Wortwelten

Montag, 16. Mai 2005

Nichtzeit

Nachts um vier sind die Straßen leer. Grau und blind betrachten mich gardinenverhangene Fensterscheiben, schlummern in fremden Welten. Irgendwo sehe ich Licht. Als ich mich nähere, erlischt es. 'Gute Nacht.', wünsche ich.

In einem Computerspielecenter töten vier nächtliche Kämpfer mit schweren Waffen finsteres Feindesgut, wirken erstaunlich aufgeweckt. Hinter Jalousinen flimmert blaues Licht, doch ich zweifle, ob das Fernsehprogramm um diese Uhrzeit sehenswert ist.

Taxis eilen vorbei, fremden Zielen entgegen. In der Ferne röhrt eine aufgemotzte Prollkarre, trägt matte Partygänger heim. Die parkenden Autos bilden blecherne Schlangen am Straßenrand, tote Maschinen, auf ihre Reanimation wartend. Zwischen ihnen schleicht eine Katze ihres Weges, der nächtlichen Ironie ergeben - mit grauem Fell. Weiße Blumen liegen auf einem Beifahrersitz, atmen durch einen schmalen Fensterschlitz. Etwas Kleines huscht über den Asphalt, verkriecht sich unter einem Fahrzeug, von meinen schweren Schritten vertrieben. 'Ein Marder?', frage ich mich, gehe auf die Knie, um unter das Auto zu blicken, doch sehe nichts, stehe auf, laufe weiter.

Es ist eine Nichtzeit zwischen den Feiertagen. Ruhende Menschen träumen sich Kommendem entgegen. Zu spät für ausgelassene Nachtschwärmer. Zu früh für Arbeitende und andere Aufsteher. Die Straßen und Gehwege sind leer.

Nur vereinzelt sehe ich andere Gestalten. Sie suchen die Distanz, den Blick starr und müde auf den Boden gerichtet. Der Himmel lichtet sich allmählich. Es wird Zeit heimzukehren.

Samstag, 14. Mai 2005

Optimalkomparativ

"Das ginge sicherlich noch optimaler..."

Die Leere zu füllen...

Die Zeilen verschwimmen vor den perlenbesetzten Augen, besetzen meinen Geist. Matt lege ich das Buch beiseite, versuche mich zu finden - irgendwo im Kosmos der Gegenwart. Es mißlingt. Die Leere erstickt mich. Die Stille erdrückt mich. Ich gebe ihr einen Namen: Einsamkeit. Flucht in den Lärm. Schweigen im Kopf. Taubheit der Seele. Meine Blicke blättern sich durch bunte Bilder, finden mich: lächelnd. Ungläubig betrachte ich mein leuchtendes Antlitz.
'Vielleicht sollte ich die Welt einlassen.', denke ich und öffne das Fenster.

[Im Hintergrund: Zadera - "Something Red"]

Freitag, 13. Mai 2005

Rosa und die Stadtfestschläger

Auf einer der üblichen Bierzeltholzbänke sitzend, meine Begleiterin mit dem augenscheinlichen Genuß eines schokoladenüberzogenenen Weintraubenspießes quälend wunderte ich mich doch nicht wenig, als drei junge Menschen an uns herantraten. Sie waren allesamt ziemlich businessmäßig gekleidet und hätten seriös gewirkt - wäre da nicht dieses verdächtige Rosa gewesen.

Meine Begleiterin war gerade intensiv in das Verfassen einer Kurznachricht versunken, als eine der drei Personen, genauer: die einzige Frau, das Wort an uns richtete:

"Seid ihr bei D1?"
"T-D1, meinen Sie?"
"Ja, sicher."

Sie schaute mich entgeistert an, als gäbe es noch ein anderes D1.
Ihre beiden männlichen Begleiter grinsten, scheinen eher Bewacher als Vertreter zu sein. Vielleicht noch nicht einmal Bewacher im Sinne von "Beschützern", sondern im Sinne von "Überwachern" von der Telekom abkommandiert, um der jungen Dame zuzuschauen, wie sie versuchte, wildfremden Menschen Mobilfunkverträge aufzuhalsen.

Sie erledigte ihre Arbeit nicht unbedingt gut. Schließlich war sie sichtlich nervös und stotterte. Auch mußte sie sich zu uns herunterbeugen, damit wir sie in dem Akustikrummel um uns herum überhaupt verstehen konnten, wodurch der Wind ihre Locken ins Gesicht wehte.

"Nein, wir sind nicht bei T-Mobile.", sagte ich. "Allerdings auch nicht interessiert."

Ich wendete mich ab. Meine Begleiterin war noch immer mit ihrer Kurznachricht zugange.
Doch die junge Dame gab nicht auf. Vielleicht wollte sie aufgeben, wurde aber von versteckten Waffen unter den Jackets der beiden hinter ihr Stehenden genötigt, ihr albernes Gespräch weiterzuführen.

"Aber ihr bekommt von mir eine Karte. Kostenlos."

Ich ignorierte sie. Meine Begleiterin setzte schon wieder zu einer iher albernen Ausreden an. Doch die Telekom-Tante unterbrach sie.

"10 Euro. Ich schenke euch eine Karte mit 10 Euro Guthaben drauf."
"Nein, danke.", antwortete ich, ignorierte sie nun vollends.

Die beiden Bewacher wendeten sich ab. Das schien das Zeichen zu sein, daß sie genug gelitten hatte, denn jetzt wagte es auch die junge Frau, von uns abzulassen und den beiden zu folgen, die vermtulich schon das nächste Opfer aufgegabelt hatten.

Während die akustische Welt um uns herum in miesen Dancefloorohrwürmern, bassverdreckten Schlagerhits und lächerlichen Schlumpf-Coversongs versank, lauschte ich meinen Gedanken und versuchte eine Antwort auf die Fragen zu finden, wie armselig T-Mobile dran sein mußte, wenn sie junge Frauen dazu nötigte, auf Stadtfesten Mobilfunkverträge zu verticken, ob ich die Vertreterin von den vermutlich massiv bewaffneten Schlägern hinter ihr hätte befreien, erlösen sollen und ob meine Judokenntnisse aus der ersten und zweiten Klasse dazu ausgereicht hätten...

Donnerstag, 12. Mai 2005

Lärmbekämpfung

Rumpelnd fuhr die Straßenbahn an mir vorbei, ratterte träge in ihren Gleisen, kam mit quietschenden Bremsen zu Stehen. Eine lärmende Kinderhorde wartete darauf, einsteigen zu können. Ich verstand keine Wort, nur kreischende Laute und das unaufhörliche Schimpfen einer Erzieherin. Ein Fahrradfahrer kämpfte sich durch die Meute, immer wieder penetrant klingelnd. Auf der anderen Straßenseite mühten sich vier Musikanten ab, dezibelintensive Klänge aus ihren glänzenden Blechblasinstrumenten zu pressen, den ratternden Preßlufthammer und die schallenden Rufe der Bauarbeiter zu übertönen.

'Was für ein Krach!', dachte ich angewidert und erhöhte die Lautstärke der Musik in meinem Ohr.

Rechnung mit Unbekannten

Auf der Erde leben rund sechs Milliarden [6.000.000.000] Menschen. Davon sind schätzungsweise die Hälfte [3.000.000.000] weiblich. Wenn man zugrundelegt, daß mein Interesse sich auf feminine Wesen der Altersstufe 20-30 Jahre beschränkt und behauptet, die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen betrüge weltweit 60 Jahre, dann kommt man zu dem Schluß, daß nur ein Sechstel aller Frauen für mich von Interesse sind, also 500.000.000.

Fünfhundert Millionen! Diese Zahl zu begreifen, bin ich nicht imstande.

Wievielen Menschen begegnet man während seines Lebens, wieviele sieht man? 100.000? Eine Million? Ich weiß es nicht. Doch fünfhundert Millionen sind unglaublich viele!

Erstaunlich, daß ich Single bin.

Mittwoch, 11. Mai 2005

15 Cent

Bei Nadine in Berlin fand ich diesen Text und fühlte mich verpflichtet, meinen Senf dazuzugeben...

Bei uns in der Mensa werden gefüllte Pfandflaschen und gefüllte Nicht-Pfandflaschen verkauft. Die geleerten Nicht-Pfandflaschen stellt man in eine rote Kiste, von wo aus sie dann - hoffentlich - fachgerecht entsorgt werden. Jedoch gibt es immer wieder Mensa-Nutzer, die nicht wissen, daß die von ihnen erworbene Flasche nicht zu den Nicht-Pfandflaschen zählt, sondern eben zu den Pfandflaschen, die man in einen entsprechenden Automaten am Mensa-Ausgang stopfen kann, um dadurch den Pfand von 15 Cent zurückzugewinnen.

Bei jedem Mensabesuch schaue ich also in die rote Kiste, ob nicht jemand versehentlich eine Pfandflasche unter die Nicht-Pfandflaschen gemischt hat - und werde meistens fündig. Mein Rekord liegt bei vier [plus meiner eigenen] - an dem Tag war es von Vorteil, einen Mantel angezogen zu haben. Normalerweise jedoch erhalte ich jedesmal eine Flasche. Das sind immerhin 15 Cent.

Erstaunlicherweise jedoch wird dieses Verhalten, das Herausfischen der Pfandflaschen, von anderen Mensanutzern mit verächtlichen Blicken bedacht, als wäre ich ein sozial Deklassierter, der "es nötig zu haben scheint", als wären ihnen jene lächerlichen 15 Cent vollkommen egal und vor allem nicht wert, leere, aber ungereinigte Glasflaschen vor den Augen der übrigen, mißtrauisch Glotzenden von der roten Kiste zum Automaten zu transportieren.

Nicht selten werde ich mich spöttischen Worten bedacht oder mitleidig belächelt, als wäre ich ein deutliches Beispiel für die Erbärmlichkeit des heutigen Studentenlebens und gleichzeitig ein Zeichen dafür, wie gut es jenen geht, die keinerlei Mühe für die wenigen, überflüssigen Cents aufzuwenden müssen.

Doch wenn ich am Automaten stehe, meine gesammelten Flaschen hineinstelle und den Pfand in Fünf-Cent-Stücken im Münzauswurf fröhlich klimpern höre, als hätte ich soeben den Millionen-Jackpot gewonnen, fühle ich, daß ich recht habe, und das Lächeln eines Gewinners stiehlt sich auf meine Lippen.

Pfefferminztee mit Kümmelaroma

Eben rief meine Oma an, erkundigte sich danach, wie es mir ginge. Ich war verwundert, klang doch ehrliche Besorgnis aus ihrer Stimme.
"Mir geht es gut.", sagte ich und meinte es ernst.
Und dann erinnerte ich mich.

-

Am Sonntag Nachmittag zelebrierten wir in kleinem Kreise ihren 75. Geburtstag. Es gab Schwarzwälder Kirschtorte und Rhabarber-[Dieses Wort muß ich immer wieder nachsehen...]Kuchen. Äußerst lecker. Dazu kredenzte meine Oma auf jeden persönlich abgestimmte Getränke. Während meine Großeltern "normalen" Kaffee trinken wollten, bevorzugte meine Mutter starken. Mein Bruder erhielt Milch, ich dagegen Tee.

Eine meiner favorisierten Teesorten ist Pfefferminz. Dessen war sich meine Oma bewußt und hatte einen entsprechenden Teebeutel ausgewählt. Allerdings mußte ich beim ersten Probieren des Tees feststellen, daß nicht nur dessen Farbe ungewöhnlich un-grün, sondern auch dessen Geschmack wenig pfefferminzig war. Ich glaubte, eine Spur von Kümmel schmecken zu können - durchaus nicht normal für Pfefferminztee - und fragte nach.

Sie spurtete in die Küche und kam mit der Pfefferminzteepackung zurück. In ihr befanden sich Teebeutel verschiedener Sorten - nur keine Pfefferminze.
"Brennesseltee.", las meine Oma, zog einen entsprechenden Beutel hervor und glaubte, die Lösung für den fremdartigen Geschmack meines Tees gefunden zu haben.
Ich blickte zweifelnd. Das war auch kein Brennesseltee.

Sie fischte einen weiteren Beutel aus der Packung. Dieser war extra verpackt, in eine Plastikhülle eingeschweißt.
"So einen hatte ich.", versicherte sie mir, "Ich mußte die Tüte extra aufschneiden, um an den Beutel zu kommen."

Ich nahm den Beutel in die Hand. Auf ihm waren allerlei blühende Kräuter abgedruckt.
"Abführtee" war darüber zu lesen.
Na toll.

Amüsiert probierte meinen Tee nochmal. Er schmeckte eigentlich ganz gut, vernachlässigte man das leichte Kümmelaroma. Meine Oma war schon aufgesprungen, mir neuen Tee zu kochen - Pfefferminz diesmal.
"Nicht nötig.", sagte ich und trank noch einen Schluck. Er schmeckte wirklich ganz passabel.

Noch immer zweifelnd setzte sich meine Oma wieder. Wir verspeisten große Teile des Kuchens, und ich trank gemütlich zwei oder drei Tassen Abführtee.

-

"Und?", fragte meine Oma nun am Telefon, "Mußtest du im Zug dauernd auf Toilette? Du bist ja derartiges nicht gewöhnt."
"Nee, nee.", lachte ich, gerührt von ihrer Sorge um mich.

Zentrum

Wenn ich ein Ziel habe, ein bedeutsames, beobachte ich jene, die in die gleiche Richtung eilen, frage mich, wohin sie gehen, stelle Vermutungen an, wie wahrscheinlich es ist, daß auch sie zu meinem Ziel wollen, zu der gleichen Feier, zu dem gleichen Konzert. Es spielt keine Rolle, wie weit das Ziel noch entfernt ist, wieviele Kilometer mich, uns, noch von ihm trennen, wieviele Abzweigungen noch dazwischen lauern, die anderen zu verschlingen und in andere Richtungen zu locken. Jeder ist verdächtig, wird gemustert, mit Fragen behaftet. Könnte es sein, daß...?
Ich sortiere aus, im Geiste, beobachte diejenigen, die übrig bleiben, schaue ihnen hinterher, wenn sie von meinem Weg abweichen, stelle fest, mich wieder geirrt zu haben - und freue mich darüber, letztendlich doch der einzige zu sein, der meinen Weg mit mir teilt.

Wenn ich Musik höre, wenn Kopfhörer mich von den Geräuschen der Außenwelt abschneiden, dann löse ich mich auf, versinke in den Klängen in meinem Ohr, gehe mit ihnen mit, kann mich nur mühevoll zurüclhalten, nicht mitzusingen, mich nicht zu bewegen, zu grinsen ob der guten Klänge.
Und ich gelange zu der Ansicht, daß nicht nur meine Außenwelt, nein, daß die gesamte existierende Welt verstummte, daß keinerlei Geräusche mehr vernehmbar sind, daß gesprochene Laute, Motorenlärm und Panflötengedudel nicht länger die Luft befüllen, sondern einzig und allein jene stumme Leere, die ich selbst noch von der Außenwelt vernehmen kann.
Und ich denke, daß alle anderen, alle Menschen um mich herum, die Musik in meinem Kopf hören, hören müssen, daß sie meine Stimmung, mein Hochgefühl, meine Trauer vernehmen, daß sie sich ebenso wie ich zurückhalten müssen, um nicht zu tanzen, zu springen, im treibenden Takt mit dem Kopf zu nicken. Und ich denke, daß alle anderen spüren, was ich spüre, daß wir eins sind inmitten der Geräusche in meinem Ohr, daß ich begriffen werde, während ich mich den Klängen hingebe.
Wenn ich die Augen öffne, die Sinne, erkenne ich die vorüberziehenden Menschen, die taub sind, nicht hören, nicht zu spüren scheinen, was ich empfinde, die woanders verweilen, andere Lieder hören, andere Töne, fern von mir, in ihrer Eigenwelt versunken.

'Jeder ist das Zentrum seiner Welt.', denke ich.

So etwas wie ein Audio-Film...

Den von meiner Mitbewohnerin entliehenen Fernseher hatte ich längst zurückgegeben, als ich heute Morgen meinen - normalerweise als CD-Abspielgerät genutzten und deswegen an Verstärker und Boxen angeschlossenen - DVD-Player anschaltete, erwartend, von irgendeiner Audio-CD mit angenehmen Klängen versorgt zu werden.

Doch noch immer weilte die montägliche DVD in dem Player und gab nun die zum Film gehörenden Töne von sich. Zuerst wollte ich das Datenmedium wechseln, dann entsann ich mich eines Besseren - und hörte zu.

Und tatsächlich [wenn man sich der wenig komplexen Handlung des Filmes entsann und die Bilder vor dem geistigen Auge abzurufen vermochte oder eigene Bilder erschuf], war es eine Freude, dieses Hörspiel nebenbei laufen zu lassen.
[Sicherlich lenkte es ab, doch nicht genug, um mich von meiner - erstaunlicherweise motviationsbefüllten - Arbeit abzuhalten.]

Ich bin entzückt und nehme mir vor, in Zukunft öfter mal DVDs anhören zu wollen...

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Ich möchte dir mein fantasy Welt vorstellen. Vielleicht...
Cerny Vlk - 6. Jan, 21:45
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Danke für die tollen Tipps, wir waren im August auch...
Physiotherapie Leipzig (Gast) - 21. Nov, 17:06
Higtech
Naja, man glaubt es kaum, aber was der Angler an Energie...
Martin Angel (Gast) - 12. Sep, 11:27
gar nisch süß
dat is gar nisch süß soll isch de ma was rischtisch...
free erdem (Gast) - 6. Jun, 16:40
Hier wird es fortan weitergehen: http://morast .eu Und...
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morast - 1. Feb, 21:10

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