Nächtliche Reflexion
Der Tag war angefüllt mit wundersamen Ereignissen. Zu spätester Stunde in einem leeren Zugabteil sitzend, in die Unsichtbarkeit der Außenwelt hinausstarrend, doch trotzdem nur nach innen hineinsehend, versuche ich, meinen Geist zu beruhigen und die widersinnigen Stimmen in meinem Schädel zum Schweigen zu bringen. Ich bin mir der Ignoranz bewußt, die ich mir selber aufzuerlegen gedenke, bemerke den Widerstand in mir gegen die äußere Ruhe und das einlullende, regelmäßige Rattern des Zuges. Doch mehr noch als alles andere wünsche ich mir in diesen Augenblicken, vor mir selbst zu fliehen und der Andeutung eines Lächelns, das sich in meinem Mundwinkel versteckt, nachzujagen.
Mich bedrängt das schlechte Gewissen des unausweichlich Kommenden, der erneut gewagte Versuch, einen richtigen Pfad vorerst nicht begehen zu wollen, das Morgige in die unbestimmte Ferne der Zukunft zu verschieben. Ich weiß, daß falsch ist, wie ich handeln werde - und doch scheint es mit der beste, ja vernünftigste, Weg zu sein, davon ausgehend, daß auch dieser zu einem Ziel, zu meinem Ziel führt (obgleich ich mir im Unklaren darüber bin, ob das Ziel wahrlich meines ist). Das schlechte Gewissen und die damit einhergehende Ungemütlichkeit, das unmerkbare Zittern meiner Hände, die vielen Gedanken voller Furcht, vermag selbst die Gewißheit, nicht zu vertreiben, den heutigen Tag mit einer guten Tat gefüllt zu haben.
Das Wissen dämpft das Gewissen, doch nicht genug. Trotzdem bin ich geneigt, mir - ohne selbstpreisend agieren zu wollen - ein lobendes Wort zu schenken, weil ich mir heute selbst bewußt machen konnte, woraus in meinen Augen wahre Freundschaft besteht: Im richtigen Moment alles Eigene stehen- und liegenlassen zu können und sich vollends dem anderen zu widmen. Ich bin gewiß ein wenig stolz, dergleichen getan zu haben und jederzeit wiederholen zu würden, doch mischt sich die Scham über den Stolz und darüber, womöglich eine Art Überposition gegenüber dem Hilfe-Ersuchenden einzunehmen, in meine Gedanken und trübt sie ein wenig.
Eine ältere Photographie brachte zudem Wirbel in mein Denken. Denn mit ihr verspürte ich die immense Wucht der völligen Rückkehr der Sehnsucht, die stets in mir gewohnt hatte, doch verdeckt war durch das Ersehnen des Vergangenen. Nun jedoch, da das Vergangene langsam aus meiner Seele herausgeblutet ist, nun jedoch, da nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz die Unmöglichkeit des Unerreichbaren erfaßte, öffnen sich meine Augene wieder, und ich beginne zu sehen. zu suchen und zu träumen. Nie verlor ich den Traum, doch verlor ich ein Gefühl der Leichtigkeit, ein gefühl, das meine tiefsten Regungen von Trauer und Schmerz loszulösen wußte. Ich verlor die Fähigkeit zu fliegen, blickte nur stets vom Grunde hinauf zu den gegflügelten Wesen über mir, beweinte ihre Ferne und leckte meinen gebrochenen Schwingen. Doch nun vermag ich zu lächeln, ohne die Träne der Vergangenehit zu spüren. Was war, ist nicht vergssen, wird nie vergessen werden, war viel zu schön, erfriff mich zu sehr, um es noch loslassen zu wollen, zu können, doch die Möglichkeiten des Gegenwärtigen ergreifen von mir Besitz und öffnen mein Herz für eine traumhafte Leichtigkeit.
Vielleicht ist es einfach nur der nahende Frühling, der mich lockt. Wer weiß. Doch in mir wogt ein Lächeln, eine Liebe, die ich lang vermißte, eine Liebe, die den Dingen gilt, die allem gilt, die sich nicht in einem Punkte konzentriert, nicht in einem Wesen manifestiert, sondenr überall winzige Spuren zu bestaunender Existenz hinerläßt. Ich vermag aufzusehen und der grauen Zukunft ins Anlitz zu schauen, wissend, daß irgendwo mein Leuchten wartet.
Draußen zieht unbemerkt die Nacht an der Scheibe vorbei. Im Geiste küsse ich die Gesichter der Vergangenheit. Ich spüre, daß ich sie liebe, spüre, daß ich das Leben liebe, heiße mich willkommen in einer unwirklichen Zauberwelt, die nur einen Atemzug lang Bedeutung haben wird, solange, bis die Schatten der Realität sie vertreibt, zersplittert.
Ich fürchte mich vor dem Dunkel, das dort draußen lauert, fürchte die Möglichkeiten, fürchte die Zukunft. Doch halte ich fest an der Gewißheit, daß alles gut zu werden vermag, daß meine Pfade die richtigen sein, daß mir stets leuchtende Wesen beiseite stehen werden, daß ich in keinem Augenblick allein und trostlos bin.
Ich blicke hinaus. In der Ferne funkeln müde Lichter. Der Zug rattert träge vor sich hin, betäubt mich mit Stille. In der spiegelnden Scheibe entdecke ich ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Ich heiße es willkommen.
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Mich bedrängt das schlechte Gewissen des unausweichlich Kommenden, der erneut gewagte Versuch, einen richtigen Pfad vorerst nicht begehen zu wollen, das Morgige in die unbestimmte Ferne der Zukunft zu verschieben. Ich weiß, daß falsch ist, wie ich handeln werde - und doch scheint es mit der beste, ja vernünftigste, Weg zu sein, davon ausgehend, daß auch dieser zu einem Ziel, zu meinem Ziel führt (obgleich ich mir im Unklaren darüber bin, ob das Ziel wahrlich meines ist). Das schlechte Gewissen und die damit einhergehende Ungemütlichkeit, das unmerkbare Zittern meiner Hände, die vielen Gedanken voller Furcht, vermag selbst die Gewißheit, nicht zu vertreiben, den heutigen Tag mit einer guten Tat gefüllt zu haben.
Das Wissen dämpft das Gewissen, doch nicht genug. Trotzdem bin ich geneigt, mir - ohne selbstpreisend agieren zu wollen - ein lobendes Wort zu schenken, weil ich mir heute selbst bewußt machen konnte, woraus in meinen Augen wahre Freundschaft besteht: Im richtigen Moment alles Eigene stehen- und liegenlassen zu können und sich vollends dem anderen zu widmen. Ich bin gewiß ein wenig stolz, dergleichen getan zu haben und jederzeit wiederholen zu würden, doch mischt sich die Scham über den Stolz und darüber, womöglich eine Art Überposition gegenüber dem Hilfe-Ersuchenden einzunehmen, in meine Gedanken und trübt sie ein wenig.
Eine ältere Photographie brachte zudem Wirbel in mein Denken. Denn mit ihr verspürte ich die immense Wucht der völligen Rückkehr der Sehnsucht, die stets in mir gewohnt hatte, doch verdeckt war durch das Ersehnen des Vergangenen. Nun jedoch, da das Vergangene langsam aus meiner Seele herausgeblutet ist, nun jedoch, da nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz die Unmöglichkeit des Unerreichbaren erfaßte, öffnen sich meine Augene wieder, und ich beginne zu sehen. zu suchen und zu träumen. Nie verlor ich den Traum, doch verlor ich ein Gefühl der Leichtigkeit, ein gefühl, das meine tiefsten Regungen von Trauer und Schmerz loszulösen wußte. Ich verlor die Fähigkeit zu fliegen, blickte nur stets vom Grunde hinauf zu den gegflügelten Wesen über mir, beweinte ihre Ferne und leckte meinen gebrochenen Schwingen. Doch nun vermag ich zu lächeln, ohne die Träne der Vergangenehit zu spüren. Was war, ist nicht vergssen, wird nie vergessen werden, war viel zu schön, erfriff mich zu sehr, um es noch loslassen zu wollen, zu können, doch die Möglichkeiten des Gegenwärtigen ergreifen von mir Besitz und öffnen mein Herz für eine traumhafte Leichtigkeit.
Vielleicht ist es einfach nur der nahende Frühling, der mich lockt. Wer weiß. Doch in mir wogt ein Lächeln, eine Liebe, die ich lang vermißte, eine Liebe, die den Dingen gilt, die allem gilt, die sich nicht in einem Punkte konzentriert, nicht in einem Wesen manifestiert, sondenr überall winzige Spuren zu bestaunender Existenz hinerläßt. Ich vermag aufzusehen und der grauen Zukunft ins Anlitz zu schauen, wissend, daß irgendwo mein Leuchten wartet.
Draußen zieht unbemerkt die Nacht an der Scheibe vorbei. Im Geiste küsse ich die Gesichter der Vergangenheit. Ich spüre, daß ich sie liebe, spüre, daß ich das Leben liebe, heiße mich willkommen in einer unwirklichen Zauberwelt, die nur einen Atemzug lang Bedeutung haben wird, solange, bis die Schatten der Realität sie vertreibt, zersplittert.
Ich fürchte mich vor dem Dunkel, das dort draußen lauert, fürchte die Möglichkeiten, fürchte die Zukunft. Doch halte ich fest an der Gewißheit, daß alles gut zu werden vermag, daß meine Pfade die richtigen sein, daß mir stets leuchtende Wesen beiseite stehen werden, daß ich in keinem Augenblick allein und trostlos bin.
Ich blicke hinaus. In der Ferne funkeln müde Lichter. Der Zug rattert träge vor sich hin, betäubt mich mit Stille. In der spiegelnden Scheibe entdecke ich ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Ich heiße es willkommen.
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morast - 6. Feb, 17:11 - Rubrik: Wortwelten
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