die Bezeichnung "Wachlappen" für Weicheier, für jene schlappen Nudeln, die großartig zu sein glauben, aber hinter den Rücken anderer ihrer Schwäche nachgeben. Ich trug niemals einen Waschlappen in einer Sauna bei mir - hatte allerdings auch niemals das Bedürfnis, besonderen Eindruck zu schinden, war doch meine Rolle in den Augen der interessanten Objekte anderen Geschlechts längst vergeben - und vermutlich äußerst unbedeutend.

Ich saß auf der mittleren Bank, als das tragische Ereignis seinen Lauf nehmen sollte. Soeben hatte, zusammen mit dem Folterhandtuch der Trainerin [inklusive seiner Besitzerin, natürlich], das letzte Mädchen die Sauna verlassen. Die oberste Reihe war voll belegt, hatte keinen Platz mehr für mich, der die Sauna als letzten betreten hatte, geboten. Mir war das egal, zumindest bis zu diesem Augenblick.

Doch dann flogen die Lappen. Einer nach dem anderen. Nicht alle trafen in den Eimer. Doch das spielte keine Rolle. Wichtiger war, daß die Waschlappen nicht von alleine zu ihren Besitzern zurückkehren würden, daß es eines Freiwilligen bedurfte, um den sehnsüchtig Wartenden ein paar Augenblicke wohltuender Kühle zu vermitteln.

Ich hatte keine Wahl, saß dem Eimer am nächsten. Obgleich ich keinen eigenen Waschlappen hatte, ergab ich mich seufzend meinem Schicksal. Die anderen würden es mir danken, dachte ich und sah nach oben, wo die Jungs träge ihren Schweiß fließen ließen.

Ich stand auf, kletterte die beiden Stufen hinab, bis ich auf dem gekacheltem Boden stand. Die Kacheln waren kühl unter meinen nackten Füßen, und ich verharrte einen Augenblick, um mich darauf zu konzentrieren.

Gegen Ende einer Saunasitzung, saßen normalerweise ein paar von uns gern dort unten, dort, wo die heiße Luft nicht hinkam, dort, wo sie sich ausruhen, erholen konnten, dort, wo ihnen die letzte Möglichkeit verblieb, in der Sauna zu verweilen, ohne sich die Blöße zu geben, schwächer als die anderen zu sein. Es waren die zwei, drei Jungs, die in unseren [und hier konnte ich mich zu den "Besseren" rechnen] Augen sowieso längst als nicht sonderlich konditioniert, als nicht sonderlich leistungsfähig abgestempelt worden waren. Interessanterweise machte sie das nicht schlechter. Sie hatten das Recht, dort unten zu verweilen, ihre "Ehre" zu bewahren und trotzdem nicht schwitzend zu kollabieren.

Ich war mir meiner entblößten Scham bewußt, als ich auf den Kacheln stand. Mein Handtuch war nicht ausreichend groß gewesen, um es mir um die Hüften zu binden, hatte auf der mittleren Stufe verweilen müssen, damit ich beide Hände frei hatte, um alle Lappen auflesen zu können. Ein paar von ihnen schwammen im Eimer. Einer hing über dessen Rand. Der Rest lag daneben.
Ich sammelte alle fehlgeworfenen Waschlappen auf und ließ sie sich zu denen im Eimer gesellen.

Dann bückte ich mich, mein Genital mit meinem rechten Arm unauffällig verdeckend, den Blick starr in den Eimer gerichtet. Ich war unvorsichtig, unbedacht, stand ungünstig.

Heiß! Unglaublich heiß brannte es mit einem Mal an meinem Hintern, an meiner linken Pobacke!
Was war geschehen?

Ich hatte mich gebückt und meinen Hintern immer näher an den glühenden Ofen gerückt - bis schließlich der Kontakt zustande kam. Ich schrie auf, ließ alle Lappen fallen, eilte aus der Sauna, ohne an mein Handtuch, an mein entblößtes Genital, an meine "Ehre" zu denken.

An das nun Folgende kann ich mich kaum noch entsinnen. Eine Untersuchung der Trainer. Erniedrigend. Die neugierigen Blicke, die schockierten Gesichter der frischgeduschten, pulszählenden Mädchen. Erniedrigend. Ich stand im Mittelpunkt, doch wollte es nicht. Der Schmerz war immens, doch schlimmer war es, daß es mein Hintern war, der schmerzte, brannte.

Ein Arzt. Ich entblößte mein Hinterteil, bekam Salbe, Puder und Pflaster verschrieben. Riesige Pflaster. Wenn ich mich setzte, mußte ich aufpassen.

Das restliche Trainingslager lief weitestgehend ohne mich ab. Das war schade, betrübte mich. Ich mochte es nicht herumzusitzen, den anderen zuzusehen, mochte es nicht, im Ruheraum zu warten, bis die ersten aus der Sauna flohen, die gefährliche Hitze mit kaltem Wasser abspülend, mochte es nicht, mit mitleidsvollen Blicken bedacht zu werden.

Nur eines erwies sich als wirklich praktisch, als gut, als erlösend, schenkte mir Trost, ja, zuweilen sogar ein Lächeln:
Für den Rest des Trainingslagers war ich von jeglichen Saunabesuchen befreit!

Donnerstag, 26. Mai 2005

Heimtückischer Teufelskreis

Mein Fahrrad hat nen Platten.
Ich benötige also einen neuen Schlauch.
Oder Flickzeug.
Habe beides nicht da.
Müßte zum nächsten Laden.
Der ist weit weg.
Zumindest zu Fuß.
Mit dem Fahrrad ginge es recht schnell.
Aber das hat ja einen Platten.
...

Mittwoch, 25. Mai 2005

Eisbecher, Shoppingcenter und Männerecken

Heute war ich mit C shoppen.

"Shoppen" ist ein eindeutig feminin geprägter Begriff, befürchte ich. Wenn ich das Wort benutzte, veralbere ich mich gern selber damit und beziehe mich meistens auf den Einkauf von Lebensmitteln. Shoppen im Sinne eines ausschweifenden Besuchs sämtlicher zur Verfügung stehender Läden mit dem Ziel, gefallende Dinge nach Belieben anzuprobieren oder zu kaufen [oder beides], gehört normalerweise nicht zu meinem ritualisierten Gehabe.

Eigentlich waren wir auch Eis essen. Im "Palazzo", einer durchaus erwähnenswert guten Lokalität Magdeburgs, die ich für Eisverzehrzwecke immer wieder gern in Betracht ziehe. Ich gönnte mir ein wahrlich deliziöses Joghurt-Bananen-Eis; C erwählte einen Cherry[/Sherry?]-Eisbecher.

"Bin ich komisch?", fragte sie mich.
"Ja.", antwortete ich, denn jeder Mensch, den ich besser kenne, hat seine Eigenarten. Es ist normal, komisch zu sein.
Sie jedoch ließ nicht locker, glaubte in den Augen anderer abschreckend-befremdlich zu wirken.
Ich redete dagegen an.

Irgendwann waren die Eisbecher geleert.
"Ich brauche noch ein helles Shirt.", meinte C.
"Ich brauche noch Brötchen.", meinte ich.
Wir begaben uns in ein Hier-Finden-Sie-Alles-Einkaufscenter, von denen es hier nur so wimmelte. City Carré. Ulrichshaus. Allee-Center.
Wir begaben uns in ein Kleidungsfachgeschäft für junge Frauen, von denen es hier nur so wimmelte. H&M. New Yorker. Pimkie.

Ich erwog, den allgemeinen Antrag zu stellen, daß in Läden wie diesen "Männerecken" eingerichtet werden sollten.
H&M Magdeburg beispielsweise umfaßt zwei Etagen. In einem Drittel der oberen Etage findet man Herrenbekleidung. Der Rest ist für die Frau gedacht. Ebenso wie Läden, die sich Pimkie oder Orsay nennen.
Wie schön wäre es doch, wenn frau [Ja, ich verwende das Wort "frau" absichtlich, um meine Abscheu ihm gegenüber zu verdeutlichen.] ihre männliche Begleitung einfach abgeben könnte. Mit Kindern geht das doch auch. Diese werden in eine Spielecke verfrachtet und vergnügen sich dann solange, bis Mami vom Einkauf zurückkehrt.

"Achtung! Achtung! Ein Durchsage. Der attraktive Peter möchte von seiner Freundin aus der Männerecke abgeholt werden."

Ich weiß nicht genau, was ich mir unter einer Männerecke vorstelle. Wichtig ist, daß die männlichen Wesen dadurch davon abgehalten werden, im Gang des Frauenbekleidungsfachgeschäfts herumzustehen und eingeschüchtert zwischen Push-Up-BHs und geblümten Sommerkleidchen darauf zu warten, daß die Freundin/Frau fragt:
"Und? Meinst du, mir steht das? Soll ich das mal anprobieren?"

Einem typischen Klischee folgend gäbe es in der Mänerecke einen Getränkeautomaten mit genügend großem Bierangbeot und einen Fernseher mit entsprechendem Sportprogramm.
Das kann ich natürlich nicht gutheißen.
Schließlich müßten die Frauen dann mittels Kleingeldzuteilung den Bierkonsum in der Männerecke beschränken. Auch wäre es dann nötig, eine Aufsicht einzustellen, die darüber wacht, daß die sich Herren unter ihresgleichen nicht rüpelhaft oder gar primatenartig aufführen.

Für mich darf die Männerecke auch neutral gehalten werden. Sowohl, was die Farbe als auch was das Interieur anbelangt. Von mir aus soll es Sport- und Autozeitschriften geben, vielleicht auch irgendwelche reich bebilderten Nacktfrauenheftchen. Das sei mir egal. Das Wichtigste ist, daß ich nicht mit albernen Fragen überhäuft werde, nicht inmitten überbunter, erstaunlich stoffarmer, dafür jedoch wenig preiswerter Frauenklamotten herumstehe und mich überflüssig fühle.
Mir reicht ein Sitzplatz und ein gutes Buch. Oder ein Micky-Maus-Heft. Ich bin da nicht sehr anspruchsvoll.

Zu teuer. Schlechter Stoff. Häßlich.
C klapperte alle verfügbaren Läden ab, wurde aber nicht fündig. Enttäuscht und wenig motiviert wendete sie sich bereits dem Einkaufcenterausgang zu.

"Und was ist mit Orsay?", fragte ich fachkundig.
"Ach ja.", antwortete sie und stürmte schon in Richtung des Ladens.

'Und wieder fehlt die Männerecke.', stellte ich fest und setzte mich auf einen rosafarbenen Stuhl, der der Form des menschlichen Hinterns angepaßt war. C durchstreifte suchend den gesamten Laden. Irgendwo mußte es doch etwas Weißes, Schlichte, Preiswertes geben.
Letztendlich wurde sie fündig, verschwand in der Umkleidekabine.

Ich atmete auf. Vielleicht trennte mich nur noch eine Frage vom rettenden Ausgang.
"Und? Wie findest du's?"
C stand vor der Umkleidekabine und präsentierte das erwählte Oberteil.

"Schlicht, aber schick.", meinte ich.
Sie beschaute sich noch einmal im Spiegel, gab mir dann recht, zog sich wieder um und reihte sich in die Kassenschlange ein.
"Erstaunlich.", stellte ich fest. "Das Shirt kostet genausoviel wie dein Eisbecher."
C lachte.
"Die haben die Preise bestimmt aufeinander abgestimmt.", mutmaßte ich verwegen auf dem Weg zum Ladenausgang.

Eine geistig abwesende Bäckersfrau verkaufte mir noch ein paar Brötchen, und wir verließen das Einkaufscenter.
'Geschafft!', dachte ich glücklich.
Die Sonne schien, das Eis war lecker gewesen, das Shirt entsprach Cs Ansprüchen und sämtliche Läden lagen hinter mir. Erleichtert atmete ich auf.

Plötzlich blieb C stehen und schaute mich an.
"Bin ich eigentlich zu dick?"

Nicht normal

Als ich heute über den Campus lief, wurde ich angesprochen.

Im Nachhinein verwunderte mich das; schließlich hatte ich mir die Ohren mit Krach verstöpselt, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Mir hingen Haare wild ins Gesicht, und mein Äußeres war nicht darauf ausgelegt, freundlich und zuvorkommend zu wirken. Auf meiner Stirn prangte eine tiefe Runzelfalte, die meiner derzeitigen, unfröhlichen Stimmungslage Audruck verlieh.

Das Mädchen, die junge Frau, rannte mir in den Weg, sprach mich an, obgleich ich sie noch gar nicht vernehmen konnte, stellte sich vor mich und redete. Ich zog die Kopfhörer aus dem Ohr, schaute sie fragend an.
Sie stammte aus der Türkei, vielleicht auch aus dem Iran. Genau vermochte ich das nicht zu sagen.

"Entschuldigung.", wiederholte sie sich, "Wo ist denn hier eine Fachhochschule?"

Ich überlegte kurz und begann dann zu erklären. Ich teilte ihr mit, daß sie hier falsch sei, wo sie hinmüßte, welche Straßenbahn zu nehmen sei, versuchte auch, die Entfernung abzuschätzen, die ungefähre Fahrtzeit.
Doch sie hörte mir nicht zu, schaute desinteressiert in der Gegend rum.

Ohne auf meine Antwort einzugehen, stellte sie eine weitere Frage.
"Hast du vielleicht zwei Minuten Zeit?"
Wieder schaute ich sie fragend an.
"Dann könnten wir uns irgendwohin setzen und reden. Über meine zwei Kinder."

Über ihre Kinder? Bitte was?
Sollte ich auf sie aufpassen? Sollte ich sie kaufen? Sollte ich sie überhaupt erst zeugen?

"Nein.", antwortete ich mit Bestimmtheit.

Meine Mutter unterstellte mir einst eine Sprachkrankheit: Ich könne nicht 'Nein' sagen, wenn jemand etwas von mir wünschte. Doch diesmal konnte icn, denn das Ganze schien auf irgendeine Art von Bettelei hinauszulaufen. Und mit der Fachhochschule hatte es bestimmt nichts zu tun.

"Warum nicht?", fragte sie fordernd, unwillig, mein 'Nein' zu akzeptieren.
"Weil du mich hier anbettelst. Und das mag ich nicht."

Sie war empört, entrüstet.
"Wie kommst du jetzt auf anbetteln?!"

Ich wollte etwas erwidern, doch sie war schneller, musterte mich abschätzend von oben nach unten und meinte:
"Du bist nicht normal."
Dann eilte sie von mir fort.

Dienstag, 24. Mai 2005

Helden des Alltag

An der Straßenbahnhaltestelle Alter Markt riecht es merkwürdig. Verbrannt irgendwie.

"Sag mal, riechst du das auch?", fragt mich A.
"Riecht nach ..."
"Papier.", unterbricht mich A.
"Papierkorb.", verbessere ich und deute auf den qualmenden Papierkorb hinter uns.

"Was nun? Sollen wir etwas unternehmen?", fragt A unschlüssig.
Scheinbar hat niemand außer uns den qualmenden Papierkorb bemerkt.
"Na klar.", meine ich und denke darüber nach, ob man die Feuerwehr rufen sollte. Doch A hat eine bessere Idee: der Obststand.

"Entschuldigung.", spricht sie die Verkäuferin an, "Haben Sie vielleicht Wasser? Der Papierkorb brennt."
A zeigt auf den qualmenden Metalleimer. Passanten gehen daran vorbei, schnuppern, schauen kurz, reagieren nicht. Vermutlich müssen erst meterhohe Flammen emporsteigen, ehe jemandem etwas auffällt.

Die Obsthändlerin verschwindet kurz, kommt zurück, reicht eine Glaskanne mit Wasser.
"Bringt ihr die Kanne dann bitte wieder?", fragt sie, ein wenig unsicher.
"Na klar."
"Freiwllige Feuerwehr.", scherzt sie noch, doch wir sind schon unterwegs, um den Brand zu bekämpfen.

A zielt und schüttet. Vorsichtig; schließlich sollte der gesamte Brand mit einer Kanne Wasser gelöscht werden.

Der Krug ist halbleer, als sie abläßt. Es schwelt noch immer ein wenig, doch keine Flammen sind mehr zu sehen. Ich erkenne einen Fahrplan oder ähnliches, der noch immer vor sich hin schmort, und ziehe ihn tapfer heraus. Hastig, potentielle Flammen fürchtend, werfe ich das Papier zu Boden und tilge auch die letzten Reste des Brandes.

Während A die Kanne zurückbringt, entsorge ich den angeschmorten Fahrplan erneut.

Anschließend sehen wir uns an und sind uns einig:
Helden wie wir sind rar inmitten der erblindeten Menschenmassen.

Was ist ein "eal"?

Fährt oder läuft man durch das nächtliche Magdeburg, stellt man, falls man am bahnhofsnahen Einkaufscenter vorbeikommt, fest, daß die verschiedenen Logos und Schriftzüge der einzelnen, im Inneren des Einkaufscenters angesiedelten Läden und Geschäfte in buntesten Farben von der Gebäudefassade herableuchten.

Eine der größten und auffälligsten Leuchtreklamen bildet der "real,-"-Schriftzug, der jedesmal wieder meine fragenden Blicke auf sich zieht.

Der Grund dafür ist nicht in dessen Schönheit oder in meiner Liebe zu dieser Supermarktkette zu finden, sondern einzig und allein in der schlichten Tatsache, daß in der Dunkelheit dem "real,-" das R fehlt.
Die Neonleuchten innerhalb des ersten Buchstabens versagen ihre Dienste - seit Monaten schon. Niemand scheint es zu bemerken, niemaden scheint es zu stören.
Nur ich wundere mich jedesmal wieder:

Was ist ein "eal"?
Gibt es dieses Wort in der Sprache Shakespeares überhaupt?

Heute fiel es mir wieder ein, heute erinnerte ich mich meiner fragenschweren Gedanken.
Was ist ein "eal"?

LEO liefert diesbezüglich keinerlei Ergebnisse, was mich doch ein wenig betrübte.
Daß man "eel" normalerweise mit "Aal" zu übersetzen pflegt, interessierte und tröstete mich dabei wenig.

Wer weiß alles? wikipedia, natürlich.
Und tatsächlich wurde ich fündig:

EAL als Abkürzung bedeutet
- English as an additional language.
- Eastern Airlines.
oder
- Evaluation Assurance Level.
[Zu letzterem findet man auch eine hübsche Erklärung bei der deutschen wikipedia-Seite.]

Alles in allem kein sonderlich befriedigendes Ergebnis, wie leicht einzusehen ist. Enttäuscht überlegte ich, ob ich das Vorhaben, in die schlichte Tatsache eines fehlenden unbeleuchteten Rs etwas Bedeutsames hineinzuinterpretieren, aufgeben sollte.
Einen Versuch wollte ich noch wagen.

Wer weiß noch alles? Google, natürlich!
Und hier wurde ich schnell fündig.

Denn EAL ist, wenn man dieser Seite Glauben schenken darf [und das will ich durchaus] eine Abkürzung für die
Europäische Antikapitalistische Linke.

Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluß verschiedener linker, europäischer Parteien [Vertreter Deutschlands: die DKP], die "in vollständiger Opposition" zur "prokapitalistischen und proimperialistischen Orientierung" der zu einem "supranationalen imperialistischen Staat" anwachsenden Europäischen Union [EU] stehen.
[Quelle]

Na also!
Eine durchaus profitorientierte, deutschlandweit vernetzte Supermarktkette bewirbt nachts heimlich antikaptialitsische Bewegungen. Wenn das nichts ist.

In meinem Kopf beginne ich schon mögliche Verschwörungen aufzudecken, die nicht nur europaweit, sondern weltweit ihre Wurzeln haben.
Ich würde mich nicht wundern, wenn die Illuminaten dabei ihre Finger im Spiel haben, wenn ich eines Morgens erwache und feststelle, daß "eal" nichts anderes bedeutet als "23"...

Ich höre jetzt lieber auf zu schreiben, bevor sie mir auf die Schliche kovdmslk,csedwe,,,,,,,,,,,,,,

Mein Poesiealbum-Trauma

In Anlehnung an einen Eintrag bei Nadine in Berlin verfaßte ich folgende Worte, die ursprünglich als Antwort auf ihre Frage nach meinem möglicherweise vorhandenen Poesiealbum-Trauma gedacht war.

Ich gebe zu, sowohl mein eigenes Poesiealbum, als auch die, in die ich einst schrieb [inklusive meiner eigenen Einträge], waren schrecklich. Doch das tut nichts zur Sache.

Sammelt man gute Aphorismen, stellt man fest, daß unglaublich viele von ihnen mit stets neuen, anderen schönen Worten das Alte, Gleiche umschreiben. Vielleicht vermögen sie etwas zu ändern. Bei dem/der Richtigen. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, daß ich immer wieder Definitionen sehe, was Freundschaft, Liebe, Hoffnung, Glück etc. in Wirklichkeit ist.

"Hoffnung heißt, den Regenbogen in den eigenen Tränen zu sehen."
Habe ich mir gerade ausgedacht. Spontan. Das kann jeder.

Deswegen ist also ein Aphorismus, bloß weil ein berühmter Mensch ihn geschrieben hat [oft noch nicht einmal Autor oder ähnliches - in Zitatbüchlein entdeckte ich auch derartiges von ehemalgen Sportlern und Fernsehmoderatoren], nicht zwangsläufig gut. Und nützlich schon gar nicht. Wenn mich die Tausend anderen Sprüche nicht überzeugen konnten, kann es der eine, neue auch nicht.

Hinzu kommt, daß die "Weisheit" sehr oberflächlich ist. Vieles sieht so aus, als sollte es hinterfragt werden, doch stellt man genug Fragen, vermag auch die Wortaneinanderreihung nicht mehr Antwort zu geben. Sie idealisiert hoffnungslos, dramatisiert, übertreibt, malt mit einfachen Mitteln Normales, Offensichtliches in Bunt.

Wenn ich Menschen - wie meine Mitbewohnerin - kennenlerne, die auf derartiges viel geben, frage ich mich stets, warum. Schließlich ist das Wichtigste, den Inhalt dieser Sprüche selber zu erleben, zu begreifen, am eigenen Leib zu erfahren. Sie einfach zu lesen, reicht nicht. Sie in andere Worthüllen umzutopfen, erst recht nicht.

Fatal wird es, wenn Sprüche aus umfangreicheren Werken entrissen werden, wenn bestehende Zusammenhänge verdreht, verformt oder gar vergessen werden, wenn man einen Satz von Kant zitiert, weil er gut klingt und weil es noch besser klingt, wenn "Kant" drunter steht, ohne daß die Gesamtheit der Bedeutung wirklich erfaßt oder erwähnt wurde.

Jeder stellt sich beim Lesen von Worten etwas anderes vor; deswegen gibt es vielleicht auch in Büchern keine endgültige Wahrheit. Vielleicht kann man auch die wahre Intention des Autors niemals völlig erfassen. Das gibt aber niemandem das Recht, dessen Werke zu zerstückeln, um sie albernen Zitatebüchlein einzuverleiben.

Lese ich Aphorismen, so fällt es mir schwer, sie nicht sofort zu ignorieren. Mnachmal denke ich, daß der Autor schöne Worte gefunden habe. Manchmal erfreue ich mich des angenehmen Nachhalls in meinem Schädel.

Doch leider wohnt den Sprüchen der scheinbare Anspruch inne, tiefergehende Weisheiten zu bergen. Das ist aber in den wenigsten Fällen tatsächlich so. Oft werden nur simple Erkenntnisse schön verkleidet. Zuweilen sind auch die unterzeichenden Namen schöner als der Spruch selbst. Und das stört mich ein wenig.

Noch mehr stört mich allerdings, wenn jemand zu zitieren beginnt, wenn jemand einen Aphorismus von erwähntem Kant in die Runde wirft und mir noch nicht einmal zu sagen vermag, aus welchem seiner Werke die Zeile stammt; wenn er sich mit Dingen brüstet, die sich hinterfragend darstellen, aber, werden sie selbst hinterfragt, nur Leere hinter sich wissen.

Einst, um meiner Mitbewohnerin ein Geburtstagsgeschenk zu kreiieren, haben mein Mitbewohner und ich uns die Mühe gemacht, ein eigenes Zitatebüchlein zu basteln. Dazu sammelten wir allerhand Nonsens-Sprüche, dachten uns alberne Autorennamen aus und fügten alles zusammen. Das Ganze sollte ihre Zitatesammlung auf liebevolle Weise verhohnepiepeln [Dieses Wort ist toll.].
Um Inspiration zu erhalten, wälzten wir diverse Aphorismenbücher. Mehr als die Hälfte aller Sprüche hätte man ohne weiteres in unser lustiges Veralberungsbüchlein übernehmen können. Sie wirkten tatsächlich zumeist lächerlich oder langweilig.

Das heißt jedoch nicht, daß ich etwas daegegen habe, Sprüche und Aphorismen zu sammeln oder irgendwelche Werke zu zitieren. Derartig agiere ich ja zuweilen selbst ganz gerne. Doch suche ich nicht die tiefste aller Weisheiten und vermag auch noch immer den Zusammenhang zwischen der herausgerissenenen Zeile und ihrem Umfeld herzustellen, selbst wenn es niemanden interessiert.

Will sagen: Jeder handle, wie er/sie wünscht, doch sollte dabei im Hinterkopf behalten werden, daß eine simple Aneianderreihung von Worten - und sei sie noch so schön und bezaubernd - niemals genügt, um die Vielfalt des Lebens beschreiben zu können.

Sonntag, 22. Mai 2005

An der Tankstelle

Die Tankstelle ist nur wenige Minuten entfernt. Ich reihe mich in die Schlange der Anstehenden, Wartenden ein; nur der Nachtschalter ist besetzt. Es ist Sonntag Abend - ich hatte nichts anderes erwartet.
"Pall Mall. Die Roten, bitte."
"Club Menthol, bitte."
"Marlboro Lights, bitte."
Zwischen den Rauchern komme ich mir etwas komisch vor. Bin ich süchtig, weil ich mich extra zur Tankstelle bewegte, weil ich mich aufs Fahrrad setzt und die wenigen Hundert Meter in Kauf nahm, weil ich bereit bin, überhöhte Tankstellenpreise zu bezahlen...?
Ich bin dran.
"Eine Tafel Milka Alpenmilchschokolade, bitte."

Samstag, 21. Mai 2005

Ein geduldiger Mensch...

In den meisten Dingen, das alltägliche Dasein betreffend, halte ich mich für einen geduldigen Menschen.

Mir macht es nichts aus, Menschen Dinge erklären zu müssen, die sie nicht begreifen und selbst nach mühevoller detailliert ausgearbeiteter Erläuertung immer noch nicht erfassen. Gehen Gegenstände kaputt, bin ich vermutlich der letzte, der ausfallend reagiert, der erschrocken zusammenzuckt oder anfängt zu weinen ob des tragischen Ereignisses. Ich beteilige mich an der anschließenden Aufräumaktion, jedes Trara vermeidend und rede - falls nötig - dem Unfallverursachenden beruhigend zu.

Wird eine Ampel eine geraume Zeit nicht Grün, so bemerke ich es kaum, bin zuweilen zu sehr versunken in meine Träumereien, um überhaupt einen Farbwechsel wahrzunehmen, werde jedoch selbst bei wachem Bewußtsein nicht in Rage geraten und um Sekunden kämpfen, sondern - falls ich in Eile bin - Alternativen suchen oder geschehen lassen, was geschieht. Auch Straßenbahnfahrerei vermag mich nicht meiner Ruhe zu entreißen, obgleich mein Mitbewohner dazu neigt, jede verlorene Sekunde zu verteufeln und jede Umsteigevariante drei Haltestellen vorher zu planen und durchzudenken. Ich dagegen steige dort aus, wo ich es für sinnvoll erachte, und füge mich den eigentümlichen Fahrplänen des öffentlichen Personennahverkehrs.

Nein, ich halte mich nicht für schicksalsergeben, bin bereit zu kämpfen für die Dinge, die ich zu erreichen wünsche, zu fordern, was ich mir denke, bin imstande, über Umpäßlichkeiten zu fluchen und alles anders zu träumen. Doch genug Dinge geschehen, die unfreundlicher Gedanken nicht wert sind, die es nicht wert sind, die Geduld ihretwegen zu verlieren.

Ich neige dazu, zuweilen erst nach dem vereinbarten Zeitpunkt einzutreffen, eine Eigenschaft, die weltweit nicht wirklich geschätzt wird. Sicherlich liegt dieses Verhalten nicht zuletzt darin begründet, daß ich es nicht mag, zu früh anwesend zu sei und sinnlos einige Minuten töten zu müssen, und im Gegenzug fünf Minuten Verzug für unbedeutend erachte.

Wenn ich Menschen in Hast durch die Gegend hetzen sehe, denke ich gerne an die grauen Herren aus Michael Endes Kinderbuchklassiker "Momo" und frage mich, was die Eilenden mit der gesparten Zeit machen, ob sie - dem Beispiel der grauen Herren folgend - diese zu Zigarren formen und ununterbrochen verrauchen, ob sie sie der inhaltlosen Leere des heimischen Fernsehprogramms opfern - oder ob sie tatsächlich aus den gesparten Augenblicken Gewinn schöpfen können, der jede Hektik rechtfertigt.

Natürlich bin ich mir im Klaren, daß den wenigsten Menschen das Warten auf andere gefällt, und neige dazu, mir gegebenenfalls zeitliche Sicherheitspolster zu schaffen, um rechtzeitig einzutreffen und den Wartenden nicht zu einem solchen werden zu lassen. Im übrigen bin ich dann stets zu früh da, viel zu früh, so früh, daß ich mich frage, warum ich mir so viele Gedanken um mein punktgenaues Eintreffen gemacht hatte.

Doch glaube ich in mir die Fähigkeit zu wissen, einigermaßen geduldig warten zu können. Oft trage ich ein interessantes Buch bei mir, daß jeden zeitlichen Maßstab zu meinen Gunsten zu verbeigen weiß, oder einen Stift und einen leeren Zettel, die kreative Gedanken und Bilder aus meinem Geiste locken und während der Niederschrift jede Wartezeit zu überbrücken wissen, ohne daß diese beginnt, sich unangenehm anzufühlen.

Es gibt jedoch einen Zustand des Wartens, den ich verachte, der mir jeden Nerv raubt, der meine Geduld für nichtig erklärt und behauptet ich wäre das zappeligste Wesen auf Erden, der mich zittern, planlos umherirren läßt, der mich niederringt und jegliches Lächeln aus meinen Mundwinkeln saugt.

Es ist das Kurzdistanzwarten.

Früher, wenn ich mich mit M verabredete, einigten wir uns stets auf einen ungefähren Zeitraum.
"Wann kommst du?"
"Zwischen drei und vier."
"In Ordnung."

Jedoch mag ich es nicht, genau wissend, daß ich um eine bestimmte Uhrzeit an einem bestimmten Platz zu sein habe, wenn ich dort stehe und niemand außer mir eintrifft, minutenlang, wenn ich mich extra beeilte, vielleicht sogar Wichtiges vernachlässigte, um dem Termin gerecht zu werden - und nun vergebens anwesend zu sein scheine.

Ich mag es nicht, gesagt zu bekommen, es ginge in wenigen Augenblicken los, um dann festzustellen, daß die Augenblicke sich dehnen, hinziehen, zu Minuten, vielleicht sogar zu Stunden, mutieren, daß ich abreisebereit in den Startlöchern lauere und jenes Zeichen ersuche, daß den Start verkündet.

Ich mag es nicht, wenn ich genau weiß, daß es sich nicht mehr lohnt, sich mit diesem oder jenem zu beschäftigen, weil es sowieso gleich klingeln wird, weil sowieso gleich der Zeitpunkt gekommen ist, um von dannen zu fliehen - und dann nichts passiert.

Ich mag es nicht, wenn ich jedwede Beschäftigung für unnötig erachte und dann feststellen muß, daß nicht nur genug Zeit gewesen war, um sich dieses zeittotschlagenden Mittels in genügendem Maße zu bedienen, sondern auch um noch sinnvolle, nutzvolle Dinge ausführen zu können.

Ich mag es nicht, auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet zu werden, der so nah in der Zukunft liegt, daß ich gar keine andere Wahl habe, als zu warten - und allmählich jede Geduld schwinden zu sehen.

Ich mag es nicht, ungeduldig zu sein, mag es nicht, mich zappeln, hin- und hertigern zu sehen, mag es nicht, einzelne Minutenanzeigen auf verschiedenen Uhren abzulesen und zu vergleichen.

Ich bin doch eigentlich ein geduldiger Mensch...

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